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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 30.10.2009
Aktenzeichen: 7 A 2548/08
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 4 Abs. 1 Nr. 1
1. Eine maximal 2 m breite Zufahrt genügt nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW an einen befahrbaren Wohnweg.

2. Die problemlose Erreichbarkeit eines Grundstücks mit einem durchschnittlichen PKW kann dann nicht angenommen werden, wenn über eine Strecke von gut 40 m eine maximal nur 2 m breite Zufahrt zur Verfügung steht.


Gründe:

Die Baugenehmigung vom 21. 11. 2007 ist rechtswidrig. Dem genehmigten Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschrift i. S. d. § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW entgegen. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW dürfen Gebäude nur errichtet werden, wenn gesichert ist, dass das Baugrundstück bis zu seiner Benutzung in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt oder das Grundstück eine befahrbare, öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche hat. Die zum Vorhabengrundstück führende Parzelle 1652 ist zwar durch Baulast öffentlich-rechtlich gesichert, jedoch mit 2 m nicht hinreichend breit; der an die Parzelle 1652 anknüpfende Längsstreifen - ein im Eigentum der Kläger stehender, 1 m breiter Teil ihres Grundstücks - ist nicht öffentlich-rechtlich gesichert. Auf das Erfordernis einer in angemessener Breite befahrbaren Zufahrt ist abzustellen, obwohl Wohnwege, an denen nur Gebäude geringer Höhe zulässig sind, gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 BauO NRW nur dann befahrbar sein müssen, wenn sie länger als 50 m sind. Zwar ist die Zufahrt zum Vorhabengrundstück rückwärtig der Parzelle der Kläger in einer Weite von 3 m durch Baulast öffentlich-rechtlich gesichert. Hierauf kommt es nach dem Sinn der Vorschrift jedoch nicht an. Ist die Zufahrt auf einem wesentlichen Teilstück nicht ausreichend breit und daher nicht in der vorausgesetzten Weise nutzbar, hilft es dem auf die Nutzung des Weges Angewiesenen nicht weiter, dass er den Weg in seinem weiteren Verlauf nutzen könnte, würde er denn den 1. Teilabschnitt überwinden können. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist demnach auf die Fälle beschränkt, in denen jenseits der 50 m Wegelänge die an den Wohnweg angrenzenden Grundstücke nicht bebaubar sind.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand Juli 2009, § 4 Rdn. 26; BVerwG, Urteil vom 1. 3. 1996 - 8 C 26.94 -, NVwZ-RR 1996, 463.

Der 2 m breite Weg ist nicht geeignet, die Erreichbarkeit des Vorhabengrundstücks sicherzustellen. Aus bauordnungsrechtlicher Sicht ist erforderlich, dass das Grundstück auch von Fahrzeugen erreicht werden kann, die ggf. im öffentlichen Interesse auf das Grundstück gelangen müssen, wie z. B. Kraftfahrzeuge der Feuerwehr und der Polizei.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. 8. 1979 - XI A 611/79 -, BRS 35 Nr. 150; Urteil vom 1. 3. 1982 - 7 A 2299/80 -, BRS 39 Nr. 115.

Ob die Beigeladene hinsichtlich des Längsstreifens ein Notwegerecht in Anspruch nehmen kann, ist für die Frage ohne Bedeutung, ob das Vorhabengrundstück über eine Zufahrt i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW verfügt. Ein Notwegerecht ersetzt insbesondere die erforderliche öffentlich-rechtliche Sicherung nicht.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5. 9. 1998 - 10 A 6429/96 -, und vom 27. 4. 2007 - 7 A 2722/06 -, juris.

Dass ein Weg mit der (öffentlich-rechtlich) gesicherten Breite von 2 m für die benannten Fahrzeuge nicht hinreichend breit ist, ist offenkundig, wird aber auch durch den Hinweis des Beklagten auf das 2,45 m breite Rettungsfahrzeug der Sache nach bestätigt. Aus den in § 5 BauO NRW enthaltenen Regelungen über die Breite von Zugängen und Zufahrten für die Feuerwehr, die von den Vertreterinnen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung des Senats in Bezug genommen wurden, ergibt sich nicht, eine für Rettungsfahrzeuge benötigte Zufahrt sei auch mit nur 2 m Breite noch "angemessen". Mit der Anforderung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW, eine Zufahrt müsse angemessen breit sein, stellt die Bauordnung im Übrigen auf einen im Einzelfall zu subsumierenden unbestimmten Rechtsbegriff ab, eröffnet der Bauaufsichtsbehörde aber keinen "Beurteilungsspielraum", der es ihr ermöglichen würde, ein Bauvorhaben auch dann zu genehmigen, wenn keine angemessen breite und in dieser Breite öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt zur Verfügung steht.

Schon aus diesen Gründen ist die Baugenehmigung rechtswidrig. Darüber hinaus ist der Weg aber auch für den ganz gewöhnlichen PKW-Verkehr unzureichend dimensioniert. Denn auch für diesen Verkehr gilt, dass die Zufahrt mindestens so breit sein muss, dass sie den Verkehr aufnehmen kann, den das Bauvorhaben (zuzüglich der weiteren über den Weg erschlossenen Grundstücke) bedingt.

