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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.09.2005
Aktenzeichen: 7 D 21/04.NE
Rechtsgebiete: ROG, BauGB


Vorschriften:

ROG § 3 Nr. 2
BauGB § 1 Abs. 4
1. Zur Qualifizierung eines im Gebietsentwicklungsplan als Eignungsbereich für Windenergieanlagen festgelegten Bereichs als Ziel der Raumordnung.

2. Überplant die Gemeinde einen solchen Bereich mit einem Bebauungsplan in einer Weise, die die vom Gebietsentwicklungsplan eingeräumten Spielräume zur konkretisierenden Feinsteuerung der Eignungsvorgabe weit überschreitet, ist der Bebauungsplan wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 4 BauGB unwirksam.


Tatbestand:

Die Antragstellerin wandte sich gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin, weil dieser Plan die Errichtung von Windkraftanlagen in Bereichen ausschließt, in denen die Antragstellerin solche Anlagen errichten möchte.

Der Bebauungsplan erfasst einen Bereich im Süden des Gemeindegebiets der Antragsgegnerin, der im Gebietsentwicklungsplan (GEP) Regierungsbezirk M. als Bereich mit Eignung für die Nutzung erneuerbarer Energien - Windkraft dargestellt ist.

Für seinen Geltungsbereich von insgesamt rd. 130 ha weist der Bebauungsplan ein sonstiges Sondergebiet "Landwirtschaft/Windkraftanlagen" mit einer Größe von rd. 12 ha aus. Außerhalb des Sondergebiets sind für das Plangebiet Windenergieanlagen für nicht zulässig erklärt.

Der Bebauungsplan wurde vom OVG für unwirksam erklärt.

Gründe:

Der zulässige Normenkontrollantrag ist auch begründet.

Der Bebauungsplan der Antragsgegnerin ist schon deshalb ungültig und daher für unwirksam zu erklären, weil er gegen § 1 Abs. 4 BauGB verstößt.

Nach der genannten Vorschrift sind die Bauleitpläne der Gemeinden - mithin auch Bebauungspläne - den Zielen der Raumordnung anzupassen. Dieses Anpassungsgebot ist hier verletzt, weil die Festlegung des Eignungsbereichs im GEP als Ziel der Raumordnung zu qualifizieren ist und der hier strittige Bebauungsplan nicht in Einklang mit den bindenden Vorgaben dieser Zielfestlegung steht.

Dass die im GEP festgelegten Eignungsbereiche als Ziele der Raumordnung zu qualifizieren sind, so dass ihnen neben der Steuerungsfunktion nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB untrennbar zugleich auch Bindungswirkung für die kommunale Bauleitplanung nach § 1 Abs. 4 BauGB zukommt, folgt daraus, dass die im GEP festgelegten Eignungsbereiche - mithin auch der hier interessierende Eignungsbereich - alle höchstrichterlich geklärten Voraussetzungen für das Vorliegen eines Ziels der Raumordnung - vgl. hierzu bereits: BVerwG, Beschluss vom 20.8.1992 - 4 NB 20.91 -, BVerwGE 90, 329 = BRS 54 Nr. 12 - im Sinne der nunmehr maßgeblichen Legaldefinition des § 3 Nr. 2 ROG erfüllen. Die Festlegungen der Eignungsbereiche sind räumlich und sachlich hinreichend bestimmt. Sie sind nach Nr. 1 der textlichen Darstellungen des GEP "zur Verwirklichung der landesplanerisch angestrebten Konzentration der Raumnutzungen" erlassen und dienen damit der Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Schließlich handelt es sich bei ihnen auch um abschließend abgewogene Festlegungen, die als planerische Letztentscheidung auf der Ebene der Regional- bzw. Gebietsentwicklungsplanung erfolgt sind und die Zulässigkeit raumbedeutsamer Vorhaben zur Windenergienutzung steuern sollen.

Auf Grund dessen kommt den Festsetzungen der Eignungsbereiche Bindungswirkung nach dem Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB zu, das auf eine dauerhafte Übereinstimmung der beiden Planungsebenen der Regionalplanung einerseits und der kommunalen Bauleitplanung andererseits abzielt.

Vgl.: BVerwG, Urteil vom 17.9.2003 - 4 C 14.01 -, BRS 66 Nr. 1 (S. 11).

