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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 11.09.2007
Aktenzeichen: 8 A 2696/06
Rechtsgebiete: LG NRW, FFH-Richtlinie
Vorschriften:
LG NRW § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 | |
LG NRW § 48 d Abs. 4 | |
FFH-Richtlinie Art. 1 i | |
FFH-Richtlinie Art. 6 Abs. 3 |
2. Der im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung zum Ausschluss vernünftiger Zweifel an der Vermeidung nachteiliger Auswirkungen erforderliche "Gegenbeweis" misslingt u.a. dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv keine hinreichend sicheren Aussagen über die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens erlauben (wie BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -).
3. Kommen mehrere Sachverständige auf der Grundlage übereinstimmender Feststellungen zum Vorkommen bestimmter geschützter Vogelarten (hier Wiesenweihe, Goldregenpfeifer und Rotmilan) zu unterschiedlichen, nach dem Stand der Wissenschaft gleichermaßen vertretbaren prognostischen Aussagen zu den Auswirkungen eines Vorhabens, liegt die Folgenabschätzung nicht "auf der sicheren Seite".
Tatbestand:
Der Kläger begehrte die Genehmigung für Errichtung und Betrieb einer Windkraftanlage vom Typ Enercon E-66/18.70 mit einer Nennleistung von 1,8 MW, einer Nabenhöhe von 114 m und einem Rotordurchmesser von 70 m. Der geplante Standort der Anlage liegt innerhalb des unter dem 17.12.2004 bekannt gemachten (MBl. NRW. 2005 S. 66), insgesamt ca. 500 qkm großen Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde". Zweck der Unterschutzstellung dieses Gebiets ist die "Erhaltung und Entwicklung der durch Offenheit, Großräumigkeit, weitgehende Unzerschnittenheit und überwiegende ackerbauliche Nutzung geprägte Agrarlandschaft als Brutgebiet insbesondere für Wiesen- und Rohrweihe und Wachtelkönig sowie als Rast- und Durchzugsgebiet insbesondere für Goldregenpfeifer, Mornellregenpfeifer, Kornweihe und Rotmilan."
Das VG wies die nach Ablehnung des Bauantrags durch die Bauaufsichtsbehörde erhobene, zuletzt gegen die Beklagte als Immissionsschutzbehörde gerichtete Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
Gründe:
Der Kläger kann die mit seinem Hauptantrag erstrebte Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die streitige Windkraftanlage nicht beanspruchen. Die hilfsweise gestellten Beweisanträge sind abzulehnen, da es der begehrten Einholung weiterer Sachverständigengutachten nicht bedarf.
Rechtsgrundlage für die begehrte immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist § 6 Abs. 1 i.V.m. § 5 BImSchG. Nach diesen Vorschriften ist die - hier nach § 4 BImSchG i.V.m. Nr. 1.6 des Anhangs zur Vierten BImSchV in der seit dem 1.7.2005 geltenden Fassung (BGBl. I S. 1687) - erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten erfüllt werden und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Die sich hiernach ergebenden Genehmigungsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Senat lässt offen, ob die Genehmigung der streitigen Windkraftanlage aus den das erstinstanzliche Urteil tragenden Gründen des Landschaftsschutzes zu versagen ist. Ebenso kann dahinstehen, ob das Vorhaben an der mit einer seinem Standort entgegenstehenden Flächennutzungsplanung verbundenen Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB scheitern muss. Ihm steht nämlich jedenfalls der Schutz des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" gemäß den durch § 48 c und § 48 d LG NRW umgesetzten Bestimmungen der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - FFH-RL - (ABl. EG L 206, S. 7), zuletzt geändert durch VO EG 1882/2003 vom 29.9.2003 (ABl. EG L 284, S. 1), entgegen, weil nicht auszuschließen ist, dass es zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" in den für dessen Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen würde.
Der Standort der geplanten Anlage liegt in dem auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/409/EWG vom 2.4.1979 - Europäische Vogelschutzrichtlinie (VS-RL) - (ABl. EG L 103, S. 1), zuletzt geändert durch VO EG 807/2003 vom 14.4.2003 (ABl. EG L 122, S. 36), ausgewiesenen Europäischen Vogelschutzgebiet "Hellwegbörde". Gemäß § 48 c Abs. 5 Satz 3 LG NRW gelten in Umsetzung der Vogelschutz-Richtlinie, auch in Verbindung mit der FFH-Richtlinie, in den Europäischen Vogelschutzgebieten Abs. 4 und § 48 d und e LG NRW. Die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Beschränkungen für Vorhaben, die wie Windkraftanlagen baurechtlicher bzw. - wie vorliegend - immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen bedürfen (§ 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 LG NRW), beruhen auf der Umsetzung von Art. 6 FFH-RL. Das davon abweichende Regime des Art. 4 Abs. 4 VS-RL ist mit dem Wirksamwerden der Ausweisung des Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" durch die Bekanntmachung gemäß § 48 c Abs. 5 Satz 1 LG NRW hinter das Schutzregime des Art. 6 FFH-RL zurückgetreten.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 ff., vom 16.3.2006 - 4 A 1075.04 -, BVerwGE 125, 116 (310), und vom 1.4.2004 - 4 C 2.03 -, BVerwGE 120, 276 = NuR 2004, 524.
