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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.07.2006
Aktenzeichen: 6 B 807/06
Rechtsgebiete: LBG NRW


Vorschriften:

LBG NRW § 25 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1
Zum Ermessen des Dienstherrn bezüglich der Heranziehung von Hilfskriterien bei Anwendung der Öffnungsklausel des § 25 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW (insbesondere: Dienstalter, Schulträgervorschlag, Schwerbehinderung).
Tatbestand:

Die Antragstellerin ist Sonderschulkonrektorin der Besoldungsgruppe A 14 Fn. 2 LBesO NRW. Sie erstrebt einstweiligen Rechtsschutz dagegen, dass der Dienstherr die Planstelle eines Rektors/einer Rektorin einer Sonderschule - Besoldungsgruppe A 15 LBesO NRW - nicht mit ihr, sondern mit dem Beigeladenen besetzen will. Antragstellerin und Beigeladener sind im Wesentlichen gleich qualifiziert. Zugunsten der Antragstellerin greifen die Hilfskriterien Frauenförderung und Schwerbehinderung, zugunsten des Beigeladenen die Hilfskriterien Allgemeines Dienstalter, Beförderungsdienstalter und Schulträgervorschlag ein. Das VG lehnte den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ab. Das Beschwerdeverfahren blieb für die Antragstellerin ebenfalls ohne Erfolg.

Gründe:

Bei der Entscheidung darüber, welchem von mehreren in Betracht kommenden Beamten eine Beförderungsstelle übertragen wird, ist das Prinzip der Bestenauslese zu beachten (Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 Abs. 1 LBG NRW). Der einzelne Bewerber hat insoweit ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Stellenbesetzung. Dieses Recht ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähig.

Der Erlass einer entsprechenden Sicherungsanordnung setzt voraus, dass die Verletzung des Rechts des betroffenen Beamten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Beförderungsbegehren glaubhaft gemacht ist und - wie die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift zu Recht vorträgt - die Möglichkeit besteht, dass eine fehlerfreie Wiederholung der Auswahlentscheidung zur Beförderung des übergangenen Bewerbers führt. Mit anderen Worten: Jeder Fehler im Auswahlverfahren vermag den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen; vorausgesetzt werden dabei die Berücksichtigungsfähigkeit des Fehlers und dessen potentielle Kausalität für das Auswahlergebnis.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13.9.2001 - 6 B 1776/00 -, NWVBl 2002, 111, und vom 6.8.2004 - 6 B 1226/04 -.

Auch nach diesem Maßstab kann der vorliegende Antrag indes keinen Erfolg haben. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung ermessensfehlerhaft ist bzw. eine erneute Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten der Antragstellerin ausfallen könnte.

Die aktuellen dienstlichen Beurteilungen der Antragstellerin und des Beigeladenen sind im Gesamturteil gleich. Dass insoweit eine inhaltliche Ausschöpfung zu einem anderen Ergebnis hätte führen müssen, kann nicht angenommen werden, vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 13.4.2005 - 6 B 2711/04 -, m.w.N. , und wird auch von der Antragstellerin nicht behauptet. Es ist des Weiteren weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass eine Berücksichtigung früherer Beurteilungen der Antragstellerin und des Beigeladenen, vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398, mehr als nur unwesentliche Qualifikationsunterschiede zu Tage gebracht hätte. Der Antragsgegner hat daher bei seiner Auswahlentscheidung zu Recht auf Hilfskriterien abgestellt.

Wie bereits das VG festgestellt hat, kann der Dienstherr - nach sachgerechten Gesichtspunkten und in den Grenzen des Willkürverbots - grundsätzlich frei darüber befinden, welche zusätzlichen Gesichtspunkte bei im Wesentlichen gleicher Qualifikation der Konkurrenten für die Auswahlentscheidung den Ausschlag geben sollen. Eine starre Reihenfolge möglicher Hilfskriterien besteht dabei nicht; das Willkürverbot erfordert es aber, dass der Dienstherr eine einmal eingeschlagene und noch fortbestehende Praxis bei der Anwendung von Hilfskriterien durchgängig befolgt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.4.2005 - 6 B 2711/04 -.

