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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 01.12.2004
Aktenzeichen: 8 A 3797/04
Rechtsgebiete: StKFG, RVO-StKFG NRW


Vorschriften:

StKFG § 2 Abs. 3
RVO-StKFG NRW § 4 Abs. 1 Satz 1
RVO-StKFG NRW § 4 Abs. 1 Satz 2
1. § 2 Abs. 3 des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes NRW - StKFG - , wonach ein Studiengangwechsel bis zum Beginn des 3. Hochschulsemesters gebührenrechtlich ohne Auswirkungen bleibt, ist auch auf Studierende anwendbar, die vor dem Sommersemester 2004 bzw. vor Inkrafttreten des Gesetzes einen Studiengangwechsel vollzogen haben.

2. Wird der im ersten Semester begonnene Studiengang - nach einem Studiengangwechsel im zweiten Semester - zum dritten Hochschulsemester fortgesetzt, sind Abbuchungen vom Studienguthaben nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW vorzunehmen.


Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich gegen die Heranziehung zu einer Studiengebühr nach dem am 1.2.2003 in Kraft getretenen Studienkonten- und -finanzierungsgesetz (StKFG, GVBl. NRW 2003, 36) für das Sommersemester 2004. Sie begann ihr Studium im Wintersemester 1993/1994 im Studiengang Geographie. Zum Sommersemester 1994 wechselte sie zum Studiengang Pädagogik. Zum Wintersemester 1994/1995 unterbrach sie ihr Studium und setzte es vom Sommersemester 1998 bis zum Sommersemester 2000 im Studiengang Geographie fort. Seit dem Wintersemester 2001/2002 ist sie im Studiengang Bibliothekswesen eingeschrieben.

Der Beklagte zog die Klägerin für das Sommersemester 2004 zu einer Studiengebühr nach § 9 Abs. 1 StKFG in Höhe von 650,00 € heran. Ihr stehe auf dem zum Sommersemester 2004 eingerichteten Studienkonto kein Studienguthaben mehr zur Verfügung. Die Klägerin könne sich nicht auf die Regelung des § 2 Abs. 3 StKFG berufen, wonach bei Studiengangwechseln bis zum Beginn des dritten Hochschulsemesters erneut ein vollständiges Studienguthaben gewährt werde. Denn diese Regelung komme nur bei Studiengangwechseln nach dem Inkrafttreten des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes zur Anwendung. Darin liege keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin, da die Intention des Gesetzgebers, durch die Anreizmechanismen eines Studienkontensystems verhaltenslenkenden Einfluss auf den Orientierungsprozess der Studierenden zu nehmen, ins Leere gehe, wenn die Orientierungsphase schon vor der Einführung des Studienkontenmodells stattgefunden habe.

Die gegen den Gebührenbescheid gerichtete Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg.

Gründe:

Rechtsgrundlage für die Erhebung von Studiengebühren ist § 9 Abs. 1 Satz 1 StKFG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 RVO-StKFG NRW. Danach wird von Studierenden, denen kein Studienguthaben zur Verfügung steht, für jedes Semester eine Gebühr von 650,00 € erhoben. Gemäß § 2 Abs. 1, § 4 StKFG werden zum Sommersemester 2004 allen Studierenden, die an einer Universität, einer Fachhochschule oder Kunsthochschule des Landes Nordrhein-Westfalen eingeschrieben sind, um einen ersten oder in einem konsekutiven Studiengang einen weiteren berufsqualifizierenden Studienabschluss zu erwerben, ein Studienkonto mit einem Studienguthaben von 200 SWS eingerichtet. Gemäß § 6 Abs. 1 StKFG werden von dem Studienkonto für jedes Semester, in dem der Studierende in der Vergangenheit an einer Hochschule im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes eingeschrieben war oder aktuell ist, Abbuchungen vorgenommen, die innerhalb einer der 1,5-fachen Regelstudienzeit entsprechenden Studiendauer zum vollständigen Verbrauch des Studienguthabens führen. Gemäß § 2 Abs. 3 StKFG wird bei Studiengangwechseln bis zu Beginn des dritten Hochschulsemesters erneut ein vollständiges Studienguthaben gewährt.

Diese Vorschriften verstoßen nicht gegen hörerrangiges Recht (1). Die Klägerin ist jedoch nicht nach § 9 Abs. 1 StKFG gebührenpflichtig, weil ihr Studienguthaben zum Sommersemester 2004 noch nicht verbraucht ist (2).

