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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 14.02.2005
Aktenzeichen: 6 B 2496/03
Rechtsgebiete: LVO Pol


Vorschriften:

LVO Pol § 8 Abs. 7 Nr. 4
LVO Pol § 8 Abs. 8 2. Alt.
Zur Laufbahnnachzeichnung bei einem freigestellten Personalratsmitglied.

Zur Zulassung einer Ausnahme von der Beförderungssperre des § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol nach § 8 Abs. 8 2. Alt. LVO Pol bei vorangegangener rechtswidriger Auswahlentscheidung.


Tatbestand:

Der Antragsteller und der Beigeladene bewarben sich um die Stelle eines Ersten Polizeihauptkommissars. Das VG gab dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Freihaltung der streitigen Stelle statt. Die Beschwerde des Antragsgegners wurde zurückgewiesen.

Gründe:

Der Dienstherr hat bei der Entscheidung darüber, welchem von mehreren in Betracht kommenden Beamten er eine Beförderungsstelle übertragen will, das Prinzip der Bestenauslese zu beachten und Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Konkurrenten zu bewerten und zu vergleichen (Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 Abs. 1 LBG). Ist ein Bewerber besser qualifiziert, darf er nicht übergangen werden. Im Übrigen - bei gleicher Qualifikation - ist die Entscheidung in das pflichtgemäße Ermessen des Dienstherrn gestellt. Der einzelne Bewerber hat insoweit lediglich das Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bei der Stellenbesetzung. Dieses Recht ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähig.

Maßgebend für Personalentscheidungen des Dienstherrn nach diesem Maßstab sind grundsätzlich die letzten dienstlichen Beurteilungen. Im Falle des Beigeladenen greift jedoch eine Ausnahme hiervon ein. Der Beigeladene ist als Vorsitzender des Personalrats seit dem 21.12.1993 freigestellt. Seine zeitlich letzte dienstliche Beurteilung (mit dem Gesamturteil "erheblich über dem Durchschnitt") datiert vom 18.9.1992 und bezieht sich überdies allein auf seine Tätigkeit im Amt eines Polizeihauptkommissars der Besoldungsgruppe A 11 BBesO. Ferner erfolgte sie nach Maßgabe inzwischen nicht mehr gültiger Beurteilungsrichtlinien. Damit konnte diese dienstliche Beurteilung keine hinreichend aussagekräftige Grundlage abgeben für den erforderlichen Vergleich der Qualifikation des Antragstellers und des Beigeladenen im Rahmen der Besetzung der Stelle eines Ersten Polizeihauptkommissars der Besoldungsgruppe A 13 BBesO.

Im Falle der Beteiligung eines Mitglieds der Personalvertretung an einem Stellenbesetzungsverfahren sind das Erfordernis, dass der vorzunehmende Qualifikationsvergleich auf einer hinreichend aussagekräftigen Grundlage zu erfolgen hat, und das personalvertretungsrechtliche Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot in geeigneter Weise in Einklang zu bringen. Dieses Verbot ergibt sich aus § 42 Abs. 3 Satz 4 2. Alt. LPVG, wonach die Freistellung nicht zur Beeinträchtigung des beruflichen Werdegangs führen darf, und aus dem - unmittelbar für die Länder geltenden - § 107 Satz 1 BPersVG, der eine Benachteiligung oder Begünstigung von Personen, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnehmen, hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklung untersagt. Das Verfahren zur Verwirklichung des Benachteiligungs- und Begünstigungsverbots liegt, insbesondere im Hinblick auf fehlende dienstliche Beurteilungen, im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.4.1997 - 2 C 38.95 -, PersR 1997, 533 (535).

