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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 18.07.2007
Aktenzeichen: 6 A 3535/06
Rechtsgebiete: BVO NRW, GG


Vorschriften:

BVO NRW § 12 a
GG Art. 33 Abs. 5
Die jährliche Verminderung der Beihilfe um eine Kostendämpfungspauschale ist rechtswidrig. § 12 a BVO NRW ist nichtig (Abweichung von BVerwG, Urteil vom 3.7.2003 - 2 C 36.02 -, BVerwGE 118, 277).

Krankheiten sind keine Ausnahme- oder Notsituationen, sondern begründen nach heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen gewöhnlichen Unterhaltsbedarf. Dessen Deckung richtet sich nicht nach Fürsorgegrundsätzen für echte Notlagen.

Die als Eigenvorsorge abgeschlossene beihilfekonforme Krankheitskostenversicherung und die Beihilfe wirken nach ihrer Konzeption so zusammen, dass sie den krankheitsbedingten Unterhaltsbedarf vollständig decken. Mit der Kostendämpfungspauschale als einer dritten Finanzierungsgrundlage handelt der Dienstherr eigenen Vorentscheidungen zuwider und verhält sich treuwidrig.

Die Kostendämpfungspauschale verstößt gegen das Gebot der beamtenrechtlichen Rücksichtnahme, weil ungedeckter krankheitsbedingter Unterhaltsbedarf nur hinzunehmen ist, soweit die Beihilfevorschriften aus praktischen Gründen nicht mit jedem Versicherungstarif zur Deckung zu bringen sind. Die Kostendämpfungspauschale stellt dagegen keine unvermeidbare Folge, sondern eine gewollte Belastung der Beihilfeberechtigten dar, die zudem nicht versicherbar ist.


Tatbestand:

Seit dem Jahr 1999 wird den Beihilfeberechtigten in Nordrhein-Westfalen ein Betrag als Kostendämpfungspauschale von der Beihilfe abgezogen, den auch die private Krankenversicherung nicht ersetzt. Die Kostendämpfungspauschale ist gestaffelt und beträgt je nach Besoldungsgruppe zwischen 150 Euro und 750 Euro jährlich. Die gegen den Abzug der Kostendämpfungspauschale gerichtete Klage eines Beamten hatte beim VG Erfolg. Die Berufung des Landes wurde zurückgewiesen.

Gründe:

1. Die Verminderung des Beihilfeanspruchs um die Kostendämpfungspauschale durch § 12 a BVO NRW ist rechtswidrig. Sie verstößt gegen die Pflicht des Dienstherrn, die Deckung des krankheitsbedingten Unterhaltsbedarfs nicht im Widerspruch zu den Voraussetzungen zu regeln, nach denen er die Besoldung bemisst (a). Sie verstößt darüber hinaus gegen seine Pflicht, die Beihilfe nur mit Rücksicht auf die vorhandenen Versicherungsmöglichkeiten auszugestalten (b). Die Vorschrift ist infolgedessen von den Verwaltungsgerichten als nichtig zu behandeln (c).

a) Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG gehört die Pflicht des Dienstherrn, seine Beamten und deren Familien zu alimentieren. Dem entspricht ein verfassungsrechtlich geschützter Anspruch des Beamten auf Alimentation. Der Dienstherr muss seinen Beamten und deren Familien einen angemessenen Unterhalt gewähren, der grundsätzlich den gesamten Lebensunterhalt sicherstellt.

Vgl. BVerwG, Entscheidung vom 25.6.1987 - 2 N 1.86 -, BVerwGE 77, 345 sowie Urteile vom 25.6.1987 - 2 C 57.85 -, BVerwGE 77, 331, und vom 3.7.2003 - 2 C 36.02 -, BVerwGE 118, 277 (Hervorhebung durch das BVerwG).

Nur eine so verstandene Alimentierungspflicht kann als Voraussetzung dafür genügen, dass sich der Beamte ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensberuf widmen und in wirtschaftlicher Unabhängigkeit zur Erfüllung der dem Berufsbeamtentum vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.3.1977 - 2 BvR 1039/75 u. a. -, BVerfGE 44, 249.

