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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 18.08.2008
Aktenzeichen: 6 A 395/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 33 Abs. 2
Es ist maßstabswidrig, wenn der Endbeurteiler die Herabstufung einer Beurteilung darauf stützt, dass die Anforderungen der im Bezirksdienst der Polizei zu bewältigenden Regelaufgaben eine überdurchschnittliche Beurteilung regelmäßig nicht zulassen.

Ist das Kriterium "Mitarbeiterführung" nicht Gegenstand der Beurteilung, ist es systemwidrig, die Herabstufung der Beurteilung auf die fehlende Wahrnehmung von Führungsverantwortung im Beurteilungszeitraum zu stützen.


Tatbestand:

Der Kläger steht als Polizeivollzugsbeamter im Dienst des beklagten Landes. Er legte die I. und später auch die II. Fachprüfung ab und wurde mehrfach befördert, zuletzt am 1.9.2005 zum Polizeihauptkommissar. Seit dem Jahr 1999 ist er Bezirksbeamter.

Der Kläger wurde unter dem 5.8.2002 für den Zeitraum vom 1.6.1999 bis zum 31.5.2002 mit dem Gesamturteil "Leistung und Befähigung entsprechen voll den Anforderungen" (3 Punkte) dienstlich beurteilt. Die Hauptmerkmale "Leistungsverhalten" und "Leistungsergebnis" waren ebenfalls mit 3 Punkten ("entspricht voll den Anforderungen") bewertet, das Hauptmerkmal "Sozialverhalten" mit 4 Punkten ("übertrifft die Anforderungen"). Mit dieser Beurteilung setzte der Endbeurteiler den Vorschlag des Erstbeurteilers sowohl im Gesamturteil als auch in den Hauptmerkmalen "Leistungsverhalten" und "Leistungsergebnis" jeweils um 1 Punkt herab. Die Herabsetzung des Gesamtergebnisses wurde wie folgt begründet:

"In der Beurteilerbesprechung wurden Leistung und Befähigung aller Angehörigen der Vergleichsgruppe bewertet und untereinander verglichen. Hierbei wurden auch das Rangdienstalter, die ausgeübte Funktion, die Verantwortungs-/Entscheidungskompetenz und das Mitwirken an wesentlichen Entscheidungen berücksichtigt.

Die Anlegung eines strengen Maßstabs und der Quervergleich mit den anderen Beamtinnen und Beamten führten zu einer abgestuften Bewertung."

Der Kläger beantragte eine Abänderung seiner dienstlichen Beurteilung. Die Herabstufung durch den Endbeurteiler sei rechtswidrig, weil mit dem Rangdienstalter, der ausgeübten Funktion, der Verantwortungs-/Entscheidungskompetenz und dem Mitwirken an wesentlichen Entscheidungen sachfremde Kriterien mit einbezogen würden, die nur (Hilfs-)Kriterien bei einer Beförderungsentscheidung sein könnten. Jedenfalls könnten diese Gesichtspunkte allenfalls bei der Herabstufung der einzelnen Hauptmerkmale, nicht aber des Gesamtergebnisses von Bedeutung sein. Die Beurteilung müsse ferner unabhängig von der ausgeübten Funktion erfolgen. Anderenfalls könne der Kläger, der als Bezirksbeamter zwangsläufig keine Führungsfunktion inne habe, von vornherein nicht mehr als 3 Punkte erreichen.

Das Polizeipräsidium Bonn lehnte eine Abänderung der dienstlichen Beurteilung ab. Die Abweichung zwischen Erst- und Endbeurteilung sei hinreichend begründet. Dabei könnten Lebens- und Diensterfahrung ebenso wie die ausgeübte Funktion berücksichtigt werden, insbesondere wenn die Funktion schwieriger und entsprechend höher als A 11 BBesO bewertet sei. Der Kläger habe als Bezirksdienstbeamter anders als eine Vielzahl der Beamten seiner Vergleichsgruppe keine Führungsverantwortung inne. Er habe aber trotz unterschiedlicher Aufgaben in die Vergleichsgruppe einbezogen werden dürfen, da angesichts des Beschreibungskatalogs Leistung und Befähigung auch bei unterschiedlichen Aufgaben vergleichbar beurteilt werden könnten.

Widerspruch und Klage blieben erfolglos.

