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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: 8 A 1679/04
Rechtsgebiete: GG, IHK-G, IFG NRW


Vorschriften:

GG Art. 70
GG Art. 72 Abs. 1
GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 11
GG Art. 84
IHK-G § 9 Abs. 6
IHK-G § 12 Abs. 1
IFG NRW § 4 Abs. 1
IFG NRW § 4 Abs. 2
IFG NRW § 7
IFG NRW § 9
1. Das Informationsfreiheitsgesetz NRW findet auf die Industrie- und Handelskammern Anwendung.

2. Der Zugangsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW wird nicht dadurch eingeschränkt, dass die antragstellende natürliche Person eine organschaftliche Stellung als Mitglied der Vollversammlung einer Industrie- und Handelskammer innehat.

3. Zur Auslegung des Ausschlussgrundes aus § 7 Abs. 2 Buchst. a IFG NRW, der sich auf den Prozess der Willensbildung innerhalb von und zwischen öffentlichen Stellen betreffende Informationen bezieht.

4. Zur Auslegung des Begriff des Amtsträgers in § 9 Abs. 3 Buchst. a IFG NRW.


Tatbestand:

Der Kläger ist Geschäftsführer einer GmbH. Bei der Wahl zur Vollversammlung der Industrie und Handelskammer O., der Beklagten, im Jahre 2001 wurde er als ordentliches Mitglied in die Vollversammlung gewählt. Mit Schreiben vom 16.7.2002 beantragte er bei der Beklagten unter Hinweis auf das Informationsfreiheitsgesetz NRW "als Privatperson und Mitglied der Vollversammlung", ihm Zugang zu den Wahlunterlagen zu ermöglichen, aus denen

1. die Kriterien für die Einteilung der Wahlgruppen für die Wahl zur Vollversammlung im Jahre 2001 zu entnehmen seien und

2. die Anzahl der Wahlberechtigten pro Wahlgruppe, die Anzahl der abgegebenen Stimmen und die Auszählungsergebnisse der Stimmzettel hervorgingen.

Die Beklagte lehnte das Begehren ab. Das VG wies die zur Durchsetzung dieses Begehrens erhobene Klage ab.

Im Verlauf des Berufungsverfahrens legte die Beklagte die streitgegenständlichen Unterlagen vor. Nachdem der Kläger Akteneinsicht genommen hatte, stellte er sein Begehren um. Dem nunmehr verfolgten Fortsetzungsfeststellungsantrag gab das OVG im vollen Umfang statt.

Gründe:

Der Kläger hatte bis zum Eintritt der erledigenden Ereignisse einen Anspruch darauf, dass ihm zu den in seinem Antrag benannten Unterlagen Zugang gewährt wird.

Dieser Anspruch ergab sich aus dem Informationsfreiheitsgesetz NRW vom 27.11.2001 (GV. NRW. S. 806).

1. Das Informationsfreiheitsgesetz NRW findet auf die Industrie- und Handelskammern Anwendung.

Vgl. ebenso Axler, CR 2002, 847 (849); Innenministerium des Landes NRW, Das Recht auf freien Informationszugang (Leitfaden zum Informationsfreiheitsgesetz NRW), S. 10.

Der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes NRW ist in dessen § 2 im Einzelnen beschrieben. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung fallen darunter die Behörden, Einrichtungen und sonstigen öffentlichen Stellen des Landes, der Gemeinden, der Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts und deren Vereinigungen. Die Beklagte ist als Industrie- und Handelskammer eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 3 Abs. 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern - IHK-G -) und damit eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Sie unterliegt auch der Aufsicht des Landes (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Industrie- und Handelskammern im Lande Nordrhein-Westfalen - IHKG -).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist § 2 Abs. 1 IFG NRW nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Industrie- und Handelskammern von der Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetzes NRW ausgenommen sind.