§ 48 c Abs. 5 und § 48 d LG NRW genügen den sich aus Art. 6 FFH-RL ergebenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Sie entsprechen inhaltlich der Regelung des § 34 BNatSchG vom 25.3.2002 - BGBl. I S. 1193 -, die nach § 11 Satz 1 BNatSchG rahmenrechtlicher Natur ist, und setzen den in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL angeordneten Gebietsschutz, der als speziellere Norm dem allgemeinen Störungs- und Verschlechterungsverbot nach § 6 Abs. 2 FFH-RL vorgeht, vgl. auch EuGH, Urteil vom 7.9.2004 - C-127/02 - (Rn. 35), NuR 2004, 788, wirksam in nationales Recht um. Etwaige Umsetzungsdefizite, die sich auf die Beurteilung des vorliegenden Falles auswirken könnten, sind durch eine gemeinschaftskonforme Auslegung des Landesrechts vermeidbar.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 13.7.2006 - 20 D 80/05.AK -, NuR 2007, 48.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind Vorhaben, die ein Europäisches Vogelschutzgebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, gemäß § 48 d Abs. 1 bis 3 LG NRW durch die für die Genehmigung zuständige Behörde einer Prüfung ihrer Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des geschützten Gebiets zu unterziehen (FFH-Verträglichkeitsprüfung). Die dazu erforderlichen Angaben sind von dem Vorhabenträger zu machen (§ 48 d Abs. 3 Satz 1 LG NRW). Die Genehmigungsbehörde trifft ihre Entscheidung im Benehmen mit der Landschaftsbehörde (§ 48 d Abs. 2 Satz 1 LG NRW). Die Bewertung der Ergebnisse der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung durch die Genehmigungsbehörde unterliegt, soweit es um die Beurteilung geht, ob durch das Vorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung in den für den Schutzzweck der Gebietsfestsetzung maßgeblichen Belangen eintreten würde, der vollen gerichtlichen Nachprüfung.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 38); zum naturschutzfachlichen Beurteilungsspielraum vgl. im Übrigen: BVerwG, Urteile vom 21.6.2006 - 9 A 28.05 -, BVerwGE 126, 166 = NuR 2006, 779, und vom 14.11.2002 - 4 A 15.02 -, BVerwGE 117, 149 = NuR 2003, 360.
Materiell-rechtlich unterliegt das Vorhaben den Anforderungen der im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen des § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW sowie den weiteren Verbotstatbeständen des § 48 c Abs. 5 Nr. 2 bis 4 LG NRW.
§ 48 c Abs. 5 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW bestimmen, dass Vorhaben, die zu erheblichen Beeinträchtigungen u.a. eines Europäischen Vogelschutzgebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können, vorbehaltlich der in § 48 d Abs. 5 bezeichneten Ausnahmen unzulässig sind.
Mit dem Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Beeinträchtigungen" knüpft das nordrhein-westfälische Recht an den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL an. Pläne oder Projekte können im Sinne dieser gemeinschaftsrechtlichen Norm das Gebiet erheblich beeinträchtigen, "wenn sie drohen, die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden."
Vgl. EuGH, Urteil vom 7.9.2004 - C-127/02 - (Rn. 49), a.a.O.
Daraus folgt, dass Pläne oder Projekte nur dann zuzulassen sind, wenn die Gewissheit besteht, dass diese sich nicht nachteilig auf das geschützte Gebiet als solches auswirken. Grundsätzlich ist somit jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen erheblich und muss als Beeinträchtigung des Gebiets als solches gewertet werden. Unerheblich dürften im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur Beeinträchtigungen sein, die kein Erhaltungsziel nachteilig berühren.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 41).
Ob ein Vorhaben nach dem so konkretisierten Prüfungsmaßstab des § 48 c Satz 5 Nr. 1 bzw. § 48 d Abs. 4 LG NRW zu "erheblichen Beeinträchtigungen" führen kann, ist danach vorrangig eine naturschutzfachliche Fragestellung, die anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden muss. Mit Blick auf die Erhaltungsziele des FFH-Gebiets stellt insofern der günstige Erhaltungszustand der geschützten Lebensräume und Arten ein geeignetes Bewertungskriterium dar. Es ist also zu fragen, ob sicher ist, dass ein günstiger Erhaltungszustand trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben wird. Beim günstigen Erhaltungszustand einer vom Erhaltungsziel des FFH-Gebiets umfassten Tier- oder Pflanzenart geht es um ihr Verbreitungsgebiet und ihre Populationsgröße; in beiden Bereichen soll langfristig gesehen eine Qualitätseinbuße vermieden werden. Die damit beschriebene Reaktions- und Belastungsschwelle kann unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls gewisse Einwirkungen zulassen. Diese berühren das Erhaltungsziel nicht nachteilig, wenn es etwa um den Schutz von Tierarten geht, die sich nachweisbar von den in Rede stehenden Beeinträchtigungen nicht stören lassen. Bei einer entsprechenden Standortdynamik der betroffenen Tierart führt nicht jeder Verlust eines lokalen Vorkommens oder Reviers zwangsläufig zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustands. Selbst eine Rückentwicklung der Population mag nicht als Überschreitung der Reaktions- und Belastungsschwelle zu werten sein, so lange sicher davon ausgegangen werden kann, dass dies eine kurzzeitige Episode bleiben wird.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 45).
Der günstige Erhaltungszustand eines im FFH-Gebiet geschützten Lebensraums wird in Art. 1 Abs. 2 Buchst. e 1. Anstrich FFH-RL dahingehend definiert, dass "sein natürliches Verbreitungsgebiet" sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen. Davon ausgehend sind Vorhaben, die einen direkten Flächenverlust für ein in den Schutzzweck der Gebietsausweisung einbezogenes Biotop bewirken, in besonderer Weise dazu geeignet, das Erhaltungsziel des Gebiets zu gefährden.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 50); Halama, NVwZ 2001, 506, 510; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 504.
