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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 02.07.2009
Aktenzeichen: 6 A 3712/06
Rechtsgebiete: LBG NRW


Vorschriften:

LBG NRW § 45 Abs. 1 a. F.
LBG NRW § 45 Abs. 3 a. F.
1. Ein Beamter ist nur dann dienstunfähig i. S. d. § 45 Abs. 1 LBG NRW a. F., wenn bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 26.3.2009 - 2 C 73.08 -, ArbuR 2009, 184).

2. Bei Lehrern ist die jeweilige Schule die für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit maßgebliche Beschäftigungsbehörde.

3. § 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. begründet die Pflicht des Dienstherrn, in seinem gesamten Geschäftsbereich nach einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit für den - bezogen auf dessen Beschäftigungsbehörde - dienstunfähigen Beamten zu suchen, und schlüssig darzulegen, dass er bei der Suche die Vorgaben der Vorschrift beachtet hat (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 26.3.2009 - 2 C 73.08 -, a. a. O.).


Tatbestand:

Der Kläger stand zuletzt als Hauptschullehrer im Schuldienst des Landes. Im Schulalltag gab es ständig Reibereien zwischen ihm und den Schülern, die die von ihm nachdrücklich vertretenen Wertvorstellungen nicht teilten. Als er wegen dieser Konflikte erkrankte, ließ ihn das beklagte Land auf seine Dienstfähigkeit amtsärztlich untersuchen. Der Amtsarzt und der hinzugezogene Facharzt stellten übereinstimmend fest, dass der Kläger wegen einer psychischen Erkrankung nicht mehr in der Lage sei, an einer Schule der Regelversorgung zu unterrichten. Die Unterrichtserteilung in anderen Bereichen - etwa im Bereich der Erwachsenenbildung - sei ihm dagegen möglich. Das beklagte Land versetzte den Kläger in den Ruhestand. Die dagegen erhobene Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg.

Gründe:

Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung i. S. d. § 45 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW in der hier noch anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 1.5.1981 (LBG NRW a. F.) dienstunfähig, das heißt wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflicht dauernd unfähig war.

Maßstab für die Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Beamten sind die Anforderungen des ihm zuletzt übertragenen abstrakt-funktionellen Amtes. Nicht entscheidend ist dagegen, ob der Beamte die Aufgaben bewältigen kann, die ihm das konkret-funktionelle Amt, das heißt der Dienstposten stellt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.1997 - 2 C 7.97 -, BVerwGE 105, 267.

Das dem Beamten zuletzt übertragene Amt im abstrakt-funktionellen Sinne umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.3.2009 - 2 C 73.08 -, ArbuR 2009, 184.

Das statusrechtliche Amt wird grundsätzlich durch die Zugehörigkeit zu einer Laufbahn und Laufbahngruppe, durch das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe und durch die dem Beamten verliehene Amtsbezeichnung gekennzeichnet. In abstrakter Weise wird dadurch seine Wertigkeit in Relation zu anderen Ämtern zum Ausdruck gebracht. Das abstrakt-funktionelle Amt knüpft in einem abstrakt verstandenen Sinne an die Beschäftigung des Beamten an. Gemeint ist der einem statusrechtlichen Amt entsprechende Aufgabenkreis, der einem Inhaber dieses Statusamtes bei einer bestimmten Behörde auf Dauer zugewiesen ist. Das abstrakt-funktionelle Amt wird dem Beamten durch gesonderte Verfügung des Dienstherrn übertragen. Im Rahmen dieser Vorgaben liegt es im Ermessen des Dienstherrn, den Inhalt des abstrakt-funktionellen Amtes festzulegen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.6.2006 - 2 C 26.05 -, BVerwGE 126, 182.

Reicht die Leistungsfähigkeit des Beamten für einen Teil der amtsangemessenen Dienstposten aus, sind diese aber besetzt, so hängt die Dienstunfähigkeit von den personellen und organisatorischen Gegebenheiten bei der Beschäftigungsbehörde ab. Der Beamte ist weiterhin dienstfähig, wenn dort ein geeigneter Dienstposten entweder für ihn freigemacht oder durch organisatorische Änderungen eingerichtet werden kann. Daran fehlt es, wenn solche Maßnahmen die sachgemäße und reibungslose Erfüllung der dienstlichen Aufgaben beeinträchtigen würden. Störungen des Betriebsablaufs dürfen nicht über das Maß hinausgehen, das mit Änderungen vorübergehend zwangsläufig verbunden ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.3.2009 - 2 C 73.08 -, a. a. O.

Dem Kläger war zuletzt das abstrakt-funktionelle Amt eines Hauptschullehrers an der Hauptschule in O. übertragen worden. Ein Dienstposten, der seinem Statusamt (Lehrer im gehobenen Dienst, Besoldungsgruppe A 12 BBesO) zugeordnet war und dessen Anforderungen der Kläger gesundheitlich gewachsen gewesen wäre, stand im Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung bei der Beschäftigungsbehörde nicht zur Verfügung.

