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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 20.12.2006
Aktenzeichen: 6 B 2214/06
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, LBG NRW


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 3
ZPO § 920
LBG NRW § 7 Abs. 1
Die aus Anlass einer Beförderungsbewerbung für die Stelle eines Studiendirektors als ständiger Vertreter des Leiters eines Gymnasiums angefertigte Bedarfsbeurteilung muss über die mit der Wahrnehmung der Leitungsposition im Zusammenhang stehenden Fähigkeiten Aufschluss geben.

Hat der Beförderungsbewerber in der Vergangenheit bereits von Amts wegen als dienstältester Studiendirektor Aufgaben der stellvertretenden Schulleitung wahrgenommen, müssen diese einer Bewertung unterzogen werden.

Zur Frage der Anforderungen an die Aktualität von Bedarfsbeurteilungen (offen gelassen).


Tatbestand:

Der Antragsteller ist Studiendirektor an einem städtischen Gymnasium, der Beigeladene Oberstudienrat im Ersatzschuldienst. Sie bewerben sich um die Stelle eines Studiendirektors als ständiger Vertreter des Leiters an einem städtischen Gymnasium, die der Antragsgegner mit dem bislang besser beurteilten Beigeladenen besetzen will. Das VG lehnte den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung, die ausgeschriebene Stelle nicht mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist, ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 ZPO glaubhaft gemacht.

Die Entscheidung des Antragsgegners über die Vergabe der hier in Rede stehenden Stelle ist fehlerhaft, weil sie unter anderem auf der dienstlichen Beurteilung des Antragstellers vom 8.5.2006 beruht, die unter einem rechtlichen Mangel leidet und damit selbst fehlerbehaftet ist. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Antragsgegner nach Beseitigung des Mangels eine abweichende Beförderungsentscheidung treffen wird.

Fehler im Auswahlverfahren einschließlich etwaiger Fehler der dabei zugrunde gelegten Beurteilungen können den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen, wenn diese berücksichtigungsfähig und potentiell kausal für das Auswahlergebnis sind.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.9.2001 - 6 B 1776/00 -, DÖD 2001, 316 = NWVBl. 2002, 111.

Die Beurteilung des Antragstellers vom 8.5.2006 stellt sich als fehlerhaft dar, weil darin keine hinreichenden Aussagen zu den Leistungen des Antragstellers im Hinblick auf Leitungs- und Koordinationstätigkeiten getroffen werden.

Für eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG und § 7 Abs. 1 LBG NRW genügende Auslese nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bedarf es einer aussagekräftigen Beurteilung, da diese wesentliches Erkenntnismittel für die vorzunehmende Beförderungsauswahl ist. Die Beurteilungen müssen Aufschluss darüber geben, wer für die zu besetzende Stelle am besten qualifiziert ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.12.2003 - 6 B 2172/03 -; Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Kommentar, Loseblatt, Stand: August 2006, Band 2, Rdnrn. 190 ff., 196 ff.

Zu diesem Zweck müssen gerade auch die für das in Rede stehende (Beförde-rungs-)Amt wesentlichen Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten und sonstigen Eigenschaften erfasst werden. Mit Blick auf die hier zu vergebende Stelle eines stellvertretenden Schulleiters bedeutet dies, dass die mit der Wahrnehmung einer Leitungsposition im Zusammenhang stehenden Fähigkeiten und Leistungen sorgfältiger Ermittlung und angemessener Berücksichtigung bedürfen.