Ob in Fällen eines direkten Flächenverlustes eine Bagatellschwelle, die den Flächenverbrauch zu rechtfertigen vermag, anzuerkennen ist, ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt. Das BVerwG hat diese Frage in seiner Entscheidung vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 51) - ausdrücklich offen gelassen. In diesem Zusammenhang hat das BVerwG darauf hingewiesen, dass bei der Kartierung von Biotopvorkommen aus naturschutzfachlichen Gesichtspunkten angesetzte "Mindestflächengrößen" für die Rechtfertigung einer nachträglichen Verkleinerung oder sonstigen Beeinträchtigung eines Schutzgebiets naturschutzfachlich und rechtlich nicht geeignet sind.
Allerdings ist nicht jeder Flächenverlust, den ein FFH-Gebiet infolge eines Vorhabens erleidet, notwendig mit einer Abnahme des Verbreitungsgebiets gleichzusetzen, weil der Gebietsschutz insoweit ein dynamisches Konzept verfolgen dürfte. Denn weiteres Ziel des Erhaltungszustands ist nach der FFH-Richtlinie, dass das "natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird" (2. Anstrich in Absatz 2 von Art. 1 Buchst. i FFH-RL). So ist es denkbar, dass die betroffene Art mit einer Standortdynamik ausgestattet ist, die es ihr unter den gegebenen Umständen gestattet, Flächenverluste selbst auszugleichen. Wenn auch der Erhaltung vorhandener Lebensräume regelmäßig Vorrang vor ihrer Verlagerung zukommt, kann in diesem Fall im Wege der Kompensation durch die Schaffung geeigneter Ausweichhabitate der günstige Erhaltungszustand der betroffenen Art gewährleistet werden.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 45), und vom 17.5.2002 - 4 A 28.01 -, BVerwGE 116, 254 = NuR 2002, 739; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.9.2006 - C-244/05 - (Rn. 46), NVwZ 2007, 61.
Indem § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW auf die "für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile" abstellen, schränken sie den durch sie gewährten Schutz auf die Arten nach Anhang II der FFH-RL, aufgrund derer das Gebiet ausgewählt wurde, sowie die in den geschützten Lebensraumtypen vorkommenden charakteristische Arten ein. Die Bestimmung des Begriffs der Erhaltungsziele ist § 3 b LG NRW i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG zu entnehmen. Danach gelten als Erhaltungsziele die Festlegungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der in einem FFH-Gebiet vorkommenden Lebensräume und Arten nach den Anhängen I und II der FFH-RL bzw. in Vogelschutzgebieten der Vogelarten, die in Anhang I der VS-RL aufgeführt oder in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannt sind. Nach § 48 c Abs. 2 LG NRW bestimmt die Schutzausweisung den Schutzzweck entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen und die erforderlichen Gebietsabgrenzungen. Fehlt es an einem festgelegten Schutzzweck, sind die Erhaltungsziele bis auf weiteres der Gebietsmeldung zu entnehmen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 73, 75).
Der im Rahmen der Vorschriften des § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 b Abs. 4 LG NRW erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung des geschützten Gebiets ist dann erreicht, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Vorhaben das fragliche Gebiet in dieser Weise beeinträchtigt. Diese Auslegung ergibt sich aus dem Vorsorgegrundsatz, der in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eingeschlossen ist. Die Vorschrift konkretisiert zusammen mit ihrem Abs. 2 das Vorsorgeprinzip des Art. 124 Abs. 2 Satz 2 EG für den Gebietsschutz im Rahmen von "Natura 2000". Nach Art. 124 Abs. 2 EG zielt die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf ein hohes Schutzniveau ab und beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.
BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 58); OVG NRW, Urteil vom 13.7.2006 - 20 D 80/05.AK -, NuR 2007, 48; EuGH, Urteile vom 10.1.2006 - C-98/03 - (Rn. 40 ff.), NuR 2006, 166, und vom 7.9.2004 - C-127/02 - (Rn. 44), a.a.O.
Das gemeinschaftsrechtliche Vorsorgeprinzip verlangt nicht, die FFH-Verträglichkeitsprüfung auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Das wäre schon deswegen unzulässig, weil dafür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte. Verbleibt nach Abschluss einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel, dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das Vorhaben zulässig. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine Prüfungspflicht und scheiden ebenso als Grundlage für die Annahme erheblicher Beeinträchtigungen aus, die dem Vorhaben entgegengehalten werden können.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 60); EuGH, Urteile vom 20.10.2005 - C-6/04 -, NuR 2006, 494, und vom 7.9.2004 - C-127/02 -, a.a.O.
Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Vorsorgegrundsatz ergibt sich, dass bestehende wissenschaftliche Unsicherheiten nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden müssen. Dies macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen erforderlich, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gebietet vielmehr nur den Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel. Zur anerkannten wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für die Befunde einzuschätzen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 66).
