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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 01.06.2005
Aktenzeichen: 6 B 689/05
Rechtsgebiete: LBG NRW
Vorschriften:
LBG NRW § 78 g | |
LBG NRW § 85 a Abs. 5 |
Tatbestand:
Die Antragstellerin befand sich seit dem Frühjahr 2001 im Erziehungsurlaub (seit Inkrafttreten der Elternzeitverordnung vom 22.6.2004, GV. NRW. S. 377: Elternzeit). Die Elternzeit lief bis Juli 2006. Die Antragstellerin erstrebte einstweiligen Rechtsschutz dagegen, dass der Dienstherr sie bei der Besetzung mehrerer zum Januar 2005 zugewiesener Beförderungsplanstellen der Besoldungsgruppe A 9 BBesO (Polizeihauptmeister/in) nicht berücksichtigen wollte. Das VG gab dem Antrag statt: Die Antragstellerin habe außer einem Anordnungsgrund auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung widerspreche die Weigerung des Antragsgegners, sie wegen der fortdauernden Elternzeit in das Auswahlverfahren einzubeziehen, dem Prinzip der Bestenauslese und finde auch im Gesetz keine Stütze. Nach §§ 85 a Abs. 5, 78 g LBG NRW dürfe eine Beurlaubung aus familienpolitischen Gründen das berufliche Fortkommen nicht beeinträchtigen. Das gelte auch für die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub bzw. Elternzeit. Der Umstand, dass für die Antragstellerin wegen des Erziehungsurlaubs keine aktuelle dienstliche Beurteilung mehr vorliege, rechtfertige ihren Ausschluss von dem Beförderungsverfahren nicht.
Die Beschwerde des Dienstherrn blieb ohne Erfolg.
Gründe:
Die Nichtberücksichtigung der Antragstellerin verstößt gegen die rechtlichen Vorgaben. Dem Antragsgegner ist allerdings darin zu folgen, dass die der Antragstellerin zuletzt erteilte dienstliche Beurteilung, die gemäß Nr. 4.3 dritter Spiegelstrich der Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.1.1996 (BRL), MBl. NRW. 1996, 278, den Zeitraum bis zum letzten Tag ihres Dienstes vor Beginn des Erziehungsurlaubs umfasste, keine hinreichende aussagekräftige Grundlage für die bei den Entscheidungen über die Besetzung der Beförderungsstellen zu treffende Auswahl mehr darstellt. Nach Nr. 3.1 BRL sind Polizeibeamte alle drei Jahre zu einem Stichtag dienstlich zu beurteilen. Zum Zeitpunkt der Beförderungsentscheidungen lag das Ende des Beurteilungszeitraums jedoch bereits mehr als drei Jahre zurück. Damit hatte die letzte Beurteilung der Antragstellerin einen wesentlichen Teil ihrer Aussagekraft verloren. Der zwischen dem Ende des Beurteilungszeitraums und den Auswahlentscheidungen liegende Zeitraum von immerhin drei Jahren und rund neun Monaten schließt eine ausnahmsweise andere Sicht aus.
Vgl. in diesem Zusammenhang OVG NRW, Beschlüsse vom 28.3.2003 - 6 B 243/03 - und vom 19.12.2003 - 1 B 1972/03 -.
Dennoch durfte der Dienstherr nicht, wie geschehen, davon ausgehen, eine Beförderung komme für die Antragstellerin aus diesem Grunde nicht in Frage. Dem stehen, worauf das VG zu Recht verwiesen hat, §§ 85 a Abs. 5, 78 g LBG NRW entgegen. Danach darf eine Beurlaubung aus familienpolitischen Gründen das berufliche Fortkommen nicht beeinträchtigen. Diese für die Beurlaubung nach § 85 a LBG NRW ausdrücklich getroffene Regelung muss dem Rechtsgedanken nach auch für die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub bzw. Elternzeit gelten. In beiden Fällen geht es um Nachteile, die aus der Geburt und der Betreuung von Kindern erwachsen können.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.6.2004 - 6 B 981/04 -.
