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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.04.2007
Aktenzeichen: 6 B 57/07
Rechtsgebiete: GG, Richtlinie 76/207/EG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 3 Satz 1
Richtlinie 76/207/EG Art. 3 Abs. 1 Buchst. a
Die Nichtbeteiligung einer seit längerer Zeit aus familienpolitischen Gründen beurlaubten Polizeimeisterin an einem Stellenbesetzungsverfahren (Beförderung zur Polizeiobermeisterin, Besoldungsgruppe A8 BBesO) kann sich als eine unzulässige mittelbare Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts darstellen.
Tatbestand:

Die Antragstellerin, die Polizeimeisterin und seit längerer Zeit aus familienpolitischen Gründen beurlaubt ist, begehrte die vorläufige Freihaltung einer Beförderungsstelle im Wege einer einstweiligen Anordnung. Der Antragsgegner hatte sie an dem Verfahren zur Besetzung der Beförderungsstelle wegen ihrer Beurlaubung nicht beteiligt. Das VG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 VwGO glaubhaft gemacht.

Bei der in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erscheint die Entscheidung des Antragsgegners über die Vergabe der hier im Streit stehenden Beförderungsämter als fehlerhaft, da die Antragstellerin nicht an dem der Vergabe der Beförderungsämter zu Grunde liegenden Auswahlverfahren beteiligt worden ist. Die Nichtbeteiligung der Antragstellerin am Auswahlverfahren verletzt ihr Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihr Beförderungsbegehren. Es ist nicht auszuschließen, dass eine fehlerfreie Wiederholung der Auswahlentscheidung zu einer Beförderung der Antragstellerin führt.

Die Antragstellerin, die sich seit Februar 2003 in Mutterschutz beziehungsweise Elternzeit befindet, wird durch ihre Nichtbeteiligung am Auswahlverfahren gegenüber denjenigen Polizeibeamten im aktiven Dienst, die - wie sie - grundsätzlich für eine der verfügbaren Beförderungsstellen in Betracht kommen, unzulässig benachteiligt.

Nach der zum 1.8.2006 in Kraft getretenen Änderung des § 85a Abs. 5 LBG NRW gilt das Benachteiligungsverbot des § 78g LBG NRW zwar nicht mehr für solche Beamte, die aus familienpolitischen Gründen gemäß § 85a Abs. 1 Nr. 2 LBG NRW beurlaubt sind, doch ist die Entscheidung des Antragsgegners, die Antragstellerin nicht am Auswahlverfahren für die Besetzung der Beförderungsstellen zu beteiligen, gleichwohl rechtsfehlerhaft, denn sie verstößt gegen das sowohl verfassungs- als auch gemeinschaftsrechtlich normierte Verbot der willkürlichen Ungleichbehandlung von Männern und Frauen.

Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet unter anderem willkürliche Benachteiligungen wegen des Geschlechts. Das Geschlecht darf grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Eine Anknüpfung an das Geschlecht kann auch dann vorliegen, wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung überwiegend Frauen trifft und dies auf natürliche oder gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.6.2005 - 2 C 21/04 -, BVerwGE 124, 11 m.w.N.).

Auch nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 76/207/EG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (RL 76/207/EG) darf es hinsichtlich der Bedingungen für den Zugang zu unselbstständiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit einschließlich des beruflichen Aufstiegs keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts geben. Eine mittelbare Diskriminierung im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können (Art. 2 Abs. 2 zweiter Spiegelstrich RL 76/207/EG).

Es ist weder mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG noch mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. a RL 76/207/EG zu vereinbaren, dass Beamtinnen, die aus familienpolitischen Gründen beurlaubt sind, an zum Zwecke der Beförderung durchgeführten Auswahlverfahren nicht beteiligt werden. Zwar ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner auch männlichen Beamten, die sich in Elternzeit befinden, die Teilnahme an solchen Auswahlverfahren versagen wird, doch stellt sich die Differenzierung zwischen Beamten im aktiven Dienst und Beamten, die aus familienpolitischen Gründen beurlaubt sind, faktisch als eine ungleiche Behandlung der Geschlechter zum Nachteil der Frauen dar. Nach allgemeiner Lebenserfahrung wird Elternzeit ganz überwiegend von Frauen in Anspruch genommen, sodass diese durch die in Rede stehende Verfahrensweise des Antragsgegners hinsichtlich ihres beruflichen Aufstiegs im Ergebnis schlechter gestellt werden als ihre männlichen Berufskollegen.

Allerdings wäre diese mittelbare Schlechterstellung der Beamtinnen nicht willkürlich und nicht als unzulässige mittelbare Diskriminierung zu werten, wenn die Vorschriften, die Kriterien oder das Verfahren, die zu der Schlechterstellung führen, durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären (Art. 2 Abs. 2 zweiter Spiegelstrich RL 76/207/EG). So kann ein besonderes Anforderungsprofil des angestrebten Beförderungsamtes beziehungsweise des Beförderungsdienstpostens Anlass für eine solche Schlechterstellung geben. In der vom VG zitierten Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 1.6.2005 - 6 B 689/05 -) ist geklärt, dass die Rechtspflicht, geschlechtsbedingte Benachteiligungen zu vermeiden, die Befugnis des Dienstherrn zur Erstellung eines solchen Anforderungsprofils grundsätzlich unberührt lässt. Dementsprechend sind Anforderungen des Beförderungsamtes denkbar, mit denen eine fortbestehende Beurlaubung oder Arbeitszeitermäßigung unter Umständen nicht in Einklang zu bringen sind.