Daraus folgt ferner, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der Sache nach eine Beweisregel des Inhalts gilt, dass die Behörde ein Vorhaben ohne Rückgriff auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt. Die zu fordernde Gewissheit liegt nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten werden. In Ansehung des Vorsorgegrundsatzes ist dabei die objektive Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen im Grundsatz nicht anders einzustufen als die Gewissheit eines Schadens. Wenn bei einem Vorhaben aufgrund der Vorprüfung nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen entstanden ist, kann dieser Verdacht nur durch eine schlüssige naturschutzfachliche Argumentation ausgeräumt werden, mit der ein Gegenbeweis geführt wird. Dieser Gegenbeweis misslingt zum Einen, wenn die Risikoanalyse, -prognose und -bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt, zum Anderen aber auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv nicht ausreichen, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Derzeit nicht ausräumbare wissenschaftliche Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge sind allerdings dann kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn das Schutzkonzept ein wirksames Risikomanagement entwickelt hat. Außerdem ist es zulässig, mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten; diese müssen kenntlich gemacht und begründet werden. Ein Beispiel für eine gängige Methode dieser Art ist auch der Analogieschluss, bei dem bei Einhaltung eines wissenschaftlichen Standards bestehende Wissenslücken überbrückt werden. Zur Abschätzung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Erhaltungsziele des Gebiets können häufig sogenannte Schlüsselindikatoren verwendet werden. Als Form der wissenschaftlichen Schätzung ist ebenso eine Worst-Case-Betrachtung zulässig, die zweifelsfrei verbleibende negative Auswirkungen des Vorhabens unterstellt; denn diese ist nichts anderes als eine in der Wissenschaft anerkannte konservative Risikoabschätzung. Allerdings muss dadurch ein Ergebnis erzielt werden, das hinsichtlich der untersuchten Fragestellung "auf der sicheren Seite" liegt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 63, 64); EuGH, Urteile vom 20.10.2005 - C-6/04 - (Rn. 53), NuR 2006, 494, und vom 7.9.2004 - C-127/02 - (Rn. 53 ff.), a.a.O.
Ausgehend von diesen Maßstäben ist keine Verträglichkeit des streitigen Vorhabens mit den Schutzzwecken des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" gegeben. Die vom Kläger vorgelegte FFH-Verträglichkeitsprüfung und die weiteren Stellungnahmen des Gutachters Dr. M. setzen den vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV), der Unteren Landschaftsbehörde und der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. (ABU) sowie den in der mündlichen Verhandlung gehörten Sachverständigen Dr. X. und J. vorgebrachten vogelkundlichen Bedenken nicht in allen Punkten hinreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse entgegen und vermögen daher dem Senat nicht die erforderliche Überzeugung vom voraussichtlichen Ausbleiben erheblicher Beeinträchtigungen des Erhaltungszustands sämtlicher durch die Gebietsausweisung geschützter Vogelarten zu vermitteln.
Der Senat stützt sich dabei jeweils selbständig tragend auf die Bewertung seiner Erkenntnisse zu Wiesenweihe, Goldregenpfeifer und Rotmilan. Ob daneben die Erhaltungszustände weiterer Vogelarten durch das Vorhaben beeinträchtigt werden, lässt der Senat offen, so dass es der hilfsweise beantragten Einholung weiterer Sachverständigengutachten insoweit nicht bedarf.
Sowohl im Hinblick auf die durch die Anlage verursachten Beeinträchtigungen des geschützten Lebensraums von Wiesenweihe (dazu 1.) und Goldregenpfeifer (dazu 2.) als auch hinsichtlich der Gefahr des Verlustes einzelner Individuen des Rotmilans durch Vogelschlag (dazu 3.) fehlt es an gesicherten, das heißt von ausreichenden empirischen Daten getragenen und fachkundlich im Wesentlichen übereinstimmend bewerteten Erkenntnissen, die eine "auf der sicheren Seite" liegende Abschätzung der Folgen des streitigen Vorhabens erlauben würden.
1. Die Sachverständigen Dr. X. und J. haben in der mündlichen Verhandlung entsprechend den von LANUV und ABU gefertigten schriftlichen Stellungnahmen im Wesentlichen übereinstimmend die ernsthafte Besorgnis dargelegt, dass von dem Vorhaben ein die Flugbewegungen der Wiesenweihe in dem Raum zwischen den Ortschaften C. und D. erheblich störender Barriereeffekt ausgehen könnte, der in seinen Auswirkungen über den Verlust einer einzelnen Fläche in der näheren Umgebung der geplanten Anlage als Nahrungs- und Bruthabitat hinausreichen und durch die teilweise Verriegelung einer Kernzone des Schutzgebiets dessen besondere Habitatfunktion als weiträumige und offene Ackerfläche wesentlich beeinträchtigen würde. Diese fachliche Beurteilung lässt Mängel in methodischer Hinsicht oder den Einfluss fachfremder Kriterien nicht erkennen.
Der von den Sachverständigen Dr. X. und J. zu der Frage der Beeinträchtigung des Lebensraums der Wiesenweihe vertretene Standpunkt ist im Hinblick auf die dem Senat von diesen Sachverständigen und dem Gutachter Dr. M. übereinstimmend vermittelten Informationen zu Lebensbedingungen und Verhalten der Wiesenweihe in sich folgerichtig und nachvollziehbar. Danach ist die Hellwegbörde ein Kernlebensraum dieser vom Aussterben bedrohten Art, in dem regelmäßig ca. 40 Brutpaare anzutreffen sind. Der Vorhabenbereich wird von der Wiesenweihe regelmäßig zur Jagd, bislang aber allenfalls sporadisch als Brutplatz genutzt. (...) In der Zeit von 1999 bis 2007 wurden nördlich des Vorhabenbereichs sechs Brutplätze gezählt. Bei der Jagd entfernt sich die Wiesenweihe bis zu zehn Kilometern von ihrem Brut- oder Schlafplatz. Geschlossene Ortschaften überfliegt sie dabei nicht. Auf ihrem Weg von den bevorzugten Brutgebieten nördlich des Vorhabenbereichs zu ihren Hauptjagdgebieten der höheren Lagen des Haarstrangs südlich der A 44 bzw. B 1 passieren regelmäßig Wiesenweihen den ca. 1,5 km breiten Korridor zwischen C. und D. Bei den beobachteten Passagen handelt es sich teilweise um Pendelflüge der Wiesenweihe zur Versorgung ihrer Jungtiere, die von jagenden Einzelindividuen mehrfach täglich unternommen werden.