Allerdings sind die Festlegungen der Eignungsbereiche einer planerischen Konkretisierung durch die Antragsgegnerin zugänglich. So lässt der GEP durchaus räumliche Korrekturen der Eignungsbereiche zu, sofern sie sich entsprechend den Erläuterungen zum GEP an der "allgemeinen Größenordnung und annähernden räumlichen Lage" der festgelegten Eignungsbereiche orientieren. Auch bei der internen Konkretisierung der Bereiche gibt der GEP nicht etwa vor, dass in den Eignungsbereichen gleichsam flächendeckend Standorte für Windkraftanlagen vorzusehen sind. So wurde die Eignung der betroffenen Bereiche in Kenntnis des Umstands festgelegt, dass in ihnen zahlreiche verstreute Außenbereichsnutzungen vorhanden sind, die zu Wohnzwecken genutzt werden und damit vor unzumutbaren Immissionen geschützt werden müssen. Auch stellen die Erläuterungen bezogen auf den Schutz von Wald klar, dass im Rahmen der Gebietsentwicklungsplanung nur der Schutz der größeren geschlossenen Waldbereiche berücksichtigt worden sei und, sofern im Einzelfall kleinere Waldbereiche von Eignungsbereichen überlagert würden, diese in den nachfolgenden Planungsstufen zu sichern seien. Insgesamt hat der Träger der Regionalplanung den Gemeinden hiernach auch einen planerischen Spielraum überlassen, bei ihren nachfolgenden Konkretisierungen der Eignungsbereiche die nicht geprüften Schutzanforderungen erstmals sachgerecht zu berücksichtigen.

Die nach alledem vom Träger der Regionalplanung der Antragsgegnerin eingeräumten Planungsspielräume hat diese jedoch missachtet. Der strittige Bebauungsplan stellt keine mit der Bindungswirkung des § 1 Abs. 4 BauGB noch zu vereinbarende Konkretisierung der regionalplanerischen Vorgaben durch eine zulässige Feinsteuerung auf der nachfolgenden Ebene der verbindlichen gemeindlichen Bauleitplanung dar.

Die Antragsgegnerin hat sich bei ihrer abschließenden Beschlussfassung über den hier strittigen Bebauungsplan nicht etwa darauf beschränkt, die im GEP festgelegten Eignungsbereiche grundsätzlich zu respektieren und mit ihrer Bebauungsplanung eine zusätzliche Feinsteuerung unter den Aspekten der Standortplanung, der Gestaltung und der Einfügung in das Landschaftsbild vorzunehmen, wie bei Einleitung des Aufstellungsverfahrens und im Rahmen der seinerzeit betriebenen Flächennutzungsplanung noch beabsichtigt war. Sie hat im weiteren Ablauf des Aufstellungsverfahrens für den strittigen Bebauungsplan vielmehr räumlich begrenzt auf das dem Eignungsbereich entsprechende Plangebiet nochmals eine umfassende Prüfung angestellt, ob und in welchem Umfang dieses Gebiet nach den von ihr als sachgerecht angesehenen eigenen planerischen Kriterien überhaupt für eine Windkraftnutzung geeignet ist. (wird ausgeführt)

Diese Darlegungen in der Begründung des Bebauungsplans manifestieren bereits das offensichtliche Missverständnis der Bindungswirkungen des § 1 Abs. 4 BauGB, dem die Antragsgegnerin unterlegen ist. Sie hat sich als berechtigt angesehen, die auf regionalplanerischer Ebene im Sinne einer abschließend abgewogenen verbindlichen Letztentscheidung getroffene Festlegung, dass der betreffende Bereich - vorbehaltlich der vom Plangeber des GEP ausdrücklich eingeräumten Möglichkeit zu nachfolgenden Konkretisierungen der Eignungsbereiche im Hinblick auf nicht geprüfte Schutzanforderungen - grundsätzlich für Windenergienutzungen geeignet ist, nochmals räumlich begrenzt auf den Eignungsbereich einer eigenständigen Prüfung dahin zu unterziehen, ob und in welchen räumlichen Umfang diese Eignung nach ihren planerischen Vorstellungen letztlich überhaupt bejaht werden kann.

Die Antragsgegnerin hat damit die Bindungen des § 1 Abs. 4 BauGB schon vom Ansatz her verkannt. Der Bebauungsplan ist gerade nicht, wie in der Begründung des Bebauungsplans ausgeführt wird, "auch hinsichtlich des 'Eignungsbereichs für erneuerbare Energien/Windkraft' an den GEP angepasst". Das Gegenteil ist vielmehr der Fall.

