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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 06.03.2006
Aktenzeichen: 7 D 124/05.NE
Rechtsgebiete: PfG NRW, BauNVO, BauGB


Vorschriften:

PfG NRW § 6
BauNVO § 1 Abs. 9
BauNVO § 4
BauGB § 2 Abs. 3
BauGB § 3
BauGB § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
1. Ein zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führender Verfahrensmangel liegt nicht vor, wenn an der Stellungnahme der Bezirksvertretung, der nicht die Mitwirkung im Beteiligungsverfahren nach § 3 BauGB übertragen ist, ein befangener Bezirksvertreter mitwirkt.

2. Die Gemeinde darf dem aus der demografischen Entwicklung abgeleiteten Bedarf an Pflegeplätzen auch dann durch die Planung eines allgemeinen Wohngebiets mit der Zweckbestimmung "Wohn- und Pflegezentrum" Rechnung tragen, wenn eine kommunale Pflegeplanung im Sinne des § 6 PfG NRW noch nicht vorliegt.

3. Mit der Bezeichnung "Wohn- und Pflegezentrum" ist eine in der Lebenswirklichkeit vorhandene Nutzungsform beschrieben, die in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig ist.

4. Ein Fehler in der Ermittlung oder der Bewertung des der Abwägung der von einer Bebauungsplanung berührten Belange zugrundeliegenden Abwägungsmaterials ist nicht beachtlich, wenn der Mangel nicht konkret auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist.


Tatbestand:

Die Antragsteller sind jeweils Eigentümer eines Wohngrundstücks. Sie wandten sich mit dem Normenkontrollantrag gegen die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 160.

Der überplante Bereich ist im Ursprungsplan als öffentliche Grünfläche ("mit weitestgehend natürlicher Entwicklung") festgesetzt. Innerhalb der Grünfläche sieht der Ursprungsplan die Anlage zweier Sportplätze vor; ausweislich der Begründung des Ursprungsplans war die Anlage zweier Kleinspielfelder geplant. Tatsächlich ist eine teils mit Zier- und Nadelgehölzen bewachsene Wiesenfläche vorhanden, im Süden und Westen schließen Grabelandflächen an. Der Bebauungsplan sieht in der Fassung seiner 1. Änderung nunmehr neben Grün- und Ausgleichsflächen ein allgemeines Wohngebiet vor, dessen Zweckbestimmung er mit "Wohn- und Pflegezentrum" kennzeichnet.

Der Normenkontrollantrag hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Bebauungsplan leidet nicht an Form- oder Verfahrensfehlern.

Die Rüge der Antragsteller, der frühere Bezirksvorsteher L. habe an den Entscheidungen der Bezirksvertretung nicht teilnehmen dürfen, ist unerheblich. Das bei der Aufstellung von Bebauungsplänen einzuhaltende Verfahren bestimmt sich, soweit das Baugesetzbuch keine Regelungen trifft, nach Landesrecht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.11.2003 - 4 BN 67.03 -, Buchholz 310, § 37 Abs. 1 VwGO Nr. 20.

Nach Landesrecht wirkt es sich jedoch nicht als Mangel des Bebauungsplans aus, wenn sich die Bezirksvertretung im Bebauungsplanverfahren mit einem Bebauungsplan unter Mitwirkung eines Mitgliedes befasst, das von der Mitwirkung ausgeschlossen war. Die Bezirksvertretung wird im Bebauungsplanverfahren angehört und hat die Möglichkeit eine Stellungnahme abzugeben oder Anregungen vorzutragen (vgl. § 37 Abs. 5 Sätze 1 und 2 GO NRW). Darüber hinaus kann der Rat der Bezirksvertretung das Beteiligungsverfahren nach § 3 BauGB übertragen, § 37 Abs. 5 Satz 4 GO NRW. Der Rat hat der Bezirksvertretung das Beteiligungsverfahren jedoch nicht übertragen. Die Bezirksvertretung war daher auf die Möglichkeit beschränkt, Stellungnahmen und Anregungen zu formulieren. Sie ist deshalb nicht mit einem vorbereitenden Ausschuss zu vergleichen, der auf den Planinhalt wesentlich mit einwirken kann.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 20.9.1983 - 7a NE 4/80 -, NVwZ 1984, 667 und vom 19.11.1996 - 10a D 161/93.NE -.

Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass der Rat der Antragsgegnerin wegen der Stellungnahme der Bezirksvertretung bestimmte abwägungserhebliche Belange nicht oder jedenfalls nicht mit dem ihnen objektiv zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt hat.

Vgl. zur Mitwirkung eines befangenen "Moderators": BVerwG, Beschluss vom 28.12.2005 - 4 BN 40.05 -.

Die nach § 1 Abs. 3 BauGB für eine Bebauungsplanung erforderliche städtebauliche Rechtfertigung ist gegeben.

Der städtebaulichen Rechtfertigung des Bebauungsplans steht nicht entgegen, dass es - wie die Antragsteller behaupten - in D. überhaupt keinen Bedarf für weitere Seniorenpflegeheime geben würde. Die Entscheidung, in welchem Umfang die Gemeinde Flächen für die Errichtung von Pflegeheimen zur Verfügung stellen will, ist - nicht anders als die Bestimmung, welche Gemeindegebietsteile zur Unterbringung von weiteren Wohnungen zur Verfügung gestellt werden sollen - von der Gemeinde nach ihrer städtebaulichen Ordnungsvorstellungen zu entscheiden. Die Grundlagen möglichen Wohnens im Gemeindegebiet zu sichern, ist bedeutsames Anliegen der Städtebaupolitik. Einer zugehörigen Lebensform dienen Pflegeeinrichtungen, deren Sicherung im anteiligen Verhältnis ein nicht minder bedeutsames städtebauliches Ziel ist. Erforderlich ist eine bauleitplanerische Regelung, die diesem Ziel dient, nicht nur dann, wenn sie Entwicklungen, die bereits im Gange sind, in geordnete Bahnen lenkt, sondern auch dann, wenn die Gemeinde die planerischen Voraussetzungen schafft, die es ermöglichen, einer Bedarfslage gerecht zu werden, die sich erst für die Zukunft abzeichnet. Wird mit dem Bebauungsplan das - für sich aus städtebaulichen Gründen ansonsten nicht zu beanstandende - Ziel verfolgt, den Bedarf an Pflegeeinrichtungen zu decken, ist der Plan erst dann unzulässig, wenn er aus zwingenden rechtlichen Gründen vollzugsunfähig ist oder wenn er auf unabsehbare Zeit keine Aussicht auf Verwirklichung hat.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.5.1999 - 4 NB 15.99 -, a.a.O.