Wie sich aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kartenmaterial und den fachkundigen Erläuterungen dazu ergibt, variieren die Brutstandorte der Wiesenweihe im Schutzgebiet "Hellwegbörde" in Abhängigkeit vom Nahrungsangebot in der Art eines Pulsierens: Während sich die Wiesenweihen in mäusereichen Jahren mit gutem Nahrungsangebot zu Brutkolonien zusammenfinden, verteilen sich die Brutplätze in Jahren mit schlechtem Nahrungsangebot in der Feldflur.
Über das Konfliktpotential von Windkraftanlagen fehlen in Bezug auf die Wiesenweihe aussagekräftige Untersuchungen. Speziell über das Meideverhalten im Flug fehlt es an belastbaren wissenschaftlichen Daten. Für ein eher ausgeprägtes Meideverhalten spricht generell, dass die Wiesenweihe eine sogenannte Offenlandart ist.
Hinsichtlich der Barrierewirkungen von Windkraftanlagen auf den Vogelzug gibt es bislang kaum systematische Untersuchungen, so dass sich über das Maß der durch Barriereeffekte verursachten Schädigungen von Habitaten keine wissenschaftlich gesicherten Aussagen treffen lassen.
Die angeführten Erkenntnisse widersprechen nicht der von den Sachverständigen Dr. X. und J. dargelegten Auffassung, nach der sich ein relevantes Meideverhalten der Wiesenweihe durch das Vorhaben auf der Grundlage des bisherigen Forschungsstandes nicht ausschließen lasse.
Der von LANUV und ABU schriftlich dargelegte und von den Sachverständigen Dr. X. und J. in der mündlichen Verhandlung vertiefte Standpunkt gewinnt zudem an Plausibilität, wenn man die beschriebenen Summationswirkungen des geplanten Vorhabens mit den Wirkfaktoren der bereits vorhandenen Hochspannungsleitung und des nahe gelegenen Windparks C. in Betracht zieht. Die Abschätzung von Summationseffekten ist - wie in der mündlichen Verhandlung von allen Sachverständigen übereinstimmend ausgeführt worden ist - wegen der Vielgestalt denkbarer Kombinationen fachlich generell schwierig. Auch vor diesem Hintergrund fehlen bislang belastbare wissenschaftliche Untersuchungen, die eine gesicherte Prognose erlauben würden. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die FFH-Verträglichkeitsprüfung Hochspannungsleitungen, wie sie sich im Vorhabenbereich finden, generell eine starke Barrierewirkung zuschreibt (S. 36). Nicht von der Hand zu weisen ist auch der von dem Sachverständigen Dr. X. in der mündlichen Verhandlung angeführte Gesichtspunkt der vertikalen Staffelung der in Rede stehenden Hindernisse, nämlich der zwischen den Masten durchhängenden Stromleitungen und den darüber befindlichen Rotoren. Hinzu kommen die den Flugraum zwischen C. und D. nach Osten hin abriegelnden Anlagen des Windparks C.
Der Kläger hat durch den von ihm beauftragten Gutachter Dr. M. die durch die Sachverständigen Dr. X. und J. aufgeworfenen Zweifel an der Verträglichkeit des Vorhabens mit dem Schutz der Wiesenweihe nicht ausräumen können. Den fachlichen Ausführungen dieses Gutachters ist zwar nach Auffassung des Senats nicht weniger Gewicht beizumessen als denen von LANUV oder ABU. Seine prognostische Einschätzung in dem hier entscheidenden Punkt, von dem Vorhaben gehe kein nennenswerter Barriereeffekt auf die Flugbewegungen der Wiesenweihe aus, ist aber nicht in einer Weise wissenschaftlich abgesichert, die vernünftige Zweifel an der von den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung dargelegten Besorgnis ausräumen könnte. (wird ausgeführt)
Aus den vorstehenden Erwägungen ist zusammenfassend abzuleiten, dass die reale Gefahr einer teilweisen Verriegelung des Zug- und Lebensraums der Wiesenweihe zwischen C. und D. und der dadurch bedingten wesentlichen Einbuße der ökologischen Funktion dieses Areals besteht. Erst recht gilt dies, wenn man das im Parallelverfahren - 8 A 2697/06 - streitige Vorhaben der Errichtung einer 180 m hohen Windkraftanlage im selben Vorhabenbereich als zusammenwirkenden Risikofaktor berücksichtigt, wie Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL und diese Bestimmung umsetzend § 48 d Abs. 4 LG NRW vorgeben; dieses Vorhaben ist als nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlage ein "Projekt" im Sinne dieser Normen (§§ 4 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. 19 a Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG).
Vgl. zu den Anforderungen an Pläne und Projekte im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL: EuGH, Urteil vom 7.9.2004 - C-127/02 -, a.a.O., Rn. 22 ff.
