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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 09.08.2006
Aktenzeichen: 8 A 3726/05
Rechtsgebiete: BImSchG, BauGB, BauO NRW


Vorschriften:

BImSchG § 67
BauGB § 35
BauO NRW § 6
1. Das in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme umfasst auch Fallkonstellationen, in denen von einem Bauvorhaben eine optisch bedrängende Wirkung auf bewohnte Nachbargrundstücke im Außenbereich ausgeht.

2. Ob von einer Windkraftanlage eine optisch bedrängende Wirkung auf eine Wohnbebauung ausgeht, ist stets anhand aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Für diese Einzelfallprüfung lassen sich grobe Anhaltswerte prognostizieren:

a) Beträgt der Abstand zwischen einem Wohnhaus und einer Windkraftanlage mindestens das Dreifache der Gesamthöhe (Nabenhöhe + 1/2 Rotordurchmesser) der geplanten Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu dem Ergebnis kommen, dass von dieser Anlage keine optisch bedrängende Wirkung zu Lasten der Wohnnutzung ausgeht.

b) Ist der Abstand geringer als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu einer dominanten und optisch bedrängenden Wirkung der Anlage gelangen.

c) Beträgt der Abstand zwischen dem Wohnhaus und der Windkraftanlage das Zwei- bis Dreifache der Gesamthöhe der Anlage, bedarf es regelmäßig einer besonders intensiven Prüfung des Einzelfalls.


Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer eines im Außenbereich gelegenen Grundstücks und wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Windkraftanlage des Typs Enercon E-58 mit einer Nabenhöhe von 70,5 m und einem Rotordurchmesser von 58 m. Der Standort der - noch nicht errichteten - Windkraftanlage liegt 209,3 m südöstlich von dem Wohnhaus des Klägers entfernt. Gegen die Baugenehmigung legte der Kläger Widerspruch ein und erhob nach dessen Zurückweisung Klage. Das VG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Gründe:

Die angefochtene "Baugenehmigung" zur Errichtung einer Windkraftanlage - die nach § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG als immissionsschutzrechtliche Genehmigung fortgilt - verstößt zu Lasten des Klägers gegen nachbarschützende öffentlich-rechtliche Vorschriften des Bauplanungsrechts und verletzt ihn deshalb in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die durch Bescheid des Beklagten vom 23.1.2001 erteilte "Baugenehmigung" in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung N. vom 7.9.2001, der Nachtragsbaugenehmigung vom 2.10.2002 und der Teilverzichtserklärung des Beigeladenen vom 2.11.2004. Auf der Grundlage des Teilverzichts des Beigeladenen ist der Betrieb der Anlage zur Nacht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr nur noch mit einem Schallleistungspegel von 92,9 dB(A) - entsprechend einer elektrischen Leistung von maximal 420 kW - genehmigt. Soweit die Baugenehmigung in ihrer ursprünglichen Fassung hinsichtlich des Nachtbetriebs der Anlage für den Beigeladenen weitergehende Rechte begründet hatte, ist sie auf Grund des Teilverzichts auch ohne ausdrückliche Aufhebungsverfügung erloschen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1989 - 4 C 36/86 -, NVwZ 1990, 464; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.1993 - 3 S 1120/92 -, juris, Beschluss vom 9.3.1998 - 5 S 3203/97 -, juris.

2. Dem Kläger steht ein nachbarliches Abwehrrecht gegen das Bauvorhaben des Beigeladenen zu, weil von diesem Vorhaben eine optisch bedrängende Wirkung ausgehen würde, die im Hinblick auf die Wohnnutzung des Klägers einen Verstoß gegen das allgemeine, im Bauplanungsrecht verankerte Rücksichtnahmegebot darstellt.

a) Unerheblich ist, ob das Bauvorhaben die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften einhält. Das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht regelt nicht abschließend, ob von einer baulichen Anlage wie einer Windkraftanlage, insbesondere wegen der Drehbewegung des Rotors, eine optisch bedrängende Wirkung auf die Bebauung in der unmittelbaren Umgebung ausgeht. Ein Bauvorhaben kann sich gegenüber benachbarter Wohnbebauung auch dann als planungsrechtlich rücksichtslos erweisen, wenn - wie hier - die landesbaurechtlich geregelten Abstandsvorschriften (vgl. § 6 Abs. 10 BauO NRW) zu den benachbarten Grundstücken eingehalten sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.5.1986 - 4 C 34.85 -, BRS 46 Nr. 176; OVG NRW, Beschluss vom 3.9.1999 - 10 B 1283/99 -; Nds. OVG, Beschluss vom 4.4.2005 - 1 LA 76/04 -, NVwZ-RR 2005, 521.

b) Das Rücksichtnahmegebot ist als öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu beachten; ihm kommt drittschützende Wirkung zu.

Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens richtet sich, da die Windkraftanlage ebenso wie das Wohnhaus des Klägers im Außenbereich liegt, nach § 35 BauGB. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urteile vom 6.12.1967 - 4 C 94.66 -, BRS 18 Nr. 57, vom 21.10.1968 - 4 C 13.68 -, BRS 20 Nr. 158, vom 28.10.1993 - 4 C 5.93 -, BRS 55 Nr. 168, und Beschluss vom 28.7.1999 - 4 B 38.99 -, BRS 62 Nr. 189, ist § 35 BauGB keine generell nachbarschützende Vorschrift, sondern vermittelt lediglich im Einzelfall Nachbarschutz dadurch, dass ein Vorhaben im Außenbereich nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen darf. Das Gebot, auf schutzwürdige Individualinteressen Rücksicht zu nehmen, wird zwar in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht ausdrücklich aufgeführt; seine Qualität als öffentlicher Belang ist aber in der Rechtsprechung anerkannt. Es hat seinen Niederschlag beispielhaft im Katalog des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB gefunden, wo das Erfordernis in Nr. 3, schädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden, eine besondere, auf Immissionskonflikte beschränkte gesetzliche Ausformung dieses Gebots darstellt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25.2.1977 - 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122, vom 21.1.1983 - 4 C 59.79 -, Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 196, und vom 28.10.1993 - 4 C 5.93 -, a.a.O.

Das Gebot der Rücksichtnahme erfasst über die Immissionsbelastungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB hinaus, a.A. offenbar OVG Rh.-Pf., Urteil vom 12.6.2003 - 1 A 11127/02 -, NUR 2003, 768, auch solche Fälle, in denen sonstige nachteilige Wirkungen des Bauvorhabens in Rede stehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.1.1983 - 4 C 59.79 -, a.a.O.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 26.11.2003 - 8 A 10814/03 -, UPR 2004, 198.

Deshalb kann grundsätzlich auch die optische Wirkung, die ein Bauvorhaben - wie hier eine Windkraftanlage - auf bewohnte Nachbargrundstücke im Außenbereich ausübt, im Einzelfall mit dem Gebot der Rücksichtnahme nicht zu vereinbaren sein.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 29.8.1997 - 7 A 629/95 -, NWVBl. 1998, 115, vom 18.11.2002 - 7 A 2127/00 -, BauR 2003, 517, Beschlüsse vom 22.10.1996 - 10 B 2385/96 -, GewArch 1997, 126, vom 3.9.1999 - 10 B 1283/99 -, NVwZ 1999, 1360, vom 2.4.2003 - 10 B 1572/02 -, BauR 2004, 475, vom 2.4.2004 - 7 B 335/04 -, juris, und vom 12.1.2006 - 8 A 2381/03 -.

c) Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung des BVerwG wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25.2.1977 - 4 C 22.75 -, a.a.O., vom 13.3.1981 - 4 C 1.78 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 44 = DÖV 1981, 672, und vom 28.10.1993 - 4 C 5.93 -, a.a.O.

Eine gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßende optisch bedrängende Wirkung ist in der Rechtsprechung angenommen worden, wenn dem hinzutretenden Bauwerk wegen seiner Höhe und Breite gegenüber dem Nachbargrundstück eine "erdrückende" bzw. "erschlagende" Wirkung zukommt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 13.3.1981 - 4 C 1.78 -, a.a.O., und vom 23.5.1986 - 4 C 34.85 -, a.a.O.

Dies ist insbesondere der Fall, wenn die baulichen Dimensionen des "erdrückenden" Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig sind, dass das "erdrückte" Gebäude oder Grundstück nur noch überwiegend wie eine von einem herrschenden Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird, vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.2005 - 10 A 3138/02 -, juris, oder das Bauvorhaben das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d.h. dort ein Gefühl des Eingemauertseins oder eine Gefängnishofsituation hervorruft.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.1.1999 - 4 B 128.98 -, NVwZ 1999, 879; Nds. OVG, Urteile vom 29.9.1988 - 1 A 75/87 -, BRS 48 Nr. 164, vom 2.7.1999 - 1 K 4234/97 -, BRS 62 Nr. 25.