Zu Unrecht macht die Beklagte geltend, es fehle an einer Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Regelung von Informationszugangsansprüchen gegenüber den Industrie- und Handelskammern. Das Land NRW kann sich vielmehr auf eine, sich aus Art. 70 Abs. 1 GG in der bis zum 31.8.2006 geltenden Fassung ergebende Gesetzgebungskompetenz berufen. Nach dieser Bestimmung haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Diese Vorschrift greift vorliegend ein, da keine die Zuständigkeit der Länder verdrängende Gesetzgebungskompetenz des Bundes besteht.

Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Begründung eines Informationszugangsanspruchs gegenüber den Industrie- und Handelskammern ist nicht nach Art. 84 Abs. 1 Halbsatz 2 GG ausgeschlossen.

Gemäß Art. 84 Abs. 1 Halbsatz 1 GG regeln grundsätzlich die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, wenn sie - wie im vorliegenden Zusammenhang die Industrie- und Handelskammern als unter der Aufsicht des Landes stehende Körperschaften des öffentlichen Rechts bei der Ausführung des IHK-Gesetzes - Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen. Nach dem Halbsatz 2 des Art. 84 Abs. 1 GG gilt dies aber nur insoweit, als nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen. Nach Art. 84 Abs. 1 Halbsatz 2 GG besteht deshalb für die Länder in den Bereichen keine Gesetzgebungskompetenz (mehr), in denen der Bund eine abschließende Regelung über das Verfahren erlassen hat.

Es ist schon fraglich, ob es sich bei den einen Anspruch auf Informationszugang begründenden Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes NRW überhaupt um Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG handelt.

Als Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG sind gesetzliche Bestimmungen anzusehen, die die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden im Blick auf die Art und Weise der Ausführung des Gesetzes einschließlich ihrer Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf regeln. Dabei kann ein materieller Gesetzesbefehl eine Ausgestaltung erhalten, die auch das "Wie" des Verwaltungshandelns verfahrensmäßig bindend festlegt. Solche - möglicherweise verdeckten - Regelungen eines "Wie" des Verwaltungshandelns liegen dann vor, wenn die den Bürger betreffende materiellrechtliche Vorschrift zugleich die zwangsläufige Festlegung eines korrespondierenden verfahrensmäßigen Verhaltens der Verwaltung bewirkt. Festgelegt werden muss danach nicht nur irgendein, sondern ein verfahrensmäßiges Verhalten der Verwaltung. Das ist nicht der Fall, wenn eine Norm einen materiell-rechtlichen Anspruch gewährt und damit zwar ein Handeln der Behörde erzwingt, aber das Verfahren hierfür - auch indirekt - nicht mit festlegt.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.7.2002 - 1 BvF 1/01 und 2/01 -, BVerfGE 105, 313 = DVBl. 2002, 1269 = NJW 2002, 2543, Beschluss vom 8.4.1987 - 2 BvR 909/82 u.a. -, BVerfGE 75, 108 = DVBl. 1987, 941 = NJW 1987, 3115, Urteil vom 10.12.1980 - 2 BvR 3/77 -, BVerfGE 55, 274 = DÖV 1981, 135 = NJW 1981, 329, sowie Beschluss vom 25.6.1974 - 2 BvR 2/73 und 3/73 -, BVerfGE 37, 363 = DÖV 1975, 162 = DVBl. 1975, 96 = NJW 1974, 1165.

Ausgehend davon kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die einen Anspruch auf Informationszugang begründenden Bestimmungen des Informationsfreiheitsgesetzes NRW Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG darstellen. Denn insoweit handelt es sich um Regelungen, die für den Bürger einen verfahrensunabhängigen eigenständigen Informationsanspruch statuieren. Angesichts dessen könnte daran zu denken sein, dass es sich bei dem Informationsanspruch um einen materiellrechtlichen Anspruch handelt, weil er nicht Teil der Ausgestaltung oder eine Modalität eines materiellrechtlich auf ein anderes Ziel ausgerichteten Verfahrens ist, sondern weil er selbst der eigentliche Verfahrensgegenstand und das Verfahrensziel ist. Anders als etwa der Anspruch auf Akteneinsicht anlässlich eines laufenden Verwaltungsverfahrens besteht der Informationszugangsanspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW unabhängig davon, ob der um Zugang nachsuchende Antragsteller Beteiligter des Verwaltungsverfahrens ist oder ob überhaupt ein Verwaltungsverfahren eingeleitet ist. Der Zugangsanspruch wird um seiner selbst willen eröffnet und nicht als Teil der Ausgestaltung eines Verwaltungsverfahrens.