Auf solche Gründe hat sich der Antragsgegner jedoch nicht berufen. Sie sind im vorliegenden Fall auch nicht ersichtlich. Insbesondere sind die hier in Rede stehenden Beförderungen zur Polizeiobermeisterin beziehungsweise zum Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A8 BBesO) regelmäßig mit keiner Änderung des dienstlichen Aufgabenbereiches verbunden.

Auch die Bestenauslese ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners kein Ziel, welches die festgestellte mittelbare Ungleichbehandlung der Antragstellerin zu rechtfertigen vermag, denn die Beteiligung einer aus familienpolitischen Gründen beurlaubten Beamtin an einem zum Zwecke der Beförderung durchgeführten Auswahlverfahren stellt das in Art. 33 Abs. 2 GG verankerte Prinzip der Bestenauslese nicht in Frage. Dies gilt selbst dann, wenn - wie im Fall der Antragstellerin - eine längere Beurlaubung dazu führt, dass die Beamtin keine aktuelle Beurteilung vorweisen kann, mit der sie am Auswahlverfahren beteiligt werden könnte. Aus Anlass des Auswahlverfahrens lässt sich eine aktuelle Beurteilung jederzeit nachholen. Nr. 4.3 der Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen (BRL Pol), wonach vor der Entscheidung über eine Beförderung keine Beurteilung erstellt werden darf, wenn bereits eine Beurteilung im derzeitigen Amt als Regelbeurteilung oder als Beurteilung im Eingangsamt der Laufbahn vorliegt, steht der Möglichkeit einer Anlassbeurteilung nicht entgegen. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Die daraus abzuleitenden Prinzipien dienen einerseits dem allgemeinen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung der Stellen im öffentlichen Dienst, dessen fachliche Qualität, Effizienz und rechtliche Integrität gesichert werden sollen, und andererseits dem Interesse des Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Das bedeutet für den Dienstherrn, dass er im Zuge eines Beförderungsverfahrens Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der um das Beförderungsamt konkurrierenden Bewerber bewerten und vergleichen muss und einen besser qualifizierten Bewerber nicht übergehen darf. Ist für die Verwirklichung des aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Rechtsanspruchs eines Bewerbers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Beförderungsbegehren die Erstellung einer aktuellen Beurteilung für diesen Bewerber erforderlich, stellen die BRL Pol als bloße Verwaltungsvorschriften für die Erstellung einer solchen Beurteilung kein Hindernis dar.

Dass die Antragstellerin wegen ihrer Beurlaubung aus familienpolitischen Gründen seit längerer Zeit keinen aktiven Dienst geleistet hat und eine aktuelle Beurteilung daher nicht an tatsächlich erbrachte fachliche Leistungen im Beurteilungszeitraum anzuknüpfen vermag, schließt die Schaffung einer hinreichend aussagekräftigen Grundlage für die Beteiligung der Antragstellerin an dem im Auswahlverfahren vorzunehmenden Qualifikationsvergleich nicht aus. In vergleichbaren Fällen - etwa bei der Bewerbung eines freigestellten Personalratsmitglieds für ein Beförderungsamt - handelt der Dienstherr regelmäßig nicht ermessensfehlerhaft, wenn er die Laufbahn des Bewerbers fiktiv nachzeichnet. Er darf dabei in typisierender Weise vorgehen und den Verwaltungsaufwand zur Ermittlung einer fiktiven Laufbahnentwicklung in praktikablen Grenzen halten sowie die Erörterung von Personalangelegenheiten anderer Beamten auf das unvermeidliche Maß beschränken. Die fiktive Laufbahnnachzeichnung muss den beruflichen Werdegang des Bewerbers wie den Werdegang vergleichbarer Kollegen behandeln, die weder freigestellt noch beurlaubt sind. Daran anknüpfend ist es sachgerecht, die letzte planmäßige Beurteilung nach Maßgabe der Entwicklung vergleichbarer Kollegen fortzuschreiben. Das bedeutet, dass von dem bei der letzten dienstlichen Beurteilung gezeigten konkreten Leistungsstand auszugehen und grundsätzlich anzunehmen ist, dass der freigestellte oder beurlaubte Bewerber auch weiterhin gleiche Leistungen erbracht hätte. Das sich danach ergebende Leistungsbild ist an der Leistungsentwicklung vergleichbarer Kollegen zu messen und entsprechend einzuordnen (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 14.2.2005 - 6 B 2496/03 - und vom 1.6.2005 - 6 B 689/05 -).

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