Für die Frage, ob eine Windkraftanlage im Einzelfall unzumutbar bedrängend wirkt, sind allerdings weitere und andere Kriterien maßgebend. Die Baukörperwirkung einer Windkraftanlage unterscheidet sich von derjenigen klassischer Bauwerke, wie etwa Gebäuden, die durch ihre Baukörpermasse eine erdrückende Wirkung auf die Umgebung ausüben können. Eine Windkraftanlage vermittelt in der Regel nicht, wie ein Gebäude mit großer Höhe und Breite, das Gefühl des Eingemauertseins. Der Baukörper einer Windkraftanlage wirkt weniger durch die Baumasse des Turms der Anlage als vielmehr durch die Höhe der Anlage insgesamt und die Rotorbewegung. Der in der Höhe wahrzunehmenden Drehbewegung des Rotors kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu.

Zum einen lenkt der Rotor durch die Bewegung den Blick auf sich und schafft eine Art "Unruheelement". Ein bewegtes Objekt erregt die Aufmerksamkeit in höherem Maße als ein statisches; eine Bewegung wird selbst dann noch registriert, wenn sie sich nicht direkt in der Blickrichtung des Betroffenen, sondern seitwärts von dieser befindet. Eine nur durch Phasen relativer Windstille unterbrochene ständige, nach Windstärke in der Umdrehungsgeschwindigkeit differierende Bewegung im Blickfeld oder am Rande des Blickfeldes kann schon nach kurzer Zeit, erst recht auf Dauer unerträglich werden. Ein sich bewegendes Objekt zieht den Blick nahezu zwangsläufig auf sich. Es kann Irritationen hervorrufen und die Konzentration auf andere Tätigkeiten wegen der steten, kaum vermeidbaren Ablenkung erschweren.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.1997 - 7 A 629/95 -, a.a.O., m.w.N.

Zum anderen vergrößert die Drehbewegung des Rotors die Windkraftanlage in ihren optischen Dimensionen deutlich und bestimmt sie. Die Fläche, die der Rotor bestreicht, hat in der Regel gebäudegleiche Abmessungen. Die optischen Auswirkungen einer Windkraftanlage sind um so größer, je höher die Anlage ist und je höher deshalb der Rotor angebracht ist.

Die Einzelfallabwägung, ob eine solche Anlage bedrängend auf die Umgebung wirkt, hat sich daher in einem ersten Schritt an der Höhe der Anlage zu orientieren. Eine starre - nach Metern bemessene - Abstandsregelung kann dem allerdings nicht hinreichend Rechnung tragen, da die Gesamthöhe moderner Windkraftanlagen sehr unterschiedlich ist. Von sehr hohen Anlagen geht naturgemäß eine andere optische Einwirkung aus als von Anlagen, die eine deutlich geringere Höhe aufweisen. Eine starre Abstandsregelung würde überdies der nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB gebotenen Berücksichtigung aller Einzelfallumstände nicht gerecht.

Bei der Einzelfallbewertung ist deshalb ferner auf den Rotordurchmesser abzustellen. Je größer der Rotordurchmesser und damit auch die durch die Drehbewegung der Rotorblätter abgedeckte Fläche ist, desto größer ist auch die von der Anlage ausgehende optische Einwirkung.

Darüber hinaus sind die örtlichen Verhältnisse in die Einzelfallbewertung einzustellen. So ist u.a. die Lage bestimmter Räumlichkeiten und deren Fenster sowie von Terrassen u.ä. zur Windkraftanlage von Bedeutung.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3.9.1999 - 10 B 1283/99 -, a.a.O., vom 13.5.2002 - 10 B 671/02 -, NVwZ 2002, 1131, vom 9.7.2002 - 10 B 669/02 -, juris, vom 6.8.2002 - 10 B 939/02 -, NWVBl. 2003, 214, und vom 2.4.2004 - 7 B 335/04 -, juris.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob von dem Wohngrundstück aus eine hinreichende Abschirmung zur Anlage besteht oder in zumutbarer Weise hergestellt werden kann.

Relevant ist im Weiteren der Blickwinkel auf die Anlage, da es für die Erheblichkeit der optischen Beeinträchtigung einen Unterschied macht, ob die Anlage in der Hauptblickrichtung eines Wohnhauses liegt oder sich seitwärts von dieser befindet.

Auch die Hauptwindrichtung kann von Bedeutung sein. Denn von der mit der Windrichtung wechselnden Stellung des Rotors hängt es ab, wie häufig in welcher Größe die vom Rotor bestrichene Fläche von einem Wohnhaus aus wahrgenommen wird.

