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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 08.05.2009
Aktenzeichen: 7 B 91/09
Rechtsgebiete: BauO NRW, DSchG NRW
Vorschriften:
BauO NRW § 6 Abs. 15 Satz 2 | |
BauO NRW § 31 | |
BauO NRW § 61 Abs. 2 Satz 1 | |
BauO NRW § 73 Abs. 1 Satz 1 | |
DSchG NRW § 7 Abs. 1 |
Sind die Voraussetzungen einer Gestattung nach § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW gegeben, die Erteilung der Baugenehmigung jedoch ferner davon abhängig, dass Brandschutzvorschriften nicht entgegenstehen, kann eine Abweichung von den Brandschutzbestimmungen zu erteilen sein.
Gründe:
Die Baugenehmigung ist mit abstandflächenrechtlichen Anforderungen vereinbar, obwohl das Wohnhaus der Beigeladenen nur einen Abstand zwischen 1,35 m und 1,66 m zur Grenze des Grundstücks des Antragstellers einhält. Es genügt zwar den sich aus § 6 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 BauO NRW ergebenden Abstandforderungen nicht, ist jedoch gemäß § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW abstandflächenrechtlich zulässig.
§ 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW zielt auf einen Interessenausgleich zum Wohle der Entwicklung einer sozialgerechten Eigentumsordnung. Ist ein Gebäude, das in der Vergangenheit formell oder jedenfalls materiell legal gewesen ist, mit heutigen Abstandanforderungen nicht vereinbar, können unter Abwägung der Interessen des Bauherrn mit denen des Nachbarn, in die öffentliche Belange einzustellen sein können, auch solche Nutzungsänderungen oder/und baulichen Gebäudeänderungen nach Ermessen gestattet werden, die über den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW hinausgehen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. 3. 2007 - 7 A 3782/05 -, BRS 71 Nr. 125.
Die Belange des Brandschutzes sind die Abwägung einzustellen.
Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, der Beigeladenen könne danach der Umbau des denkmalgeschützten Wohnhauses in der Gestalt, die Gegenstand der Nachtragsgenehmigung geworden ist, genehmigt werden. Dies hat auch das VG hinsichtlich der abstandrechtlichen Anforderungen bereits im Rahmen der von § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW verlangten Abwägung der Belange des Antragstellers und der Beigeladenen, unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der denkmalrechtlichen Unterschutzstellung des Hauses der Beigeladenen, mit Bezug auch auf das Urteil des Senats vom 15. 4. 2005 - 7 A 19/03 -, BRS 69 Nr. 135, zutreffend hervorgehoben. Der Vortrag des Antragstellers, das Gebäude der Beigeladenen sei seit mehr als 20 Jahren unbewohnt, führt nicht zu einer ihm günstigen Interessenbewertung, denn mit einer erneuten Nutzbarmachung des Gebäudes musste er rechnen, und zwar schon im Hinblick auf den Denkmalwert des Gebäudes. Ob das Gebäude früher ein "Herrschaftshaus" war und sich durch die nunmehr vorgesehenen 6 Wohneinheiten die Nutzung des Gebäudes intensiviert, ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller durch die hier einmal zu seinen Gunsten unterstellte Nutzungsintensivierung deutlich beeinträchtigt würde. Das Gebäude bleibt einschließlich aller Fensteröffnungen, die zum Grundstück des Antragstellers weisen, unverändert. Die dem Wohnhaus zugeordneten Stellplätze sind auf der dem Grundstück des Antragstellers abgewandten Grundstücksseite vorgesehen.
Allerdings hat das VG öffentliche Belange, nämlich Belange des Brandschutzes, als derart gewichtig angesehen, dass die nach § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW erforderliche Abwägung zu Lasten der Beigeladenen ausgehe. Den Brandschutzbelangen haben die Beigeladene und der Antragsgegner durch die 1. Nachtragsgenehmigung jedoch hinreichend Rechnung getragen.