Vgl. Röger, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammerrechts 2002, S. 65 (111); Rickert, in: Wirtschaft und Verwaltung (Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv) 2004, S.153 ( 167 f.); Raabe/ Helle-Meyer, NVwZ 2004, 641 (644); Kopp/ Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 44 a Rn. 4 a; Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 12.6.2001, LT-Drucks. 13/1311, S. 9; Innenministerium des Landes NRW, Das Recht auf freien Informationszugang (Leitfaden zum Informationsfreiheitsgesetz NRW), S. 7; für das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes: Scheel, in: Berger/ Roth/Scheel, IFG, 2006, § 1 Rn. 5.

Gleichwohl wäre auch denkbar, den Informationszugangsanspruch als "Verfahrensannex" im Sinne von Art. 84 Abs. 1 GG zu verstehen.

Vgl. Röger, a.a.O., S. 111; Rickert, a.a.O., S. 167 f.

Diese Frage bedarf jedoch keiner Entscheidung, da unabhängig von ihrer Beantwortung eine Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht ausgeschlossen ist.

Sollten die einen Anspruch auf Informationszugang begründenden Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes NRW nicht als Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG anzusehen sein, ist schon der Regelungsbereich des Art. 84 Abs. 1 GG nicht betroffen.

Sieht man demgegenüber die in Rede stehenden Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes NRW als Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG an, fehlt es an einer die Zuständigkeit der Länder verdrängende Gesetzgebung des Bundes. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bund im Sinne des Halbsatzes 2 des Art. 84 Abs. 1 GG "etwas anderes bestimmt" hat. Die insofern allein in Betracht kommenden Vorschriften des - unter Zustimmung des Bundesrats erlassenen - IHK-Gesetzes stellen für den Bereich der Gewährung eines Informationszugangs keine abschließenden Regelungen dar, die ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers ausschließen.

A.A. Rickert, a.a.O., S. 167; Röger, a.a.O., S. 108 f.

Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass § 12 Abs. 1 IHK-G eine abschließende Aufzählung von Bereichen enthält, in denen durch Landesrecht ergänzende Vorschriften erlassen werden können. Die in dieser Bestimmung liegende Beschränkung des Landesgesetzgebers ist aber allein relevant für landesgesetzliche Regelungen, die den Vollzug des IHK-Gesetzes betreffen. Darum geht es bei der Gewährung eines Informationszugangsanspruchs aber nicht. Aufgrund seines eigenständigen Charakters betrifft der Informationszugangsanspruch nicht den Vollzug des IHK-Gesetzes. Die aus dem Informationsfreiheitsgesetz NRW folgenden Informationspflichten der Industrie- und Handelskammern werden vielmehr allenfalls gelegentlich des Vollzugs des IHK-Gesetzes relevant.

Vgl. Röger, a.a.O., S. 120.

Aus demselben Grunde greift auch der Einwand der Beklagten nicht durch, mit § 12 Abs. 1 IHK-G habe der Gesetzgeber einer Zersplitterung des Rechts der Industrie- und Handelskammern entgegenwirken und ein einheitliches Recht für alle Industrie- und Handelskammern schaffen wollen.

Ebenso wie die Beklagte: Grütters, GewArch 2002, 270 (273), und GewArch 2003, 271 (273); Rickert, a.a.O., S. 168; für Bekanntmachungsvorschriften OVG Rh.-Pf., Urteil vom 11.10.1988 - 6 A 9/88 -, GewArch 1981, 20.

