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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 08.03.2006
Aktenzeichen: 8 A 1117/05
Rechtsgebiete: StVZO


Vorschriften:

StVZO § 52 Abs. 3
StVZO § 70
1. Wird innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ein (gegenüber dem ursprünglichen Begehren) eingeschränkter Berufungsantrag gestellt, liegt darin weder eine teilweise Berufungsrücknahme noch eine teilweise Klagerücknahme, sondern eine von vorneherein beschränkt eingelegte Berufung.

2. Ein Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, ein Kraftfahrzeug für eilige Bluttransporte mit Blaulicht ausstatten zu dürfen, darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die wenigen auf den Einsatz von Blaulicht angewiesenen eiligen Bluttransporte könnten durch rechtmäßig mit Blaulicht ausgestattete Fahrzeuge durchgeführt werden, wenn tatsächlich am Standort einer Blutbank kein mit Blaulicht ausgestattetes Fahrzeug rund um die Uhr einsatzbereit ist, das den neuen normativen Qualitätsanforderungen entspricht.


Tatbestand:

Die Klägerin ist ein unter anderem auf Blut- und Organtransporte spezialisiertes Unternehmen, das eine Niederlassung im Gebäude des Instituts für Transfusionsmedizin Ostwestfalen-Lippe des DRK-Blutspendedienstes West in Bad Salzuflen betreibt. Sie setzt für den Bluttransport Spezialcontainer ein, die die lückenlose Dokumentation der Transportbedingungen mit Dataloggern ermöglichen. Sie beantragte die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 i.V.m. § 52 Abs. 3 StVZO, um einen für den Bluttransport ausgerüsteten Pkw mit einer Sondersignaleinrichtung für blaues Blinklicht versehen zu dürfen.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin ab. Sie stellte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung im Kern darauf ab, dass Blutkonserven in der Mehrzahl der Fälle mit Regeltransporten ohne Sondersignale transportiert würden. Sofern in Notfällen Blutpräparate zu befördern seien, sei dies von bereits nach § 52 Abs. 3 StVZO anerkannten Kraftfahrzeugen wahrzunehmen. Das VG wies die dagegen nach erfolglosem Widerspruchsverfahren gerichtete Klage ab.

Im zweitinstanzlichen Verfahren teilte die Beklagte mit, im Regierungsbezirk Detmold, in dem Bad Salzuflen liege, würden Notfalltransporte von Blutkonserven in erster Linie vom Regionalverband des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) durchgeführt. Monatlich würden zwischen acht und zehn solcher Transporte von den Blutbanken im Umfeld notwendig. Nach Einschätzung aller Blutbanken müsse der Fahrdienst, wenn er überhaupt erforderlich sei, vor Ort unmittelbar zu jeder Tageszeit zur Verfügung stehen, damit durch den Einsatz von Blaulicht Zeit eingespart werden könne.

Der ASB gab an, seine mit Blaulicht ausgestatteten fünf Fahrzeuge würden als Einsatz- und Kommandofahrzeuge bzw. Notarzt-Einsatzfahrzeuge vorgehalten und eingesetzt. Vier von ihnen seien in die Gefahrenabwehr der Stadt Bielefeld, eines in die des Kreises H. eingebunden. An der Dienststelle in Bad Salzuflen würde nur tagsüber für etwa zwölf Stunden eines der Blaulichtfahrzeuge aus Bielefeld vorgehalten, aber nicht nachts.

Auf die vom OVG zugelassene Berufung wurde die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags der Klägerin verpflichtet.

Gründe:

A. Soweit die Klägerin einen gegenüber dem ursprünglichen Begehren (Blaulicht für zwei Fahrzeuge) eingeschränkten Berufungsantrag (Blaulicht für nur ein Fahrzeug) gestellt hat, liegt darin weder eine teilweise Berufungsrücknahme noch eine teilweise Klagerücknahme, sondern eine von vorneherein beschränkt eingelegte Berufung. Nach § 124 a Abs. 3 VwGO muss der Berufungsführer erst vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist verbindlich entscheiden, welches - im Antrag konkret bestimmte - Ziel er mit seinem Rechtsmittel verfolgen will. Weder eine Berufungseinlegung noch ein Zulassungsantrag oder die Zulassung durch das OVG haben die Bedeutung eines unbeschränkten Berufungsantrags. Die Notwendigkeit einer gesonderten Berufungsbegründungsschrift verlangt vielmehr eine eigenständige und aktualisierte rechtliche Durchdringung des Streitstoffs sowie die Prüfung, in welchem Umfang die zugelassene Berufung durchgeführt werden soll.

Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 a Rn. 97 m.w.N.

B. Die Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag (I.). Ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Ausnahmegenehmigung steht ihr dagegen nicht zu (II.).

I. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO für die Ausstattung eines Fahrzeugs mit blauem Rundumlicht und Einsatzhorn, für die die Beklagte als höhere Verwaltungsbehörde zuständig ist (vgl. § 68 StVZO, § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Bestimmung der zuständigen Behörden nach der StVZO vom 6.1.1999, GV. NRW. S. 32, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.4.2005, GV. NRW. S. 332).

Die Klägerin bedarf einer Ausnahmegenehmigung, um ihr Bluttransportfahrzeug mit blauem Blinklicht ausstatten zu dürfen (1.). Die Erteilung der begehrten Ausnahmegenehmigung liegt im behördlichen Ermessen, auf dessen fehlerfreie Ausübung die Klägerin einen Anspruch hat (2.). Dieses Ermessen hat die Beklagte noch nicht gemäß § 114 Satz 1 VwGO fehlerfrei ausgeübt (3.).

(vom Abdruck der Ausführungen unter 1. und 2. wird abgesehen, weil diese denen aus der vollständig dokumentierten Parallelentscheidung 8 A 5229/04 entsprechen)

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte die von der Klägerin begehrte Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO ermessensfehlerhaft abgelehnt. Die für die Ablehnungsentscheidung angeführte Begründung, andere ohnehin rechtmäßig mit Blaulicht ausgestattete Fahrzeuge könnten erforderliche Notfallbluttransporte durchführen, beruht auf unzutreffenden Annahmen. Das gilt sowohl bezogen auf den Zeitpunkt der zunächst für die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung maßgeblichen letzten Behördenentscheidung als auch bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, in der der Vertreter der Beklagten an der Entscheidung auch im Hinblick auf die aktuelle Situation ausdrücklich festgehalten hat. In Bad Salzuflen, von wo aus das Fahrzeug der Klägerin eingesetzt werden soll, müssen seit der Eröffnung des dortigen Instituts des Blutspendedienstes West Anfang 2003 ständig für den Bluttransport geeignete Blaulichtfahrzeuge einsatzbereit sein (a). Dies ist aber nicht der Fall. Dort stehen nicht genügend ohnehin rechtmäßig mit Blaulicht ausgestattete ständig einsatzbereite Fahrzeuge zur Verfügung, die Blut unter Beachtung der dafür bestehenden rechtlichen Anforderungen transportieren können (b).

a) (...) Unabhängig von der genauen Zahl der Notfalltransporte, die an Institutsstandorten des Blutspendedienstes jeweils erforderlich werden, muss für diese Fälle ständig ein für Bluttransporte geeignetes Blaulichtfahrzeug verfügbar sein. (...) Danach ist es erforderlich, dass in Bad Salzuflen dauernd zumindest ein Blaulichtfahrzeug vorgehalten wird, das ordnungsgemäß für den Bluttransport ausgestattet ist. Denn in Bad Salzuflen befindet sich das zentrale Institut des DRK-Blutspendedienstes West für den weiträumigen Bereich des Regierungsbezirks Detmold.

b) Der danach bestehende Bedarf nach zumindest einem ständig einsatzbereiten für den Bluttransport geeigneten Blaulichtfahrzeug wird jedoch in Bad Salzuflen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - anders als die Beklagte meint - nicht gedeckt.