Von letzterem kann hier keine Rede sein. Die Antragsteller versuchen, den städtebaulichen Handlungsbedarf der Antragsgegnerin unter Hinweis darauf in Frage zu stellen, dass die Bezirksvertretung von falschen Voraussetzungen deshalb ausgegangen sei, weil sie auf einen Pflegebedarfsplan abgestellt habe, den es seit dem Jahre 2003 gar nicht mehr gebe. Für die Frage, ob ein Bebauungsplan städtebaulich gerechtfertigt ist, kommt es jedoch darauf an, auf welche Erwägungen der Satzungsgeber, das ist hier der Rat der Antragsgegnerin, sich gestützt hat. Der Rat ist - was die Antragsteller auch nicht in Abrede stellen - eben nicht davon ausgegangen, dass sich der Bedarf aus einem im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses geltenden Pflegebedarfsplan ergebe. Er hat vielmehr darauf abgehoben, ein Versorgungsdefizit werde durch "zurückliegende" Pflegebedarfspläne bestätigt. Die Antragsteller bezweifeln, dass es zurückliegende Pflegebedarfspläne gegeben hat. Hierzu haben die Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, das Sozialamt habe aus den ihm vorliegenden Zahlen auf einen entsprechenden Bedarf geschlossen. Worauf die Zahlen des Sozialamtes beruhten, könnten sie allerdings nicht sagen. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat daraufhin nicht in Abrede gestellt, es habe entsprechende Zahlen gegeben. Er hat angezweifelt, dass diese Zahlen für die Annahme eines Bedarfs hinreichend tragfähig gewesen seien. Die Anwendung einer bestimmten Methode zur Auswertung entsprechender Zahlen ist zur städtebaulichen Rechtfertigung des Bebauungsplans jedoch nicht erforderlich gewesen. Letztlich kommt es auch hierauf nicht an. Der Rat der Antragsgegnerin hat nicht nur auf zurückliegende Pflegebedarfspläne, sondern auch auf die demographische Entwicklung abgestellt. Die Einwände der Antragsteller gegen diesen Ansatz verkennen, dass die Gemeinde nicht erst dann berechtigt ist, Vorsorge für einen nicht unwahrscheinlichen Bedarf zu treffen, wenn sich der Bedarf bereits in einem entsprechenden Fehlbestand an Pflegeplätzen niedergeschlagen hat. Die von ihnen der örtlichen Presse entnommenen Baugenehmigungen für die Errichtung weiterer Altenheime sind im Übrigen kein Indiz für einen fehlenden Bedarf, sondern eher ein Beleg für die Einschätzung der verschiedenen Vorhabenträger, die genehmigten Pflegeheime könnten wirtschaftlich betrieben werden. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin den städtebaulichen Handlungsbedarf auch darauf gestützt, dass in den Ortsteilen X, Y und Z keine stationären Pflegeeinrichtungen vorhanden sind. Der Einwand der Antragsteller, der Bedarf habe nicht ortsteilbezogen geprüft werden können, da die jeweiligen Pflegeheimträger den letzten Wohnsitz der Heimbewohner nicht mitteilen würden, ist nicht geeignet, einen städtebaulichen Bedarf ernsthaft in Frage zu stellen. Dass sich aus allen Wohngebieten im Laufe der Zeit ein gewisser Anteil pflegebedürftiger Menschen ergibt, ist selbstverständlich, wie es im Übrigen dem Anliegen vieler insbesondere älterer Menschen entspricht, bei Bedarf einen möglichst nah zum bisherigen Wohnsitz gelegenen Pflegeplatz einnehmen zu können. Das Anliegen einer stadtteilbezogenen, ortsnahen Versorgungsstruktur wird im Übrigen auch in § 1 Abs. 1 Sätze 3 und 4 PfG NRW hervorgehoben. Dass die Antragsgegnerin bereits eine den Bedarf an Pflegeheimen beschreibende kommunale Pflegeplanung im Sinne des § 6 PfG NRW entwickelt hätte, die sie in die Abwägung hätte einstellen müssen, behaupten auch die Antragsteller nicht. Aus dem Pflegegesetz NRW ergeben sich auch keine Beschränkungen der Berechtigung der Antragsgegnerin, bei städtebaulicher Erforderlichkeit eine Bebauungsplanung auch schon dann zu betreiben, wenn eine kommunale Pflegeplanung im Sinne des § 6 PfG NRW noch nicht vorliegt.

Zu den Festsetzungen des Bebauungsplans war die Antragsgegnerin ermächtigt. Das durch die Änderung des Ursprungsbebauungsplans festgesetzte allgemeine Wohngebiet fügt sich in den Zusammenhang der durch den Ursprungsplan festgesetzten angrenzenden (Gemeinbedarfsflächen und) allgemeinen Wohngebiete sowie der anschließenden reinen oder allgemeinen Wohngebiete ein. Für den westlichen Teilbereich des Änderungsplans durfte der Rat der Antragsgegnerin die dort zulässigen baulichen Nutzungen gemäß § 1 Abs. 4 ff. BauNVO auf die festgesetzte Nutzungsmöglichkeit reduzieren. Zu Unrecht weisen die Antragsteller auf § 3 Abs. 4 BauNVO hin, denn festgesetzt ist nicht ein reines Wohngebiet, sondern ein allgemeines Wohngebiet. Der Sache nach wollen die Antragsteller wohl auf den Beschluss des BVerwG vom 25.3.1996 - 4 B 302.95 -, BRS 58 Nr. 56 abheben; in jener Entscheidung hat das BVerwG die Frage differenzierend beantwortet, ob der Wohnbegriff des § 3 BauNVO auch Wohngebäude umfasst, die der Betreuung und Pflege der Bewohner dienen. Um eine solche Problematik geht es hier jedoch nicht. § 1 Abs. 9 BauNVO lässt die Festlegung zu, dass in einem Bebauungsplanbereich nur bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen baulichen Nutzungen zulässig sind. Allerdings fordert eine Feindifferenzierung der zulässigen Art der baulichen Nutzung auf der Grundlage von § 1 Abs. 9 BauNVO eine städtebauliche Begründung, die sich aus der jeweiligen konkreten Planungssituation ergeben muss und geeignet ist, die Abweichung vom normativen Regelfall der Baugebietsausweisung zu rechtfertigen. Das "Besondere" an den städtebaulichen Gründen nach § 1 Abs. 9 BauNVO besteht dabei nicht darin, dass die Gründe von größerem oder im Verhältnis zu § 1 Abs. 5 BauNVO zusätzlichem Gewicht sein müssen. Mit "besonderen" städtebaulichen Gründen nach § 1 Abs. 9 BauNVO ist nur gemeint, dass es spezielle Gründe gerade für eine noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen Nutzung als nach den Abs. 5 bis 8 des § 1 BauNVO geben muss.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.5.1987 - 4 C 77.84 -, BRS 47 Nr. 58.

