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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.12.2003
Aktenzeichen: 8 A 3766/03.A
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

AuslG § 51
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 51 Abs. 3
AsylVfG § 73
AsylVfG § 73 Abs. 1
AsylVfG § 73 Abs. 1 Satz 1
Die Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, dürfen auch dann nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG widerrufen werden, wenn aufgrund einer nachträglichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren von dem Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit im Sinne des § 51 Abs. 3 AuslG ausgeht.
Tatbestand:

Der als "Kalif von Köln" bekannte Muhammed Metin Kaplan klagte dagegen, dass die Bundesrepublik Deutschland seine im Jahre 1992 erstrittene Zuerkennung von Asyl nach § 73 AsylVfG widerrufen hat, weil einer Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und einer Asylanerkennung nach Art. 16 a GG heute § 51 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 AuslG entgegenstehe. Das VG Köln wies die Klage ab. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage, ob § 73 AsylVfG auch Anwendung findet, wenn nach Asylanerkennung die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG erfüllt werden, ist nicht klärungsbedürftig. Zu ihrer Beantwortung bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens, weil sie ohne weiteres durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu bejahen ist.

Der Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG normiert eindeutig und unmissverständlich, dass die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen sind, "wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen". Dies ist dann der Fall, wenn die für die Anerkennungs- und Feststellungsentscheidung maßgebenden Voraussetzungen nachträglich entfallen sind, wenn also die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG nunmehr ausgeschlossen ist. Zu diesen Voraussetzungen zählt nicht nur die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat, sondern u.a. auch, dass von dem Flüchtling nicht nach Maßgabe von § 51 Abs. 3 AuslG eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit ausgeht. Dass § 51 Abs. 3 AuslG nicht nur den Anspruch auf Abschiebungsschutz für politische Flüchtlinge nach § 51 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 AuslG ausschließt, sondern zugleich den Asylanspruch nach Art. 16 a Abs. 1 GG beschränkt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, BVerwG, Urteil vom 30.3.1999 - 9 C 31.98 -, NVwZ 1999, 1346 (1347), auch zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit.

Auch die Entstehungsgeschichte des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG spricht nicht gegen, sondern für die Anwendung des § 51 Abs. 3 AuslG bei den Widerrufsvoraussetzungen dieser Bestimmung. Der Gesetzgeber hatte bei Schaffung der Vorläufervorschrift "insbesondere" den Fall als Widerrufsgrund vor Augen, dass "in dem Verfolgungsland ein Wechsel des politischen Systems eingetreten ist, so dass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist".

BT-Drucks. 9/875 vom 7.10.1981, Gesetzesentwurf zum AsylVfG, S. 18 zu § 11.

Dies verdeutlicht, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, sondern vielmehr grundsätzlich alle Voraussetzungen für die Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AsylVfG zusprechenden Entscheidungen erfasst sein sollten. Dementsprechend geht auch die höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, dass "vor allem" bzw. "insbesondere" die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorliegen, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Heimatstaat nicht mehr besteht, dass also die Widerrufsvoraussetzungen nicht auf diesen praktisch häufigsten Fall beschränkt sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1992 - 9 C 3.92 -, a.a.O.; Urteil vom 19.9.2000 - 9 C 12.00 -, BVerwGE 112, 80 (83) = DVBl. 2001, 216 = InfAuslR 2001, 53.

Höchstrichterlich geklärt ist darüber hinaus die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1992 - 9 C 3.92 -, Buchholz 402.25, § 73 AsylVfG Nr. 1.

Eine einschränkende Auslegung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auch nicht unter Berücksichtigung der Genfer Flüchtlingskonvention geboten. Die Genfer Flüchtlingskonvention enthält keine allgemeine Bestimmung über den Widerruf eines förmlichen Flüchtlingsstatus. Sie schreibt weder vor, Flüchtlingen einen besonderen Status zu verleihen, noch trifft sie Regelungen über einen Widerruf oder eine Rücknahme eines derartigen Status.

Hailbronner, Ausländerrecht, § 73 AsylVfG Rdnr. 4.