Auf die Berufung des Klägers verurteilte das OVG das beklagte Land, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts für den fraglichen Zeitraum erneut dienstlich zu beurteilen.

Gründe:

Die dem angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteil zu Grunde liegende Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig. Das erforderliche Rechtsschutzinteresse besteht auch nach der Beförderung des Klägers zum Polizeihauptkommissar mit Wirkung vom 1.9.2005 fort; denn frühere dienstliche Beurteilungen bleiben auch nach einer Beförderung oder erneuten dienstlichen Beurteilung für künftige Verwendungs- und Auswahlentscheidungen relevant. In diesem Zusammenhang sind zwar in erster Linie die aktuellen, den gegenwärtigen Leistungsstand wiedergebenden Beurteilungen maßgebend. Ältere Beurteilungen können aber gleichwohl noch von Bedeutung sein. Sie ermöglichen nämlich beim Vergleich von Bewerbern Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt. Zudem verlangt der in Art. 33 Abs. 2 GG enthaltene Grundsatz der Bestenauslese die Berücksichtigung früherer Beurteilungen bei einer Entscheidung zwischen im Wesentlichen gleich beurteilten Beamten.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.10.2007 - 1 WB 6.07 - m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 8.11.2005 - 6 A 1474/04 -, IÖD 2006, 220.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf erneute, rechtsfehlerfreie Beurteilung für den Zeitraum vom 1.6.1999 bis zum 31.5.2002.

Dienstliche Beurteilungen sind nach ständiger Rechtsprechung verwaltungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbar. Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Hat der Dienstherr - wie hier - Richtlinien für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen, sind die Beurteiler an diese Richtlinien hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens und der einzuhaltenden Maßstäbe gebunden.

Ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398; OVG NRW, Urteil vom 7.6.2005 - 6 A 3355/03 -, DÖD 2006, 161.

An diesen Maßstäben gemessen ist die dienstliche Beurteilung des Klägers rechtswidrig. Die vom Endbeurteiler vorgenommene Herabsetzung der Hauptmerkmale "Leistungsverhalten" und "Leistungsergebnis" sowie des Gesamtergebnisses jeweils von 4 Punkten auf 3 Punkte hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Endbeurteiler hat sich bei der Herabsetzung an sachfremden Erwägungen orientiert beziehungsweise systemwidrige Maßstäbe angewendet.

Es ist im Grundsatz zwar unbedenklich, wenn der Endbeurteiler - wie hier - mit Blick auf die Einhaltung der in Ziffer 8.2.2 der Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen (Runderlass des Innenministeriums vom 25.1.1996, geändert mit Runderlass vom 19.1.1999; SMBl. NRW. 203034; BRL Pol) vorgesehenen Richtsätze für Spitzennoten im Bereich von 4 und 5 Punkten Notenabsenkungen vornimmt. Der Endbeurteiler allein hat den erforderlichen Überblick über die gesamte Vergleichsgruppe, der die Anwendung gleicher Maßstäbe sicherstellt und die Einhaltung der Richtsätze gewährleistet (vgl. Ziffer 9.2 BRL Pol NRW).

Die hier vom Endbeurteiler im Rahmen des Quervergleichs angestellten Erwägungen tragen die Herabstufung der Beurteilung des Klägers jedoch nicht.

Der Endbeurteiler hat die Herabstufung unter anderem auf die geringe Verantwortungs-/Entscheidungskompetenz gestützt. Im gerichtlichen Verfahren hat er näher erläutert, dass Bezirksdienstbeamte wie der Kläger zwangsläufig über weniger Ver-antwortungs- und Entscheidungskompetenz verfügten als andere Angehörige der Vergleichsgruppe. Die darin zum Ausdruck kommende Vorstellung, dass die im Bezirksdienst regelmäßig zu bewältigenden Aufgaben einer Beurteilung im Spitzenbereich entgegenstehen und damit schon für sich gesehen eine Herabsetzung der Beurteilung rechtfertigen, ist maßstabswidrig.

Der bei der Beurteilung zu Grunde zu legende abstrakte Maßstab muss sich im Ausgangspunkt am Statusamt und den daraus abgeleiteten Anforderungen und nicht an der Funktion, das heißt an dem Tätigkeitsbereich beziehungsweise dem Dienstposten des Beamten orientieren. Anderenfalls wären die Beurteilungen als Mittel der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) ungeeignet.

Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 8.11.2005, a.a.O.

