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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.09.2005
Aktenzeichen: 6 A 301/04
Rechtsgebiete: BVO


Vorschriften:

BVO § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
BVO § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3
Zur wissenschaftlichen Anerkennung der autologen Chondrozytentransplantation - ACT -
Tatbestand:

Der Kläger begehrte die Bewilligung der von ihm beantragten Beihilfe zu den Aufwendungen für die Herstellung eines Knorpelzellentransplantates (autologe Chondrozytentransplantation - ACT - bzw. Chondrozytenimplantation - ACI -). Das VG gab nach Einholung eines Sachverständigengutachtens dem Begehren statt. Die wissenschaftliche Anerkennung der ACI sei - wie in dem eingeholten Sachverständigengutachten dargelegt - zu bejahen.

Der Antrag des beklagten Landes auf Zulassung der Berufung wurde abgelehnt.

Gründe:

Der von dem beklagten Land geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greift nicht durch. ...

Das beklagte Land verweist auf die Kommentierung zu § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Beihilfenverordnung bei Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht Nordrhein-Westfalen, Loseblatt-Kommentar, Siegburg, Stand: Juli 2005, B I § 4 Anm. 3 (Blatt B 66/1), und auf die Stellungnahme des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen nach Anhörung von Prof. Dr. med. T.; diese beiden Umstände habe das VG nicht gewürdigt. Aus diesen bloßen Hinweisen erschließen sich jedoch nicht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Denn es fehlt eine Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Annahmen des VG. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Hinweises auf das Schreiben des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen, in dem dieses sich der Stellungnahme des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen lediglich anschließt.

Das VG hat seinem Urteil die nach der Rechtsprechung maßgeblichen Voraussetzungen und Kriterien der wissenschaftlichen Anerkennung einer Behandlungsmethode zu Grunde gelegt. Danach ist eine Behandlungsmethode wissenschaftlich anerkannt, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Mehrheit in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit als wirksam und geeignet angesehen wird.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.6.1995 - 2 C 15.94 -, ZBR 1996, 48, und vom 18.6.1998 - 2 C 24.97 -, ZBR 1999, 25.

Dies erfordert, dass eine Behandlungsmethode von den Wissenschaftlern, die in dem durch die zu behandelnde Krankheit gekennzeichneten Fachbereich tätig sind, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse als für eine Behandlung der Krankheit geeignet und wirksam angesehen wird. Die Überzeugung von der Wirksamkeit muss nicht in jedem Falle in der Fachwelt uneingeschränkt und einhellig geteilt werden. Das Merkmal der wissenschaftlichen Anerkennung setzt jedoch eine weitgehende Zustimmung der im Fachbereich tätigen Wissenschaftler voraus. Es ist dann nicht gegeben, wenn die überwiegende Mehrheit namhafter Autoren oder wichtiger wissenschaftlicher Gremien die Behandlungsmethode aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse als nicht wirksam ansieht. Nicht genügend ist danach, wenn eine Behandlungsmethode lediglich von einer - wenn auch gewichtigen - Minderheit für wirksam gehalten wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.9.2003 - 6 A 1184/00 - m.w.N.

Insbesondere genügt es danach nicht, wenn in einer oder gegebenenfalls sogar mehreren Studien die Wirksamkeit und Geeignetheit einer Behandlungsmethode bejaht wird, solange sich die überwiegende Mehrheit der Fachwissenschaftler dieser Auffassung nicht anschließt. Hiervon ausgehend ist das VG in Würdigung der gutachtlichen Äußerungen des Ärztlichen Direktors der Orthopädischen Rheumatologischen Rehabilitationsklinik Bad T., Dr. med. Q., zu der Auffassung gelangt, dass es sich bei der ACT um eine wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlung handelt.

Weder der knappe Hinweis in der von dem beklagten Land in Bezug genommenen Kommentierung von Mohr/Sabolewski noch die in der Stellungnahme des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des beklagten Landes lediglich erwähnte Äußerung des Prof. Dr. med. T. stellen eine fallbezogene Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil, insbesondere mit den gutachterlichen Äußerungen des Dr. med. Q. dar. Das Beklagtenvorbringen erschöpft sich vielmehr in der bloßen Gegenüberstellung der auf das eingeholte Gutachten des Dr. med. Q. gestützten Auffassung des VG einerseits und der Auffassung des Prof. Dr. med. T. sowie der in der Kommentierung Mohr/Sabolewski wiedergegebenen andererseits.