1. Der Landesgesetzgeber war befugt, Regelungen über eine sog. Langzeitstudiengebühr zu treffen. Die für die Entscheidung über die vorliegende Klage maßgeblichen Vorschriften des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes sind mit Art. 12 Abs. 1 GG, dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundsätzen des Gebührenrechts vereinbar. (Wird ausgeführt, vgl. Urteil vom 1.12.2004 - 8 A 3358/04 -)

2. Die Heranziehung der Klägerin zur Studiengebühr nach § 9 Abs. 1 Satz 1 StKFG für das Sommersemester 2004 ist jedoch rechtswidrig, weil der Klägerin für das Sommersemester 2004 noch Studienguthaben zur Verfügung steht.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 2 Abs. 3 StKFG auch auf Studierende anwendbar, die - wie die Klägerin - ihr Studium vor dem Sommersemester 2004 aufgenommen haben (a). Die Anwendung des § 2 Abs. 3 StKFG auf die Klägerin hat zur Folge, dass ihr zum Sommersemester 2004 noch ein Studienguthaben im Umfang von einer Regelabbuchung zur Verfügung steht, weil das zweite Hochschulsemester, während dessen die Klägerin für den Studiengang Pädagogik eingeschrieben war, im Ergebnis ohne Einfluss auf den aktuellen Umfang ihres Studienguthabens bleibt (b).

a) Gemäß § 2 Abs. 3 StKFG wird bei Studiengangwechseln bis zum Beginn des dritten Hochschulsemesters erneut ein vollständiges Studienguthaben gewährt. Diese Regelung ist uneingeschränkt auf alle Studierenden anwendbar, denen gemäß §§ 2 Abs. 2, 4 StKFG Studienkonten eingerichtet wurden.

Weder § 2 Abs. 3 StKFG noch eine sonstige Vorschrift des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes enthalten ausdrückliche Bestimmungen über den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 StKFG; insbesondere fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, die den Anwendungsbereich auf die Gruppe der Studierenden beschränkt, die ihr Studium nicht vor dem Sommersemester 2004 begonnen haben. Auch die Formulierung "wird erneut ein vollständiges Studienguthaben gewährt" in § 2 Abs. 3 StKFG bietet keinen Anlass zu einem den Anwendungsbereich einengenden Verständnis der Vorschrift. Vielmehr entspricht es dem in den Regelungen über die Regelabbuchungen in § 6 Abs. 1 StKFG zum Ausdruck kommenden Bestreben des Gesetzgebers, die in der Vergangenheit liegenden Studienzeiten gebührenrechtlich möglichst den zukünftigen vergleichbar zu behandeln.

Die in § 2 Abs. 3 StKFG bestimmte Sonderregelung über die erneute Gewährung eines vollständigen Studienguthabens bei Studiengangwechseln bis zum Beginn des dritten Hochschulsemesters muss im Zusammenhang mit den sonstigen Vorschriften über die Gewährung und den Verbrauch von Studienguthaben gesehen werden. Das nach § 4 StKFG zum Sommersemester 2004 gewährte Studienguthaben wird nach § 6 StKFG durch Regelabbuchungen sowohl für zukünftige als auch für bereits in der Vergangenheit absolvierte Hochschulsemester verbraucht. Während die Regelabbuchungen für zukünftige Semester nur in zeitlichem Zusammenhang mit dem jeweiligen Semester vorgenommen werden können, müssen die Abbuchungen für vergangene Semester schon mit der Einrichtung des Studienkontos gesammelt durchgeführt werden, um den Umfang des zum Sommersemester 2004 noch zur Verfügung stehenden Studienguthabens zu bestimmen. Dies hindert nicht, auch den Abbuchungsvorgang für vergangene Hochschulsemester wie für zukünftige Semester in aufeinanderfolgende Abbuchungsschritte für jedes Semester aufzuteilen. Diese Vorgehensweise bei Regelabbuchungen erfährt für den Fall des Studiengangwechsels durch die Sonderregelung des § 2 Abs. 3 StKFG eine Modifizierung: Nimmt ein Studierender zum zweiten oder dritten Hochschulsemester einen Studiengangwechsel vor, wird der bisherige Abbuchungsvorgang abgebrochen und beginnend mit dem ersten Semester des neuen Studiengangs ein neuer Abbuchungsvorgang von einem erneut gewährten, vollständigen Studienguthaben in Gang gesetzt. Dem oder der Studierenden steht ab dem Zeitpunkt des Studiengangwechsels nochmals ein vollständiges Studienguthaben zur Verfügung, dessen Umfang sich nach der Regelstudienzeit für den neuen Studiengang bestimmt. Die vorangegangenen ein oder zwei Hochschulsemester bleiben also im Ergebnis ohne Einfluss auf den Verbrauch des Studienguthabens und dem davon abhängigen Eintritt der Gebührenpflicht. Diese bei einem Studiengangwechsel bis zum dritten Hochschulsemester nach § 2 Abs. 3 StKFG vorgesehene, modifizierte Abbuchungsweise ist sowohl auf zukünftige als auch auf bereits zurückliegende Hochschulsemester anwendbar. Auch bei gebündelter Abbuchung für die Vergangenheit kann semesterweise so vorgegangen werden, dass nach einem Studiengangwechsel zum zweiten oder dritten Hochschulsemester der mit der Regelabbuchung für das erste Hochschulsemester begonnene Abbuchungsvorgang abgebrochen, erneut ein vollständiges Guthaben angesetzt wird und die Regelabbuchungen für die nachfolgenden Semester zu Lasten dieses neuen Guthabens vorgenommen werden. Als Folge dieser Vorgehensweise bleiben die dem Studienwechsel vorangegangenen Hochschulsemester ohne Einfluss auf den Umfang des zum Sommersemester 2004 noch zur Verfügung stehenden Studienguthabens.