Lassen sich danach die beschriebenen Auswirkungen auf die Wiesenweihe nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausschließen, liegt eine im Sinne von § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW erhebliche Beeinträchtigung vor, da - wie oben bereits ausgeführt - jede nachteilige Auswirkung auf den Erhaltungszustand als im Sinne dieser Norm erheblich zu qualifizieren ist. Dass der Erhaltungszustand der Wiesenweihe, also die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Population dieser Art in dem Schutzgebiet auswirken können (Art. 1 i Satz 1 FFH-RL), unabhängig von der von dem Sachverständigen J. angesprochenen Frage einer aktuellen Bestandsverminderung im Schutzgebiet durch die Gefahr der in Rede stehenden Auswirkungen betroffen ist, wird u.a. dadurch belegt, dass die Zielpopulation von 50 bis 60 Brutpaaren, die in der Beweisaufnahme genannt worden ist, bei weitem noch nicht erreicht worden ist. Wegen des oben beschriebenen dynamischen Verhaltens der Wiesenweihe-Population ist eine ungünstige Entwicklung von Erhalt und Verbreitung dieser Art schon infolge der beschriebenen Funktionseinbuße des Vorhabenbereichs zu besorgen. Die Frage, ob darüber hinaus hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass allein der Verlust eines potentiellen Brutareals im Vorhabenbereich den Erhaltungszustand beeinträchtigen würde, kann danach offen bleiben. Die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung, der Vorhabensstandort liege nicht innerhalb eines traditionellen Brutgebiets der Wiesenweihe (Ziff. 1 des Beweisantrags), kann somit als wahr unterstellt werden, ohne dass sich die rechtliche Bewertung des Sachverhalts ändern würde.
Ausgehend von dieser nicht sicher auszuschließenden Einwirkung auf das Schutzgebiet stützt der Senat seine rechtliche Bewertung auch nicht auf die vom Sachverständigen J. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Beobachtung eines Rückgangs der Wiesenweihe-Population im Jahr 2007. Der zu besorgende Funktionsverlust des Schutzgebiets durch die mögliche Verriegelung des Vorhabenbereichs bringt - wie dargelegt - die unwiderlegte Gefahr einer von kurzfristigen Bestandsschwankungen unabhängigen, dauerhaften Beeinträchtigung des Erhaltungszustands der Wiesenweihe mit sich.
Unabhängig davon kann von der Einholung weiterer Sachverständigengutachten bzw. eines "Obergutachtens" zur Frage der Beeinträchtigung des Erhaltungszustands der Wiesenweihe auch deshalb abgesehen werden, weil die im Verfahren bereits gewonnenen Ermittlungsergebnisse eine hinreichende Grundlage für die rechtliche Beurteilung des Falles bilden. Die Entscheidung darüber, ob ein - weiteres - Gutachten eingeholt werden soll, steht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Reicht ein bereits eingereichtes Gutachten aus, um das Gericht in die Lage zu versetzen, die entscheidungserheblichen Fragen sachkundig beurteilen zu können, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens oder "Obergutachtens" weder notwendig noch veranlasst.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.2.1999 - 9 B 381.98 -, DVBl. 1999, 1206, und Urteil vom 6.2.1985 - 8 C 15.84 -, BVerwGE 71, 38.
Für die vom Senat nach den oben dargelegten rechtlichen Maßstäben zu beurteilende Frage, ob erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzzwecks des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen sind, bedarf es keiner Sachverhaltsfeststellungen, mit denen Meinungsverschiedenheiten zwischen den bisherigen Gutachten überwunden und die wissenschaftlichen Streitfragen einer letztendlichen Klärung zugeführt würden. Es reicht vielmehr aus, dass vernünftige Zweifel an dem günstigen Erhaltungszustand der Wiesenweihe bestehen. Solche Zweifel sind - wie oben dargelegt - durch die Sachverständigen Dr. X. und J. sowie die von Seiten der ABU und des LANUV abgegebenen schriftlichen Stellungnahmen in nachvollziehbarer, methodisch nicht zu beanstandender und unwiderlegter Weise vorgetragen worden.
Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass ein weiterer Sachverständiger wesentliche neue Erkenntnisse beitragen oder unter Anwendung anderer oder neuerer Methoden zu anderen Ergebnissen gelangen würde.
2. Bezüglich des Goldregenpfeifers vertreten die Sachverständigen Dr. X. und J. ebenfalls den Standpunkt, dass es durch das Vorhaben - ähnlich wie bei der Wiesenweihe (vgl. oben) - zu einem relevanten Barriereeffekt kommen wird, der sich wesentlich auf die Funktionen des Raums zwischen C. und D. als Durchzugs- und Lebensraum dieser Art auswirken würde. Auch diese fachliche Einschätzung begegnet keinen Bedenken.
Der Goldregenpfeifer kommt im Schutzgebiet nur als Durchzügler vor. Zur Zugzeit ist er überall in den Feldfluren des Schutzgebiets anzutreffen. Die Hellwegbörde ist aufgrund der Anzahl der dort beobachteten Goldregenpfeifer als bevorzugtes Rastgebiet dieser Art zu bewerten, wenngleich die größten Schwärme des Goldregenpfeifers eher im Süden des Schutzgebiets anzutreffen sind. Der Goldregenpfeifer zieht und rastet in Schwärmen, in denen sich Goldregenpfeifer und Kiebitze häufig vermischen. Nördlich und südlich des Vorhabenbereichs befindet sich jeweils ein Rastplatz dieser Art, der regelmäßig von Schwärmen aus mehreren tausend Einzelexemplaren frequentiert wird. Die Flugrichtungen vom nahe beim Vorhabenbereich gelegenen nördlichen Rastplatz führen über den Vorhabenbereich hinweg. Es ist wahrscheinlich, dass es neben dem regelmäßigen Zug der Schwärme Flugbewegungen einzelner Exemplare im Sinne eines funktionalen Austauschs zwischen den beiden erwähnten Rastplätzen gibt. Wissenschaftlich gesichert ist dies jedoch nicht. Bei Störungen fliegt stets der gesamte Schwarm auf. Es ist übereinstimmende Auffassung der in der mündlichen Verhandlung befragten Sachverständigen, dass die Empfindlichkeit des Schwarms mit dessen Größe zunimmt. Dann wechselt der ganze Schwarm zu einem möglichst nahe gelegenen anderen Rastplatz.