Ebenso wenig ist die vom beklagten Land u.a. nachgereichte Stellungnahme des Prof. Dr. med. T. geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) des VG zu begründen. Wird zu Gunsten des beklagten Landes unterstellt, dass damit der fristgerecht vorgebrachte Zulassungsgrund nur erläutert und verdeutlicht wird, steht der Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO insoweit zwar nicht entgegen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.4.1998 - 24 B 236/98 -.

In der Sache sieht sich dieses Vorbringen aber gleichermaßen den vorerwähnten Einwänden ausgesetzt. Denn diese "Stellungnahme zur wissenschaftlichen Anerkennung der autologen Chondrozytentransplantation" setzt sich weder mit dem von dem VG eingeholten Sachverständigengutachten - dieses findet nicht einmal Erwähnung - noch mit dem angegriffenen Urteil selbst auseinander. Insbesondere erschließt sich auch daraus nicht, dass die überwiegende Mehrheit der Fachwissenschaftler die vom VG als entscheidungstragend angenommene Einschätzung des Gutachters Dr. med. Q. nicht teilt.

Abweichendes folgt auch nicht aus dem Schreiben des Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen. Darin wird ausgeführt, auch der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkasse habe in der Anlage B der BUB-Richtlinien die ACT "als Methode, die nicht in die vertragsärztlichen Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen", eingestuft. Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit dieser Richtlinien auf den Bereich der Beihilfe überhaupt erfassen diese jedoch nur die vertragsärztliche ambulante Behandlung. Der Eingriff bei dem Kläger erfolgte hingegen stationär. Hierfür hat der frühere Ausschuss Krankenhaus (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) mit Beschluss vom 26.3.2003 die ACT nur für die Anwendung im Schultergelenk und in der Fingergelenken ausgeschlossen.

Vgl. LSG NRW, Urteil vom 19.7.2004 - L 5 KR 63/02 - (nicht rechtskräftig).

Im Übrigen verfängt das Vorbringen des beklagten Landes auch deswegen nicht, weil sich die Stellungnahme des Prof. Dr. med. T. weiteren durchgreifenden Bedenken ausgesetzt sieht: Als - wie am Ende seiner Stellungnahme angegeben - nicht operativ tätiger Rheumatologe ist er nicht in der medizinischen Fachrichtung (Chirurgie oder operative Orthopädie) tätig, in welcher die im Streit stehende Behandlungsmethode angewandt wird. Dieser Umstand schränkt den Aussagegehalt seiner Stellungnahme von vornherein ein. Unabhängig davon verweist Prof. Dr. med. T. in seiner Stellungnahme lediglich auf drei "kontrollierte", einer so genannten "Medline-Literaturrecherche" entnommene und publizierte Studien, welche aber endgültig erst nach fünf Jahren beurteilt werden könnten. Es ist nicht ersichtlich, dass der Inhalt dieser drei "kontrollierten" Studien (Unfallchirurgie Gießen, Middlesex sowie Paper 2004) die Feststellungen des vom VG beauftragten Gutachters widerlegt, zumal die Patienten dieser Studien den Darlegungen Prof. Dr. med. T. zufolge gute klinische Ergebnisse zeitigten. Offen bleibt ferner, warum Prof. Dr. med. T. lediglich diese Studien berücksichtigt, während insbesondere in dem in das vorliegende Verfahren eingeführte Gutachten des Chefarztes der Unfallchirurgischen Abteilung der St. C. Klinik in I., Dr. med. C., weitere Studien ins Feld geführt werden, die entweder von Prof. Dr. med. T. nicht berücksichtigt oder nicht gesehen worden sind. Soweit Prof. Dr. med. T. die Forderung nach einer weiteren wissenschaftlichen Erforschung der ACT-Methode darauf stützt, dass noch keine ausreichend langen Nachbeobachtungszeiträume vorliegen, ist auch dies nicht stichhaltig, weil diese Zeiträume bei den in dem Gutachten des Dr. med. C. erwähnten Studien bis zu neun Jahren betrugen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Stellungnahme des Prof. Dr. med. T. nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Entscheidung des VG zu begründen.

Ende der Entscheidung

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