Die nach § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW erforderliche Würdigung der Belange des Brandschutzes ist nicht gleichzusetzen mit der Prüfung, ob sämtliche Anforderungen gewahrt sind, die tatbestandlich in den jeweiligen brandschutzrechtlichen Bestimmungen der Bauordnung benannt sind. Das VG hat Bezug genommen auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW, wonach Gebäudeabschlusswände bei solchen Gebäuden hergestellt werden müssen, die weniger als 2,50 m von der Nachbargrenze entfernt errichtet werden, es sei denn, es bestehe ein Abstand (zu vorhandenen Gebäuden) von 5 m oder ein solcher Abstand ist (zu zulässigen, aber noch nicht errichteten Gebäuden) öffentlich-rechtlich gesichert. Tatsächlich besteht zwischen dem Haus der Beigeladenen und dem Haus des Antragstellers ein Abstand von mehr als 5 m. Auf die Sicherung des Gebäudeabstandes hingegen kommt es im Rahmen der Prüfung, ob eine Genehmigung nach § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW erteilt werden kann, nicht in dem Sinne an, dass eine fehlende Sicherung ungeachtet der Gegebenheiten des Einzelfalls ein zwingendes Hindernis für die Gestattung ist. § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW verweist nicht auf die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW, sondern stellt - wie vergleichsweise auch § 6 Abs. 14 Satz 2 oder Abs. 16 BauO NRW - auf die Belange des Brandschutzes und damit auf materielle Anforderungen ab. Grundsätzlich dürften die Belange des Brandschutzes zwar nur gewahrt sein, wenn auch die Anforderungen des § 31 BauO NRW eingehalten werden.
Vgl. zu § 6 Abs. 14 BauO NRW: OVG NRW, Beschluss vom 29. 5. 2008 - 10 B 616/08 -.
Jedoch hat das Erfordernis der öffentlich-rechtlichen Sicherung eines Gebäudeabstandes von 5 m seinen Grund nicht darin, dass ein Gebäudeabstand von 5 m nach Vorstellungen des Gesetzgebers nicht als aus brandschutztechnischer Sicht grundsätzlich ausreichend anzusehen ist, wie bereits die Regelung selbst aufzeigt. Die öffentlich-rechtliche Sicherung bewirkt keinen größeren Gebäudeabstand und damit kein Mehr an Brandschutz. Sie zielt vielmehr darauf, für die Zukunft, nämlich bei Änderungen des Gebäudebestandes, einen entsprechenden Abstand weiterhin sicherzustellen.
Ob es einer öffentlich-rechtlichen Sicherung des Gebäudeabstandes von 5 m auch in Fällen des § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW bedarf, ist Gegenstand der abwägenden Entscheidung. Diese fällt hier zu Gunsten der Beigeladenen aus. Zwischen den beiden Wohnhäusern der Beigeladenen und des Antragstellers besteht ein Abstand von mehr als 5 m. Das Interesse an einer öffentlich-rechtlichen Sicherung dieses Abstandes ist hier deshalb gering, weil beide Häuser unter Denkmalschutz stehen und die Eigentümer daher grundsätzlich der Verpflichtung unterworfen sind, die Gebäude in ihrem jeweiligen Zustand zu erhalten (vgl. § 7 Abs. 1 DSchG NRW). Dass dennoch mit einer Veränderung des Gebäudebestandes auf dem Grundstück des Antragstellers konkret zu rechnen wäre, ist nicht ersichtlich. Es ist zwar theoretisch nicht ausgeschlossen, worauf das VG abgestellt hat, dass das Haus des Antragstellers infolge eines Brandereignisses völlig zerstört werden könnte. Ob es in einem solchen Fall dem Antragsteller angesonnen werden kann, ein bis auf 3 m an die Nachbargrenze heranrückendes Haus dorthin mit einer Gebäudeabschlusswand zu versehen, um mit Blick darauf, dass die Beigeladene zum Erhalt ihres Denkmals auf deren wirtschaftliche Nutzung angewiesen sein dürfte, das seinerseits für den Brandschutz Erforderliche zu bewirken, kann dahinstehen. Denn auch dann würde durch die Errichtung eines Gebäudes mit einem Abstand von 3 m auf dem Grundstück des Antragstellers insgesamt der Abstand zwischen beiden Gebäuden auf ein Maß unter 5 m verringert. Jedoch ist die Bauaufsichtsbehörde in einem solchen Fall zur Prüfung berechtigt, ob an das Wohnhaus der Beigeladenen nachträgliche Anforderungen gestellt werden können oder müssen, um etwaigen Brandgefahren zu begegnen (vgl. § 61 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW). Dass wirksame und etwaig erforderliche Maßnahmen nicht mehr möglich wären, ist nicht ersichtlich. Es kommt daher letztlich nicht einmal darauf an, dass die mit der 1. Nachtragsgenehmigung in Bezug genommne brandschutztechnische Stellungnahme bestätigt, die Unterschreitung des Gebäudeabstands auf 4,5 m (statt 5 m) für den Fall der Neuerrichtung eines Hauses auf dem Grundstück des Antragstellers habe im vorliegenden Fall keinen Einfluss auf die Brandsicherheit der Gebäude.
