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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 17.04.2009
Aktenzeichen: 7 D 102/07.NE
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, LWG NRW
Vorschriften:
VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1 | |
BauGB § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 | |
LWG NRW § 112 | |
LWG NRW § 113 |
Tatbestand:
Der Antragsteller, ein Wasserverband, wandte sich im Wege eines Normenkontrollantrags gegen eine Ergänzungssatzung im Sinne des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB, weil das Satzungsgebiet in einem faktischen Überschwemmungsgebiet lag. Das OVG hat den Antrag für zulässig erachtet, insbesondere die Antragsbefugnis des Antragstellers gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bejaht.
Gründe:
Der Antrag ist zulässig.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann ein Normenkontrollantrag von jeder natürlichen oder juristischen Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie von jeder Behörde gestellt werden.
Der Antragsteller ist jedenfalls als Behörde antragsbefugt. Nach § 1 Abs. 2 VwVfG NRW ist Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Die vom Antragsteller wahrgenommenen wasserwirtschaftlichen Aufgaben (vgl. § 2 WVG, § 2 ErftVG) sind Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. Wie sich aus § 1 Abs. 2 WVG ergibt, dienen Wasserverbände nicht nur dem Nutzen ihrer Mitglieder, sondern - an erster Stelle - dem öffentlichen Interesse.
Vgl. Rapsch, Kommentar zur Wasserverbandverordnung, 1989, Rn. 1 zu § 4, m. w. N.
Sie erfüllen ihre Aufgaben in einem historisch gewachsenen und von der Verfassung grundsätzlich anerkannten Bereich nichtkommunaler Selbstverwaltung (sog. funktionale Selbstverwaltung).
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.12.2002 - 2 BvL 5/98 und 6/98 -, BVerfGE 107, 59.
Die Antragsbefugnis von Behörden gilt nach dem Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO uneingeschränkt. Insbesondere müssen Behörden im Unterschied zu natürlichen und juristischen Personen zur Darlegung ihrer Antragsbefugnis nicht geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Es ist allerdings in der Rechtsprechung geklärt, dass der Normenkontrollantrag einer Behörde nur zulässig ist, wenn die Behörde ein aus ihrer Aufgabenstellung resultierendes Interesse an der Überprüfung der objektiven Rechtslage besitzt. Ein solches Interesse besteht bereits dann, wenn die Behörde die streitige Norm bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beachten hat.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15.3.1989 - 4 NB 10.88 -, DVBl. 1989, 662, und vom 11.8.1989 - 4 NB 23.89 -, BRS 49 Nr. 40; Hess. VGH, Beschluss vom 22.7.1999 - 4 N 1598/93 -, BRS 62 Nr. 53; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 5.8.1998 - 8 S 1906/97 -, NVwZ 1999, 1249; Bay. VGH, Urteil vom 16.11.1992 - 14 N 91.2258 -, BRS 55 Nr. 19, OVG Schl.-H., Urteil vom 1.4. 2004 - 1 KN 17/03 -, juris.
Zur Frage, wann eine Behörde eine Vorschrift in diesem Sinne zu beachten hat, hat das BVerwG in seinem oben zitierten Beschluss vom 11.8.1999 im Fall einer höheren Verwaltungsbehörde, die einen Bebauungsplan "in unterschiedlicher Weise" anzuwenden hatte, ausgeführt, sie habe deshalb ein berechtigtes Interesse an der Klärung der objektiven Rechtslage, weil sich diese auf ihr Aufgabengebiet auswirken könne und regelmäßig auswirken werde. Die höhere Verwaltungsbehörde sei jedoch nicht befugt, die Nichtigkeit eines Bebauungsplans durch Bescheid gegenüber der Gemeinde festzustellen. In seinem oben zitierten Beschluss vom 15.3.1989 hat das BVerwG zur Antragsbefugnis (und zum Rechtsschutzinteresse) ferner ausgeführt, sie sei gegeben, wenn die Behörde mit der Ausführung der von ihr beanstandeten Norm befasst ist, ohne selbst über die Norm verfügen, insbesondere sie aufheben oder ändern zu können. Unter der "Ausführung" einer Norm ist jedoch nicht nur deren unmittelbare Umsetzung etwa in der Form des Erlasses eines auf der Norm beruhenden Verwaltungsakts gemeint; vielmehr geht es um rechtliche Bindungen, die die Norm für die Behörde bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben entfaltet.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.3.1989 - 4 NB 10.88 -, a. a. O., juris, Rn. 14.
