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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 08.05.2009
Aktenzeichen: 7 A 3366/07
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 31 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauGB § 32
Ist ein Grundstück im Bebauungsplan als öffentliche Verkehrsfläche ausgewiesen, bedarf es zur Errichtung einer Privatstraße einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB oder einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB. Liegen schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zulassung einer Ausnahme oder die Erteilung einer Befreiung nicht vor, ist für eine Anwendung des § 32 BauGB kein Raum.
Tatbestand:

Die Kläger beantragten eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Privatstraße. Das betreffende Grundstück ist im Bebauungsplan als öffentliche Verkehrsfläche ausgewiesen. Das OVG hat die Klage abgewiesen.

Gründe:

Die Kläger haben auf die Erteilung der erforderlichen Baugenehmigung keinen Anspruch.

Nach § 72 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW soll die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag zurückweisen, wenn die Bauvorlagen unvollständig sind oder erhebliche Mängel aufweisen. Diese Vorschrift ist auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Bedeutung. Die Bescheidung eines nicht bescheidungsfähigen Bauantrags durch die Bauaufsichtsbehörde enthebt die VG nicht der Pflicht, ihrerseits die geltenden Vorschriften zu beachten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.12.2007 - 10 A 2684/06 - unter Bezugnahme auf OVG Bbg., Beschluss vom 23.4.1999 - 3 A 191/97 -, BRS 62 Nr. 172.

Die von den Klägern vorgelegten Bauunterlagen sind unvollständig. Sie erlauben keine Aussage darüber, ob das Vorhaben rechtlich, insbesondere bauordnungsrechtlich, zulässig ist. Insbesondere fehlt eine Baubeschreibung im Sinne des § 5 Abs. 1 BauPrüfVO, aus der der technische Aufbau der geplanten Straße ersichtlich ist.

Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20.2.2004 - 10 A 558/02 -, BRS 67 Nr. 175, und Beschluss vom 19.12.2007 - 10 A 2684/06 -.

Die zur Genehmigung gestellte, ca. 70 m lange Privatstraße soll der Erschließung der hinterliegenden Flurstücke ... dienen. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW müssen private Wohnwege, die eine Zufahrt zur öffentlichen Straße vermitteln, mit Kraftfahrzeugen befahrbar sein, wenn sie länger als 50 m sind. Die Befahrbarkeit eines Wohnweges setzt zumindest voraus, dass er einen solchen Ausbau hat, dass auf ihm die potentiell zum Einsatz kommenden Rettungs- und Feuerwehrfahrzeuge fahren können. Deshalb sind für die Befahrbarkeit privater Wohnwege im Ansatz dieselben Anforderungen zu stellen wie für die Befahrbarkeit öffentlicher Verkehrsflächen.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: Dezember 2008, § 4 Rn. 16.

Ob die zur Genehmigung gestellte Privatstraße von den genannten Fahrzeugen befahren werden könnte, kann anhand der zur Verfügung gestellten Bauunterlagen nicht beurteilt werden.

Etwaige im gerichtlichen Verfahren nachgereichte Bauunterlagen wären allenfalls dann zu berücksichtigen gewesen, wenn auf einen neuerlichen von der Behörde erst noch zu bescheidenden Bauantrag hätte verzichtet werden können oder müssen.

Vgl. zum sog. steckengebliebenen Genehmigungsverfahren OVG NRW, Urteil vom 19.6. 2007 - 8 A 2677/06 -, BRS 71 Nr. 109.

Auf nähere Einzelheiten kommt es hier indes nicht an, weil dem Begehren der Kläger jedenfalls auch bauplanungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. Nach § 30 Abs. 1 BauGB ist im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans ein Vorhaben nur zulässig, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

Das Vorhaben der Kläger widerspricht jedoch den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 19/2 (X.)

Das mit dem Bebauungsplan verfolgte städtebauliche Anliegen ist auf die Errichtung einer öffentlichen Straße mit der Zweckbestimmung eines verkehrsberuhigten Bereiches, nicht aber auf die Herstellung eines Privatwegs gerichtet, dessen Ausbaustandard und dessen Nutzerkreis dem Belieben der Eigentümer unterfällt.