Darüber hinaus muss es sich bei der zugelassenen Nutzungsart um eine solche handeln, die es in der sozialen und ökonomischen Realität bereits gibt, denn § 1 Abs. 9 BauNVO eröffnet der Gemeinde keine Befugnis, neue Nutzungsarten zu erfinden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.7.1998 - 4 BN 31.98 -, BRS 60 Nr. 29.

Durch die Bezeichnung des zulässigen Vorhabens als "Wohn- und Pflegezentrum" in Verbindung mit der textlichen Festsetzung in § 1 Abs. 1 des Bebauungsplans - wonach ein Seniorenpflegeheim mit Pflegeplätzen und Altenwohnungen zulässig ist -, hat die Antragsgegnerin eine in der Lebenswirklichkeit vorhandene Nutzungsform beschrieben, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Senioren ein Wohnangebot gemacht werden kann, das mit einem Pflegebereich gekoppelt ist, um einen entsprechenden Pflegebedarf befriedigen zu können, ohne dass die Einrichtung gewechselt werden müsste. Es bestehen auch besondere städtebauliche Gründe für die entsprechende Nutzungsdifferenzierung, denn nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass in dem Plangebiet ein den rechtsfehlerfrei angenommenen Bedarf dienendes Vorhaben verwirklicht wird. Beide in dem einen Nutzungstyp vereinte Nutzungsformen sind in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig (und wären dies grundsätzlich auch in einem reinen Wohngebiet, vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO), denn dort sind sowohl Wohngebäude (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) als auch Anlagen für soziale Zwecke (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) allgemein zulässig. Anlagen für soziale Zwecke dienen in einem weiten Sinn der sozialen Fürsorge und der öffentlichen Wohlfahrt. Es handelt sich um Nutzungen, die auf Hilfe, Unterstützung, Betreuung und ähnliche fürsorgerische Maßnahmen ausgerichtet sind. Als typische Beispiele werden Einrichtungen für alte Menschen sowie andere Personengruppen angesehen, die ein besonderes soziales Angebot wahrnehmen wollen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.7.2005 - 4 B 33.05 -, NVwZ 2005, 1186.

...

Der Bebauungsplan genügt jedenfalls im Ergebnis den Anforderungen des § 1 Abs. 7 BauGB.

...

Der Rat der Antragsgegnerin hat allerdings die zu erwartenden Belastungen der Anwohner durch Verkehrslärm nicht in allen Punkten fehlerfrei berücksichtigt. Auf das Ergebnis der Abwägung wirkt sich dies allerdings nicht aus.

Fehlerfrei ist der rechtliche Ansatzpunkt des Rates der Antragsgegnerin, die Zumutbarkeit der Verkehrslärmbelastung an den Orientierungswerten der DIN 18005 auszurichten. Auch ist nicht zu beanstanden, den Verkehrslärm ausgehend von der durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke zu berechnen. Für diese nach dem einschlägigen technischen Regelwerk der RLS 90 erfolgte Berechnung ist unerheblich, ob einzelne Verkehrsgeräusche die rechnerisch ermittelte Lärmdurchschnittsbelastung übersteigen. (wird ausgeführt)