Hierzu kann auch die Verzögerung einer Beförderung gerechnet werden. Solche und ähnliche Nachteile sollen nach den angeführten Vorschriften vermieden werden. Unberührt davon bleiben allerdings besondere - rechtlich bedenkenfrei festgelegte - Anforderungen des Beförderungsamtes, mit denen eine fortbestehende Beurlaubung oder Arbeitszeitermäßigung u. U. nicht in Einklang zu bringen ist. Um einen solchen Fall geht es hier aber nicht.
Der Hinweis des Antragsgegners auf § 8 a Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LVOPol rechtfertigt seine Verfahrensweise nicht. Gemäß Satz 1 dieser Vorschrift gelten Beurlaubungszeiten ohne Dienstbezüge ab der ersten Verleihung eines Amtes in der Laufbahngruppe (grundsätzlich) nicht als Dienstzeiten. Anzurechnen auf die Dienstzeiten (im Sinne des § 8 a Abs. 1 Satz 1 LVOPol) sind hingegen nach Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 der Vorschrift "bis zur Dauer von insgesamt zwei Jahren Urlaubszeiten ohne Dienstbezüge infolge der tatsächlichen Betreuung eines oder mehrerer minderjähriger Kinder". Dem Antragsgegner ist nicht darin zu folgen, der zeitlichen Begrenzung dieser Anrechnung sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Folgen einer derartigen Beurlaubung nur in einem bestimmten Maß habe kompensieren wollen, das hier zum Ausschluss der Antragstellerin von dem Auswahlverfahren führe. Die von dem Antragsgegner in Anspruch genommene zeitliche Begrenzung gilt nur für die Bestimmung der Dienstzeit; denn hierin erschöpft sich der Regelungsgehalt des § 8 a LVOPol. Eine Einschränkung des Regelungsgehalts auch der - höherrangigen - §§ 85 a Abs. 5, 78 g LBG NRW in dem vom Antragsgegner verstandenen Sinn lässt sich daraus nicht herleiten. Dass Urlaub aus familienpolitischen Gründen das berufliche Fortkommen nicht beeinträchtigen darf, ist in den letztgenannten Vorschriften ohne Einschränkung bestimmt. Hiernach führt auch der vom Antragsgegner angeführte § 3 Abs. 2 Satz 1 LVOPol nicht zu seinen Gunsten weiter. Der darin geregelte Nachteilsausgleich bezüglich des Höchstalters für eine Verbeamtung bei einer Verzögerung der Einstellung wegen der Geburt und der Betreuung eines Kindes unterliegt zwar einer zeitlichen Begrenzung. Daraus lässt sich jedoch nicht entnehmen, ein Beamter müsse - wenn der Erziehungsurlaub bzw. die Elternzeit länger als drei Jahre nach dem Ende des letzten Beurteilungszeitraums noch andauert - eine Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens hinnehmen.
Hiernach hat der Dienstherr das Erfordernis einer hinreichend aussagekräftigen Grundlage für den vorzunehmenden Qualifikationsvergleich und das Benachteiligungsverbot der §§ 85 a Abs. 5, 78 g LBG NRW in geeigneter Weise in Einklang zu bringen. Daran fehlt es bislang. Das von ihm hierbei zu wählende Verfahren liegt in seinem Ermessen. Dem hat das Gericht nicht vorzugreifen. Insoweit sind vergleichbar Fälle der Beteiligung eines freigestellten Mitglieds der Personalvertretung an einem Stellenbesetzungsverfahren, in denen der Dienstherr eine tragfähige Grundlage für die Auswahlentscheidung trotz des Fehlens einer aussagekräftigen dienstlichen Beurteilung des betreffenden Beamten zu schaffen hat.
Vgl. hierzu zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 14.2.2005 - 6 B 2496/03 -, m.w.N.
Ende der Entscheidung
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