Rechtserhebliche Bindungen ergeben sich für die von dem Antragsteller wahrzunehmenden Aufgaben aus der im vorliegenden Verfahren streitigen Ergänzungssatzung. Die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin haben in der mündlichen Verhandlung rechtliche Bindungen der Satzung für den Antragsteller deshalb in Abrede gestellt, weil im Satzungsgebiet eine Bebauung nicht zulässig sei, die zu einer Beeinträchtigung der Aufgaben des Antragstellers führe, denn die Errichtung von Bauvorhaben stehe unter dem Erlaubnisvorbehalt des § 31 b Abs. 4 Sätze 3 und 4 WHG. Jedoch liegt das Satzungsgebiet nicht in einem förmlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet, wie dies aber § 31 b Abs. 4 Satz 3 WHG voraussetzt, sondern ist, wie zwischen den Beteiligten unstrittig ist, ein sog. faktisches Überschwemmungsgebiet. Das Verfahren zur förmlichen Festsetzung ist erst eingeleitet, d. h. eine Arbeitskarte ist erstellt worden, eine öffentliche Auslegung ist erfolgt (Angaben des Antragstellers). Auch für eine solche Situation ergibt sich (in Übereinstimmung mit § 31 b Abs. 5 Satz 2 WHG) eine Genehmigungspflicht für die Errichtung baulicher Anlagen, und zwar nach §§ 112 Abs. 4, 113 Abs. 1 Satz 1 LWG NRW. Für die im baurechtlichen Verfahren (vgl. § 113 Abs. 2 Satz 5 LWG NRW) erforderliche Prüfung, ob eine Genehmigung erteilt werden kann, kann jedoch von unmittelbar rechtserheblicher Bedeutung sein, auf welcher Rechtsgrundlage ein Bauvorhaben verwirklicht werden soll. Geht es beispielsweise um die Errichtung eines Wohnhauses auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB (und diese Rechtsgrundlage wäre Rechtsfolge der Ergänzungssatzung), kann ein grundsätzlich zwingender Genehmigungsanspruch in Rede stehen, dem nur die von §§ 112, 113 LWG NRW geschützten Belange entgegenzuhalten sein können, während auf der Grundlage des § 35 BauGB eine Abwägung der durch das Vorhaben möglicherweise beeinträchtigten öffentlichen Belange - unter ihnen die Belange des Hochwasserschutzes - zu erfolgen hat; die Rechtsposition des Bauherrn, der ein nicht im Außenbereich privilegiert zulässiges Vorhaben verwirklichen will, ist aus diesem Grunde vergleichsweise schwächer. Das sich so ergebende Gewicht der Interessen des Bauherrn ist jedenfalls dann von Belang und damit auch von unmittelbarer Bedeutung für die Aufgabenwahrnehmung des Antragstellers, wenn eine Ermessensentscheidung nach § 113 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 LWG NRW zur Frage erforderlich ist, ob eine Genehmigung für die Errichtung einer baulichen Anlage im Überschwemmungsgebiet erteilt werden kann, obwohl Rückhalteraum verloren geht, weil anstelle eines Ausgleichs die Zahlung eines Ersatzgeldes in Betracht kommt. Ist in die Ermessenserwägung einzustellen, ob eine Ausgleichszahlung möglich ist, fordert dies vom Antragsteller vorausschauende Planungen, ob und ggf. welche Maßnahmen (etwa Schaffung von Ersatzretentionsflächen) er unter Verwendung dieser Ausgleichszahlungen sinnvollerweise durchführen kann, um dem Interesse an der Bebauung eines unbeplanten Innenbereichs im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB Rechnung zu tragen.
Die Ergänzungssatzung ist aus einem weiteren Grunde von rechtlicher Beachtlichkeit für den Antragsteller. Die von ihm wahrzunehmenden Aufgaben werden unmittelbar durch die Satzung erschwert. Während die Absätze 1 bis 6 des § 113 LWG von juristischen Personen des öffentlichen Rechts bei eigenen Maßnahmen und Planungen auch ohne förmliche Festsetzung eines Überschwemmungsgebiets grundsätzlich zu beachten sind (vgl. § 113 Abs. 7 Satz 1 LWG NRW), ist dies bei eigenen Maßnahmen und Planungen innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB nicht der Fall (vgl. § 113 Abs. 7 Satz 2 LWG NRW). Es kommen daher dort solche Vorhaben in Betracht, die der Genehmigungspflicht aus § 113 Abs. 1, Abs. 2 LWG NRW nicht unterfallen, gleichwohl aber das Überschwemmungsgebiet in seiner Funktion beeinträchtigen und damit in den Aufgabenbereich des Antragstellers einwirken können.
Die Antragsbefugnis dürfte aus einem weiteren selbständigen Grunde zu bejahen sein. Wie die detaillierten Regelungen des § 113 Abs. 2 und 3 LWG NRW aufzeigen, ist die Erteilung einer Baugenehmigung in einem Überschwemmungsgebiet nicht von vornherein ausgeschlossen. Deshalb wäre der Antragsteller im Sinne einer vorausschauenden Planung gehalten, rechtzeitig Ausgleichsmaßnahmen zu bedenken. Weitere Aufgaben des Antragstellers können beeinträchtigt sein (vgl. etwa die dem Antragsteller gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 ErftVG NRW obliegende Aufgabe, ausgebaute Gewässer in einen naturnahen Zustand zurückzuführen); vertiefender Ausführungen bedarf dies nicht, da die Antragsbefugnis bereits aus den oben genannten Gründen zu bejahen ist.
Ob der Antragsteller daneben auch als juristische Person im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt ist, kann dahinstehen.
Der Antrag ist auch begründet.
Ende der Entscheidung
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