Vgl. Gaedtke/Temme/Heintz/Czebock, BauO NRW, 11. Auflage, 2008, § 4 Rdn. 34 und 24.

Ob die von der Beigeladenen oder von ihrem Sohn genutzten Pkw bereits breiter als 2 m sind, ist nicht entscheidend. Die erteilte Baugenehmigung ist nicht personenbezogen. Abzustellen ist daher auf ein durchschnittliches Kraftfahrzeug. Selbst nach den "Empfehlungen für Anlagen des ruhenden Verkehrs" (EAR 05) bzw. den "Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen" (RAST 06, S. 27) hat ein Pkw eine durchschnittliche Breite von 1,75 m bzw. von 1,76 m (Anhang E EAR 05). Diese Pkw-Breite ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem benötigten Verkehrsraum. Vielmehr sind Bewegungsspielräume hinzuzurechnen, da ein gewissermaßen schwankungsloses lineares Fahren eines PKWs über die hier in Rede stehende Länge der Parzelle der Kläger praktisch nicht zu verwirklichen ist. Die RAST 06 gibt einen zumindest erforderlichen Bewegungsspielraum von 0,15 m beidseitig des Fahrzeugs an (vgl. RAST 06, S. 25). Die EAR 05 nimmt zwar an, in Fahrgassen genüge eine seitlicher Bewegungsspielraum von (jeweils) 0,125 m (Nr. 4.2.1.5, S. 20); ein Sicherheitsabstand von 0,25 m ist danach jedoch selbst in Fahrgassen erforderlich zu festen Hindernissen wie z.B. zu Bauwerksteilen oder Bäumen (Nr. 4.2.1.6, S. 20); solche Gegebenheiten bestehen hier zu den dem Grundstück der Kläger abgewandten Zufahrtsbereich. Breits hieraus ergibt sich, dass eine Zufahrtsbreite von nur 2 m, und zwar nicht nur im Bereich einer Engstelle, sondern über eine Länge von gut 40 m, absolut unzureichend ist, um auch nur den Erfordernissen eines mit PKW befahrbaren Wohnweges zu genügen.

Aus den von der Beigeladenen zitierten Entscheidungen des BVerwG, vgl. Urteile vom 30. 8. 1985 - 4 C 48.81 -, Buchholz 406.11 § 35 BBauG, Nr. 228, vom 1. 3. 1991 - 8 C 59.89 -, BVerwGE 88, 71, und vom 4. 6. 1993 - 8 C 33.91 -, BVerwGE 92, 304, ergibt sich nichts anderes. In seinem Urteil vom 4. 6. 1993 hat das BVerwG zur Frage der wegemäßigen Erschließung im bauplanungsrechtlichen Sinne ausgeführt und festgestellt, es genüge im Regelfall, dass die die wegemäßige Erschließung vermittelnde Verkehrsanlage für Kraftfahrzeuge der in Rede stehenden Art (gemeint waren Fahrzeuge des Rettungswesens sowie der Ver- und Entsorgung) überhaupt befahrbar sind, ohne Rücksicht darauf, ob dies nur für Personen - und kleine Kraftfahrzeuge zutreffen oder auch Großfahrzeuge einschließen sollte. Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der in einer Breite von 2,75 m mit Verbundsteinpflaster befestige Erschließungsweg eine lichte Weite von 3 m aufwies. Der Entscheidung vom 30. 8. 1985 lag ein Weg zugrunde, der zum Teil nur 2,50 m breit war. Das BVerwG hat sich nicht dazu verhalten, aus bauplanungsrechtlicher Hinsicht seien noch geringere Wegebreiten - gar nur von 2 m - für die wegemäßige, auf die Befahrbarkeit mit Kraftfahrzeugen angewiesene Erschließung als ausreichend anzusehen.

Die rechtswidrige Baugenehmigung sowie der rechtswidrige Abweichungsbescheid verletzen die Kläger auch in eigenen Rechten. ...