Der Verstoß gegen § 1 Abs. 4 BauGB wird schon daran deutlich, dass die Antragsgegnerin in dem vorliegenden, dem Eignungsbereich entsprechenden Bebauungsplan die letztlich für Windkraftanlagen zulässigerweise nutzbaren Bereiche derart eingeschränkt hat, dass lediglich in noch nicht einmal 10 % des Plangebiets solche Anlagen zugelassen werden können. Bereits wegen dieser geringen Größenordnung des ausgewiesenen Sondergebiets "Landwirtschaft/Windenergieanlagen" kann auch nicht ansatzweise die Rede davon sein, dass sich die strittige Planung gemäß den Vorgaben des GEP an der "allgemeinen Größenordnung und annähernden räumlichen Lage" der festgelegten Eignungsbereiche orientieren würde.

Auch die von der Antragsgegnerin berücksichtigten Ausschlusskriterien sind mit der Eignungsvorgabe des GEP nicht vereinbar.

Zwar ist im GEP - wie dargelegt - nicht konkret berücksichtigt worden, dass in den festgelegten Eignungsbereichen zahlreiche verstreute Außenbereichsnutzungen vorhanden sind, die zu Wohnzwecken genutzt werden und damit vor unzumutbaren Immissionen geschützt werden müssen. Die insoweit erforderlichen Schutzabstände hätte die Antragsgegnerin mithin zum Anlass nehmen können, im Bebauungsplan die Standorte der zulässigen Windkraftanlagen so festzusetzen, dass der erforderliche Schutz vor unzumutbaren Immissionen, namentlich durch Lärm, sicher gewahrt wird. Darauf hat sie sich jedoch nicht beschränkt. Sie hat sich vielmehr als berechtigt angesehen, auch im hier regionalplanerisch vorgegebenen Eignungsbereich ihre Planung auf "vorbeugenden Immissionsschutz" auszurichten, und dementsprechend um jedes Gebäude mit Wohnnutzungen einen Abstandskreis von 500 m geschlagen. Solche Abstände sind nach den einschlägigen Erkenntnissen regelmäßig nicht erforderlich, um bei Windkraftanlagen - auch des neueren hohen Typs - die Schutzmaßstäbe für Außenbereichsbebauung zu wahren. Sie lassen vielmehr die regionalplanerisch gewollte und mit bindender Wirkung für die Antragsgegnerin festgelegte Eignung des Bereichs für Windenergienutzung weitgehend oder gar vollständig obsolet werden.

Der Eignungsfestlegung offensichtlich zuwider läuft zumindest auch der nach der Begründung des Bebauungsplans angesetzte generelle Abstand von 100 m zu Wald. Im Rahmen der Gebietsentwicklungsplanung ist - wie dargelegt - der Schutz größerer geschlossener Waldbereiche bereits berücksichtigt worden, so dass hier allenfalls kleinere Waldbereiche noch näher in den Blick zu nehmen waren. Dass zum Schutz solcher kleinen Waldflächen 100 m breite Streifen erforderlich sind, ist auch nicht ansatzweise erkennbar. Soweit nach den Ausführungen in der Begründung des Bebauungsplans nur durch einen solchen großen Schutzabstand gewährleistet werden könne, "dass die historisch in der Landschaft gewachsenen Dimensionen und Maßstäbe nicht durch die technogenen Strukturen verdrängt werden", laufen diese Erwägungen der regionalplanerisch bindend vorgegebenen Eignungsfestlegung zuwider.

Auch an diesen beiden Beispielen wird deutlich, dass die Antragsgegnerin die ihr vom GEP eingeräumten Spielräume zur konkretisierenden Feinsteuerung der Eignungsvorgabe weit überschritten und damit die raumordnerische Eignungsfestlegung in einer mit den Bindungen nach § 1 Abs. 4 BauGB nicht mehr zu vereinbarenden Weise konterkariert bzw. ausgehöhlt hat.

Zu Letzterem vgl.: Gaentzsch in Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., Stand: August 2002, § 1 RdNr. 32.

Erweist sich nach alledem der strittige Bebauungsplan bereits wegen Verstoßes gegen §1 Abs. 4 BauGB als ungültig, kann letztlich dahinstehen, ob der Bebauungsplan auch an weiteren durchgreifenden Mängeln leidet.

Ende der Entscheidung

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