Die für die Beurteilung der Dienstfähigkeit des Klägers maßgebliche Beschäftigungsbehörde war die Hauptschule in O. Da die Dienstfähigkeit eines Beamten an den Anforderungen des ihm zuletzt übertragenen abstrakt-funktionellen Amtes zu messen ist, sind bei der Prüfung, welche der seinem Statusamt zugeordneten Dienstposten er noch auszufüllen vermag, nur solche Dienstposten zu berücksichtigen, deren Übertragung sein abstrakt-funktionelles Amt unberührt lassen. Das heißt für den Bereich der Schulen, dass jede Schule als Beschäftigungsbehörde im vorstehenden Sinne anzusehen ist. Die dauerhafte Übertragung eines Dienstpostens bei einer anderen Schule desselben oder eines anderen Dienstherrn würde eine organisationsrechtliche Versetzung bedeuten, nämlich zumindest die auf Dauer angeordnete Übertragung eines anderen abstrakt-funktionellen Amtes.

Zur Unterrichtserteilung in der Schulform Hauptschule war der Kläger nach übereinstimmender Einschätzung der mit seiner Untersuchung befassten Ärzte, die er selbst nicht in Zweifel gezogen hat, gesundheitlich nicht mehr in der Lage.

Gleichwohl ist die Zurruhesetzungsverfügung rechtswidrig, denn das beklagte Land hat bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den dienstunfähigen Kläger die Vorgaben des § 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. nicht beachtet.

§ 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. ist Ausdruck des Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung". Ein dienstunfähiger Beamter soll nur dann aus dem aktiven Dienst ausscheiden, wenn er dort nicht mehr eingesetzt werden kann. Da § 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. an die Dienstunfähigkeit nach Abs. 1 anknüpft, kann die in § 45 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW a. F. angesprochene Übertragung eines anderen Amtes derselben oder einer anderen Laufbahn nur die Übertragung von Funktionsämtern (Amt im abstrakt-funktionellen und im konkret-funktionellen Sinne) meinen, die nicht dem bisherigen Statusamt des dienstunfähigen Beamten zugeordnet sind. Steht nämlich ein diesem Statusamt entsprechender anderer Dienstposten bei der Beschäftigungsbehörde zur Verfügung, fehlt es bereits an der Dienstunfähigkeit i. S. v. § 45 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW a. F. Als neue Funktionsämter, die dem Beamten ohne seine Zustimmung übertragen werden können, kommen nach § 45 Abs. 3 Satz 2 LBG NRW a. F. nur Ämter im Bereich des bisherigen Dienstherrn in Betracht, die einem Statusamt mit mindestens demselben Endgrundgehalt zugeordnet sind wie das bisherige Statusamt des Beamten. Altes und neues Amt müssen die gleiche Wertigkeit aufweisen, die durch die Zugehörigkeit zu derselben Besoldungsgruppe zum Ausdruck kommt. Unter dieser Voraussetzung fordert § 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. gegebenenfalls einen horizontalen Laufbahnwechsel innerhalb der jeweiligen Laufbahngruppe, um den Beamten im aktiven Dienst zu halten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.3.2009 - 2 C 73.08 -, a. a. O.

Der Beamte ist zudem verpflichtet, an Maßnahmen zum Erwerb der Befähigung für die neue Laufbahn teilzunehmen (§ 45 Abs. 3 Satz 3 LBG NRW a. F.). Unter Umständen kommt gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4 LBG NRW a. F. sogar - unter Beibehaltung seines Amtes - die Übertragung einer geringerwertigen Tätigkeit innerhalb seiner Laufbahngruppe in Betracht. Stimmt der Beamte zu und liegen die Voraussetzungen dafür vor, ist auch an einen Wechsel in eine höhere Laufbahngruppe zu denken.

Dass dem Kläger nach diesen Grundsätzen im Zeitpunkt der Zurruhesetzungsverfügung ein Amt einer anderen Laufbahn im Bereich des beklagten Landes, seines Dienstherrn, hätte übertragen werden können, dessen gesundheitlichen Anforderungen er genügt hätte und für das er die Befähigung nachträglich - etwa durch Unterweisung - hätte erwerben können, ist bei rückblickender Betrachtung nicht auszuschließen. In diesem Zusammenhang hätte auch eine Verwendung des Klägers an einem Weiterbildungskolleg des Landes in den Bildungsgängen Abendrealschule oder Abendgymnasium in Betracht gezogen werden können, für die er die Laufbahnbefähigung bereits besitzt.