Diesen Anforderungen wird die Beurteilung des Antragstellers vom 8.5.2006 bei summarischer Prüfung nicht in jeder Hinsicht gerecht. Es fehlt an einer hinreichenden Bewertung der in der Vergangenheit ausgeübten und für das angestrebte Leitungsamt relevanten Leitungs- und Koordinationstätigkeiten. In der Beurteilung ist zwar unter Ziffer I. 1. Buchstabe d) "Leitungs- und Koordinationstätigkeiten" aufgeführt, dass der Antragsteller von Amts wegen, so im Bereich der stellvertretenden Schulleitung als dienstältester Studiendirektor, auch weitere zusätzliche Leitungsaufgaben am Gymnasium wahrnehme, doch muss eine dienstliche Beurteilung über die bloße Erwähnung der ausgeübten Tätigkeiten hinaus auch deren Bewertung enthalten. Nach Nr. 4.3.2 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Studienseminaren (Runderlass des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 2.1.2003, ABl. NRW S. 7; BRL) muss die Beurteilung, die aus Anlass der Bewerbung um ein Amt der Schulleitung erstellt wird, unter anderem Aufschluss geben über die Fähigkeit zur Personalführung und zum Schulmanagement und die Fähigkeit, Personal- und Schulentwicklungsprozesse zu planen, zu steuern und zu bewerten. Im Falle des Antragstellers hat weder die Bewertung der unter Ziffer I. 1. Buchstabe d) bezeichneten Leitungs- und Koordinationstätigkeiten noch der unter Ziffer I. 1. c) aufgeführten Tätigkeiten im Rahmen der Oberstufenkoordination und der Mitwirkung bei der Erstellung der amtlichen Schulstatistik etc. erkennbaren Eingang in die Beurteilung gefunden, obwohl der Leistungsbericht des Schulleiters unter Ziffer 4. c) aussagekräftige Angaben jedenfalls zur Qualität der Leistungen bei der Erledigung der unter Ziffer I. 1. c) der Beurteilung genannten Aufgaben enthält. Vielmehr ist unter Ziffer II. 1. "Beurteilungsmerkmale - Leitungs- und Koordinationstätigkeiten" lediglich ein Strich eingetragen, während hinsichtlich aller anderen Beurteilungsmerkmale ("2. Fachkenntnisse", "3. Leistungen als Lehrerin oder Lehrer bzw. Ausbilderin oder Ausbilder", "4. Dienstliches Verhalten") Aussagen zu den Fähigkeiten des Antragstellers unter Bezugnahme auf den Leistungsbericht sowie die am Hospitationstag gezeigten Leistungen getroffen werden. Auch an anderer Stelle der Beurteilung finden sich - mit Ausnahme der am Hospitationstag gezeigten Fähigkeiten - keine konkreten Aussagen zur Qualität der vom Antragsteller im Schulalltag gezeigten Leistungen im Leitungs- und Koordinationsbereich.

Des weiteren hätte es im Zusammenhang mit den vom Antragsteller ausgeübten Leitungs- und Koordinationstätigkeiten für die sachgerechte Ausübung des Beurteilungsermessens weiterer Ermittlungen über Art und Umfang der vom Antragsteller wahrgenommenen Leitungsaufgaben bedurft. Insbesondere reicht es in der vorliegenden Fallkonstellation nicht aus, sich allein auf den Leistungsbericht des Schulleiters zu stützen, in dem keine über die Oberstufenkoordination, die Stundenplange-staltung S II, Schulstatistik, Mitgliedschaft in der Schulkonferenz, in der Steuerungsgruppe und im Redaktionsteam "Schulprogramm" hinausgehenden Tätigkeiten bezeichnet werden. Denn der durch den Schulleiter erstellte Leistungsbericht erfasst nur einen Zeitraum von gut zehn Monaten, da dieser die Schulleitung erst zum Schuljahr 2004/2005 übernommen hatte. Über die davor liegende Zeit lagen dem Antragsgegner keine Erkenntnisse zu den Leistungen des Antragstellers im Zusammenhang mit Leitungsaufgaben vor. Dementsprechend äußerte die Bezirksregierung ausweislich eines Vermerks der Berichterstatterin in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, es sei nicht bekannt, ob der Antragsteller Aufgaben der stellvertretenden Schulleitung wahrgenommen habe; der Schulleiter Dr. X. sei noch nicht lange genug Schulleiter. Zwar kommt der Behörde bei der Auswahl des Beurteilungszeitraums und der Beurteilungsgrundlagen ein gewisser Entscheidungsspielraum zu. Dieser Entscheidungsspielraum ist allerdings überschritten, wenn der Leistungsbericht des Schulleiters lediglich etwa zehn Monate umfasst und es nach den Umständen des Einzelfalles nahe liegt, dass der Beförderungsbewerber auch vor dieser Zeit Tätigkeiten ausgeübt hat, die für seine Qualifikation für das Beförderungsamt von Bedeutung sind.