Angesichts des Ausmaßes der baulichen Änderungen, die insbesondere das Gebäudeinnere betreffen und dort eine Nutzungsintensivierung durch die Einrichtung von 6 Wohneinheiten ermöglichen sollen, sind allerdings nicht nur die abstandrechtlichen Bestimmungen, sondern auch die sonstigen prüfungserheblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften in den Blick zu nehmen.
Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand 1. 12. 2008, § 63 Rdnr. 66 und 68.
Als nachbarerheblich sind deshalb die brandschutzrechtlichen Normen über den Bereich der von § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW geforderten Abwägung hinaus auch unmittelbar zu berücksichtigen, die allerdings nur insoweit nachbarschützend sind, als sie ein Übergreifen von Feuer auf angrenzende Grundstücke verhindern sollen.
Vgl. Böddinghaus/Hahn/Schulte, a. a. O., § 74 Rdnr. 322 unter Bezug auf OVG NRW, Urteil vom 25. 4. 1973 - VII A 345/72 -, BRS 27 Nr. 103.
Der Antragsteller verweist hierzu der Sache nach durchaus zu Recht auf § 29 Abs. 1 Zeile 1 a Spalte 4, wonach die Außenwände des Hauses der Beigeladenen grundsätzlich der Feuerwiderstandklasse F 90 genügen müssen. Die Anforderungen des § 31 Abs. 1 BauO NRW stehen auch hinsichtlich der Forderung der öffentlich-rechtlichen Sicherung des Gebäudeabstandes in Rede. Jedoch kommt in § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW die Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Brandschutzvorschriften keine solche Bedeutung beizumessen, dass sie eine ansonsten abstandflächenrechtlich mögliche Genehmigung zwingend hindern. Dieser Wertung würde es widersprechen, wenn die im Rahmen der Interessenabwägung als gegenüber dem Interesse des Eigentümers (an der weiteren Nutzung einmal rechtmäßig entstandener Bebauung) geringer gewichtig erkannten Brandschutzvorschriften dem Vorhaben in ihrer unmittelbaren Anwendung ohne Ausnahme entgegengehalten werden müssten. Vielmehr ist in einem solchen Fall zu prüfen, ob die Abweichungsvorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW vor dem Hintergrund der eigentumsrechtlichen Gewährleistung einerseits und der Sozialpflichtigkeit des Eigentums andererseits so auszulegen ist, dass sie eine Abweichung von den brandschutzrechtlichen Vorschriften ermöglicht.
Vgl. zu dieser letztlich schon die Vorschrift des § 6 Abs. 15 BauO NRW motivierenden Verpflichtung: BVerwG, Urteil vom 16. 5. 1991 - 4 C 17.90 -, BRS 52 Nr. 157.
So ist die Situation hier. Es kann insoweit auf die obigen Ausführungen dazu verwiesen werden, dass die Voraussetzungen einer Gestattung nach § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW zu bejahen sind. Nachbarerheblich ist im Übrigen nur, ob eine Abweichung rechtmäßig erteilt werden kann. Es bedarf daher im vorliegenden Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes keiner weiteren Prüfung, ob eine Abweichung nur unter Bezug auf die derzeitigen Gebäudegegebenheiten auf den Nachbargrundstücken auflösend bedingt erteilt werden könnte.
Ende der Entscheidung
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