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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 21.05.2003
Aktenzeichen: 6 A 783/00
Rechtsgebiete: BBesG 1986, BBesG 1997, EG-Vertrag


Vorschriften:

BBesG 1986 § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2
BBesG 1997 § 40 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2
EG-Vertrag Art. 119
EG-Vertrag Art. 141
Zum Wegfall des Ortszuschlags der Stufe 2 (jetzt Familienzuschlag der Stufe 1) bei Beamten, die aufgrund einer gesetzlichen oder sittlichen Unterhaltsverpflichtung eine andere Person in ihren Haushalt aufnehmen, wenn die für den Unterhalt der aufgenommenen Person anderweitig zur Verfügung stehenden Mittel eine bestimmte Grenze überschreiten.

§ 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BBesG a.F. (jetzt § 40 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 BBesG) steht mit dem Entgeltgleichheitsgebot des Art. 119 EG-Vertrag (jetzt Art. 141 EG-Vertrag) im Einklang und benachteiligt allein erziehende weibliche Beamte nicht in ungerechtfertigter Weise gegenüber verheirateten männlichen Beamten.


Tatbestand:

Die Klägerin ist Beamtin und lebt als Alleinerziehende mit ihrem Kind in einer Wohnung. Sie erhielt bis März 1994 neben dem Grundgehalt den Ortszuschlag der Stufe 2 gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 BBesG a.F. (jetzt § 40 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 BBesG, Familienzuschlag der Stufe 1). Nachdem der Vater des Kindes ab April 1994 einen erhöhten Kindesunterhalt zahlte, entfielen gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BBesG a.F. (jetzt § 40 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 BBesG) die Voraussetzungen für die Gewährung des Ortszuschlages der Stufe 2 an die Klägerin. Ihr zunächst weiterhin geleistete Zahlungen des Ortszuschlags wurden daraufhin zurückgefordert. Die gegen den Rückforderungsbescheid gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung rügte die Klägerin, § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BBesG a.F. ziehe einen Verstoß gegen den Entgeltgleichheitsgrundsatz in Art. 119 EG-Vertrag (jetzt Art. 141 EG) nach sich. Die von der Vorschrift erfassten Alleinerziehenden seien weit überwiegend Beamtinnen. Nach der Vorschrift werde der Ortszuschlag der Stufe 2 an die in § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 BBesG a.F. genannten Personen nicht gewährt, wenn für den Unterhalt der aufgenommenen Person in einem bestimmten Umfang Mittel zur Verfügung stünden. Der Wegfall des Ortszuschlags bei Überschreiten der Grenze anderweitiger Unterhaltsleistungen für das in den Haushalt aufgenommene Kind benachteilige Alleinerziehende gegenüber verheirateten Beamten mit hinzuverdienenden Ehegatten. Letztere erhielten den Ortszuschlag unabhängig davon, ob der Ehegatte seinen Unterhalt durch eigene Mittel bestreiten könne. Diese Ungleichbehandlung stelle eine mittelbare Diskriminierung der Frauen dar, weil unter den verheirateten Beamten proportional mehr Männer seien. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Nach der Rechtsprechung des EuGH erfasst Art. 119 EG-Vertrag (jetzt Art. 141 EG) auch eine mittelbare Diskriminierung. Bei der Prüfung, ob eine mittelbare Schlechterstellung von Frauen gerechtfertigt ist, ist eine Abwägung vorzunehmen. Dabei sind das Interesse an der Gleichbehandlung und der Zweck der Maßnahme, die faktisch ein Geschlecht stärker betrifft, im Hinblick auf die Erreichung eines bestimmten Zieles, einander gegenüber zu stellen. Dieser Abwägungsprozess obliegt den nationalen Gerichten.

Vgl. Langenfeld, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Loseblattkommentar Stand August 2002, Band II, Art. 141 EGV Rdnr. 35 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH.

Der Bereich der Sozialpolitik, um den es hier geht, fällt in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Diese haben nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Wahl der Maßnahmen zur Verwirklichung ihrer sozialpolitischen Ziele einen weiten Entscheidungsspielraum.

Vgl. EuGH, Urteil vom 14.12.1995 - Rs. C-317/93 - Slg. 1995 I - 4625, 4660 Rdnr. 33; Urteil vom 26.9.2000 - Rs. C-322/98 - EuZW 2000, 691, 692 (dort unter Nr. 30 bezeichnet als "sachgerechter Gestaltungsspielraum").

Im Rahmen dieses Entscheidungsspielraums kann eine mittelbare Benachteiligung auch durch die Absicht gerechtfertigt sein, eine Diskriminierung abzuschaffen.

Vgl. Curall, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Band 3, 5. Aufl. 1999, Art. 119 Rdnr. 60.

Gemessen daran kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BBesG a.F. (jetzt § 40 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 BBesG) seinen Gestaltungsspielraum in unsachgemäßer Weise überschritten hat. Die in Rede stehende Vorschrift wurde durch das 4. Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 20.12.1985 mit Wirkung vom 1.1.1986 in das Bundesbesoldungsgesetz eingefügt (BGBl. 1985 I S. 2466). Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 5.9.1985 war die Regelung zunächst nicht enthalten (BT-Drs. 10/3789, Anlage 1). Eingefügt wurde sie aufgrund einer Stellungnahme des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drs. 10/3789, Anlage 2). Darin heißt es:

"Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 BBesG erhalten ledige und geschiedene Beamte den Ortszuschlag der Stufe 2, wenn sie eine andere Person in ihre Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren, weil sie gesetzlich oder sittlich dazu verpflichtet sind; andere Person kann auch ein eigenes Kind des Beamten sein. Die Regelung soll die durch die Aufnahme der anderen Person entstehenden Mehrkosten ausgleichen. (...)