Der Goldregenpfeifer weist eine vergleichsweise hohe Empfindlichkeit gegen Windkraftanlagen auf. Für rastende Schwärme sind Meidungsradien von 200 bis 500 m, in Einzelfällen sogar von 800 m beobachtet worden. Die Meidungsradien während des Fluges sind wissenschaftlich nicht geklärt, so dass über das tatsächliche Ausmaß der Störungen des Vogelzugs dieser Art durch Windkraftanlagen keine fachlich gesicherten Aussagen getroffen werden können.
Bei dieser Erkenntnislage ist die Schlussfolgerung der Sachverständigen Dr. X. und J. nachvollziehbar, es sei plausibel, dass durch das Vorhaben ein bevorzugter Flugraum des Goldregenpfeifers verriegelt würde, was - zumindest nach Auffassung des Sachverständigen J. - auf Dauer zu einer Aufgabe des Rastplatzes im Norden des Vorhabenbereichs führen könne. Beide Sachverständigen weisen mit der gebotenen Vorsicht darauf hin, dass die genauen Auswirkungen auf den Goldregenpfeifer in quantitativer Hinsicht keinesfalls sicher vorhergesehen werden könnten. Für deren dargelegte Besorgnis spricht die von dem Sachverständigen J. mitgeteilte Beobachtung, dass in der Nähe von Windkraftanlagen, die auf dem Haarstrang errichtet worden seien, Rastplätze der Goldregenpfeifer und Kiebitze komplett verloren gegangen seien. Was die Plausibilität dieser Einschätzung weiter stützt, ist die bereits hinsichtlich der Wiesenweihe oben erörterte Summationswirkung, die insbesondere im Hinblick auf die bestehende Hochspannungsleitung Gewicht erlangen dürfte. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Drehbewegung des Rotors einer Windkraftanlage in besonderem Maße auf das Flugverhalten eines Schwarms auswirken kann.
Die Gegenauffassung von Dr. M., der eine erhebliche Beeinträchtigung des Goldregenpfeifers durch das Vorhaben bezweifelt, vermag die von den Sachverständigen Dr. X. und J. sowie seitens ABU und LANUV dargelegten Besorgnisse fachlich nicht zu widerlegen. Sie ist vielmehr - wie Dr. M. selbst einräumt - mangels ausreichender wissenschaftlicher Grundlagen zum Meideverhalten des Goldregenpfeifers gegenüber Windkraftanlagen ebenso wenig fachlich abgesichert wie die Prognose der Sachverständigen Dr. X. und J.
Nach dem Gesagten ist nicht sicher auszuschließen, dass die angestammten Rastplätze des Goldregenpfeifers im Norden und Süden des Vorhabenbereichs in ihrer Funktion gestört oder - was insbesondere für den Rastplatz im Norden zu besorgen ist - sogar ganz aufgegeben würden. Damit ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Erhaltungszustands dieser Art in dem oben dargelegten Sinn zu bejahen. Anhaltspunkte dafür, dass die Population des Goldregenpfeifers die drohenden Habitatverluste ohne Einbußen an Bestand und Verbreitungsgebiet durch die Inanspruchnahme anderer Flächen ausgleichen könnte, sind nicht dargelegt worden. Die dahingehende Einschätzung von Dr. M. ist nicht durch fachliche Erkenntnisse hinreichend abgesichert. Gegen sie spricht im Übrigen, dass die beiden Sachverständigen und Dr. M. übereinstimmend erklärt haben, dass der Goldregenpfeifer bestimmten Rastplätzen treu bleibt. Um solche traditionellen Rastplätze handelt es sich bei denen nördlich und südlich des Vorhabenbereichs. Wenn man hinzu nimmt, dass die bisherigen Beobachtungen kein vollständiges Bild von der Anzahl der Individuen des Goldregenpfeifers und deren Verteilung im Schutzgebiet ergeben, fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für die Annahme, dass die Rastplätze im Schutzgebiet ohne Weiteres ersetzt werden könnten.
Der hilfsweise beantragten Einholung weiterer Sachverständigengutachten bedarf es hinsichtlich der Frage einer den Goldregenpfeifer beeinträchtigenden Barrierewirkung nicht, weil die bereits vorliegenden Gutachten und die Ergebnisse der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Beweisaufnahme dem Senat die zur rechtlichen Bewertung des Falles erforderliche Sachkunde vermitteln. Auf die obigen Ausführungen zur Wiesenweihe wird insoweit Bezug genommen.
3. Auch die Gefahr einer Beeinträchtigung des Erhaltungszustands des Rotmilans ist nicht mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen. Die Besorgnis der Gefährdung der Population des Rotmilans im Schutzgebiet gründet sich auf folgende, von den beteiligten Sachverständigen und Dr. M. übereinstimmend dargelegte Erkenntnisse: Das Vogelschutzgebiet "Hellwegbörde" hat als Rast- und Durchzugsquartier für den Rotmilan eine besondere Bedeutung. Deutschland trägt mit 60 % des Weltbestandes dieser Art eine ganz besondere Verantwortung für deren Erhaltung. In NRW, das einen Anteil von ca. 4 % am deutschen Bestand hat, geht die Zahl der Rotmilane seit einigen Jahren zurück. In der Hellwegbörde sind regelmäßig jährlich 15 bis 30 Brutpaare anzutreffen. Das Vorhabengebiet gehört zum regelmäßigen Nahrungshabitat dieser Art. Im Abstand von drei bis vier Kilometern zum Vorhabenbereich sind Brutplätze des Rotmilans festgestellt worden. Der Rotmilan benötigt eine Offenlandstruktur mit kleinen Gehölzen. Die Hellwegbörde erfüllt diese Habitatansprüche, auch wenn es noch geeignetere Lebensräume im Lippischen Bergland und Hochsauerlandkreis gibt. In der Zugzeit, das heißt in der zweiten Hälfte August und der ersten Hälfte des September, wird das Schutzgebiet besonders häufig von Rotmilanen frequentiert. Dort konzentrieren sich die Durchzügler wegen des im Süden mit dem Haarstrang beginnenden Mittelgebirgszugs.