Insbesondere enthalten die Vorschriften des Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK keine (abschließende) Regelung über den Widerruf oder die Rücknahme des Flüchtlingsstatus. Für die gegenteilige Auffassung beruft sich der Kläger zu Unrecht auf die Position des UNHCR. Zwar sind die sog. Beendigungsgründe des Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK nach Auffassung des UNHCR abschließend und es gibt keine zusätzlichen Gründe, die die Annahme der Entbehrlichkeit internationalen Schutzes rechtfertigen könnten. Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft nach diesen Vorschriften ist aber (auch) nach Auffassung des UNHCR von der Rücknahme oder dem Widerruf der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu unterscheiden; Art. 1 C GFK behandele gerade nicht den Widerruf der Rechtsstellung als Flüchtling.

UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rdnr. 117; UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. Art. 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, in: NVwZ 2003, Beilage I, 57 (58).

Eine Rücknahme oder ein Widerruf der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt nach Auffassung des UNHCR z.B. in Betracht, wenn nach der Anerkennungsentscheidung Fakten bekannt werden, die einen Ausschluss der Anerkennung als Flüchtling nach Art. 1 D, E oder F GFK rechtfertigen würden. Dies soll etwa auch für den Fall gelten, dass ein Flüchtling im nachhinein durch sein Verhalten den Tatbestand des Art. 1 F (a) oder 1 F (b) GFK erfüllt.

UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rdnr. 141; UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. Art. 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, in: NVwZ 2003, Beilage I, 57 (58).

Soweit der Kläger hieran anknüpfend meint, ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung sei nach der Genfer Flüchtlingskonvention auf die vorgenannten Tatbestände des Art. 1 F (a) oder 1 F (c) GFK beschränkt, verkennt er wiederum den Regelungszusammenhang der Genfer Flüchtlingskonvention. Auch Art. 1 F GFK enthält keine Widerrufsvorschriften, sondern (lediglich) Bestimmungen, wonach Personen, die an sich die für einen Flüchtling nach Art. 1 A GFK erforderlichen Kriterien erfüllen, von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind, und zwar unabhängig davon, ob der Tatbestand des Art. 1 F GFK vor oder nach der Anerkennungsentscheidung erfüllt wird. Es ist daher Aufgabe des jeweiligen vertragsschließenden Staates, ein (Aufhebungs-)Verfahren zu schaffen, in dem nachträgliche Tatsachen Berücksichtigung finden können.

Gleiches gilt für den - im vorliegenden Zusammenhang bedeutsamen - Art. 33 Abs. 2 GFK, der vorsieht, dass sich auf die Vergünstigung des Refoulement-Verbots des Art. 33 Abs. 1 GFK ein Flüchtling nicht berufen kann, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde. Diese Ausnahme von der Gewährung von Abschiebungsschutz für einen Flüchtling im Sinne des Art. 1 A GFK ist ebenfalls nicht davon abhängig, ob der Tatbestand des Art. 33 Abs. 2 GFK vor oder nach der Anerkennungsentscheidung erfüllt wird. Vielmehr soll der Ausschluss vom Schutz des Flüchtlingsrechts nach Art. 33 Abs. 2 GFK gerade diejenigen Straftaten erfassen, die nach der Einreise in das Zufluchtsland verübt werden, ohne Beschränkung auf den (grundsätzlich kurzen) Zeitraum bis zur Flüchtlingsanerkennung. Die Regelung berücksichtigt den im Völkergewohnheitsrecht anerkannten Grundsatz, dass jeder Staat dem Schutz seiner eigenen Sicherheit Vorrang vor fremdenrechtlichen Pflichten einräumen darf.

Vgl. Hailbronner, a.a.O., § 51 AuslG Rdnrn. 37 und 32a m.w.N.

Auch insoweit ist es dem jeweiligen vertragsschließenden Staat überlassen, ob und in welcher - auch verfahrensrechtlichen - Weise er die Ausnahme des Art. 33 Abs. 2 GFK umsetzt. Die Beklagte hat dem durch § 51 Abs. 3 AuslG und § 73 Abs. 1 AsylVfG in der beschriebenen Weise Rechnung getragen.

Ende der Entscheidung

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