Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 07.06.2005
Aktenzeichen: 6 A 3355/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
Zur Nachholung der erforderlichen Begründung in einer dienstlichen Beurteilung, warum dem Beamten zum dritten Mal im selben statusrechtlichen Amt ein lediglich durchschnittliches Gesamturteil zuerkannt wurde.

Nr. 8.1 Abs. 2 der Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen (BRL) vom 25.1.1996, MBl. NRW. 1996, S. 278, geändert durch Runderlass des Ministeriums für Inneres und Justiz vom 19.1.1999, MBl. NRW. 1999, S. 96.


Tatbestand:

Der Kläger erhielt als Polizeivollzugsbeamter des beklagten Landes im Jahre 2002 eine Regelbeurteilung, mit der ihm wie in den beiden vorangegangenen, im selben statusrechtlichen Amt erteilten Regelbeurteilungen ein nur durchschnit-tliches Gesamturteil zuerkannt wurde. Das VG gab seiner gegen die Beurteilung gerichteten Klage statt; die Beurteilung sei rechtswidrig und somit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu erstellen, weil es an einer ausreichenden Begründung des Beurteilers dafür fehle, dass der Kläger zum dritten Mal innerhalb derselben Vergleichsgruppe lediglich ein durchschnittliches Gesamturteil erhalten habe. Die hiergegen gerichtete Berufung des beklagten Landes hatte Erfolg.

Gründe:

Dienstliche Beurteilungen sind verwaltungsgerichtlich nur beschränkt nachprüfbar. Nur der Dienstherr oder der für ihn handelnde jeweilige Vorgesetzte sollen nach dem erkennbaren Sinn der Regelungen über die dienstliche Beurteilung ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der Beamte den - ebenfalls grundsätzlich vom Dienstherrn zu bestimmenden - zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen seines Amtes und seiner Laufbahn entspricht. Die VGliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich gegenüber dieser der gesetzlichen Regelung immanenten Beurteilungsermächtigung darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat.

Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 13.12.1999 - 6 A 3593/98 -, ZBR 2001, 338 = DÖD 2000, 266, und - 6 A 3599/98 -, DÖD 2000, 161.

Hiervon ausgehend lässt sich nicht feststellen, dass die dem Kläger erteilte Beurteilung unter einem durchgreifenden rechtlichen Mangel leidet. Weder ist ersichtlich, dass das dem Kläger zuerkannte Gesamturteil von 3 Punkten nicht plausibel ist, noch hat der Beurteiler - was allein noch im Raum steht - gegen Verfahrensvorschriften verstoßen. Insoweit kommt allein eine Verletzung der Nr. 8.1 Abs. 2 BRL ("Haben sich Lebens- und Diensterfahrung nicht positiv auf das Leistungsbild ausgewirkt, ist dies im Gesamturteil im einzelnen zu begründen") in Betracht.

Dem VG ist allerdings darin zuzustimmen, dass die von dem Endbeurteiler gegebene Begründung dafür, dass der Kläger auch in der dritten Regelburteilung im Amt eines Polizeihauptkommissars der Besoldungsgruppe A 12 BBesO lediglich das Gesamturteil "Die Leistung und Befähigung ... entsprechen voll den Anforderungen" nicht den Vorgaben der Nr. 8.1 Abs. 2 BRL entspricht. Die in der Beurteilung gegebene Begründung beschränkt sich auf den allgemeinen Hinweis, die Lebens- und Diensterfahrung des Klägers habe im Quervergleich innerhalb der Vergleichsgruppe nicht zu dem Ergebnis geführt, Leistungsvorsprünge anderer Bediensteter ausgleichen zu können. Das beinhaltet nicht die nach dem Wortlaut der Nr. 8.1 Abs. 2 BRL in der dienstlichen Beurteilung vorzunehmende Begründung "im einzelnen". Damit wird eine über den Verweis auf den Quervergleich in der Vergleichsgruppe hinausgehende Erläuterung für den Beurteilten verlangt, aus der er entnehmen kann, an welchen Gründen es im einzelnen liegt, dass die wachsende Lebens- und Diensterfahrung sich bei ihm anders als im Regelfall nicht positiv auf sein Leistungsbild ausgewirkt hat. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze für eine Abweichungsbegründung nach Nr. 9.2. Abs. 2 Satz 2 BRL, deren Grundlage vorrangig in einzelfallübergreifenden Erwägungen, etwa einer im Quervergleich zu wohlwollenden Bewertung des Erstbeurteilers, liegt, vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 13.12.1999 - 6 A 3593/98 -, a.a.O., finden hier keine Anwendung. Das wird durch die Erläuterungen des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen zu den BRL, Stand 1.3.1999, S. 119, bestätigt:

"Die Begründung soll in diesen Fällen den Beurteilten aufzeigen, warum (Unterstreichung durch das Gericht) im Quervergleich innerhalb der Vergleichsgruppe trotz der zunehmenden Lebens- und Diensterfahrung kein positiveres Ergebnis erzielt wurde".

Hiernach wird verlangt, dass dem Beurteilten die Gründe für den leistungsmäßigen "Stillstand" im Quervergleich verdeutlicht werden. Die Ausführungen in der Beurteilung des Klägers beschränken sich jedoch darauf, dass der Kläger im Quervergleich keine bessere Beurteilung habe erhalten können. Gründe hierfür werden nicht genannt. Das reicht nach Nr. 8.1 Abs. 2 BRL nicht aus.

Dennoch liegt in der unzulänglichen Berücksichtigung von Nr. 8.1 Abs. 2 BRL kein zur Rechtswidrigkeit der Beurteilung führender Verstoß gegen Verfahrensvorschriften.

Der Senat lässt offen, ob sich dies gemäß dem Vorbringen des beklagten Landes aus einer schon zum Zeitpunkt der Erstellung der Regelbeurteilungen 2002 von Nr. 8.1 Abs. 2 BRL abweichenden gefestigten Verwaltungspraxis ergibt. Hat der Dienstherr, wie hier, Richtlinien für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen, sind die Beurteiler unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG an diese Richtlinien - auch hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens - grundsätzlich gebunden. Das unterliegt der gerichtlichen Kontrolle.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.4.2001- 6 A 4754/00 -, RiA 2001, 249, m.w.N.

Jedoch kommt es unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nicht entscheidend auf den Wortlaut der Richtlinien an. Verwaltungsvorschriften wie die BRL sind keine Rechtsnormen. Sie sollen lediglich eine einheitliche Verwaltungspraxis sicherstellen. Maßgebend ist hiernach die in ständiger Praxis geübte, wenn auch u. U. von den Richtlinien abweichende tatsächliche Handhabung, wenn sie von dem Richtliniengeber gebilligt oder zumindest geduldet wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.3.2000 - 2 C 7.99 -, DÖD 2001, 38 = RiA 2000, 283, sowie Beschluss vom 7.4.2000 - 2 B 21.00 -; OVG NRW, Beschluss vom 27.4.2001 - 6 A 4754/00 -, a.a.O., m.w.N.

Der Senat hält es jedoch für zweifelhaft, dass die tatsächliche Handhabung der 8.1 Abs. 2 BRL schon anlässlich der Erstellung der dienstlichen Beurteilung des Klägers vom 12.7.2002 nicht mehr dem Wortlaut dieser Verwaltungsvorschrift folgte, d.h. dass die Beurteiler sich beim Ausbleiben einer Leistungssteigerung des Beurteilten auch bei der dritten Regelbeurteilung in derselben Vergleichsgruppe einheitlich, also im gesamten Geltungsbereich der BRL, auf eine Begründung beschränkten, wie sie dem Kläger in seiner Beurteilung gegeben wurde. Der Beklagte verweist darauf, die Kreispolizeibehörden hätten auf entsprechende Anfragen bei den Aufsichtsbehörden im Februar 2002 einen schriftlichen Vorschlag des Innenministeriums "Möglichkeiten zur Begründung gemäß Ziffer 8.1 der Beurteilungsrichtlinien" mit u. a. dem (mit einer Kopie des Schreibens vorgelegten) Wortlaut erhalten:

"... wird folgende Formulierung für ausreichend gehalten:

'Mit dieser Beurteilung werden Sie zum dritten Mal in einer Vergleichsgruppe beurteilt. Diese Beurteilung sieht ein Gesamturteil vor,

(je nach Fallgestaltung einsetzen)

- das weder im Vergleich zur letzten noch im Vergleich zur vorletzten Beurteilung eineVerbesserung darstellt

- das schlechter ist als das Gesamturteil dervorangegangenen Beurteilung (zu dieser Fallgruppe nachfolgend Ziffer 3).

Haben sich Lebens- und Diensterfahrung nicht positiv auf das Leistungsbild ausgewirkt, ist dies gemäß Ziffer 8.1 der Beurteilungsrichtlinien zu begründen. Ich teile Ihnen daher mit, dass im Quervergleich innerhalb ihrer Vergleichsgruppe trotz zunehmender Lebens- und Diensterfahrung ein positiveres Ergebnis nicht festgestellt werden kann.'

Eine weitergehende Begründung anhand einschlägiger Leistungs- bzw. Befähigungsmerkmale sollte allenfalls dann in Betracht gezogen werden, wenn jene Merkmale durchgehend oder in diesem Zusammenhang signifikant als unterdurchschnittlich eingestuft worden sind."

Diesem Vorschlag ist der Endbeurteiler zwar bei der Beurteilung des Klägers vom 12.7.2002 gefolgt. Gegen eine bereits damals gefestigte Verwaltungspraxis spricht aber, dass die Pflicht des Endbeurteilers zur Abgabe einer Begründung nach Nr. 8.1 Abs. 2 BRL bei den Regelbeurteilungen im Jahre 2002 zum ersten Mal bedeutsam wurde. Es handelte sich um die dritten Regelbeurteilungen nach Einführung der BRL im Jahre 1996, und die Begründung war erst dann vorgesehen, wenn der zu beurteilende Beamte zum dritten Mal in einer Vergleichsgruppe des selben statusrechtlichen Amtes beurteilt wurde (vgl. die erwähnten Erläuterungen des Innenministeriums zu Nr. 8.1 Abs. 2 BRL, S. 119). Zudem besteht eine tatsächliche Vermutung für die Deckungsgleichheit zwischen dem Inhalt der Richtlinien und der Verwaltungspraxis.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.3.1981 - 7 C 8.79 -, DVBl 1981, 1149; Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 140.

Unter diesen Umständen spricht einiges dafür, dass die vom Beklagten angeführten "Möglichkeiten zur Begründung gemäß Ziffer 8.1 der Beurteilungsrichtlinien" lediglich den Versuch beinhalteten, eine Verwaltungspraxis zu Nr. 8.1 Abs. 2 BRL erst zu entwickeln bzw. diese Entwicklung zu unterstützen, eine bereits feststehende abweichende Verwaltungspraxis also noch nicht begründet worden war.

Die dienstliche Beurteilung des Klägers vom 12.7.2002 entspricht dessen ungeachtet jedenfalls inzwischen den rechtlichen Anforderungen auch in Bezug auf Nr. 8.1 Abs. 2 BRL. Das ergibt sich jedenfalls daraus, dass der Mangel der danach vorgeschriebenen Begründung geheilt worden ist. Der Endbeurteiler hat sich die von ihm eingeholte schriftliche Stellungnahme des Erstbeurteilers anhand der zunächst mündlichen Wertung des Erstbeurteilers nach Erörterung in den Beurteilerbesprechungen zu eigen gemacht. Auf diese Stellungnahme wird außerdem in dem Widerspruchsbescheid entscheidend abgestellt. Schließlich ist dem Kläger im Klageverfahren die schriftliche Stellungnahme des Erstbeurteilers zugänglich gemacht worden. Er hat sie - zutreffend - als ergänzende Begründung im Rahmen der Nr. 8.1 Abs. 2 BRL angesehen.