Insoweit kann es nicht genügen, dass der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) über Blaulichtfahrzeuge verfügt, die nach seinen Angaben zum Bluttransport geeignet sind, aber nicht in den Rettungsdienst oder die Gefahrenabwehr im Kreis Lippe, sondern in Bielefeld eingebunden sind und von denen nach den Angaben des Zeugen T. jeweils eins nur tagsüber, aber nicht nachts an der Nebenstelle in Bad Salzuflen verfügbar und mit einem Fahrer besetzt ist. Da es damit bereits an der erforderlichen ständigen Einsatzbereitschaft eines Blaulichtfahrzeugs des ASB fehlt, das für den Bluttransport geeignet ist, muss der von der Klägerin aufgeworfenen Frage nicht weiter nachgegangen werden, ob die Fahrzeuge des ASB tatsächlich, wie von diesem angegeben, als Notarzt-Einsatzfahrzeuge im Sinne von § 3 Abs. 2 RettG NRW gemäß § 13 Abs. 1 RettG NRW im Rettungsdienst in Bielefeld mitzuwirken haben oder dort gemäß § 18 Abs. 1 und 3 FSHG Teile "einsatzbereiter Einheiten" darstellen und deshalb ihr Blaulicht rechtmäßig führen.

Nicht ausreichend zur Deckung des oben unter a) angeführten Bedarfs nach einer ständigen Einsatzbereitschaft am Standort des Instituts des Blutspendedienstes in Bad Salzuflen ist für die Nachtzeit die ständige Einsatzbereitschaft eines geeigneten Blaulichtfahrzeugs in Bielefeld Dies wird durch das von der Klägerin angeführte nachvollziehbare Beispiel eines eiligen Bluttransports von Bad Salzuflen nach Detmold bestätigt, der schneller durch einen unverzüglich beginnenden Normaltransport als durch einen Blaulichteinsatz eines in Bielefeld stationierten Fahrzeugs des ASB erfolgen könne. Derartige jedenfalls nachts in Bielefeld beginnende Blaulichteinsätze zum Transport von Blutprodukten aus Bad Salzuflen nicht nur nach Detmold, sondern auch zu anderen Klinikstandorten im recht weitläufigen Regierungsbezirk Detmold ermöglichen gerade nicht die angestrebte und unter Umständen lebensrettende Zeitersparnis, die auch aus Sicht des Verordnungsgebers geboten ist. In solchen Fällen werden Sonderrechte zudem länger als unbedingt erforderlich eingesetzt, wodurch sich zugleich das Risiko eines schweren Unfalls während der Einsatzfahrt erhöht. Damit steht die Sinnhaftigkeit von Blaulichteinsätzen, die in Bad Salzuflen benötigt werden, aber nachts stets von Bielefeld aus starten, insgesamt in Frage.

Soweit sich die Beklagte auf die Möglichkeit bezogen hat, auch Fahrzeuge der Feuerwehr könnten in Notfällen Bluttransporte übernehmen, fehlt es diesen an der für Bluttransporte erforderlichen Ausstattung und an Personal, das diesbezüglich hinreichend geschult ist. Die Feuerwehren im Kreis Lippe - und damit auch die Feuerwehr in Bad Salzuflen - sind nach Mitteilung der Beklagten bisher nicht mit Bluttransporten beauftragt worden. Der Klägerin ist von der Rettungsleitstelle des Kreises Lippe gleichfalls mitgeteilt worden, die Feuerwehren könnten und würden derartige Transporte nicht durchführen. Dementsprechend hat auch der zuständige dortige Dezernent auf eine telefonische Anfrage des Berichterstatters mitgeteilt, die Feuerwehr und der Rettungsdienst hätten bisher keine Notfallbluttransporte durchgeführt. Die Fahrer seien dafür nicht geschult. Durch solche Fahrer, die noch nie Bluttransporte durchgeführt haben und dementsprechend auch nicht mit den erforderlichen Transportbedingungen vertraut sind, ist nicht gesichert, dass die in den Qualitätssicherungssystemen der Krankenhäuser und Blutspendeeinrichtungen schriftlich festgelegten Verfahrensanweisungen für den Bluttransport befolgt werden. Unerheblich ist, ob der Rettungsdienst oder die Feuerwehr anlässlich dieses gerichtlichen Verfahrens künftig beabsichtigen sollten, auch Bluttransporte zu übernehmen. Zunächst bedarf es einer Schulung der damit befassten Fahrer über die Qualitätssicherungsanforderungen und der Bereitstellung geeigneter Fahrzeuge mit Kühleinrichtungen, die einen Bluttransport unter validierten Bedingungen ermöglichen.