Von Belang kann im Weiteren die topographische Situation sein. So kann etwa von einer auf einem Hügel gelegenen Windkraftanlage eine andere Wirkung als von einer auf tiefer liegendem Gelände errichteten Anlage ausgehen. Auch können Waldgebiete oder Gebäude einen zumindest partiellen Sichtschutz bieten.

Einfluss auf das Maß der optischen Beeinträchtigung können auch schon vorhandene Windkraftanlagen haben. Denn einer Einzelanlage kann in diesem Zusammenhang je nach der Situation im Einzelfall ein stärkeres Gewicht zukommen als einer Anlage, die sich in eine schon vorhandene (optische) Vorbelastung einfügt und deshalb keine besondere zusätzliche Belastung für die Wohnnutzung darstellt. Je nach Fallkonstellation kann aber auch erst die hinzutretende Anlage in der Zusammenschau mit den bereits vorhandenen Anlagen zu einer unzumutbaren optisch bedrängenden Wirkung führen.

Auch die planungsrechtliche Lage des Wohnhauses ist zu berücksichtigen. Wer im Außenbereich wohnt, muss grundsätzlich mit der Errichtung von in diesem Bereich privilegierten Windkraftanlagen - auch mehrerer - und ihren optischen Auswirkungen rechnen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6.8.2002 - 10 B 939/02 -, a.a.O., und vom 23.7.2004 - 21 B 753/03 -.

Der Schutzanspruch entfällt zwar nicht im Außenbereich, jedoch vermindert er sich dahin, dass dem Betroffenen eher Maßnahmen zumutbar sind, durch die er den Wirkungen der Windkraftanlage ausweicht oder sich vor ihnen schützt.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3.9.1999 - 10 B 1283/99 -, a.a.O., vom 9.7.2002 - 10 B 669/02 -, a.a.O. und vom 12.1.2006 - 8 A 2285/03 -, juris.

Unter Berücksichtigung insbesondere der vorstehenden Kriterien lassen sich für die Ergebnisse der Einzelfallprüfungen grobe Anhaltswerte prognostizieren:

Beträgt der Abstand zwischen einem Wohnhaus und einer Windkraftanlage mindestens das Dreifache der Gesamthöhe (Nabenhöhe + 1/2 Rotordurchmesser) der geplanten Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu dem Ergebnis kommen, dass von dieser Anlage keine optisch bedrängende Wirkung zu Lasten der Wohnnutzung ausgeht. Bei einem solchen Abstand treten die Baukörperwirkung und die Rotorbewegung der Anlage so weit in den Hintergrund, dass ihr in der Regel keine beherrschende Dominanz und keine optisch bedrängende Wirkung gegenüber der Wohnbebauung zukommt.

Ist der Abstand geringer als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu einer dominanten und optisch bedrängenden Wirkung der Anlage gelangen. Ein Wohnhaus wird bei einem solchen Abstand in der Regel optisch von der Anlage überlagert und vereinnahmt. Auch tritt die Anlage in einem solchen Fall durch den verkürzten Abstand und den damit vergrößerten Betrachtungswinkel derart unausweichlich in das Sichtfeld, dass die Wohnnutzung überwiegend in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird.

Beträgt der Abstand zwischen dem Wohnhaus und der Windkraftanlage das Zwei- bis Dreifache der Gesamthöhe der Anlage, bedarf es regelmäßig einer besonders intensiven Prüfung des Einzelfalls.

Diese Anhaltswerte dienen lediglich der ungefähren Orientierung bei der Abwägung der gegenseitigen Interessen, entbinden aber nicht von einer Einzelfallwürdigung bei Abständen, die unterhalb der zweifachen und oberhalb der dreifachen Anlagenhöhe liegen.

d) Ausgehend von diesen Grundsätzen geht von dem geplanten Bauvorhaben eine optisch bedrängende Wirkung im Hinblick auf die Wohnnutzung des Klägers aus, die einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme darstellt.

Im Rahmen der erforderlichen Einzelfallbewertung ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Anlage - im Verhältnis zu ihrer Gesamthöhe - im engen Nahbereich zur Wohnnutzung des Klägers liegt, weil die Entfernung zwischen Anlage und Wohnhaus des Klägers nur knapp mehr als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage beträgt.