Denn durch die landesgesetzliche Einräumung eines eigenständigen Informationszugangsanspruchs wird der bundesweit einheitliche Vollzug des IHK-Gesetzes durch die Industrie- und Handelskammern nicht in Frage gestellt. Ebenso wie die Industrie- und Handelskammern etwa bei Baumaßnahmen die jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen des Bauordnungsrechts zu beachten haben, haben sie bei Bestehen eines landesrechtlichen Informationsfreiheitsgesetzes auch dessen Vorschriften zu beachten. Der Vollzug der Aufgaben nach dem IHK-Gesetz wird davon nicht berührt.

Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, dass die Regelung des § 9 Abs. 6 IHK-G, der die Datenschutzgesetze der Länder ausdrücklich für anwendbar erklärt, gerade wegen der Sperrwirkung des IHK-Gesetzes erforderlich gewesen sei.

So aber Grütters, GewArch 2003, 271 (273); Rickert, a.a.O., S. 169.

Zwar trifft es zu, dass die Landesdatenschutzgesetze verfahrensunabhängige Ansprüche des Einzelnen gegenüber der Verwaltung begründen. Daraus lässt sich für die vorliegende Fragestellung aber nichts herleiten. Denn der Einwand verkennt die Regelungswirkung des § 9 Abs. 6 IHK-G. Diese Vorschrift ist im Zusammenhang mit den vorangehenden Absätzen zu sehen. In den Absätzen 1 bis 5 des § 9 IHK-G befinden sich gesonderte, von den allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen abweichende Regelungen, die die Erhebung, Speicherung und Nutzung von Daten sowie die Übermittlung von Daten an nicht-öffentliche Stellen durch die Industrie- und Handelskammern betreffen. In Abgrenzung dazu sieht der Absatz 6 des § 9 IHK-G lediglich vor, dass im Übrigen - nämlich für das Verändern, Sperren und Löschen von Daten sowie die Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen - für die Industrie- und Handelskammern die allgemeinen landesrechtlichen Vorschriften der Datenschutzgesetze gelten. Der Regelungsgehalt des § 9 Abs. 6 IHK-G geht damit über eine klarstellende Wirkung nicht hinaus, da die Datenschutzgesetze der Länder für diese Bereiche mangels einer abweichenden Bestimmung im IHK-Gesetz ohnehin Anwendung finden.

Schließlich ist auch nicht mit der den Industrie- und Handelskammern eingeräumten Satzungsautonomie eine landesgesetzliche Regelung über einen Informationszugangsanspruch ausgeschlossen worden. Denn die mit der Satzungsautonomie verbundene Befugnis zur selbständigen Rechtssetzung bezieht sich allein auf Regelungen der inneren Ordnung. Nicht davon erfasst werden hingegen Regelungen der Außenrechtsbeziehungen, zu denen insbesondere auch die vorliegend in Rede stehenden Informationszugangsansprüche von außen stehenden Personen zu zählen sind.

Der Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Begründung eines Informationszugangsanspruchs gegenüber den Industrie- und Handelskammern steht auch keine die Zuständigkeit der Länder verdrängende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes aus den Art. 71 ff. GG entgegen.

Eine ausdrückliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich des Informationszugangsrechts findet sich in den Art. 71 ff. GG nicht. Keiner der dort im Einzelnen benannten Gegenstände der ausschließlichen, konkurrierenden und rahmensetzenden Gesetzgebung erfasst das Informationsfreiheitsrecht als eigenständige Materie.

Allerdings stehen dem Bund in äußerst engen Grenzen auch ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen zu. Solche bestehen zum einen, wenn nach der Natur der Sache allein eine Bundesregelung in Betracht kommt, zum anderen wenn der Bund von einer ihm ausdrücklich eingeräumten Kompetenz nicht ohne Zugriff auf eine den Ländern zustehende Materie sinnvoll Gebrauch machen kann (Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs). Das Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung reicht dafür nicht aus. Die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs stützt und ergänzt vielmehr eine zugewiesene Zuständigkeit nur dann, wenn die entsprechende Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also das Übergreifen unerlässliche Voraussetzung für die Regelung der zugewiesenen Materie ist.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 27.10.1998, - 1 BvR 2306/96 u.a. -, BVerfGE 98, 265 = NJW 1999, 841.