Was der Beamte zum Bestreiten des Lebensunterhalts für sich und seine Familie benötigt, ergibt sich aus seinem Bedarf. Dessen Umfang festzusetzen, liegt im weiten Gestaltungsermessen des Besoldungsgesetzgebers, der entsprechende Entscheidungen jedenfalls mittelbar durch die Bestimmung der Besoldungshöhe auch tatsächlich trifft.

Ausgangspunkt und Grundlage dieser Entscheidung muss - was den hier interessierenden Gegenstand angeht - die Erkenntnis sein, dass der Bedarf des Beamten sich zusammensetzt aus seinem Bedarf ohne Krankheitskosten einerseits und dem durch Krankheit ausgelösten Bedarf andererseits. Zusammen bilden beide Bedarfsanteile den gesamten Lebensunterhaltsbedarf, den der Dienstherr decken muss.

Wie der Dienstherr den krankheitsbedingten Anteil des gesamten Unterhaltsbedarfs sicherstellt, kann er in den von der Verfassung gezogenen Grenzen selbst entscheiden.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.9.2001 - 2 BvR 2442/94 -, DVBl 2002, 114.

In praktisch allen Beamtenverhältnissen im Geltungsbereich des Grundgesetzes wird bis heute ein Kombinationsmodell aus einer besoldungsfinanzierten Eigenvorsorge des Beamten und einer krankheitskostenabhängigen Beihilfe des Dienstherrn praktiziert. Solange nach diesem System verfahren wird, verpflichtet Art. 33 Abs. 5 GG den Dienstherrn, der Besoldung, die zur Deckung des nicht krankheitsbedingten Unterhaltsbedarfs dient, zunächst einen Anteil beizufügen, mit dem der Beamte die Prämien einer beihilfekonformen Krankenversicherung begleichen soll. Nach seiner als Obliegenheit zu verstehenden Pflicht zur Eigenvorsorge für den Krankheitsfall ist der Beamte gehalten, eine solche Versicherung abschließen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE 83, 89; BVerwG, Urteil vom 3.7.2003 (a.a.O.).

Den krankheitsbedingten Unterhaltsbedarf, der dem Beamten nach den Leistungen der mit dem Besoldungszuschlag finanzierten privaten Krankheitskostenversicherung noch verbleibt, deckt der Dienstherr sodann durch die Beihilfe. Der noch offene Unterhaltsbedarf ist durch die entstandenen Krankheitskosten - im Gegensatz zum sonstigen Unterhaltsbedarf - genau beziffert. Auf dieser Bezifferbarkeit beruht die Konzeption der Beihilfe als Werkzeug zu einer die Besoldung ergänzenden Sicherstellung des Gesamtbedarfs. Krankheitsbedingter Bedarf und hierfür gewährte Leistungen entsprechen sich in diesem System prinzipiell vollständig. Krankheitsbedingten Bedarf, der durch Besoldung zu decken wäre, kann es nach dem der Beihilfe zugrunde liegenden System bei idealtypischer Betrachtung nicht geben.

Die Kostendämpfungspauschale zerstört die so verstandene Deckungsgleichheit von Bedarf auf der einen und Leistungsgewährung auf der anderen Seite. Rechtlich bedeutet dies, dass der Dienstherr das zur Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Pflichten selbst gewählte System unterläuft oder - anders ausgedrückt - den eigenen Vorentscheidungen zuwiderhandelt. Das damit verletzte Verbot widersprüchlichen Verhaltens richtet sich gleichermaßen an den Dienstherrn und den Beamten. Es stellt sich als besondere Ausprägung der beamtenrechtlichen Fürsorge- und Treuepflicht dar, die in Art. 33 Abs. 5 GG verankert ist.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.1953 - 1 BvR 147/52 -, BVerfGE 3, 58; BVerwG, Urteil vom 12.3.1987 - 2 C 55.84 -, ZBR 1987, 399, m.w.N.