Im Regelfall ist es in Fällen der vorliegenden Art sachgerecht und nicht ermessensfehlerhaft, eine fiktive Laufbahnnachzeichnung hinsichtlich des freigestellten Personalratsmitglieds vorzunehmen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.11.1991 - 1 WB 160.90 -, ZBR 1992, 177 (178 f.); Urteil vom 10.4.1997 - 2 C 38.95 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 23.4.1996 - 6 B 571/96 -; Beschluss vom 12.4.1994 - 6 B 392/94 -; Urteil vom 24.6.1980 - 6 A 292/78 -, RiA 1980, 219 (219); OVG Rh.-Pf., Urteil vom 22.9.1995 - 10 A 10858/95 -, PersV 1997, 30 (31); Beschluss vom 2.7.1999 - 2 B 11275/99 -, DÖV 2000, 165 (166); OVG Saarl., Beschluss vom 23.3.1995 - 1 W 74/94 -, NVwZ-RR 1995, 407 (408); Beschluss vom 25.8.1992 - 1 W 44/92 -, RiA 1993, 208 (209); OVG LSA, Beschluss vom 30.5.2000 - B 3 S 391/99 -, ZfPR 2001, 172 ff.; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, Bundes-personalvertretungsgesetz, 9. Aufl. 1999, § 46 Rdnr. 25a; Lorenzen u. a., Bundespersonalvertretungs-gesetz, Stand: Februar 2004, § 46 Rdnr. 95 f.; Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Stand: September 2004, Rdnr. 89 und 222a ff.

Dabei darf der Dienstherr in typisierender Weise vorgehen und den Verwaltungsaufwand zur Ermittlung einer fiktiven Laufbahnentwicklung in praktikablen Grenzen halten sowie die Erörterung von Personalangelegenheiten anderer Beamten auf das unvermeidliche Maß beschränken.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.4.1997 - 2 C 38.95 -, a.a.O.

Die fiktive Laufbahnnachzeichnung wird dem Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot gerecht, wenn sie den Werdegang des freigestellten Personalratsmitgliedes wie den beruflichen Werdegang vergleichbarer Kollegen behandelt, die weder das Amt eines Personalratsmitglieds ausüben noch vom Dienst freigestellt sind. Dabei ist es sachgerecht, die letzte planmäßige Beurteilung nach Maßgabe der Entwicklung vergleichbarer Kollegen fortzuschreiben.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.11.1991 - 1 WB 160.90 -, a.a.O.; OVG Saarl., Beschluss vom 23.3.1995 - 1 W 74/94 -, a.a.O.; Beschluss vom 25.8.1992 - 1 W 44/92 -, a.a.O.;Grabendorff/Wind-scheid/Ilbertz/Widmaier, a.a.O.

Das bedeutet, dass von dem bei der letzten dienstlichen Beurteilung gezeigten konkreten Leistungsstand auszugehen und grundsätzlich anzunehmen ist, dass das freigestellte Personalratsmitglied auch weiterhin gleiche Leistungen erbracht hätte. Das sich danach ergebende Leistungsbild ist an der Leistungsentwicklung vergleichbarer Kollegen zu messen und entsprechend einzuordnen.

Vgl. Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, a.a.O.; vgl. ferner OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 2.7.1999 - 2 B 11275/99 -, a.a.O.; Lorenzen u. a., a.a.O., § 46 Rdnr. 96; Ilbertz, Anmerkung zu OVG LSA, Beschluss vom 30.5.2000 - B 3 S 391/99 -, ZfPR 2001, 180 (181).

Gemessen an diesen Grundsätzen kann nicht angenommen werden, dass der Antragsgegner hinsichtlich des Beigeladenen eine ordnungsgemäße Laufbahnnachzeichnung vorgenommen hat. Der Ausgangspunkt der - fiktiven - Vergabe der Bestnote an den Beigeladenen ist nicht hinreichend plausibel. Die Zuerkennung von 5 Punkten basiert auf der Annahme, dass der Beigeladene in der erstmals nach den BRL Polizei 1996 durchgeführten Beurteilungsrunde 1996 - anders als der damals mit 3 Punkten beurteilte Antragsteller - fiktiv mit 4 Punkten zu benoten gewesen wäre. Dies ist - ausgehend von der hierfür vom Antragsgegner gegebenen Begründung - nicht nachvollziehbar. Der Verweis des Antragsgegners darauf, dass der Beigeladene nach seiner letzten (tatsächlichen) Beurteilung vom 18.9.1992 zu den Spitzenbeamten der Besoldungsgruppe A 11 BBesO gehört habe, reicht nicht aus, um die Vergabe von 4 Punkten einsichtig zu machen. Auch wenn der Beigeladene im Jahre 1992 in der dargelegten Weise einzustufen war, leuchtet nicht ein, dass er deswegen bereits weniger als zwei Jahre nach seiner am 1.10.1994 erfolgten Beförderung in das Amt der Besoldungsgruppe A 12 BBesO fiktiv mit 4 Punkten zu bewerten war. Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Person des Antragstellers: Dieser hatte in seiner letzten nach den alten Beurteilungsrichtlinien erstellten dienstlichen Beurteilung ebenfalls die Spitzennote "erheblich über dem Durchschnitt" erhalten, und zwar nicht wie der Beigeladene im Amt der Besoldungsgruppe A 11 BBesO, sondern im höherwertigen Amt nach A 12 BBesO. Um die (fiktive) Vergabe von 4 Punkten in der Beurteilungsrunde 1996 an den Beigeladenen zu plausibilisieren, hätte es der Darlegung weiterer Aspekte bedurft, die eine solche Bewertung rechtfertigen.