Ausgehend davon könnte daran zu denken sein, dass die Regelung von Informationszugangsansprüchen gegenüber den Industrie- und Handelskammern infolge Sachzusammenhangs dem Recht der Wirtschaft im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zuzuordnen ist, für das eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes besteht. Dies unterstellt, wäre nach Art. 72 Abs. 1 Halbsatz 2 GG eine Gesetzgebungskompetenz der Länder aber nur dann ausgeschlossen, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit in diesem Bereich bereits Gebrauch gemacht hätte. Dies ist aber nicht der Fall.

Eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift über die Regelung eines Informationszugangsanspruchs gegenüber den Industrie- und Handelskammern existiert nicht. Weder im Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, das nur für Bundesbehörden sowie sonstige Bundesorgane und -einrichtungen, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, gilt (§ 1 Abs. 1 IFG Bund), noch im IHK-Gesetz findet sich eine entsprechende Bestimmung.

Ein "Gebrauchmachen" im Sinne von Art. 72 Abs. 1 Halbsatz 2 GG ist aber auch dann anzunehmen, wenn der Bund bewusst für einen bestimmten Bereich keine Regelung trifft. Der Bund kann also von einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs auch durch erkennbaren, absichtsvollen Regelungsverzicht mit Sperrwirkung gegenüber den Ländern Gebrauch machen.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 27.10.1998, - 1 BvR 2306/96 u.a. -, a.a.O.

Ein solcher absichtsvoller Regelungsverzicht, dem eine Sperrwirkung gegenüber einer Gesetzgebungskompetenz der Länder zukommen könnte, ist aber nicht festzustellen.

Dass das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes lediglich Bundesbehörden sowie sonstige Bundesorgane und -einrichtungen, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, erfasst, stellt keinen absichtsvollen Regelungsverzicht hinsichtlich eines Informationszugangsanspruchs gegenüber den Behörden des Landes dar. Die unterbliebene Einbeziehung der Landesbehörden beruhte vielmehr auf einem politischen Kompromiss, weil der Bund wegen der verfahrensrechtlichen Ergänzungsvorschriften eines Informationsfreiheitsgesetzes auf die Zustimmung des Bundesrats angewiesen war und die Länder dem Bund kein umfassendes, auch die Landesverwaltungen einbeziehendes Regelungsrecht einräumen wollten.

Vgl. dazu im Einzelnen Röger, a.a.O., S. 117.

Ein absichtsvoller Regelungsverzicht kann auch nicht darin gesehen werden, dass das IHK-Gesetz keine Regelung über einen Informationszugangsanspruch enthält. Es besteht kein Anhalt dafür, dass der Bund bei Erlass des IHK-Gesetzes oder in der Zeit danach zu irgendeinem Zeitpunkt die Frage eines Informationszugangsanspruchs gegenüber den Industrie- und Handelskammern überhaupt nur thematisiert hätte. Erst recht besteht deshalb kein Anhalt dafür, dass der Bund bewusst einen solchen Informationszugangsanspruch ausschließen wollte.

Dass aus § 12 Abs. 1 und § 9 Abs. 6 IHK-G und aus der den Industrie- und Handelskammern eingeräumten Satzungsautonomie nichts anderes folgt, ist bereits im Einzelnen dargelegt worden.

2. Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers war § 4 Abs. 1 IFG NRW. Danach hat jede natürliche Person nach Maßgabe des Informationsfreiheitsgesetzes gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung waren vorliegend erfüllt.