Mit Schriftsatz vom 12.6.2006 hat der Antragsgegner ausgeführt, dass er bei Beförderungsentscheidungen, wenn die Qualifikation der Bewerber - wie hier - im Wesentlichen gleich ist, regelmäßig auf die Hilfskriterien Frauenförderung, Dienstalter, "Verbleiben" im statusrechtlichen Amt, Schulträgervorschlag und Schwerbehinderung abstelle. Hiergegen bestehen keine Bedenken. Insbesondere sind entgegen der Ansicht der Antragstellerin die Hilfskriterien Dienstalter (gemeint ist das allgemeine Dienstalter) und "Verbleiben" im statusrechtlichen Amt (gemeint ist das Beförderungsdienstalter) noch nicht "verbraucht". Es ist zwar nicht auszuschließen, dass das allgemeine Dienstalter und das Beförderungsdienstalter wie auch andere "leistungsnahe" Hilfskriterien bereits in gewisser Weise Berücksichtigung in der dienstlichen Beurteilung finden können. Der Antragsgegner hat dies für den vorliegenden Fall auf Grund der allein ihm überantworteten Auswertung der dienstlichen Beurteilungen verneint. Hiergegen hat die Antragstellerin - jedenfalls zuletzt - keine Einwendungen mehr erhoben, die angesichts der insoweit bestehenden Entscheidungsprärogative des Antragsgegners rechtlich von Bedeutung wären.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner die im vorliegenden Fall für die Antragstellerin und für den Beigeladenen sprechenden Hilfskriterien (Frauenförderung und Schwerbehinderung auf der einen, allgemeines Dienstalter, Beförderungsdienstalter und Schulträgervorschlag auf der anderen Seite) nicht inhaltlich zutreffend erfasst haben könnte. Der Vortrag der Antragstellerin, der Antragsgegner habe noch nicht einmal das Abwägungsmaterial zutreffend zusammengestellt, findet in den Verwaltungsvorgängen keine Stütze.

Der Antragsgegner hat auch erkannt, dass unter den Hilfskriterien - worauf die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift zu Recht hingewiesen hat - schon von Gesetzes wegen (vgl. § 25 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW) dem Hilfskriterium Frauenförderung entscheidende Bedeutung zukommt. Zur rechtlichen Einordnung und Handhabung des Gesichtspunktes der Frauenförderung nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.1997 - C-409/95 -, Slg. 1997, S. I-6383, hat der Senat - worauf auch das VG hingewiesen hat - wiederholt entschieden, dass bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung in der Person eines männlichen Mitbewerbers liegende Gründe sich gegenüber dem Gesichtspunkt der Frauenförderung nur dann durchsetzen und zu einer Anwendung der Öffnungsklausel des § 25 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW führen, wenn deutliche Unterschiede zu Gunsten des männlichen Bewerbers bestehen. Das ist nicht erst dann der Fall, wenn sich die Zurücksetzung des Mannes als krasse, besonders schwere Benachteiligung darstellt. Maßgeblich ist letztlich eine Einzelfallbetrachtung, die von den auch sonst in der Entscheidungspraxis der Ernennungsbehörde herangezogenen Hilfskriterien auszugehen hat.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.3.2001 - 6 B 1954/00 -, m.w.N.

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 12.6.2006 ausgeführt, dass er bei seinen Beförderungsentscheidungen - bei im Wesentlichen gleicher Eignung der Bewerber - dem Hilfskriterium Dienstalter ein hohes Gewicht beimesse. Der Abstand zwischen dem Beigeladenen und der Antragstellerin betrage beim allgemeinen Dienstalter ca. neun Jahre, beim Beförderungsdienstalter ca. sieben Jahre. Ein derartiger Unterschied führe in der landesweiten Verwaltungspraxis regelmäßig dazu, dass die freie Stelle mit dem dienstälteren Bewerber besetzt werde, wenn keine weiteren Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien. Der Senat teilt diese Betrachtungsweise und sieht im vorliegenden Fall deutliche Unterschiede zugunsten des Beigeladenen mit der Folge, dass die Öffnungsklausel des § 25 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW zur Anwendung kommt:

Es ist zwar zutreffend, wenn die Antragstellerin ausführt, der Beigeladene und sie verfügten beide über langjährige Diensterfahrung, auch als Konrektoren. Der Auffassung, es mache "keinen Unterschied, ob der Bewerber 5, 10 oder gar 15 Jahre als Konrektor tätig ist", schließt sich der Senat hingegen nicht an. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass ein um fünf Jahre höheres Dienstalter eines männlichen Konkurrenten bereits einen Anhaltspunkt für die Anwendung der Öffnungsklausel des § 25 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW darstellen kann, auch wenn es sich hierbei nicht um eine starre Grenze handelt.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 9.2.2000 - 6 B 581/99 -, vom 29.3.2001 - 6 B 1954/00 - und vom 13.5.2004 - 6 B 462/04 -.

Das VG hat deshalb zu Recht angenommen, dass im vorliegenden Fall - der Beigeladene übertrifft die Antragstellerin sowohl beim allgemeinen Dienstalter als auch beim Beförderungsdienstalter um neun bzw. sieben Jahre - Besonderheiten von erheblichem Gewicht für die Anwendung der Öffnungsklausel des § 25 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW gegeben sind.

Zugunsten des Beigeladenen kommt hinzu, dass er vom Schulträger für die in Rede stehende Position vorgeschlagen worden ist. Der Antragsgegner berücksichtigt solche Vorschläge, wie er in seinem Schriftsatz vom 12.6.2006 vorträgt, bei den Stellenbesetzungen regelmäßig. Dies ist nicht zu beanstanden. Einem Schulträgervorschlag kommt, wie schon das VG festgestellt hat, zwar keine bindende Wirkung, aber doch wesentliche Bedeutung zu.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.4.2005 - 6 B 2711/04 -, m.w.N.

Der Schulträgervorschlag beruht im Streitfall auch nicht auf einem rechtlich bedeutsamen Fehler. Wie sich aus dem Schreiben des Schulträgers vom 8.3.2006 an den Antragsgegner ergibt, hat sich der Schulausschuss auf die langjährige Berufserfahrung des Beigeladenen als Konrektor gestützt und auf den positiven Eindruck bei der persönlichen Vorstellung, bei der die beiden Bewerber "ausführlich die Fragen der Ausschussmitglieder" beantworteten. Weder das eine noch das andere war sachwidrig. Ob die Schulkonferenz der O.-Schule gegenüber dem Schulträger ein Votum zugunsten des Beigeladenen abgegeben hatte, kann dahinstehen. Es bestehen nach Lage der Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Schulträger sich bei seinem Vorschlag von einem solchen Votum hätte leiten lassen.

Zugunsten der Antragstellerin greift demgegenüber lediglich noch das Hilfskriterium "Schwerbehinderung" ein. Dabei handelt es sich um ein Hilfskriterium vornehmlich mit sozialem Bezug. Es ist anerkannt, dass bei Auswahlentscheidungen auch hierauf maßgeblich abgestellt werden darf.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4.1.1999 - 6 B 1500/98 -; Nds.OVG, Beschluss vom 14.4.2003 - 2 ME 129/03 -, NVwZ-RR 2004, 434.

Eine Schwerbehinderung vermittelt dem Beamten jedoch keinen Anspruch auf vorrangige Auswahl für ein Beförderungsamt. Dies ergibt sich auch nicht - anders als die Antragstellerin offenbar meint - aus bundesgesetzlichen Bestimmungen, insbesondere nicht aus § 128 Abs. 1 SGB IX.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 15.2.1990 - 1 WB 36.88 -, BVerwGE 86, 244, 249; OVG NRW, Beschluss vom 21.9.1994 - 12 B 1760/94 -; Nds.OVG, Beschluss vom 14.4.2003 - 2 ME 129/03 -, a.a.O.; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Aufl. 2005, Rn. 62, m.w.N.

Nach der genannten Bestimmung soll nur eine Benachteiligung der Schwerbehinderten vermieden, nicht aber unter Übergehung sonstiger Hilfskriterien deren Bevorzugung bewirkt werden. Es begegnet daher im vorliegenden Fall keinen Bedenken, wenn der Antragsgegner dem Hilfskriterium der Schwerbehinderung zugunsten der Antragstellerin keine entscheidende Bedeutung mehr beigemessen hat.

Ende der Entscheidung

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