Durch den Abzug der Kostendämpfungspauschale weigert sich der Dienstherr, einen Teil des krankheitsbedingten Unterhaltsbedarfs des Beamten zu decken, der über den durch eine beihilfekonforme Krankheitskostenversicherung erfassten Aufwand hinausgeht. Er zwingt den Beamten dadurch, auf Bestandteile der Besoldung zuzugreifen, die er ihm für seinen nicht krankheitsbedingten Bedarf zur Verfügung stellt. Das ist treuwidrig und infolgedessen rechtswidrig. Aus seinen Bezügen muss der Beamte für seinen krankheitsbedingten Bedarf nämlich nur das einsetzen, was ihm der Dienstherr mit der Besoldung zur Erfüllung der Pflicht bzw. Obliegenheit zur Eigenvorsorge zumisst.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.6.1987 - 2 C 57.85 - (a.a.O.).

Die Besoldungsbemessung und damit die ihr zugrunde gelegte Bedarfsermittlung erkennen die vorgefundenen tatsächlichen Verhältnisse an und beruhen auf der Erwartung, dass die durch Erkrankungen hervorgerufenen finanziellen Belastungen durch Beihilfeleistungen zu einem erheblichen Teil ausgeglichen werden. Mit dem BVerfG ist die Grundlage für diese Leistungen in der Verpflichtung des Dienstherrn zur Fürsorge gegenüber den Beamten zu sehen. Demgegenüber werden die als Besoldung gezahlten Dienstbezüge aufgrund der verfassungsrechtlichen Alimentationspflicht erbracht. Sie enthalten von Verfassungs wegen deswegen "lediglich die Kosten einer Krankenversicherung ..., die zur Abwendung ... nicht ausgeglichener Belastungen erforderlich ist".

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 (a.a.O), m.w.N. seiner früheren Rechtsprechung; auch BVerwG, Urteil vom 25.6.1987 - 2 C 57.85 - (a.a.O.).

Dem entspricht durchaus auch die frühere Rechtsprechung des BVerwG: Danach werden Beihilfen "zu dem Zweck erbracht, den Beamten und den Versorgungsempfänger in angemessenem Umfang von denjenigen Aufwendungen im Krankheits-, Geburts- und Todesfall freizustellen, die nicht von der Besoldung bzw. der Versorgung gedeckt sind. (...) Soweit Aufwendungen im Krankheitsfall den mit der Besoldung oder Versorgung abgegoltenen Durchschnittssatz übersteigen, hat dies der Dienstherr durch die Gewährung von Beihilfen auszugleichen".

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.6.1980 - 6 C 19.79 -, BVerwGE 60, 212, m.w.N. seiner vorhergehenden Rspr.

Die Bemessung der Bezüge geht mithin nach der oben dargelegten Rechtsprechung des BVerfG und der damit übereinstimmenden früheren Rechtsprechung des BVerwG von der Vorstellung aus, erkaufte Versicherungsleistung und Beihilfen wirkten so zusammen, dass der krankheitsbedingte Unterhaltsbedarf gedeckt wird, dem Beamten also keine "nicht ausgeglichenen Belastungen" mehr verbleiben.

b) Die Kostendämpfungspauschale führt zu weiteren Widersprüchlichkeiten: Mit dem von ihm selbst gewählten System fügt der Dienstherr den Bezügen, die zur Deckung des nicht krankheitsbedingten Unterhaltsbedarfs bestimmt sind, eine Summe hinzu, mit welcher der Beamte seinen Bedarf an einer beihilfekonformen Krankheitskostenversicherung befriedigen soll. Mit § 12 a BVO NRW verhindert der Dienstherr aber, dass der Beamte die vorausgesetzte beihilfekonforme Krankheitskostenversicherung überhaupt abschließen kann. Die Kostendämpfungspauschale ist nämlich nicht versicherbar, jedenfalls nicht allgemein und nicht in nennenswertem Umfang.