Nach Beobachtungen des Sachverständigen J. sind im Frühjahr 2007 auf einem Drittel der Fläche der Hellwegbörde 80 Rotmilane gezählt worden, von denen anzunehmen sei, dass sie nicht alle im Vogelschutzgebiet brüteten.
Der Rotmilan wird häufiger als jede andere Vogelart an Windkraftanlagen tot aufgefunden. Die weitaus meisten Kollisionsopfer sind aus den neuen Bundesländern bekannt; die Ursache für diese Häufung ist wissenschaftlich bislang nicht erforscht.
Die daraus abzuleitende Gefährdung des Rotmilans durch Vogelschlag an der geplanten Windkraftanlage wird dadurch noch verstärkt, dass es sich hier um einen im oberen Größenbereich der bisher in Deutschland realisierten Windkraftanlagen liegenden Anlagentyp handelt. Die in das Verfahren eingeführte Studie des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) von Oktober 2006, "Auswirkungen des Repowering von Windkraftanlagen auf Vögel und Fledermäuse", Gliederungspunkt 4.2.1, gibt Grund zu der Annahme, dass die Kollisionsrate bei Vögeln generell mit der Gesamthöhe der Anlage zunimmt.
Die Besorgnis, dass es durch das streitige Vorhaben zu Verlusten von Rotmilanen durch Vogelschlag kommen wird, wird von Dr. M. nicht hinreichend ausgeräumt. Es verbleiben vielmehr trotz seiner plausiblen Erklärungsansätze vernünftige Zweifel daran, dass Schäden durch Vogelschlag ausbleiben bzw. zu einem theoretischen Risiko gemindert würden. Dass die Ursache für die Häufung von an Windkraftanlagen tot aufgefundenen Rotmilanen in Brandenburg mit der Agrarstruktur der ehemaligen DDR zusammenhängt, ist denkbar, aber - wie Dr. M. in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt hat - aus dem vorhandenen Datenmaterial nicht zwingend zu folgern. Die hohe Zahl tot aufgefundener Rotmilane an Windkraftanlagen in Brandenburg kann ausschließlich oder teilweise auf der dort durchgeführten intensiveren Suche beruhen, wie der Sachverständige Dr. X. in Übereinstimmung mit den in der Antwort der Bundesregierung vom 30.3.2005 auf eine Kleine Anfrage - BT-Drucks. 15/5188 - dargelegten Erkenntnissen ausgeführt hat. Vögel, die Opfer von Kollisionen mit Windkraftanlagen geworden sind, bleiben nach der übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen und Dr. M. nicht lange im Gelände liegen, sondern werden von Räubern alsbald beseitigt. Das heißt, dass aussagekräftige Daten zum Vogelschlag nur durch systematische Untersuchungen gewonnen werden können, die nach Angaben von Dr. X. in NRW bislang nicht durchgeführt worden sind; dem haben der Sachverständige J. und Dr. M. in der mündlichen Verhandlung nicht widersprochen. Vor diesem Hintergrund ist der Feststellung in der FFH-Verträglichkeitsprüfung, in NRW sei bislang erst ein toter Rotmilan an einer Windkraftanlage aufgefunden worden, kein entscheidendes Gewicht für die Bewertung des Vogelschlagrisikos beizumessen. Der gegenwärtige wissenschaftliche Kenntnisstand erlaubt somit keine gesicherten Aussagen über den Zusammenhang der topographischen Gegebenheiten und des spezifischen Unfallrisikos für Rotmilane an Windkraftanlagen. Die Annahme einer besonderen Gefährdung gerade des Rotmilans drängt sich aber auf.
Auch wenn der bisherige Forschungsstand eine genaue populationsökologische Bewertung der Auswirkungen von Windkraftanlagen durch Vogelschlag auf den Rotmilan nicht zulässt, so auch die Antwort der Bundesregierung vom 30.3.2005 auf eine Kleine Anfrage, a.a.O., gibt es Anhaltspunkte dafür, dass schon der Verlust einzelner Exemplare dieser Art - insbesondere zur Brutzeit - nicht ohne Auswirkungen auf den lokalen Bestand dieser seltenen Vogelart bleiben und damit deren Erhaltungszustand beeinträchtigen würde.
Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 16.3.2006 - 1 A 10884/05 -, NVwZ-RR 2007, 309 = NuR 2006, 520; zum Vogelschlagrisiko des Rotmilans an Windkraftanlagen vgl. auch: Bay. VGH, Urteil vom 30.6.2005 - 26 B 01.2833 -, juris, und VG Stuttgart, Urteil vom 3.5.2005 - 13 K 5609/03 -, NuR 2005, 673.
Probleme für die Bestandsentwicklung des Rotmilans durch Einzelverluste ergeben sich vor allem deshalb, weil - wie der Sachverständige J. in der mündlichen Verhandlung erläutert hat - diese Art langlebig ist und zugleich eine niedrige Reproduktionsrate aufweist.
Ende der Entscheidung
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