Soweit das beklagte Land die gesundheitliche Eignung des Klägers für ein Funktionsamt an einem Weiterbildungskolleg in den Bildungsgängen Abendrealschule oder Abendgymnasium verneint, steht dies im Widerspruch zu den Feststellungen und Einschätzungen des Amtsarztes Dr. I. und des von ihm hinzugezogenen Chefarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Krankenhauses in F., Prof. Dr. U., die übereinstimmend davon ausgehen, dass der Kläger bei einem Einsatz in diesen Bildungsgängen wahrscheinlich stabil dienstfähig sein werde. Zwar hat letztlich der Dienstherr darüber zu befinden, ob der Beamte für einen bestimmten Dienstposten gesundheitlich geeignet ist, doch wird er sich - selbst wenn ihm insoweit ein Beurteilungsspielraum zustehen sollte - mangels eigener Sachkunde nicht ohne weiteres über die plausible Prognose eines Amtsarztes zur Einsatzfähigkeit des Beamten hinwegsetzen dürfen. Wenn er - wie hier - meint, dass die amtsärztliche Prognose auf falschen Vorstellungen über die Anforderungen eines Dienstpostens beruht, kann es unter Umständen angezeigt sein, diese Anforderungen näher zu beschreiben und neuerlich amtsärztlich klären zu lassen, ob der Beamte diese Anforderungen dauerhaft zu erfüllen vermag.

Möglicherweise wäre auch hier eine solche Vorgehensweise geboten gewesen, denn die bisherigen Ausführungen des beklagten Landes zu den Bildungsgängen Abendrealschule und Abendgymnasium vermögen die Annahme der mit der Angelegenheit befassten Ärzte nicht zu widerlegen, dass der Kläger der Unterrichtssituation in diesen Bildungsgängen und den Anforderungen eines dort wahrzunehmenden Lehramtes im Gegensatz zu der Situation an den Regelschulen gewachsen sei. Insbesondere lässt das beklagte Land den Gesichtspunkt der sozialen Kontrolle unbeachtet, die in den Bildungsgängen Abendrealschule und Abendgymnasium wesentlich ausgeprägter sein dürfte. Dort können Lehrer auch von Seiten der - jedenfalls überwiegend - lernwilligen Schüler mehr Unterstützung im Umgang mit vereinzelten Störenfrieden erwarten.

Letztlich braucht die Frage der gesundheitlichen Eignung des Klägers für ein Funktionsamt an einem Weiterbildungskolleg jedoch nicht entschieden zu werden, da auch eine Verwendung des Klägers in einer gänzlich anderen Laufbahn in Betracht kam.

§ 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. begründet die Pflicht des Dienstherrn, nach einer anderweitigen Verwendung zu suchen. Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel der Vorschrift. Ohne gesetzliche Suchpflicht könnte die Verwaltung über die Geltung des Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung" nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit entscheiden und autonom festlegen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Kriterien sie sich um eine anderweitige Verwendung bemüht. Das wäre mit dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes unvereinbar. Die Suche nach einer § 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. entsprechenden anderweitigen Verwendung ist regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu erstrecken. Dabei sind die Dienstposten in den Blick zu nehmen, die in absehbarer Zeit voraussichtlich neu zu besetzen sind. Eine Beschränkung auf aktuell freie Stellen ließe außer Acht, dass § 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. zur Vermeidung von Frühpensionierungen auch die Weiterverwendung in Ämtern einer anderen Laufbahn vorsieht, für die der Beamte die erforderliche Laufbahnbefähigung erst noch erwerben muss.

Allerdings begründet § 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. keine Verpflichtung des Dienstherrn, personelle oder organisatorische Änderungen vorzunehmen, um eine Weiterverwendung zu ermöglichen. Es liegt im Organisationsermessen des Dienstherrn, welche und wie viele Ämter im abstrakt-funktionellen und im konkret-funktionellen Sinn er bei den Behörden einrichtet und aus welchen Gründen er diese Ämterstruktur ändert.

Es ist jedoch Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den dienstunfähigen Beamten die Vorgaben des § 45 Abs. 3 LBG NRW a. F. beachtet hat. Es geht um Vorgänge aus dem Verantwortungsbereich des Dienstherrn, die dem Einblick des betroffenen Beamten in aller Regel entzogen sind. Daher geht es zu Lasten des Dienstherrn, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob die Suche den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.3.2009 - 2 C 73.08 -, a. a. O.

Das beklagte Land hat für eine anderweitige Verwendung des Klägers allenfalls Lehrertätigkeiten in den Blick genommen. Es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass es auch Verwendungsmöglichkeiten in anderen Laufbahnen geprüft hat, sodass es im Zeitpunkt der Zurruhesetzungsverfügung an einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Suche gefehlt hat.

Ende der Entscheidung

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