Zwar muss der Kläger grundsätzlich mit der Errichtung anderer privilegierter Vorhaben - wie auch einer Windkraftanlage - in seinem Umfeld rechnen, da sich sein Wohnhaus im Außenbereich befindet. Auch hat der Kläger zumindest nicht überwiegend den Blick auf die volle Rotorfläche, weil die Hauptwindrichtung in diesem Bereich nach der Auskunft des Deutschen Wetterdienstes Westsüdwest ist. Gleichwohl sind aufgrund der Nähe der Anlage zu der Wohnnutzung und der Ausrichtung der Räumlichkeiten und des Außenwohnbereichs unzumutbare optische Beeinträchtigungen zu erwarten. Dabei ist nicht nur das Wohn- und Wirtschaftsgebäude, sondern auch das - ebenfalls im Eigentum des Klägers stehende - Altenteilerhaus zu berücksichtigen.

Aufgrund der örtlichen Situation kann der Kläger den erheblichen Sichtbeziehungen zu der geplanten Anlage - deren Rotor eine Fläche von immerhin ca. 2.640 qm bestreicht - weder durch architektonische Selbsthilfe ausweichen noch bestehen hinreichende Abschirmungsmöglichkeiten auf seinem Grundstück.

Sowohl das Wohn- und Wirtschaftsgebäude als auch das Altenteilerhaus sind fast vollständig in Blickrichtung zur geplanten Anlage ausgerichtet. Im Wohn- und Wirtschaftsgebäude befinden sich im Erdgeschoss das Wohnzimmer und das Schlafzimmer sowie im Obergeschoss die beiden Schlafzimmer mit ihren Fenstern in Blickrichtung zu dem Standort der geplanten Anlage. Im Altenteilerhaus befinden sich im Erdgeschoss das Esszimmer und die Küche sowie im Obergeschoss die beiden Kinderzimmer mit ihren Fenstern in Richtung zu dem Standort der geplanten Windkraftanlage. Auf der Grundlage der in den Bauakten befindlichen Grundrisse des Wohn- und Wirtschaftsgebäudes sowie des Altenteilerhauses sind zumutbare architektonische Umgestaltungen, mit denen den Sichtbeziehungen zu der geplanten Windkraftanlage ausgewichen werden kann, innerhalb des jeweiligen Wohnbereichs nicht möglich.

Hinsichtlich des Außenbereichs kann dahinstehen, ob es dem Kläger noch zuzumuten ist, die Terrasse des Altenteilerhauses auf die der Windkraftanlage abgewandte nördliche Hausseite und den gegebenenfalls störenden Misthaufen an einen anderen Standort auf dem Betriebsgelände zu verlegen. Zureichende und zumutbare Abschirmungsmöglichkeiten im Übrigen stehen dem Kläger aber nicht zur Verfügung.

Die Wallhecke entlang der Straße - die ausweislich der Feststellungen im Ortstermin in der Breite des Grundstücks des Klägers nur eine Höhe von zwei bis drei Metern hat - vermag einen solchen Schutz nicht zu vermitteln. Auf die Frage, ob die Wallhecke durch andere Anpflanzungen hinsichtlich der Höhe aufgestockt werden kann, kommt es nicht an. Der Kläger hat jedenfalls keinen Einfluss auf die Art und Höhe der Anpflanzungen in diesem Bereich, da es sich hierbei um eine gemeindeeigene Fläche handelt.

Auch im eigenen Vorgarten kann sich der Kläger mit zumutbarem Aufwand keine wirksamen Abschirmungsmöglichkeiten gegenüber der geplanten Anlage verschaffen. Insbesondere würden neue Anpflanzungen, auch im Hinblick auf die Räumlichkeiten im Obergeschoss und die insoweit erforderliche Höhe, jedenfalls über einen Zeitraum von mehreren Jahren keine hinreichende Abschirmung gegenüber der Anlage bieten. Die Einpflanzung älteren (und entsprechend hohen) Baumbestandes wäre mit einem unzumutbarem finanziellen Aufwand für den Kläger verbunden. Zum anderen würden Anpflanzungen in dieser Höhe auch mit Blick auf die Abmessungen des Vorgartens und den hierdurch bedingten geringen Abstand sowohl zum Wohn- und Wirtschaftsgebäude als auch zum Altenteilerhaus zu einer nicht zumutbaren "Mauerwirkung" sowie Abschattung und Verdunkelung der Räumlichkeiten führen.

Die dargestellten erheblichen optischen Beeinträchtigungen sind auch nicht in Anbetracht der schon vorhandenen weiteren Windkraftanlagen für den Kläger hinzunehmen. Denn diese Anlagen befinden sich in einer so großen Entfernung zum Wohnhaus des Klägers, dass sie keinen Einfluss mehr auf die hier vorzunehmende Einzelfallwürdigung der örtlichen Situation haben.

Ende der Entscheidung

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