Zugleich verletzt die Kostendämpfungspauschale das auch an den Dienstherrn gerichtete Gebot der beamtenrechtlichen Rücksichtnahme. Da der Dienstherr die Beihilfe als eine Leistung konzipiert hat, die die aus der Besoldung zu tragende Eigenvorsorge des Beamten ergänzt, darf er sie nicht ohne Rücksicht auf die vorhandenen Versicherungsmöglichkeiten ausgestalten. Die Rücksichtnahmepflicht gebietet dem Dienstherrn vielmehr, die Beihilfe so zu regeln, dass dem Beamten nach der Inanspruchnahme seiner Krankheitskostenversicherung möglichst kein ungedeckter Unterhaltsbedarf bei Krankheit verbleibt. Dabei ist er allerdings nicht verpflichtet, die Beihilfe an jeden der zahlreichen unterschiedlichen Versicherungstarife anzupassen. Lassen sich die Beihilfevorschriften und sämtliche Versicherungstarife aus praktischen Gründen nicht vollständig zur Deckung bringen, ist der aus diesen Friktionen herrührende ungedeckte Unterhaltsbedarf deshalb vom Beamten bis zur Grenze der Erheblichkeit hinzunehmen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.9.2001 (a.a.O.) und vom 13.11.1990 (a.a.O.) m.N. der Rechtsprechung des BVerwG.

§ 12 a BVO NRW wird den Anforderungen an die rücksichtsvolle Gestaltung der Beihilfevorschriften aber nicht gerecht. Der ungedeckte Unterhaltsbedarf, den die Kostendämpfungspauschale zurücklässt, ist nicht unvermeidbare Folge notwendig vergröbernder Beihilfevorschriften. Vielmehr zielte das Haushaltssicherungsgesetz 1999, das die Kostendämpfungspauschale einführte, bewusst und gewollt auf einen von den Beihilfeberechtigten selbst aufzubringenden Betrag, der neben die Eigenvorsorge und die Beihilfe treten sollte. Bezweckt war damit allein die Entlastung des Landeshaushalts. Mit ungewollt eintretenden oder im Vereinfachungsinteresse hingenommenen Deckungslücken lässt sich die mit der Kostendämpfungspauschale den Beihilfeberechtigten zugemutete finanzielle Einbuße folglich nicht begründen. Dass die fehlende Übereinstimmung der Kostendämpfungspauschale mit den tatsächlich vorhandenen Versicherungsmöglichkeiten bei der Entscheidung eine Rolle gespielt hätte, lässt sich demgemäß den Materialien an keiner Stelle entnehmen.

Vgl. LT-Drs. 12/3300 S. 54, 57; LT-Drs. 12/3400; LT-Vorlage 12/2301; LT-Vorlage 12/2404.

c) Mit der Kostendämpfungspauschale verstößt der Dienstherr nach allem sowohl gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als auch das Gebot der beamtenrechtlichen Rücksichtnahme. Danach erweist sich § 12 a BVO NRW als rechtswidrig und nichtig. Zu dieser Feststellung bedarf es keiner Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG. Obwohl die Kostendämpfungspauschale durch ein Parlamentsgesetz in die Beihilfenverordnung eingefügt worden ist, bleibt sie aus Gründen der Normenklarheit und Normenwahrheit sowie nach dem Willen des Gesetzgebers (Art. II Abs. 9 Haushaltssicherungsgesetz 1999 "Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang" / "Entsteinerungsklausel") insgesamt Verordnungsrecht. Als solches sind die Beihilfenverordnung und alle ihre Teile jedem damit befassten Gericht zur Überprüfung zugewiesen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.09.2005 - 2 BvL 11/02 u.a. - (www.bverfg.de).

2. Der Senat befindet sich mit seiner Auffassung in Übereinstimmung mit der Entscheidung des BVerwG vom 25.6.1987 - 2 N 1.86 - (a.a.O.), mit der es eine nicht versicherbare Beihilfekürzung im Bundesland Bremen für rechtswidrig gehalten hat. Dem entgegenstehenden jüngeren Urteil zur früheren Kostendämpfungspauschale in Niedersachsen, der § 12 a BVO NRW entspricht,

vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.2003 (a.a.O), dem folgend OVG NRW, Urteil vom 12.11.2003 (a.a.O.), OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.12.2006 - 4 N 108.05 - (Juris).

schließt sich der Senat nicht an.