Die Bebauungsplanfestsetzungen sind hinreichend bestimmt. Der Vortrag der Kläger, dass die zeichnerische Abgrenzung des Flurstücks ... zum C.-Weg durch eine sog. Knödelkette bedenklich sei, greift nicht durch. In Übereinstimmung mit Nr. 6.2 der Anlage zur PlanzV (Straßenbegrenzungslinie auch gegenüber Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung) ist die Grenze zwischen dem Flurstück ... und dem C.- Weg mit einer grünen Linie markiert. Dass diese Grenze zusätzlich auch durch eine sog. Knödellinie gekennzeichnet ist, ist nicht zu beanstanden. Nach der Legende des Bebauungsplans ist die Knödellinie - in Übereinstimmung mit Nr. 15.14 der Anlage zur PlanzV - definiert als "Abgrenzung unterschiedlicher Nutzung". Es mag sein, dass es kein Fall "unterschiedlicher Nutzung" ist, wenn eine öffentliche Verkehrsfläche in einem Teilbereich mit der Zweckbestimmung "verkehrsberuhigte Straße" versehen ist und in einem anderen Teilbereich nicht. Unbestimmt wird der Bebauungsplan durch die Verwendung der Knödelkette jedoch nicht, denn die Knödelkette tritt ersichtlich nur als zusätzliche Abgrenzungslinie zu der grünen Linie hinzu, ohne dass mit ihr eine weitergehende planerische Festsetzung verbunden wäre.

Für das in Rede stehende Grundstück enthält der Bebauungsplan die nach § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB zulässige Festsetzung "Straßenverkehrsfläche". Zwar ist das Grundstück nicht ausdrücklich als öffentliche Straßenverkehrsfläche festgesetzt. Fehlt ein Zusatz, ob eine Verkehrsfläche öffentlich oder privat sein soll, ist aus dem Charakter der festgesetzten Verkehrsflächen vor allem im Hinblick auf deren Zweckbestimmung und den angenommenen Träger der Straßenbaulast zu folgern, was vom Plangeber gewollt wurde; Hinweise hierzu ergeben sich in der Regel aus der Konzeption des Bebauungsplans und seiner Begründung.

Vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Oktober 2008, Rn. 104 zu § 9.

Dass die Verkehrsfläche eine öffentliche Straße sein soll und dementsprechend festgesetzt ist, ergibt sich bereits aus ihrer Zweckbestimmung als verkehrsberuhigter Bereich. Der erstinstanzliche Vortrag der Kläger, dass der in der Legende des Bebauungsplans für verkehrsberuhigte Bereiche vorgesehene Buchstabe "V" in der zeichnerischen Darstellung fehle, findet in der dem Senat vorliegenden Planurkunde keine Bestätigung. Ein verkehrsberuhigter Bereich (vgl. § 42 Nr. 4a StVO) ist ein Straßenbereich, in dem der Fahrzeugverkehr gegenüber der Aufenthaltsfunktion eine untergeordnete Bedeutung hat. Dies wird regelmäßig eine Straßengestaltung fordern, die die Aufenthaltsfunktion hervorhebt. Zudem ist die Kennzeichnung von Parkflächen erforderlich, wenn solche im Straßenraum vorgehalten werden sollen. Die Annahme liegt jedoch fern, der Satzungsgeber habe den verkehrsberuhigten Bereich des D.-Wegs nicht nur in einer von seinem Ausbauprogramm in vergleichbaren Fällen abweichenden Ausführung geplant, sondern es gar dem Belieben der Eigentümer der Straße überlassen wollen, was sie wohl als verkehrsberuhigten Bereich ansehen würden.

Der sich aus der Bebauungsplanfestsetzung ergebende Zusammenhang wird durch die Begründung des Bebauungsplans bestätigt. Unter Nr. 5.2 der Begründung der Vorgängerfassung des Bebauungsplans ("Verkehrsflächen") heißt es: "Die öffentlichen Verkehrsflächen sind entsprechend ihres Ausbaues festgesetzt". Unter Nr. 7 ("Kosten") heißt es: "Die Kosten für die noch zu erstellenden Erschließungsanlagen setzen sich aus dem Grunderwerb (für die öffentlichen Verkehrsflächen Planstraßen D.-Weg und E.-Weg), dem Straßen- und Kanalbau sowie der zugehörigen Beleuchtung zusammen."