Bei dem Kläger handelt es sich um eine natürliche Person. Als solche hatte er auch den mit der vorliegenden Klage verfolgten Anspruch geltend gemacht. Dass er in seinem Antragsschreiben vom 16.7.2002 angegeben hatte, den Antrag "als Privatperson und Mitglied der Vollversammlung" zu stellen, steht dem nicht entgegen, da er damit zum Ausdruck gebracht hat, das Begehren jedenfalls auch als natürliche Person geltend zu machen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war es dem Kläger auch möglich, sich trotz seiner organschaftlichen Stellung als Mitglied der Vollversammlung auf einen Zugangsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW zu berufen. Die organschaftliche Stellung schränkt den Rechtskreis des Klägers als natürliche Person nicht ein. Vielmehr stehen ihm sowohl die mit der Organwalterstellung verbundenen als auch die an seine Eigenschaft als natürliche Person anknüpfenden Rechte zu. Dass dies zur Konsequenz haben kann, dass der Kläger als natürliche Person über weitergehende Zugangsrechte verfügt, als sie sich aus seiner Stellung als Vollversammlungsmitglied ergeben, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Dieser Umstand ist vielmehr allein der Existenz des Informationsfreiheitsgesetzes NRW und des mit diesem begründeten allgemeinen Informationszugangsanspruch sowie dem mit diesem Gesetz verfolgten Zweck der Gewährleistung des freien Zugangs zu den bei den öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen geschuldet. Etwaige Beschränkungen des Zugangsanspruchs aus dem Informationsfreiheitsgesetz NRW können sich allein aus den Ausschlussgründen dieses Gesetzes ergeben. Dass die beiden Rechtskreise nebeneinander stehen, ist auch sachgerecht. Es ist kein Grund erkennbar, die dem Kläger aus dem Informationsfreiheitsgesetz NRW zustehenden Rechte nur deshalb einzuschränken, weil er zugleich auch eine Organwalterstellung innehat. Vielmehr hat es die Beklagte hinzunehmen, dass sich ihre Vollversammlungsmitglieder - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen - sowohl auf die aus der organschaftlichen Stellung folgende Rechte als auch auf die Zugangsrechte aus dem Informationsfreiheitsgesetz NRW berufen können.

Die Unterlagen, in die der Kläger Einsicht begehrt hat, sind bei der Beklagten vorhandene amtliche Informationen im Sinne von § 4 Abs. 1 IFG NRW.

3. Die Subsidiaritätsklausel aus § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW stand dem geltend gemachten Zugangsanspruch nicht entgegen.

...

4. Dem geltend gemachten Informationszugangsanspruch stand auch keine der einschränkenden Regelungen aus §§ 6 ff. IFG NRW entgegen.

...

Der für die Matrix in Betracht zu ziehende Ausschlussgrund des § 7 Abs. 2 Buchst. a IFG NRW war nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift soll ein Antrag auf Informationszugang abgelehnt werden, wenn sich der Inhalt der Information auf den Prozess der Willensbildung innerhalb von und zwischen öffentlichen Stellen bezieht.

Zweck der Bestimmung ist es, die nach außen vertretene Entscheidung einer Behörde nicht dadurch angreifbar zu machen, dass interne Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedliche Auffassungen zwischen mehreren beteiligten Stellen veröffentlicht werden. Das Prinzip der Einheit der Verwaltung soll dazu führen, dass staatliche Maßnahmen nicht als Entscheidung einer bestimmten Person oder einer Organisationseinheit, sondern als solche des Verwaltungsträgers wahrgenommen werden. Aufgrund dessen ist zwischen den Grundlagen und Ergebnissen der Willensbildung auf der einen Seite und dem eigentlichen Prozess der Willensbildung zu unterscheiden. Der Ausschlussgrund greift deshalb nur für Anordnungen, Äußerungen und Hinweise ein, die die Willensbildung steuern sollen. Soweit hingegen der Inhalt der Entscheidung betroffen ist, wie etwa bei der Mitteilung von Tatsachen oder Hinweisen auf die Rechtslage, ist dies nicht als ein Teil des Willensbildungsprozesses anzusehen mit der Folge, dass die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nicht vorliegen.

Vgl. Haurand/Stollmann, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Stand: April 2003, § 7 Anm. 3.

