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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.09.2005
Aktenzeichen: 8 A 1893/05
Rechtsgebiete: StVZO, StGB


Vorschriften:

StVZO § 31a
StGB § 142
1. Eine Fahrtenbuchauflage kann verhängt werden, wenn der objektive Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB erfüllt ist. Auf Feststellungen zum Vorsatz kommt es nicht an.

2. Nach einer Verkehrsunfallflucht ist eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von drei Jahren verhältnismäßig.


Tatbestand:

Der Kläger wandte sich gegen eine ihm auferlegte Fahrtenbuchauflage. Sein Auto und ein Fahrradfahrer waren zusammengestoßen. Darauf war der Fahrer des Pkw nach kurzem Zögern weitergefahren und konnte nicht ermittelt werden. Die verwaltungsgerichtliche Klage blieb erfolglos. Das OVG lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ab.

Gründe:

Die Darlegungen des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO vorgelegen haben. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage setzt nach § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO lediglich voraus, dass nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften die Feststellung des Fahrzeugführers nicht möglich war.

Die Antragsbegründung zeigt keine ernstlichen Zweifel daran auf, dass im Juni 2003 mit dem Fahrzeug des Klägers der objektive Tatbestand der Verkehrsunfallflucht und damit des strafrechtlichen Vergehens nach § 142 StGB erfüllt worden ist. Auf Feststellungen zum Vorsatz kommt es im Zusammenhang mit einer Fahrtenbuchauflage nicht an, weil derartige Feststellungen die Ermittlung des Täters voraussetzen und die Fahrtenbuchauflage gerade dazu dienen soll, diese Voraussetzung in künftigen Fällen zu erfüllen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.2.1980 - 7 B 179.79 -, Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 6).

Nach § 142 Abs. 1 StGB wird ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er 1. zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder 2. eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ein Unfall im Sinne des § 142 StGB ist jedes mit dem Straßenverkehr und seinen Gefahren ursächlich zusammenhängende Ereignis, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird (vgl. BGH, Urteile vom 27.7.1972 - 4 StR 287/72 -, BGHSt 24, 382, 383, und vom 26.5.1955 - 4 StR 148/55 -, BGHSt 8, 263, 264 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.1996 - 5 Ss 348/96 - 103/96 I -, VRS 93, 165; OLG Hamm, Urteil vom 9.9.1981 - 6 Ss 1017/81 -, VRS 61, 430).

Ob ein Sachschaden ganz belanglos ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Insbesondere ist nicht darauf abzustellen, wie sich der Schaden aus rückschauender Sicht nach seiner Behebung oder Hinnahme durch den Geschädigten ausnimmt, sondern wie er sich für einen objektiven Beobachter unter Berücksichtigung der Anschauungen und Gegebenheiten des täglichen Lebens im Augenblick des schadensstiftenden Verkehrsgeschehens darstellt. Damit sind für die Bedeutsamkeit des Schadens die Reparaturkosten maßgeblich, die sich im Unfallzeitpunkt unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und gewöhnlicher Umstände objektiv als Folge der Beschädigung abzeichneten (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 9.9.1981, a.a.O.; BGH, Urteil vom 17.9.1958 - 4 StR 165/58 -, BGHSt 12, 253, 258; BayObLG, Urteil vom 30.12.1959 - 1 St 656/59 -, VRS 18, 196, 197; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.10.1965 - 2 Ss 458/65 -, VRS 30, 446).

Ab einer so bestimmten Schadenshöhe von etwa 20,- bis 25,- € kann auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Preissteigerung nicht mehr von einem völlig belanglosen Schaden gesprochen werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.1996, a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 3.9.1993 - Ss 329 bis 330/93 - VRS 86, 279, 281; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. 2004, § 142 Rn. 11; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 142 StGB Rn. 27 f., m.w.N.: 25,- € nicht mehr belanglos; a. A. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 142 Rn. 9 f.: 300,- DM).

Der Zusammenstoß des Fahrzeugs des Klägers mit dem Fahrrad des Geschädigten, der in der Antragsbegründung ausdrücklich eingeräumt wird, hat zu einem Schaden am Fahrrad geführt, der nicht mehr als völlig belanglos anzusehen ist. Bei der fotografisch dokumentierten vollständigen Verformung des Vorderrades kann nach objektiven Maßstäben nicht mehr davon ausgegangen werden, dass mit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen vernünftigerweise nicht zu rechnen war. Ein derartiger Schaden, der das Fahrrad unbenutzbar werden lässt, wird auch bei einem über drei Jahre alten Fahrrad vom Eigentümer üblicherweise nicht mehr hingenommen und ist auch tatsächlich von der Versicherung mit einem pauschalen Entschädigungsbetrag von 100,- € ausgeglichen worden. Zu seiner Beseitigung bedarf es einer fachgerechten Reparatur mit vollständigem Austausch der vorderen eingespeichten Felge. Eine solche erfordert im Allgemeinen bei den gerichtsbekannten aktuellen Stundensätzen in Fachwerkstätten und den Materialkosten für Felge und Speichen Kosten in der Größenordnung von jedenfalls deutlich mehr als 25,- €.

