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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 19.06.2008
Aktenzeichen: 7 A 2053/07
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 34
BauNVO § 23 Abs. 5
1. Carports sind außerhalb der durch (faktische) Baugrenzen markierten überbaubaren Grundstücksflächen nicht generell unzulässig.

2. Bei der Prüfung, ob im nicht beplanten Innenbereich Carports außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen - hier: in weitgehend unbebauten Vorgärten - bodenrechtliche Spannungen hervorrufen, sind die städtebaulichen Folgen ihrer Zulassung (z. B. deutliche Verengung des Straßenbilds) entsprechend den Maßstäben des § 23 Abs. 5 BauNVO zu prüfen.


Tatbestand:

Die Kläger begehrten in beiden Instanzen erfolglos die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Carports.

Gründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das VG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil das zur Genehmigung gestellte Vorhaben der Kläger bauplanungsrechtlich unzulässig ist.

Die bauplanungsrechtliche Prüfung richtet sich hier nach § 34 BauGB, weil der Standort des strittigen Vorhabens zwar nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, wohl aber innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt. Strittig ist dabei allein, ob sich das Vorhaben hinsichtlich des in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannten Merkmals der "Grundstücksfläche, die überbaut werden soll", in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Diese Frage ist - mit dem Beklagten und dem VG - zu verneinen.

Die rechtlichen Kriterien dafür, wie die bei der Prüfung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebliche "nähere Umgebung" einzugrenzen ist, hat das VG zutreffend näher umschrieben. Insbesondere hat es zutreffend darauf abgestellt, der Bereich der näheren Umgebung könne bei den verschiedenen Tatbestandsmerkmalen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durchaus unterschiedlich weit reichen und sei gerade bei dem Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche regelmäßig enger zu ziehen als etwa bei der Art der baulichen Nutzung. Ebenso entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass eine einheitliche Bebauungsstruktur hinsichtlich des betrachteten Tatbestandsmerkmals bewirken kann, dass angrenzende anders strukturierte Bebauung nicht mehr zur maßgeblichen Umgebung gehört. Dabei hängt der Grenzverlauf der näheren Umgebung nicht davon ab, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist.

Zu letzterem vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.2003 - 4 B 74.03 -, juris.

Gemessen an diesen Maßstäben scheiden nach dem Eindruck in der Örtlichkeit, den der Berichterstatter des Senats vor Ort gewonnen und dem Senat an Hand des umfangreichen vorliegenden Karten- und Lichtbildmaterials vermittelt hat, die Standorte von (vergleichbaren) Anlagen an anderen Straßen aus. (wird ausgeführt)

In dieser näheren Umgebung ist das strittige Vorhaben - was seinen Standort und damit die "Grundstücksfläche, die überbaut werden soll", angeht - ohne Vorbild. Es rückt in der hier durch deutliche Freiräume zum Straßengelände von zumeist um 5 m gekennzeichneten Umgebung erstmals bis unmittelbar an die Straßenbegrenzung heran und überschreitet damit die - wenn auch nicht exakt auf einer geraden Linie liegende - vordere Baugrenze deutlich. Zulässig kann es im hier gegebenen nicht beplanten Innenbereich damit nur dann sein, wenn es trotz Überschreitung des aus der näheren Umgebung abzuleitenden Rahmens keine bodenrechtlichen Spannungen verursacht.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25.3.1999 - 4 B 15.99 -, BRS 62 Nr. 101, m.w.N.

Letzteres trifft hier nicht zu.

Bei der Prüfung bodenrechtlicher Spannungen kann allerdings nicht vernachlässigt werden, dass es sich bei dem hier zur Genehmigung gestellten Carport bezogen auf die Hauptnutzung des Grundstücks der Kläger durch ein Wohnhaus um eine Nebenanlage handelt. Nebenanlagen, die - wie Carports - nach Landesrecht in den Abstandflächen zulässig sind oder zugelassen werden können - zur abstandrechtlichen Privilegierung von Carports vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.10.2007 - 10 A 159/07 -, juris -, sind außerhalb der durch (faktische) Baugrenzen markierten überbaubaren Grundstücksflächen nicht generell unzulässig. In beplanten Gebieten, in denen § 23 Abs. 5 BauNVO unmittelbar anwendbar ist, können sie von der Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden. Im nicht beplanten Innenbereich scheidet eine Ermessensentscheidung der Bauaufsichtsbehörde hingegen aus, denn im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB ist eine gebundene Entscheidung zu treffen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.2.1993 - 4 C 15.92 -, BRS 55 Nr. 174.