Diese Einschränkung der Erkenntnisgrundlage ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht deshalb ohne Belang, weil dem Hospitationstag mit seinen vier Blöcken entscheidendes Gewicht zukomme, die an der Prüfung beteiligten Dezernenten aufgrund der während des Prüfungstags gewonnenen Eindrücke zu einer Prognosebeurteilung über die Eignung der Lehrkraft für die Schulleitungsaufgabe gelangten und der Leistungsbericht des Schulleiters über die zurückliegenden Leistungen des "Prüflings" nur eine begrenzte Aussagekraft habe.

Das folgt bereits aus den Beurteilungsrichtlinien selbst. Nach Nr. 2.3 BRL ist der Leistungsbericht eine Grundlage für die dienstliche Beurteilung neben anderen. Die einzelnen Beurteilungsgrundlagen sind bei der Ermittlung des Gesamturteils nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewichten (vgl. Nr. 4.9 BRL). Die Grenze sachgerechter Ermessensausübung ist jedoch nicht mehr gewahrt, wenn die Beurteilung nahezu ausschließlich auf die am Hospitationstag gezeigten Leistungen gestützt wird.

Diese Leistungen mögen zwar aufgrund der gerade auf das konkret angestrebte Leitungsamt zugeschnittenen "Prüfungsblöcke" in besonderer Weise eine Prognose über die künftige Bewährung des Beförderungsbewerbers im Beförderungsamt ermöglichen. Gleichwohl darf den in der Vergangenheit erbrachten Leistungen kein unangemessen geringes Gewicht beigemessen werden. Denn charakteristisch für die dienstliche Beurteilung als Äußerung des Beurteilers über die fachliche Leistung ist es - im Gegensatz zu einer Prüfung -, dass sie sich nicht in der Bewertung von Einzelleistungen erschöpft, sondern die während eines Beurteilungszeitraumes erbrachten Arbeitsergebnisse zum Gegenstand hat.

Vgl. Schnellenbach, a.a.O., Rdnr. 220.

Wesentliche Erkenntnisgrundlage für die in einem - angemessen langen - Beurteilungszeitraum erbrachten "Dauerleistungen" sind u.a. die Schulleiterberichte. Der Hospitationstag stellt demgegenüber lediglich eine Momentaufnahme dar.

Da sich die Beurteilung danach bereits aus den dargestellten Gründen als fehlerhaft erweist, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Beurteilung bzw. der zu Grunde liegende Leistungsbericht vom 16.6.2005 dem Gebot der Aktualität bzw. Zeitnähe genügt, weil er im Zeitpunkt der Abfassung der Beurteilung am 8.5.2006 bereits nahezu ein Jahr alt war.

Vgl. zur Aktualität bei Regelbeurteilungen: OVG NRW, Beschlüsse vom 19.9.2001 - 1 B 704/01 -, DÖD 2001, 315 und vom 28.4.2005 - 6 B 376/05 -, Juris.

Für die Notwendigkeit einer Einbeziehung auch jüngerer Entwicklungen spricht, dass die Praxis, vor einer Beförderung von Lehrerinnen und Lehrern eine Bedarfsbeurteilung anzufertigen, gerade der Gewinnung eines aktuellen Leistungsbildes dienen soll. Sind seit der letzten dienstlichen Beurteilung wesentliche Veränderungen - etwa durch eine wesentliche Leistungssteigerung oder die Übernahme neuer qualifizierender Aufgaben - eingetreten, kann dies Zweifel begründen, ob die Beurteilung noch dem gegenwärtigen Leistungsstand entspricht.

Vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 28.2.2000 - 6 A 1388/99 -, vom 17.9.2003 - 6 B 2172/03 - und vom 28.4.2005 - 6 B 376/05 -, Juris. Gleichwohl mag es im Einzelfall sachgerechte Gründe dafür geben, auch bei einer Bedarfsbeurteilung einen Beurteilungszeitraum zu wählen, der einige Zeit vor der Abfassung der Beurteilung endet. Abgesehen davon, dass es hier schon entgegen Nr. 4.2 BRL an einer eindeutigen Erkennbarkeit des Beurteilungszeitraums fehlt, sind solche Gründe hier aber nicht ohne Weiteres ersichtlich. (Wird ausgeführt)

Ende der Entscheidung

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