Dieser Mangel führt dazu, dass die vom Antragsgegner vorgenommene Laufbahnnachzeichnung nicht nachvollziehbar ist mit der Folge, dass die auf ihrer Grundlage vorgenommene Auswahlentscheidung ihrerseits rechtswidrig ist. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die dem Beigeladenen zuerkannte aktuelle Gesamtnote im Rahmen einer ordnungsgemäßen Laufbahnnachzeichnung schlechter als die bisherige Note ausfällt.

Die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller nicht zu befördern, stellt sich auch nicht aufgrund der Regelung des § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol als mittlerweile im Ergebnis rechtmäßig dar. Nach dieser Bestimmung ist eine Beförderung nicht zulässig innerhalb von zwei Jahren vor Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze. Für den Antragsteller ist die Altersgrenze von 60 Jahren maßgebend (vgl. Art. 7 § 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 17.12.2003 - GV. NRW. S. 814 - i.V.m. § 192 Satz 1 LBG in der Fassung des Gesetzes vom 2.7.2002 - GV. NRW. S. 242 -). Da er am 25.8.1946 geboren ist, tritt er nach § 192 Satz 1 LBG a. F. mit Ende des Monats August 2006 in den Ruhestand, so dass er unter die Beförderungssperre des § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol fällt. Das schließt einen Anspruch des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Beförderung jedoch nicht aus. Denn nach § 8 Abs. 8 2. Alt. LVO Pol kann das Innenministerium im Einvernehmen mit dem Finanzministerium von § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol Ausnahmen zulassen.

Vgl. zu einer ähnlichen, § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO betreffenden rechtlichen Problematik: OVG NRW, Urteil vom 28.5.2003 - 6 A 510/01 -, DÖD 2004, 27 (27 f.) m. w. N.

Die Regelung des § 8 Abs. 8 LVO Pol sieht keine tatbestandliche Bindung des eingeräumten Ermessens vor. Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Zulassung einer Ausnahme ist vorliegend bisher nicht getroffen worden. Im Rahmen einer solchen Entscheidung ist - auch - zu berücksichtigen, dass der Antragsteller zwar keinen Anspruch auf Beförderung hatte, jedoch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Beförderung und der Antragsgegner den Antragsteller vor Erreichen der Altersgrenze insoweit nicht fehlerfrei beschieden hat. Die im Jahre 2003 vorgenommene Auswahlentscheidung des Antragsgegners war - wie oben ausgeführt - rechtswidrig. Eine Entscheidung des Innenministeriums, die diesem Gesichtspunkt Rechnung trägt, liegt bisher nicht vor. Aus dem Schreiben des Innenministeriums vom 14.12.2004 lässt sich nicht entnehmen, dass der Umstand einer rechtswidrigen Bescheidung des Antragstellers Berücksichtigung gefunden hat. Vielmehr ist dort lediglich ausgeführt, dass eine besondere Härte im vorliegenden Fall nicht zu erkennen sei. Warum der Beamte die maßgebliche Alterssperre überschritten habe, sei in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Hieraus ergibt sich nicht, dass sich das Innenministerium der Notwendigkeit bewusst geworden ist, im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung auch den Aspekt der rechtswidrigen Bescheidung des Antragstellers zu würdigen.



Ende der Entscheidung

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