a) Das BVerwG geht davon aus, dass "die Bezüge der Beamten, Richter und Versorgungsempfänger ... keinen exakt bestimmbaren Satz oder proportionalen Anteil, mit dem die Eigenvorsorge betrieben werden kann" enthalten. Daraus folgert es in seinem Urteil zur niedersächsischen Kostendämpfungspauschale erstmals, dass "die Grenze der dem Beamten oder Richter zumutbaren Belastung im Hinblick auf die Eigenvorsorge erst erreicht (sei), wenn der amtsangemessene Unterhalt nicht mehr gewährleistet" sei. Habe "der Beamte oder Richter zu seinen Aufwendungen in Krankheitsfällen einen Eigenbeitrag zu leisten, der weniger als ein Prozent seiner Jahresbezüge ausmacht", bleibe "in aller Regel der amtsangemessene Lebensunterhalt gewahrt". Mit diesen Erwägungen widerspricht das BVerwG - freilich ohne es zu erwähnen - nicht nur seiner zutreffenden, früher ständig vertretenen Auffassung, sondern auch der Rechtsprechung des BVerfG zur Zusammensetzung der Besoldung. Der danach für den krankheitsbedingten Unterhaltsbedarf vorgesehene Besoldungsanteil ist abstrakt festgelegt und beschränkt sich auf den Betrag der durchschnittlichen Krankenversicherungsprämie. Anders als das BVerwG offenbar meint, kommt es deshalb nicht darauf an, dass dieser Besoldungsanteil nicht exakt bezifferbar ist; denn die Kostendämpfungspauschale läuft bereits dem mit der abstrakten Festlegung ausgedrückten Prinzip zuwider.

b) Das BVerwG ist der Auffassung, Beihilfen zu Krankheitskosten seien "Leistungen für besondere Lebenssituationen" und Krankheiten seien "Ausnahmesituationen" oder "Notsituationen".

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.2003 (a.a.O).

Dem ist insoweit zu folgen, als die Beihilfe als Leistungssystem der Fürsorgepflicht und nicht dem Alimentationsprinzip unterstellt wird. Diese Einordnung bringt zum Ausdruck, dass die Beihilfe eine rein anlassbezogene Unterhaltsleistung ist und nicht wie die Besoldung als Alimentation i.e.S. voraussetzungslos erbracht wird. Das gegenwärtige Beihilfesystem ist somit jederzeit änderbar und wird nicht von der Pflicht zur Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätzen im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG geschützt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.1981 - 2 BvR 1067/80 -, BVerfGE 58, 68.

Die Verortung des Beihilfesystems in der Fürsorgepflicht führt aber nicht dazu, dass die Pflicht des Dienstherrn gelockert wäre, den gesamten Lebensunterhalt des Beamten und damit auch dessen krankheitsbedingten Bedarf sicherzustellen. Eine Relativierung dieser Pflicht in dem Sinne, dass der Dienstherr hierauf nur noch wie auf besondere, aus dem Rahmen fallende (echte) Notlagen zu reagieren hätte, ist verfassungsrechtlich nicht zu vertreten. Denn hierdurch würde nicht allein das gegenwärtige Beihilfesystem als bloßes Werkzeug zur ergänzenden Bedarfsdeckung modifiziert, sondern die Pflicht zur Deckung des Lebensunterhaltsbedarfs an sich in Frage gestellt. Dies aber geriete in Widerspruch zu den in der Rechtsprechung des BVerfG formulierten, oben näher dargestellten Grundsätzen, nach denen die als Alimentation nach Art. 33 Abs. 5 GG geleistete Besoldung bemessen wird.

c) Die Deckung des krankheitsbedingten Unterhaltsbedarfs ist im Übrigen entgegen der Wortwahl des BVerwG keine Fürsorgeleistung des Dienstherrn in "Notsituationen". Nach den vom BVerfG zum Maßstab der Besoldungsbemessung erhobenen sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die den vom Dienstherrn zu befriedigenden Unterhaltsbedarf des Beamten maßgeblich prägen, gehört zu diesem Bedarf auch die Absicherung der aus Krankheit erwachsenden Kostenrisiken. Angesichts des Fortschritts in der modernen Medizin haben diese Risiken unter heutigen Verhältnissen ein finanzielles Ausmaß, das nicht mehr vom Einzelnen, sondern nur durch die Anwendung des Versicherungsprinzips bewältigt werden kann. Deshalb gehören die regelmäßig zu zahlenden Prämien einer beihilfekonformen Krankheitskostenversicherung zum gewöhnlichen Unterhaltsbedarf jedes Beamten. Folgerichtig enthält die voraussetzungslose Besoldung einen, wenn auch nicht bezifferten, so doch als solchen feststehenden Anteil für eine derartige Versicherung, der auch im Rahmen der Beihilfe nicht disponibel ist. Damit unvereinbar ist die Vorstellung, die von dem Beamten zu erbringende Eigenvorsorge könne um einen zusätzlichen "Eigenbeitrag" erhöht oder - wie es richtigerweise auszudrücken wäre - ein solcher Eigenbetrag dürfe neben Eigenvorsorge und Beihilfe als dritte Finanzierungsgrundlage der Krankheitskosten eingeführt werden.