Die materiellen Maßstäbe des § 23 Abs. 5 BauNVO, nach denen bei der Ermessensentscheidung vor allem die städtebaulichen Folgen einer Zulassung von Nebenanlagen außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zu beachten sind, sind jedoch auch bei der hier vorzunehmenden Prüfung der bodenrechtlichen Spannungen von Bedeutung.

Vgl. BayVGH, Beschluss vom 24.5.2005 - 1 CS 04.3461 -, juris.

Insoweit ist im vorliegenden Fall von Bedeutung, dass die zwischen der vorderen Baugrenze und der Straßenbegrenzung liegenden Freiflächen zwar verschiedentlich bereits mit untergeordneten baulichen Anlagen belegt sind. Dabei handelt es sich jedoch weitgehend um Anlagen, die - wie befestigte Stellplätze oder befestigte Plätze für Mülltonnen - sich im Wesentlichen auf dem Erdboden befinden oder - wie Einfriedungen - allenfalls geringe Höhen erreichen. Einzelne höhere Anlagen, wie die hier vorhandenen Werbeanlagen, erscheinen als untergeordnete Solitäre in dem jeweiligen Freiraum. Soweit schließlich einzelne Gebäude Vorbauten aufweisen, treten diese - wie Eingangsüberdachungen o.ä. - als untergeordnete, den Freiraum vor dem Gebäude nur teilweise in Anspruch nehmende Gebäudeteile in Erscheinung.

Demgegenüber würden mit der Zulassung von Carports erstmals von ihren äußeren Umgrenzungen her voluminöse bauliche Anlagen entstehen, die praktisch die gesamte Tiefe des Freiraums von der Gebäudefront bis zur Straßenbegrenzung einnehmen, und zwar bis etwa zur Höhe eines Geschosses. Bezogen auf das städtebauliche relevante Kriterium des Ortsbilds (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB), zu dem auch das Straßenbild gehört, hätten solche Anlagen eine bislang nicht gegebene Beeinträchtigungsqualität. Sie würden im Ergebnis dazu führen, dass die derzeit deutlich von der Straße abgerückten Gebäudefronten der Straßenrandbebauung als im Erdgeschoss praktisch bis an die Straßenbegrenzung herangezogen erscheinen würde. Das Straßenbild würde sich insgesamt deutlich verengen und seine im hier interessierenden Bereich noch gegebene Großzügigkeit und Weite deutlich verlieren.

Dieser Wertung steht nicht entgegen, dass der hier konkret zur Genehmigung gestellte Carport seiner baulichen Ausgestaltung nach eher filigran vorgesehen ist, wie die Kläger hervorgehoben haben. Auch die Zulassung eines solchen Carports hätte Vorbildwirkung für Carports aller Art, die mit den unterschiedlichsten, mehr oder weniger massiven Dachformen üblich sind. Bauplanungsrechtlich können solche Anlagen hinsichtlich ihrer optisch relevanten Ausgestaltung über § 34 BauGB nicht gesteuert werden, sondern lediglich über entsprechende Festsetzungen in Bebauungsplänen. Schließlich hat die Ortsbesichtigung durch den Berichterstatter des Senats auch bestätigt, dass in der hier maßgebenden Umgebung die weit überwiegende Mehrheit der Grundstücke an der W. Straße so tiefe Freiräume zwischen den Gebäudefronten und dem Gehweg aufweist, dass sich dort ohne weiteres Carports zum überdachten Schutz von Kraftfahrzeugen anlegen lassen. All dies bestätigt, dass die Zulassung des strittigen Vorhabens auf Grund der von ihm ausgehenden Vorbildwirkung städtebaulich beachtliche, nur durch Planung zu bewältigende Spannungen für die maßgebliche Umgebung an der W. Straße hervorrufen würde.

Ende der Entscheidung

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