Jedoch steht den Klägern ein sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebender öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch gegen die Baugenehmigung und den Abweichungsbescheid zu, denn die Baugenehmigung wirkt sich auf die Duldung eines Notwegerechts aus. Hierzu hat das BVerwG in seinem Urteil vom 26. 3. 1976 - IV C 7.74 -, BauR 1976, 269 = BRS 30 Nr. 140, ausgeführt: "Ist nach der materiellen Rechtslage die Bebauung in einer sich auf ein Notwegerecht auswirkenden Weise unzulässig, so schmälert eine gleichwohl erteilte und folglich rechtswidrige Baugenehmigung die zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten des durch den Notweg Belasteten. Eine Baugenehmigung stellt verbindlich fest, dass das Vorhaben mit dem gesamten im Zeitpunkt der Genehmigung geltenden öffentlichen Recht übereinstimmt. Das wirkt sich voraussetzungsgemäß gerade dann aus, wenn die Baugenehmigung rechtswidrig ist; denn auch in diesem Fall stellt die Baugenehmigung - wenn auch materiell zu Unrecht - fest, dass die Bebauung dem öffentlichen Recht entspreche. Mit Eintritt der Unanfechtbarkeit schneidet eine solche - rechtswidrige - Baugenehmigung demjenigen, der sich im Zivilprozess gegen die Inanspruchnahme aus § 917 Abs. 1 BGB zu wehren sucht, den Vortrag ab, die der Inanspruchnahme zugrunde liegende Benutzung des Nachbargrundstücks sei schon deshalb nicht ordnungsmäßig, weil sie dem öffentlichen Recht widerspreche. Diese Behinderung bedeutet zwar nicht notwendig, dass der mit dem Notweg in Anspruch Genommene im Zivilprozess unterliegen muss. Denn einer Benutzung, die nach öffentlichem Recht zulässig ist oder für die eine Baugenehmigung das in Wahrheit entgegenstehende öffentliche Recht ausschaltet, kann, wie gesagt, die Ordnungsmäßigkeit aus anderen Gründen fehlen. Die sich - gegebenenfalls - daraus für den Betroffenen ergebende Möglichkeit, sich in einem Zivilprozess trotz bestehender Baugenehmigung gegen die Inanspruchnahme des Notweges erfolgreich zur Wehr zu setzen, ändert jedoch nichts daran, dass ihm die Feststellungswirkung der Baugenehmigung andere - und praktisch häufig ausschlaggebende - Möglichkeiten in der Verteidigung nimmt. Darin liegt, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, ein vom öffentlichen Recht ausgehender Eingriff in das Eigentum, gegen den sich der Betroffene mit den Rechtsbehelfen des öffentlichen Rechts wehren kann."

Vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11. 5. 1998 - 4 B 45.98 -, BRS 60 Nr. 182.

Ein derartiger Eingriff, den die Kläger nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG abwehren können, ist hier gegeben. Gemäß § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden, wenn einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Die Baugenehmigung vom 21. 11. 2007 würde - ihren Bestand vorausgesetzt - bewirken, dass zivilrechtlich von der Ordnungsgemäßheit der Grundstücksnutzung auszugehen ist.

Vgl. BGH, Urteil vom 7. 7. 2006 - V ZR 159/05 -, BRS 70 Nr. 155.

Die zur ordnungsgemäßen Benutzung des Vorhabengrundstücks notwendige Verbindung greift auch über die Parzelle 1652 hinaus auf den im Eigentum der Kläger stehenden Längsstreifen über. Die Erreichbarkeit eines Grundstücks mit Kraftfahrzeugen ist in der Regel - und so auch hier - notwendig. Hierzu gehört die Möglichkeit, sein Wohngrundstück mit dem eigenen Kraftfahrzeug anfahren zu können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es nicht lediglich um das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf dem Grundstück, sondern um dessen Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen geht. Zu den Grundbedürfnissen der Bewohner rechnen nach der Rechtsprechung des BGH z. B. die problemlose Anlieferung von Gegenständen des täglichen Lebensbedarfs sowie die sichere Erreichbarkeit des Grundstücks (mit Kraftfahrzeugen).

Vgl. BGH, Urteil vom 12. 12. 2008 - V ZR 106/07 -, NJW-RR 2009, 515.

Zu der in der obergerichtlichen Rechtsprechung vielfach zitierten Entscheidung des BGH vom 9. 11. 1979 - V ZR 85/78 -, BGHZ 75, 315, vgl. Nachweise bei Palandt, BGB, 68. Aufl., 2008, § 917 Anm. 6, wonach eine Zufahrt für Kraftfahrzeuge auf Wohngrundstücke nicht notwendig sei, hat der 5. Senat in seinem Teilurteil vom 12. 12. 2008 klarstellend ausgeführt, jener Entscheidung habe ein Sachverhalt zugrunde gelegen, in dem das Grundstück an eine öffentliche Straße angrenzte und mit Kraftfahrzeugen angefahren werden konnte, die allerdings wegen der baulichen Gegebenheiten mangels Zufahrtsmöglichkeit nicht auf dem Grundstück abgestellt werden konnten. Um einen solchen Sachverhalt geht es hier nicht.

Ob die ordnungsgemäße Benutzung des Vorhabengrundstücks auch die Möglichkeit umfassen müsste, mit Lieferfahrzeugen bis zum Grundstück zu fahren, vgl. BGH, Teilurteil vom 12. 12. 2008 - V ZR 100/07 -, a. a. O., unter Hinweis darauf, dass zur Erreichbarkeit auch die Versorgung mit Energie (Öllieferung) bzw. die Entsorgung von Müll gehören kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, da - wie oben zum Merkmal der "angemessenen Breite" i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW der Sache nach bereits ausgeführt - die Wegeparzelle 1652 mit 2 m Breite nicht ausreichend dimensioniert ist, die "problemlose" und "sichere" Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen sicherzustellen, also schon für den alltäglichen Kraftfahrzeugverkehr der Längsstreifen zum Teil in Anspruch genommen werden muss.

Die Kläger sind nicht ohnehin aus anderen Rechtsgründen zur Duldung eines Notwegerechts verpflichtet. (wird ausgeführt)

Ende der Entscheidung

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