Nicht nur das BVerfG, sondern auch die frühere Rechtsprechung des BVerwG geht davon aus, dass der finanzielle Bedarf im Krankheitsfall als Bestandteil des regelmäßigen Unterhaltsbedarfs angesehen werden muss.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.3.1977 (a.a.O.); BVerwG, Entscheidung vom 25.6.1987 - 2 N 1.86 - (a.a.O.).

Dementsprechend sieht auch das BVerwG es bis heute als selbstverständlich an, dass der Beamte aus der Besoldung auch eine Krankenversicherungsprämie finanzieren können muss.

Die Erkenntnis, Krankheitskosten gehörten zum regelmäßigen Unterhaltsbedarf, spiegelt sich in der Entwicklung der Beihilfe seit ihren Anfängen in der Weimarer Republik wider: Vom 19. Jahrhundert bis in das erste Viertel des 20. Jahrhunderts herrschte noch die Auffassung vor, der Beamte könne seine Krankheitskosten aus seinen regelmäßigen Bezügen tragen. Dies fand seine Begründung darin, dass der Beamte, anders als die aus Arbeitern und Angestellten bestehende Mehrheit der Bevölkerung, auch im Krankheitsfall seine Bezüge fortgezahlt erhielt. Hierin lag eine erhebliche Besserstellung im Vergleich zu den übrigen abhängig Beschäftigten und zugleich der Grund, die Beamten aus der sozialen Krankenversicherung auszuschließen.

Vgl. Schneider, Beihilfenrecht und soziale Krankenversicherung, 1969, S. 49, 56-58.

Während der Zeit der schnellen Geldentwertung in den 1920er Jahren reichte die Besoldung nicht mehr aus, um die Krankheitskosten zu tragen, weil die Höhe der Bezüge mit der Inflation nicht Schritt hielt. Preußen (1922) und die Reichsregierung (1923) führten deswegen besondere, als "Beihilfen" bezeichnete Zahlungen an Beamte in Krankheitsfällen ein, die allerdings eine krankheitsbedingte echte wirtschaftliche Notlage beim Beamten voraussetzten.

Im Jahr 1942 wurde die Voraussetzung der wirtschaftlichen Notlage des Beamten fallen gelassen und Krankheitskostenbeihilfen werden seither unabhängig von der Einkommens- oder Vermögenslage des Beamten gewährt.

Vgl. Schneider, Beihilfenrecht (a.a.O.), S. 60, 73 mit Fn. 107

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund kann die Deckung des krankheitsbedingten Unterhaltsbedarfs nicht als reine Fürsorgeleistung in der besonderen Lebenslage der Krankheit betrachtet werden. Ein gegenteiliges Verständnis fiele in die vor 1942 herrschenden Verhältnisse zurück. Die für die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs maßstabsbildenden Lebensverhältnisse der heutigen Gesellschaft blieben dabei unzulässigerweise außer Betracht. Das gilt um so mehr, als einerseits von weiter steigenden Gesundheitskosten auszugehen ist, andererseits § 178 a Abs. 5 VVG 2009 künftig auch die Beamten zum Abschluss einer Krankenversicherung verpflichtet, den insofern bestehenden Unterhaltsbedarf damit sogar gesetzlich vorgibt.