Das Vorhaben der Kläger widerspricht der Festsetzung "öffentliche Verkehrsfläche". Sie haben einen Privatweg errichtet; sie sind weder bereit, der Stadt das Eigentum an dem Flurstück ... zu verschaffen, noch mit ihr einen Erschließungsvertrag einzugehen oder einer Widmung zuzustimmen.

Für eine Befreiung von der Festsetzung "öffentliche Verkehrsfläche" des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nur befreit werden, wenn u. a. die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. Die Befreiung kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Sie darf - jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind - nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.3.1999 - 4 B 5.99 -, BRS 62 Nr. 99.

Gemessen hieran, würden im vorliegenden Fall durch die Erteilung einer Befreiung von der Festsetzung "öffentliche Verkehrsfläche" die Grundzüge der Planung berührt. Die Entscheidung, ob ein Baugebiet durch eine öffentliche oder eine private Erschließungsstraße erschlossen werden soll, hat erhebliche Folgewirkungen. Würde statt einer öffentlichen eine private Erschließungsstraße zugelassen, bedeutete dies, dass die Gemeinde nicht mehr Trägerin der Baulast wäre. Sie hätte auf das Ob und Wie der Herstellung dieser Straße, aber auch auf das Ob und Wie etwaiger späterer Instandsetzungs- und Ausbaumaßnahmen nur noch begrenzten Einfluss. Desweiteren könnte bei der Zulassung einer privaten Erschließungsstraße der Eigentümer ohne Einwirkungsmöglichkeit der Gemeinde Nutzungsregelungen treffen, etwa Nutzungsbeschränkungen (bis hin zu einem Nutzungsausschluss für Nichtanlieger).

Der Vortrag der Kläger, ihr Vorhaben sei schon deswegen ohne Weiteres mit den Grundzügen der Planung vereinbar, weil der Beklagte, wenn er mit der Herstellung der vorgesehenen öffentlichen Verkehrsfläche beginne, die von ihnen errichtete Privatstraße ja wieder beseitigen könne, verfängt ersichtlich nicht. Gerade die eventuelle Notwendigkeit eines teilweisen oder kompletten Rückbaus der Privatstraße kann zu Behinderungen und Verzögerungen bei der Planverwirklichung führen. Nicht zuletzt löst ein solcher Rückbau auch zusätzliche Kosten aus. Diese werden durch den von den Klägern erklärten Verzicht auf Ersatz der durch die Errichtung der Privatstraße eingetretenen Werterhöhung nicht erfasst.

§ 32 BauGB kommt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung. Anwendbar ist diese Vorschrift, wenn ein den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechendes und daher grundsätzlich unzulässiges Vorhaben im Wege einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB, vgl. Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Rn. 4 zu § 32, möglicherweise auch im Wege einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB, so etwa Jäde, in: Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, 5. Aufl 2007, Rn. 9 zu § 32, m. w. N., zugelassen werden könnte. Für diesen Fall knüpft § 32 BauGB die Erteilung einer Befreiung oder Ausnahme an zusätzliche Voraussetzungen. Für das hier in Rede stehende Vorhaben kann jedoch - wie ausgeführt - eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht erteilt werden. Auch die Erteilung einer Ausnahme kommt, da im Bebauungsplan nicht ausdrücklich vorgesehen, ersichtlich nicht in Betracht. Der Anwendungsbereich des § 32 BauGB ist somit nicht eröffnet. Unabhängig davon sind aber auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des 32 BauGB nicht gegeben. Den Klägern geht es nicht lediglich um eine Änderung einer vorhandenen baulichen Anlage, sondern - so heißt es in ihrem Bauantrag ausdrücklich - um den "Neubau einer Privatstraße".

Ende der Entscheidung

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