Im Hinblick darauf, dass von den Kosten auszugehen ist, die sich im Unfallzeitpunkt objektiv abzeichneten, kommt es entgegen der Ansicht des Klägers auf eine spezifische Darlegung des tatsächlich entstandenen Schadens nicht an. Ebenfalls unerheblich ist danach, ob der Ersatzberechtigte später seine Rechte nach § 15 StVG verliert. Von der sich objektiv abzeichnenden Schadenshöhe ist wegen der Maßgeblichkeit der bereits im Unfallzeitpunkt erkennbaren Umstände auch kein Abzug "neu für alt" vorzunehmen (vgl. BayObLG, Urteil vom 30.12.1959, a.a.O.).

Abgesehen davon ist ein solcher Abzug auch im Schadensersatzrecht nur dann gerechtfertigt, wenn die Reparatur zu einer Vermögensmehrung beim Geschädigten führt, weil er durch sie Aufwendungen erspart, die er später doch hätte erbringen müssen. Er ist deshalb nicht vorzunehmen, wenn Teile ersetzt werden, die im Allgemeinen die Lebensdauer des Fahrzeugs erreichen (vgl. KG, Urteil vom 5.11.1970 - 12 U 724/70 -, NJW 1971, 142, 144; Heinrichs, in: Palandt, BGB, 64. Aufl. 2005, Vorb vor § 249 Rn. 146 sowie § 249 Rn. 26; Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor §§ 249-253 Rn. 40).

Eine Fahrradfelge ist kein Verschleißteil und muss im Allgemeinen nur ausgetauscht werden, wenn sie durch einen Unfall oder durch Gewalteinwirkung beschädigt wird. Bei normalem Gebrauch eines Fahrrades bedarf es grundsätzlich keines Austauschs, so dass sich die Wertverbesserung für den Geschädigten nicht auswirkt.

Die Fahrtenbuchauflage erweist sich auch hinsichtlich ihrer Dauer von drei Jahren nicht als unverhältnismäßig. Zu Recht verweist das VG auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats, der für die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage auf die Einstufung der Schwere des zugrunde liegenden Verkehrsverstoßes durch das Punktesystem in der Anlage 13 zur Fahrerlaubnisverordnung zurückgreift und die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage schon bei erstmaliger Begehung eines mit einem Punkt bewerteten Verkehrsverstoßes für gerechtfertigt erachtet (OVG NRW, Urteil vom 29.4.1999 - 8 A 699/97 -, NJW 1999, 3279).

Danach begegnet die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage für eine Dauer von drei Jahren für einen ganz erheblichen, mit sieben Punkten mit der Höchstpunktzahl zu bewertenden Verkehrsverstoß, der nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern schon als Straftat mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht ist, im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit keinen Bedenken (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 28.5.2002 - 10 S 1408/01 -, NZV 2002, 431: zwei Jahre bereits bei einem als Ordnungswidrigkeit zu bewertenden Rotlichtverstoß, für den ein Fahrverbot in Betracht kam).

Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass auch bei einem vergleichsweise geringen Sachschaden pauschalierend die Punktebewertung nach Anlage 13 zur Fahrerlaubnisverordnung herangezogen wird. Diese berücksichtigt die unterschiedliche Schwere von Verkehrsordnungswidrigkeiten und Verkehrsstraftaten und trägt zudem bereits dem Umstand Rechnung, ob eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 142 Abs. 4 StGB erfolgt, indem für derartige Fälle nur sechs Punkte vorgesehen sind. Die Voraussetzungen hierfür lagen entgegen der Annahme des Klägers bei dem Verkehrsverstoß im Juni 2003 schon deshalb nicht vor, weil es sich nicht um einen Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs handelte (vgl. OLG Köln, Urteil vom 28.9.1999 - Ss 390/99 -).

Die Antragsschrift lässt nicht erkennen, weshalb die Bewertung des als Straftat anzusehenden Verkehrsverstoßes mit sieben Punkten unzutreffend erfolgt und statt dessen von der Punktbewertung einer Ordnungswidrigkeit auszugehen sein sollte, nur weil es nicht zu einem Personenschaden gekommen ist. Im Vergleich zu schweren Verkehrsordnungswidrigkeiten wiegt eine Verkehrsstraftat wie die Verkehrsunfallflucht auch dann deutlich schwerer, wenn nur ein vergleichsweise geringer Schaden entstanden ist.

Die Ausrichtung an der Punktebewertung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Fahrzeughalter, gegenüber dem die Fahrtenbuchauflage ergeht, nicht selbst den Verkehrsverstoß begangen hat und auch bisher nicht auffällig geworden ist. In einer Fahrtenbuchauflage liegt insbesondere nicht selbst eine Sanktion. Sie soll nur sicherstellen, dass künftige Verkehrsverstöße geahndet werden können. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass mit der Auferlegung der Führung eines Fahrtenbuches das Recht des Betroffenen gewahrt bleibt, sich im Ordnungswidrigkeitenverfahren auf sein Zeugnisverweigerungsrecht zu berufen. Das mit der Ausübung dieses Rechts verbundene Risiko, dass auch zukünftige Verkehrsverstöße ungeahndet bleiben, muss die Rechtsordnung allerdings nicht von Verfassungs wegen hinnehmen, weil sie sich damit für einen nicht unbeträchtlichen Teilbereich von vornherein der Möglichkeit begäbe, durch die Androhung von Sanktionen Verkehrsverstößen und den damit verbundenen Gefahren namentlich für die anderen Verkehrsteilnehmer im allgemeinen Interesse vorzubeugen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.6.1995 - 11 B 7.95 -, Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 22 = VRS 90, 70; BVerfG, Beschluss vom 7.12.1981 - 2 BvR 1172/81 -, NJW 1982, 568).

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