Der Rat ist allerdings von einer Verkehrsvorbelastung von ca. 3500 Kfz./24 Stunden ausgegangen, obwohl dem Inhalt der Bebauungsplanakten (2 Tage vor Satzungsbeschluss) zu entnehmen war, dass die Verkehrsbelastung deutlich niedriger liegt. Das Amt 61/3-1 hatte dargelegt, die werktägliche durchschnittliche Verkehrsbelastung betrage 1700 (und nicht 3500) Kfz./24 h. Im Verhältnis zur geringer anzunehmenden Verkehrsvorbelastung steigt die Bedeutung des Mehrverkehrs. Es ergibt sich nach den Berechnungen der Antragsgegnerin nachts eine Verkehrslärmzunahme von 0,7 dB(A).

Der Rat ist in einem weiteren Punkt von einem fehlerhaften Sachverhalt ausgegangen. Der Rat der Antragsgegnerin hat den nicht durch den Ursprungsplan als allgemeines Wohngebiet überplanten Bereich der Grundstücke der Antragsteller einem faktischen allgemeinen Wohngebiet zugeordnet, obwohl jedenfalls die Grundstücke I.-weg durch einen Bebauungsplan einem reinen Wohngebiet zugeordnet sind, wie die Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt haben. Auch auf dieser Grundlage ergibt sich zugunsten der Antragsteller im Ergebnis nichts anderes. Die vorstehend genannten Mängel führen nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans.

Die Erwägungen des Rats der Antragsgegnerin sind demnach insoweit fehlerhaft, als er die berührten Belange, nämlich das Ausmaß der Verkehrslärmzunahme nicht zutreffend ermittelt und ferner die Schutzbedürftigkeit der Grundstücke der Antragsteller fehlerhaft bewertet hat, soweit ihre Grundstücke einem reinen Wohngebiet zuzurechnen sind. Die hierin liegenden Ermittlungs- und Bewertungsfehler sind gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB jedoch nur dann beachtlich, wenn die berührten Belange der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen ist. Jedenfalls sind die Mängel hier auf das Ergebnis des Verfahrens nicht von Einfluss gewesen.

Für die Frage, ob ein Mangel im Abwägungsvorgang auf das Abwägungsergebnis "von Einfluss gewesen" ist, ist eine konkrete Betrachtungsweise anzustellen; eine bloße - abstrakte - Vermutung genügt nicht. Eine solche konkrete Möglichkeit besteht nach der Rechtsprechung des BVerwG immer dann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände die Möglichkeit abzeichnet, dass der Mangel im Abwägungsvorgang von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.1.1995 - 4 NB 43.93 -, BRS 57 Nr. 22.

Nichts anderes gilt für die nunmehr dem Verfahrensbereich zugeordneten Ermittlungs- und Bewertungsmängel im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB n. F.

Es ergibt sich im vorliegenden Fall weder anhand der Planunterlagen noch sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände die konkrete Möglichkeit, dass die Ermittlungs- und Bewertungsmängel auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen sind. Zwar hat der Rat der Antragsgegnerin ausweislich der Bebauungsplanbegründung zur Grundlage seiner Erwägungen gemacht, welcher Nachtwert der maßgebende sei; er hat auf die Orientierungswerte der DIN 18005, und zwar auf den im Beiblatt 1 zu DIN 18005, Nr. 1.1 Satz 2 b genannten Orientierungswert abgestellt, der mit 45 dB(A) nachts für ein allgemeines Wohngebiet anzunehmen ist. Die sich aus der Vorbelastung ergebende Überschreitung um ca. 2 dB(A) liege noch im Toleranzbereich. Muss entgegen diesem Ausgangspunkt der rechtlichen Einschätzung nicht von einem Orientierungswert von 45 dB(A) nachts, sondern entsprechend Nr. 1.1 Satz 2 a Beiblatt 1 zur DIN 18005 von dem Orientierungswert von 40 dB(A) nachts für ein reines Wohngebiet ausgegangen werden, ist der Orientierungswert durch die vom Rat angenommene Vorbelastung nicht nur um ca. 2 dB(A), sondern um ca. 4 dB(A) überschritten. Die Vorbelastung selbst ist grob 3 dB(A) niedriger, da das tatsächliche Verkehrsaufkommen um etwa die Hälfte niedriger liegt als angenommen; der Orientierungswert liegt um 5 dB(A) höher. Die sich danach ergebende Überschreitung des Orientierungswertes von rund 4 dB(A) dürfte auf Grundlage des Vortrags der Antragsteller noch niedriger anzunehmen sein. Denn sie behaupten, die S.-straße werde derzeit als "Schleichweg" genutzt, was nach Fertigstellung des S. Tunnels nicht der Fall sein werde. Die Erwägungen des Rates sind jedoch ausgehend von der Verkehrsbelastung wesentlich darauf gestützt, die Zunahme der Verkehrslärmbelastung sei deshalb zumutbar, weil das durch das Vorhaben ausgelöste Verkehrsaufkommen selbst sehr gering sei und weil es nicht zu unzumutbaren Belastungen bzw. (einer) Erhöhung der Lärmwerte führen werde. Die Zumutbarkeit der Verkehrsbelastung ist wiederum damit begründet, die Steigerung des Verkehrslärms durch einen Mehrverkehr von ca. 5,1 % sei vom menschlichen Ohr nicht wahrzunehmen, eine solche Situation trete erst bei einer Verdoppelung der Verkehrsmenge auf.

