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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.07.2002
Aktenzeichen: 7 B 1058/02
Rechtsgebiete: VwVfG NRW, BauPrüfVO, VwGO


Vorschriften:

VwVfG NRW § 44
BauPrüfVO § 4
VwGO § 80 Abs. 5
Eine Baugenehmigung ist nicht allein deshalb nichtig, weil sie vom Bauherrn eingereichte Bauvorlagen umfasst, die vorhandene, aber nicht genehmigte Bausubstanz als Bestand kennzeichnen.
Tatbestand:

Die Antragsteller betreiben eine am 9.3.1998 genehmigte Gaststätte. Sie erweiterten die Gaststäte, ohne eine weitere Baugenehmigung einzuholen. Später beantragten sie für eine noch weitergehende Gaststättenerweiterung die Erteilung einer Baugenehmigung. In den Bauvorlagen war die vorhandene Gaststätte einschließlich ihrer ersten nicht genehmigten Erweiterung als Bestand bezeichnet. Mit Baugenehmigung vom 19.4.2001 genehmigte der Antragsgegner die Gaststättenerweiterung. Mit Bescheid vom 4.3.2002 nahm er die Baugenehmigung vom 19.4.2001 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurück. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hatte in der zweiten Instanz Erfolg.

Gründe:

Die Antragsteller haben ein berechtigtes Interesse, dass über ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Sache entschieden wird. Der Rücknahmebescheid vom 4.3.2002 hat für die Antragsteller belastende Wirkung. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Antragsgegner die Baugenehmigung vom 23.5.2001 zurückgenommen. Aus dieser Baugenehmigung können die Antragsteller Rechte herleiten, denn sie ist wirksam und entgegen der Annahme des VG nicht nichtig.

Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (vgl. § 44 Abs. 1 VwVfG NRW). Die Baugenehmigung vom 23.5.2001 leidet an keinem in diesem Sinne offenkundigen Mangel. Andere Nichtigkeitsgründe (vgl. § 44 Abs. 2 VwVfG NRW) kommen ohnehin nicht in Betracht.

Das VG folgert Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Baugenehmigung zunächst daraus, dass mit dem der zurückgenommenen Baugenehmigung zugrundeliegenden Bauantrag vom 19.4.2001 ein Grundriss vorgelegt worden sei, in dem nicht genehmigte Bausubstanz als Bestand gekennzeichnet worden ist. Der Grundriss hat gemäß § 4 BauPrüfVO jedoch keine andere Funktion, als den Baubestand bzw. das geplante Vorhaben darzustellen; bei Änderungen der Bausubstanz werden vorhandene, vorgesehene und zu beseitigende Bauteile gekennzeichnet (vgl. Ziffer 2 der Anlage zur BauPrüfVO). Stellt der Bauherr eine Bausubstanz als Bestand dar, ist hiermit nicht notwendig die (konkludente) Erklärung verbunden, die vorhandene Bausubstanz sei auf Grundlage einer Baugenehmigung errichtet worden. Der Bauherr bestimmt mit den Bauvorlagen das Bauvorhaben beschreibend, das er zur Genehmigung stellt; er gibt ferner an, worauf sich die Genehmigung erstrecken soll. Die zeichnerische Darstellung eines vorhandenen Bestands macht deutlich, dass insoweit eine tatsächliche bauliche Änderung gegenüber dem Vorhandenen nicht beabsichtigt ist. Eine rechtliche Bewertung zur (formellen) Legalität des Vorhandenen ist der Bestandsdarstellung gewöhnlich nicht zu entnehmen. So wird dem Bauherrn je nach Lage des Einzelfalls u.U. gar nicht bekannt sein, ob eine vorhandene Bausubstanz genehmigt ist oder nicht. Zahlreiche bauliche Änderungen bedürfen keiner Genehmigung; die Frage materieller Legalität nicht genehmigungsbedürftiger baulicher Änderungen ist eine Rechtsfrage, die mit der Beschreibung eines zur Genehmigung gestellten Vorhabens nichts zu tun hat. Schließlich können auch formell rechtswidrig errichtete Bauvorhaben materiell legal sein; die Genehmigung der Änderung eines materiell legalen, wenngleich formell illegalen Bestandes kann auch dann in Betracht kommen, wenn der Bestand formell illegal errichtet worden ist.

Die von der Baugenehmigung vom 23.5.2001 umfassten Bauvorlagen lassen keine Unklarheiten darüber offen, welcher Baubestand tatsächlich vorhanden ist. Solche Unklarheiten ergeben sich auch nicht aus einem Vergleich zu den Bauvorlagen der den Antragstellern am 9.3.1998 erteilten Baugenehmigung. Der dort zugrunde gelegte Grundriss erfasst nur einen Teilbereich des Gesamtgebäudes, das nach Angaben der Antragsteller ursprünglich als Lokal und für Wohnzwecke genutzt wurde (und dessen baurechtliche Genehmigung im Übrigen bislang nicht Gegenstand der Prüfung des Antragsgegners gewesen ist). Der Vergleich beider Baugenehmigungen lässt deutlich werden, in welchem Bereich zwischenzeitlich Baumaßnahmen durchgeführt worden sind; der aktuelle Baubestand ist damit nicht unklar.

Allerdings ist die Baugenehmigung vom 23.5.2001 hinsichtlich der Frage auslegungsbedürftig, ob mit ihr nur festgestellt worden ist, dass der Änderung der Bausubstanz öffentlich - rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen (vgl. § 75 Abs. 1 BauO NRW) oder ob sich die Feststellungswirkung der Baugenehmigung auch auf den vorhandenen, bislang nicht formell legalisierten Bestand erstreckt. Dieser Auslegungsbedarf belegt jedoch keinen offenkundigen, zu ihrer Nichtigkeit führenden Mangel der Baugenehmigung, so dass es hierzu keiner abschließenden Entscheidung im vorliegenden Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bedarf.

Unklarheiten ergeben sich ferner nicht hinsichtlich der mit der Baugenehmigung vom 23.5.2001 genehmigten Nutzung.

Der Senat sieht auf Grundlage des aktenkundigen Sachverhalts keinen hinreichenden Anhalt für die Annahme, die Antragsteller hätten ihre "wahren Absichten" durch Vorlage widersprüchlicher Bauvorlagen "verschleiern" wollen.

Ende der Entscheidung

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