Danach ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass derzeit auch nur ein einziges Blaulichtfahrzeug in Bad Salzuflen ständig einsatzbereit ist, das in den Rettungsdienst oder die Gefahrenabwehr des Kreises Lippe eingebunden und rechtmäßig mit Blaulicht ausgestattet ist, über geeignete Kühleinrichtungen verfügt und mit einschlägig geschultem Personal besetzt ist.

Unzureichend ist die Möglichkeit, dass Fahrzeuge der Feuerwehr oder der Polizei die Bluttransportfahrzeuge der Klägerin in Notfällen mit Blaulicht begleiten. Denn dadurch allein würden dem Fahrzeug der Klägerin keine Sonderrechte im Verkehr verliehen, die es ihr gestatteten, beispielsweise einem Einsatzwagen der Polizei über eine rote Ampel zu folgen.

II. Das behördliche Ermessen ist allerdings nicht dahingehend auf Null reduziert, dass nur noch die Erteilung der begehrten Ausnahmegenehmigung an die Klägerin ermessensfehlerfrei wäre. Auch wenn der Klägerin die Ausnahmegenehmigung aufgrund der besonderen örtlichen Umstände nicht wegen bereits vorhandener Blaulichtfahrzeuge versagt werden darf, besteht ein Ermessensspielraum zumindest noch insoweit, ob gerade der Klägerin oder einem möglichen anderen Interessenten, der bereits jetzt geeignete Fahrzeuge mit geschultem Personal rund um die Uhr vorhalten kann, eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, damit für Notfälle ständig wenigstens ein geeignetes Fahrzeug zur Verfügung steht.

Insoweit kommt insbesondere der ASB in Betracht, der jedenfalls tagsüber Notfallfahrten unter Einsatz von Sonderrechten schon bisher übernommen hat und über eine Dienststelle in Bad Salzuflen verfügt. Zumindest dann, wenn er entgegen seiner bisherigen Einschätzung wegen des vom Senat oben unter I.3.a) angenommenen auch nächtlichen Bedarfs nunmehr erwägen sollte, künftig rund um die Uhr in Bad Salzuflen ein Blaulichtfahrzeug einzusetzen, wird die Beklagte anhand sachgerechter Auswahlkriterien entscheiden müssen, ob der Klägerin oder dem ASB oder beiden eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden soll. Denn für einen ständigen Einsatz eines Blaulichtfahrzeugs in Bad Salzuflen bedürfte auch der ASB, weil und solange seine Fahrzeuge nicht in den Rettungsdienst oder die Gefahrenabwehr im Kreis Lippe eingebunden sind, ebenso einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 StVZO wie die Klägerin. Diese hat der ASB bisher aber nur deshalb nicht beantragt, weil er seine Einsatzbereitschaft tagsüber mit Blaulichtfahrzeugen aus Bielefeld hergestellt hat und von sich aus eine nächtliche Besetzung der Dienststelle in Bad Salzuflen nicht für erforderlich gehalten hat. Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch der ASB, der eigens für den Bluttransport eine Dienststelle in Bad Salzuflen eröffnet hat, im Hinblick auf diese Entscheidung ein Interesse an der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für ein dort ständig einsatzbereites Fahrzeug hat. Dieses wäre gegebenenfalls von der Beklagten bei ihrer Ermessensentscheidung mit zu berücksichtigen. Die Beklagte wird ferner als einen Gesichtspunkt zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen haben, dass diese mit ihrer Niederlassung im Gebäude des Blutspendedienstes in besonderer Weise die Gewähr dafür bietet, erforderliche eilige Bluttransporte mit Blaulichteinsatz ohne Zeitverlust aufnehmen zu können und das Blaulicht daher nicht länger als unbedingt nötig verwenden zu müssen.

Darüber hinaus ist es der Beklagten, wenn sie sich für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung an die Klägerin entschließt, im Rahmen ihres Ermessens insbesondere möglich, durch geeignete Auflagen Missbrauchsgefahren zu begegnen und weitere sachgerechte Anforderungen etwa an die ständige Erreichbarkeit und Einsatzbereitschaft der Klägerin, die Dokumentation der Einsätze sowie die Voraussetzungen für die Verwendung des Blaulichts zu stellen. Ebenso ist es denkbar, die Ausnahmegenehmigung befristet zu erteilen, um künftigen Änderungen der Bedarfslage Rechnung tragen zu können.

Ende der Entscheidung

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