Der Rat der Antragsgegnerin hat auf Grundlage einer als insgesamt städtebaulich vertretbar angesehenen Ausgangssituation den durch die Einrichtung ausgelösten Mehrverkehr demnach letztlich deshalb als zumutbar angesehen, weil das hinzutretende Verkehrsaufkommen seiner absoluten Größenordnung nach unbedeutend sei. Selbst wenn die Zahl anzunehmender Verkehrsbewegungen um ein gewisses Maß über 138 Kfz/Tag liegen sollte, wie die Antragsteller erwarten, ergibt sich keine über grob 10% hinausgehende Zunahme des Verkehrsaufkommens. Auch unter Berücksichtigung eines nicht gleichmäßig über den Tag verteilten Verkehrsaufkommens (Schichtwechsel) ist mit einer solchen durch ein Wohn- und Pflegezentrum ausgelösten Verkehrsentwicklung auf einer Wohnsammelstraße ohne Weiteres zu rechnen. Auch die weitere Erwägung des Rates, die Verkehrsentwicklung sei auch deshalb hinzunehmen, weil es nicht zu einer hörbaren Zunahme der Verkehrsbelastung komme, ist im Ergebnis weiterhin zutreffend, auch wenn sich nachts eine Verkehrslärmzunahme nicht nur um 0,5 dB(A), sondern - wie durch die überschlägige Berechnung der Antragsgegnerin bestätigt wird - von 0,7 dB(A) ergibt.

Vgl. zur Zumutbarkeit von Lärmerhöhungen: Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, 3. Aufl., Rdnr. 292.

In dieser Situation besteht kein konkreter Anhalt für die Annahme, das Ergebnis des Verfahrens wäre anders ausgegangen, hätte der Rat die Häuser der Antragsteller einem reinen Wohngebiet zugeordnet. Den Orientierungswerten der DIN 18005 kommt keine abschließende Aussagekraft zu. Welcher Lärm noch zumutbar ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit. Die Schutzwürdigkeit wird dabei vor allem durch den jeweiligen Gebietscharakter und durch eine planerische oder tatsächliche Vorbelastung bestimmt. Auch die Art des Lärms - etwa der Lärm von Gewerbebetrieben im Unterschied zum Lärm des Straßenverkehrs - kann von Bedeutung sein. Im Rahmen dieser tatrichterlichen Bewertung kann auch die DIN 18005 als "Orientierungshilfe" oder als "grober Anhalt" herangezogen werden. Da die Werte der DIN 18005 lediglich eine Orientierungshilfe für die Bauleitplanung sind, darf von ihnen abgewichen werden. Entscheidend ist, ob die Abweichung im Einzelfall noch mit dem Abwägungsgebot vereinbar ist. Auch der zulässige Grad der Abweichung richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Eine Überschreitung des Orientierungswerts für Wohngebiete um 5 dB(A) kann das Ergebnis einer gerechten Abwägung sein.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.12.1990 - 4 N 6.88 -, BRS 50 Nr. 25.



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