Ausgehend davon fiel die Matrix nicht unter den Ausschlussgrund aus § 7 Abs. 2 Buchst. a IFG NRW. Sie betraf nicht den eigentlichen Prozess der Willensbildung innerhalb der Beklagten, weil sie nicht auf eine Steuerung der Willensbildung angelegt war. Vielmehr gibt sie lediglich das Ergebnis wieder, das aus der - vorgegebenen - Anwendung und insbesondere Gewichtung der Kriterien für die Einteilung der Wahlgruppen folgt.

...

Der für den internen Vermerk in Betracht kommende Ausschlussgrund aus § 7 Abs. 2 Buchst. a IFG NRW griff ebenfalls nicht ein. Der Vermerk diente nicht der Willensbildung innerhalb des Beklagten im Sinne dieser Bestimmung.

...

Bei dem Vermerk handelte es sich um einen Vorschlag für die Einteilung der Wahlgruppen für eine anstehende Vollversammlungswahl. Bei einer allein auf den Wortlaut abstellenden Auslegung des § 7 Abs. 2 Buchst. a IFG NRW könnte daran zu denken sein, dass dieser Ausschlussgrund eingreift, weil es sich um den Vorschlag eines nachgeordneten Bediensteten handelt, der darauf gerichtet ist, auf die Willensbildung seines Vorgesetzten einzuwirken. Ein derart weitgehendes Verständnis des Ausschlussgrundes hätte allerdings zur Folge, dass zu sämtlichen internen Vorbereitungsmaßnahmen innerhalb einer gestuften Verwaltung, wie sie regelmäßig vorzufinden ist, kein Informationszugangsanspruch bestünde. Damit käme aber dem Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Fallvariante 2 IFG NRW, der einen Zugangsanspruch nur für Arbeiten und Beschlüsse zur unmittelbaren Vorbereitung von Entscheidungen ausschließt, nahezu keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Angesichts dessen bedarf der Ausschlussgrund aus § 7 Abs. 2 Buchst. a IFG NRW einer an dessen Schutzzweck orientierten einschränkenden Auslegung. Da dieser Ausschlussgrund den Zweck verfolgt, die nach außen vertretene Entscheidung einer Behörde nicht dadurch angreifbar zu machen, dass interne Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedliche Auffassungen zwischen mehreren beteiligten Stellen veröffentlicht werden, ist jedenfalls für solche Unterlagen ein Zugangsanspruch in der Regel nicht ausgeschlossen, die weder interne Meinungsverschiedenheiten noch unterschiedliche Auffassungen innerhalb einer Behörde oder zwischen verschiedenen Behörden erkennen lassen. Bei einem derartigen Verständnis bleibt einerseits genügend Raum für eine selbständige Bedeutung des Ausschlussgrundes aus § 7 Abs. 1 Fallvariante 2 IFG NRW und andererseits wird dem Schutzzweck des Ausschlussgrundes aus § 7 Abs. 2 Buchst. a IFG NRW hinreichend Rechnung getragen. Ausgehend von diesen Erwägungen stand § 7 Abs. 2 Buchst. a IFG NRW einem Zugangsanspruch zu dem Vermerk nicht entgegen; diesem ließen sich keine unterschiedlichen Meinungen oder Auffassungen innerhalb der Beklagten entnehmen.

...

Als Ausschlussgrund für die Niederschrift der Vollversammlung kam zunächst § 7 Abs. 1 Fallvariante 3 IFG NRW in Betracht. Danach ist der Antrag auf Informationszugang für Protokolle vertraulicher Beratungen abzulehnen.