Im Hinblick auf die Unterschiede des Schwierigkeits- und Verantwortungsgrades von Dienstposten innerhalb der Bandbreite einer Besoldungsgruppe können allerdings die Bedeutung und die Schwierigkeit der einzelnen Arbeitsgebiete schon bei der dienstlichen Beurteilung eine Rolle spielen. So hat etwa ein Beamter, der über den durchschnittlichen Anforderungen liegende schwierige und verantwortungsvolle Aufgaben zufriedenstellend erledigt hat, eine bessere Leistung erbracht als ein Beamter, der einfache, lediglich geringe Anforderungen stellende Aufgaben unterhalb des durchschnittlichen Anforderungsgrads ebenfalls zufriedenstellend erfüllt hat.

Vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 2.4.1981 - 2 C 13.80 -, ZBR 1981, 315, m.w.N., und OVG NRW, Urteil vom 8.11.2005, a.a.O.

Dabei ist aber eine konkrete Bewertung geboten und ein pauschales Vorgehen zu vermeiden. So ist es nicht mehr sachgerecht, wenn ein bestimmter Kreis von Dienstposten, obwohl er besoldungsrechtlich ebenso bewertet ist wie die anderen Dienstposten der Vergleichsgruppe, von vornherein als von der Vergabe der Spitzennoten ausgeschlossen angesehen wird.

Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 8.11.2005, a.a.O.

Das ist hier der Fall. Die im Bezirksdienst eingesetzten Beamten, die ebenso wie die anderen Beamten der Vergleichsgruppe überwiegend mit A 9 bis A 11 BBesO bewertete Dienstposten innehaben, besitzen nach Auffassung des beklagten Landes zwangsläufig weniger Verantwortungs- noch Entscheidungskompetenz. In der praktischen Konsequenz hat dies dazu geführt, dass ein Bezirksdienstbeamter - wie der Kläger - keine Beurteilung im 4- oder 5-Punkte-Bereich erhalten konnte.

Damit einher geht es, dass die Herabstufung systemwidrig darauf gestützt wurde, der Kläger habe im Beurteilungszeitraum keine Führungsverantwortung inne gehabt. Nach Ziffern 6.1. und 6.2 BRL Pol NRW sind bei der Beurteilung die Hauptmerkmale "Leistungsverhalten", "Leistungsergebnis", "Sozialverhalten" und "Mitarbeiterführung" zu beurteilen. Eine Beurteilung des Merkmals "Mitarbeiterführung" ist folgerichtig nur für den Fall vorgesehen, dass der Beamte im Beurteilungszeitraum tatsächlich eine Vorgesetztenfunktion ausgeübt hat. Fehlt es daran, kann eine Herabstufung durch den Endbeurteiler im Wege des Quervergleichs nicht darauf gestützt werden; denn ein Quervergleich, der vergleichbare andere Beamte in den Blick nimmt, kann sich nur auf solche Leistungen beziehen, die überhaupt Gegenstand der Beurteilung sind. Der Kläger hat keine Führungsfunktion wahrgenommen; folgerichtig ist in seiner Beurteilung das Hauptmerkmal "Mitarbeiterführung" nicht bewertet worden. Die Herabstufung der Beurteilung durfte deshalb nicht darauf gestützt werden, dass er im Gegensatz zu anderen Beamten in der Vergleichsgruppe keine Führungsverantwortung inne gehabt habe. Dass der Kläger im Beurteilungszeitraum überhaupt nicht versucht haben soll, eine Führungsfunktion zu übernehmen, kann die Herabstufung nicht rechtfertigen. Lässt sich ein Bemühen um Führungsverantwortung nicht feststellen, darf dies jedenfalls nicht - wie hier faktisch geschehen - als unüberwindliches Hindernis für eine überdurchschnittliche Beurteilung behandelt werden.

Nach allem kann offen bleiben, ob der Endbeurteiler das verhältnismäßig geringe Beförderungsdienstalter des Klägers lediglich als Indiz für seinen im Verhältnis zu den anderen Beamten der Vergleichsgruppe geringeren Leistungsstand gewertet oder ob er diesen Aspekt schematisch als unzulässiges Korrektiv für eine an sich bessere Einschätzung des Leistungsstandes herangezogen hat.

Vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 30.11.2007 - 6 A 4419/05 - m.w.N.

Ende der Entscheidung

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