d) Die Verpflichtung, den gesamten Lebensunterhalt des Beamten sicherzustellen, wird nicht dadurch beschränkt, dass die Besoldung vom Bund, die Beihilfe für Landesbeamte aber vom Land in eigener Zuständigkeit geregelt ist. Der Dienstherr tritt dem Beamten unteilbar gegenüber. So wie der Beamte ihm allein treue Pflichterfüllung schuldet, ist ihm allein die Sicherstellung des Lebensunterhalts aufgegeben. Sind Höhe und Bestandteile der in Erfüllung der Alimentationspflicht zu zahlenden Besoldung dem Dienstherrn bindend vorgegeben - sei es aus Art. 33 Abs. 5 GG oder wegen vom Bund in Anspruch genommener konkurrierender Gesetzgebungskompetenz - ist sein landesrechtlicher Gestaltungsspielraum bei der Sicherstellung des verbleibenden Bedarfs eingeschränkt. Deckt er den Bedarf im Krankheitsfall durch Leistungen, deren Gewährung er landesrechtlich regelt, darf er dabei nicht den Grundsätzen zuwiderhandeln, nach denen die Besoldung bemessen ist.

e) Der Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe der Kostendämpfungspauschale zu gewähren, kann auch nicht entgegengehalten werden, eine zu gering bemessene Beihilfe führe höchstens zu einem Anspruch auf höhere Besoldung.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23.6.1981 - 2 BvR 1067/80 -, BVerfGE 58, 68, und vom 25.9.2001 (a.a.O.).

Mit demselben Recht ließe sich einem Anspruch auf eine höhere Besoldung zur Deckung krankheitsbedingten Unterhaltsbedarfs entgegenhalten, der Beamte müsse auf eine höhere Beihilfe klagen. Selbst wenn man diese - jeweils nicht entscheidungstragend geäußerte - Auffassung teilt, gilt sie nicht, wenn eine Beihilfekürzung sich nicht wegen insgesamt zu niedriger Alimentation, sondern bereits aus systematischen Gründen als rechtswidrig erweist. So liegt der Fall hier.

3. Der Senat lässt offen, ob die Kostendämpfungspauschale aus weiteren Gründen gegen höherrangiges Recht verstößt. Insbesondere stellt sich die Frage, ob sie den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts genügt, die nach der jüngeren Rechtsprechung des BVerwG an Beihilfevorschriften zu stellen sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.2004 - 2 C 50.02 -, BVerwGE 121, 103.

§ 88 Satz 5 Halbsatz 2 LBG NRW sieht zwar vor, dass "der Beihilfeberechtigte über die Eigenvorsorge hinaus zu einer vertretbaren Selbstbeteiligung an den Kosten herangezogen werden" kann. Die Vorschrift ist nach Adressaten, Art und Weise sowie Umfang der Selbstbeteiligung aber ausfüllungsbedürftig. So ist etwa unklar, ob nur der Beamte beteiligungspflichtig ist, der tatsächlich einen Beihilfeanspruch geltend macht, oder alle Beamten in ihrer Gesamtheit als Beihilfeberechtigte. Unklar bleibt auch, ob dann noch von einer Selbstbeteiligung gesprochen werden kann, wenn eine Vielzahl von Beihilfeberechtigten nur jährliche Kosten in einer Höhe hat, die bereinigt um den Beihilfesatz in etwa der Kostendämpfungspauschale entsprechen; denn im Ergebnis dürfte dies dazu führen, dass in vielen Fällen die Beihilfeberechtigten die Kosten praktisch vollständig alleine tragen.

Diese Bedenken lassen sich nicht ohne Weiteres dadurch zerstreuen, dass die Kostendämpfungspauschale durch das Haushaltssicherungsgesetz 1999 in die Beihilfenverordnung eingeführt worden ist. Denn der Gesetzgeber hat durch die Änderung der Beihilfenverordnung materiell lediglich Verordnungsrecht geschaffen und zudem durch die gleichzeitig angeordnete Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang (Entsteinerungsklausel) "die getroffene Regelung in den Verantwortungsbereich der Exekutive" entlassen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.9.2005 - 2 BvL 11/02 u.a. - BA Bl. 15 f.

Wegen seiner Ausfüllungsbedürftigkeit ergeben sich überdies Zweifel, ob § 88 Satz 5 Halbsatz 2 LBG NRW - unabhängig von seiner Verfassungsmäßigkeit im Übrigen - die Bestimmtheitsanforderungen erfüllt, die Art. 70 Satz 2 LV NRW an ein zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigendes Gesetz stellt.



Ende der Entscheidung

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