Bei einer Sitzung der Vollversammlung der Beklagten handelt es sich aber nicht um eine vertrauliche Beratung im Sinne von § 7 Abs. 1 Fallvariante 3 IFG. Zwar sieht die Satzung der Beklagten in § 4 Abs. 8 Satz 1 vor, dass die Sitzungen der Vollversammlung - nur - für Kammerzugehörige und Personen, die unmittelbar von Beschlüssen der Vollversammlung betroffen sein können, öffentlich sind. Der in dieser Regelung liegende Ausschluss der allgemeinen Öffentlichkeit, von der der Kläger im Übrigen als Kammermitglied gar nicht betroffen ist, rechtfertigt es aber nicht, die Sitzungen der Vollversammlung als vertrauliche Beratungen einzustufen. Erforderlich für die Annahme einer vertraulichen Beratung ist, dass die Beratung aus bestimmten Gründen eine gewisse Vertraulichkeit genießt. Diese Gründe haben sich an dem Schutzzweck der Norm zu orientieren, der darin liegt, dass eine offene Meinungsbildung und ein freier Meinungsaustausch geschützt werden soll, um eine effektive, funktionsfähige und neutrale Entscheidungsfindung zu gewährleisten.

Vgl. Haurand/Stollmann, a.a.O., § 7 Anm. 2.2.

Ausgehend davon ist weder für die Sitzungen der Vollversammlung allgemein noch für die vorliegend in Rede stehende Sitzung ersichtlich, dass besondere Gründe vorliegen könnten, aus denen eine gewisse Vertraulichkeit besteht.

Im Weiteren könnte daran zu denken sein, dass die Voraussetzungen des Ausschlussgrund aus § 9 Abs. 1 IFG NRW vorgelegen haben, weil in der Sitzungsniederschrift die einzelnen Redebeiträge unter Angabe des Namens des jeweiligen Vollversammlungsmitglieds niedergelegt sind. Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit durch das Bekanntwerden der Information personenbezogene Daten offenbart werden, es sei denn eine der unter den Buchstaben a bis e genannten Ausnahmen liegt vor.

Insofern ist zwar festzustellen, dass es sich bei den in der Niederschrift enthaltenen Angaben der Namen der Vollversammlungsmitglieder um personenbezogene Daten handelt, die bei der Gewährung eines Informationszugangs offenbart würden. Vorliegend kam aber die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 3 Buchst. a IFG NRW (zumindest analog) zur Anwendung.

Nach dieser Bestimmung soll dem Antrag auf Informationszugang in der Regel stattgegeben werden, soweit sich die Angaben auf u.a. Name, Titel, akademischen Grad sowie Berufs- und Funktionsbezeichnung beschränken und die betroffene Person als Amtsträger an dem jeweiligen Vorgang mitgewirkt hat, es sei denn, der Offenbarung stehen schutzwürdige Belange der betroffenen Person entgegen.

Die Angaben in der Niederschrift der Sitzung der Vollversammlung beschränken sich auf die Wiedergabe der Namen der Vollversammlungsmitglieder. Eine Mitwirkung "an dem jeweiligen Vorgang" ist darin zu sehen, dass die benannten Personen an den Sitzungen der Vollversammlung in ihrer Eigenschaft als deren Mitglied teilnehmen. Zwar sind sie damit noch nicht zu Amtsträgern im eigentlichen Sinne des Begriffs geworden. Mit der Verwendung des Begriffs des Amtsträgers soll aber lediglich auf die Verbindung zwischen der amtlichen Funktion und den personenbezogenen Daten abgestellt werden. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass die in § 9 Abs. 3 Buchst. a IFG NRW beschriebenen Angaben regelmäßig unbedenklich offenbart werden können und daher ein Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Person nicht besteht.

Vgl. Haurand/Stollmann, a.a.O., § 9 Anm. 5.

Ausgehend davon besteht keine Veranlassung, die Angaben der Namen der Vollversammlungsmitglieder in der Sitzungsniederschrift weitergehend gegenüber Informationszugangsansprüchen zu schützen als die Angabe des Namens eines Sachbearbeiters - und damit eines Amtsträgers in eigentlichen Sinne des Begriffs - in einem Verwaltungsvorgang, zu dem Zugang begehrt wird.

Ein Anhalt dafür, dass schutzwürdige Belange der Vollversammlungsmitglieder einer Offenbarung dieser Angaben entgegenstünden, ist nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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