§ 40 Abs. 2 Nr. 4 BBesG bedarf einer ergänzenden Regelung, um sicherzustellen, daß

- (...)

- alleinstehende Beamte gegenüber verheirateten Beamten nicht besser gestellt werden; während ein alleinverdiendender verheirateter Beamter aufgrund seiner Verpflichtung aus der Ehe den Ortszuschlag der Stufe 2 erhält und für ein Kind nur der Kinderanteil im Ortszuschlag gewährt wird, ist zweifelhaft, ob nicht ein alleinstehender Beamter für ein in seine Wohnung aufgenommenes Kind neben dem Kinderanteil im Ortszuschlag den erhöhten Ortszuschlag der Stufe 2 selbst dann erhalten kann, wenn ausreichende eigene Mittel des Kindes für dessen Unterhalt zur Verfügung stehen.

(...) Im übrigen ist es weder vertretbar noch geboten, alleinstehenden Beamten für deren Kinder eine gesonderte Alimentationsleistung zu gewähren, die verheiratete Beamte nicht erhalten und der eine entsprechende wirtschaftliche Belastung nicht zugrundeliegt (u.a. wegen Steuererleichterungen, eigener Mittel des Kindes).

Die Änderung schließt aus, daß der Ortszuschlag der Stufe 2 bei gesetzlicher oder sittlicher Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung auch dann gezahlt wird, wenn für den Unterhalt der in die Wohnung aufgenommenen Person überwiegend eigene Mittel des Aufgenommenen, Leistungen Dritter und - bei Kindern - Kindergeld und der kinderbezogene Teil des Ortszuschlages zur Verfügung stehen und deshalb ein Ausgleich für eine verbleibende geringe wirtschaftliche Belastung des aufnehmenden Beamten nicht erforderlich ist."

Vor diesem gesetzgeberischen Hintergrund und der unterschiedlichen Bedarfssituation zwischen Alleinerziehenden mit Kind und verheirateten Beamten ist die in Rede stehende Vorschrift gerechtfertigt. Sie ist von dem dem Besoldungsgesetzgeber zustehenden Spielraum bei der Ausgestaltung der familienbezogenen Bestandteile der Besoldung gedeckt und erweist sich als verhältnismäßig. Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung eine bis dahin ungerechtfertigt bestehende Begünstigung von Alleinerziehenden gegenüber verheirateten Beamten vermindern. Die ihm zustehende Gestaltungsfreiheit im Bereich des Besoldungsrechts gilt insbesondere für die Bemessung des Orts- bzw. Familienzuschlags, damit des Teils der beamtenrechtlichen Besoldung, der nur in gewissem Umfang nach "leistungsbezogenen" Gesichtspunkten ausgerichtet ist, im Übrigen aber vornehmlich von sozialen Komponenten bestimmt wird.

BVerfG, Beschluss vom 10.10.1978 - 2 BvL 10/77 -, BVerfGE 49, 260, 272.

Für die Höhe des Orts- bzw. Familienzuschlags ist vorrangig die Verpflichtung bestimmend, der Beamtenfamilie den angemessenen Unterhalt zu sichern.

BVerwG, Urteil vom 16.9.1982 - 6 C 24.81 -, BVerwGE 66, 147, 150, 151.

Anknüpfend an die unterschiedlichen familiären Situationen und den daraus resultierenden - auch durch weitere Faktoren beeinflussten - Alimentationsbedarf, hat sich der Besoldungsgesetzgeber mit den in Rede stehenden Vorschriften in diesem Rahmen gehalten. Die Gewährung des (früheren) Ortszuschlags der Stufe 2 an verheiratete Beamte soll eine amtsangemessene Alimentation aufgrund der durch die Ehe hervorgerufenen Mehraufwendungen sicherstellen. Dabei handelt es sich um andere Aufwendungen, als diejenigen, die der Klägerin durch die Aufnahme ihres Kindes in ihrem Haushalt entstehen. Die durch die Ehe hervorgerufenen Aufwendungen eines verheirateten Beamten sind von anderen Bedürfnissen geprägt als die Aufwendungen aufgrund der Aufnahme einer unterhaltsberechtigten Person in den eigenen Haushalt. Zudem übersieht die Klägerin, dass der Gesetzgeber bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der beanstandeten Vorschrift auch Folgendes berücksichtigt hat: Regelmäßig erhält der wegen anderer Unterhaltsleistungen an das Kind von der "Rückstufung" in die Ortszuschlagssstufe 1 betroffene Beamte, wenn er Bezieher von Kindergeld ist, weiterhin gemäß § 40 Abs. 4 BBesG a.F. (jetzt § 40 Abs. 3 BBesG) den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlags der Stufe 3 (jetzt Familienzuschlag der Stufe 2). Im Ergebnis hätte damit beispielsweise die Klägerin im Falle einer Vollzeitbeschäftigung ab Oktober 1994 neben der Unterhaltszahlung und dem Kindergeld (930,- DM und 70,- DM) sowie neben dem Grundgehalt einen Ortszuschlag in Höhe von 963,62 DM (815,20 DM Ortszuschlag Stufe 1 und 148,42 DM kinderbezogener Anteil im Ortszuschlag der Stufe 3) erhalten. Ein verheirateter vollzeitbeschäftigter Beamter erhielt zu diesem Zeitpunkt neben dem Grundgehalt den Ortszuschlag der Stufe 2 in Höhe von 988,66 DM.

Ende der Entscheidung

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