Diese Begründung lässt auch erkennen, warum der Endbeurteiler dem Kläger zum dritten Mal im selben statusrechtlichen Amt ein nur durchschnittliches Gesamturteil zuerkannte: Sie enthält die Schilderung einer Reihe von leistungsmäßigen Einschränkungen (wird ausgeführt), die die erneute Vergabe eines bloß durchschnittlichen Gesamturteils nachvollziehbar machen. Mehr kann nicht gefordert werden. Entgegen der Auffassung des VG ist der Beurteiler nicht darüber hinaus verpflichtet, nach den Ursachen des Leistungsstillstands bei dem beurteilten Beamten zu forschen und diese verbal darzustellen. Der Umstand, dass diese Begründung erst auf die Einwendungen des Klägers gegen seine dienstliche Beurteilung nachgeholt wurde, ist unschädlich. Nr. 8.1 Abs. 2 BRL verlangt zwar eine ins Einzelne gehende Begründung "im Gesamturteil". Daraus lässt sich jedoch nicht herleiten, die Heilung eines Mangels sei insoweit ausgeschlossen: Nr. 8.1 Abs. 2 BRL beinhaltet eine besondere Ausprägung der allgemein bestehenden Pflicht des Dienstherrn zur Plausibilisierung dienstlicher Beurteilungen; der Dienstherr muss auf begründete Einwände allgemein und pauschal formulierte Werturteile erläuternd konkretisieren, so dass sie für den beurteilten Beamten einsichtig und für Außenstehende nachvollziehbar sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.6.1980 - 2 C 8.78 -, BVerwGE 60, 245.

Zugleich resultiert die in Nr. 8.1 Abs. 2 BRL vorgesehene besondere Begründung aus der in Nr. 6 BRL ausgedrückten Vermutung, dass größere Diensterfahrung sich positiv auf das Leistungsbild des Beamten auswirkt. Auf das Beurteilungsergebnis wirkt sich die Begründungspflicht nicht unmittelbar aus. Sie zielt in erster Linie auf eine gesteigerte Information des Beurteilten. Ihm sollen die Gründe für seinen (unerwarteten) leistungsmäßigen Stillstand im Vergleich mit den anderen Beamten seiner Vergleichsgruppe besonders verdeutlicht werden. Hinzu kommt, dass dem Beurteiler vor der Bescheinigung eines erneuten leistungsmäßigen Stillstands die notwendige Einzelfallbetrachtung - zu der er ohnehin verpflichtet ist - nochmals verdeutlicht werden soll.

Unter diesen Umständen ist die Behebung eines in der dienstlichen Beurteilung vorhandenen Mangels der Begründung nach Nr. 8.1 Abs. 2 BRL nachträglich - auch noch im gerichtlichen Verfahren - möglich. Insoweit gilt nichts anderes als bei sonstigen Plausibilisierungsdefiziten.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26.6.1980- 2 C 8.78 -, a.a.O., 252; OVG NRW, Beschluss vom 13.9.2001 - 6 B 1776/00 -, NWVBl. 2002, 111, m.w.N. Das rechtfertigt sich aus prozessökonomischen Gesichtspunkten. Die Wahrung der Rechte des betreffenden Klägers wird dadurch in aller Regel - wie auch hier - nicht beeinträchtigt. Einer nachträglichen Entziehung des Klagegrundes kann, wie das BVerwG in der o.a. Entscheidung ausgeführt hat, durch dies berücksichtigende Prozesserklärungen und eine entsprechende Kostenentscheidung Rechnung getragen werden.

Ende der Entscheidung

Zurück