Die Anwendung des § 2 Abs. 3 StKFG auf Studiengangwechsel bis zum Sommersemester 2004 entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt der Sonderregelung des § 2 Abs. 3 StKFG nicht lediglich eine Lenkungsfunktion zu. Zwar soll sie auch einen Anreiz schaffen, sich möglichst frühzeitig über die endgültige Studiengangwahl klar zu werden und kurzfristig auf Zweifel an der bereits getroffenen Wahl zu reagieren. (...)

Darin erschöpft sich die Regelungsabsicht jedoch nicht. Der Gesetzgeber trägt vielmehr mit dieser Sonderregelung insbesondere dem Umstand Rechnung, dass in nicht wenigen Fällen der gewählte Studiengang nicht den Erwartungen und Neigungen des oder der Studierenden entspricht und deshalb in den Anfangssemestern eine Umorientierung stattfindet. Da die Wahl des Studiengangs von nicht unerheblicher Bedeutung für den Erfolg des Studiums und der späteren Berufstätigkeit ist, kann ein frühzeitiger Studiengangwechsel sinnvoll sein. Damit der oder dem Studierenden noch ausreichend Zeit zur erfolgreichen Beendigung des schließlich gewählten Studiengangs verbleibt, soll sich ein Studienwechsel innerhalb einer zweisemestrigen Orientierungsphase gebührenrechtlich nicht auswirken. Hiermit korrespondiert, dass auch nach § 7 Abs. 3 BAFöG ein früher Studiengangwechsel keine negativen Folgen für die Förderungsdauer haben soll.

Sieht sich das Gesetz also veranlasst, eine bestimmte Studiengestaltung unter Effizienzgesichtspunkten grundsätzlich zu tolerieren und von negativen gebührenrechtlichen Folgen freizustellen, kann es nicht darauf ankommen, ob die entsprechende Gestaltung des Studiums unter dem Eindruck der gesetzlichen Vorgaben oder unabhängig davon vorgenommen wurde. Der abweichenden Auffassung des Beklagten, eine Beschränkung der (unmittelbaren) Anwendung des § 2 Abs. 3 StKFG auf Studiengangwechsel nach dem Sommersemester 2004 sei gerechtfertigt, weil davon ausgegangen werden könne, dass die unter dem Eindruck drohender Langzeitstudiengebühren vorgenommenen Studiengangwechsel eher auf einer ernsthaften und mit Blick auf eine zügige Studiumsbeendigung getroffenen Entscheidung beruhten, kann nicht gefolgt werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Einschätzung des Beklagten über die Qualität der Wechselentscheidung zutreffend ist. Denn der Gesetzgeber hat davon abgesehen, die Privilegierung eines frühen Studiengangwechsels davon abhängig zu machen, dass dieser sich im Ergebnis tatsächlich als einem effektiven Studium förderlich erweist. Weder § 2 Abs. 3 StKFG noch sonstige Regelungen des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes knüpfen den Eintritt der Rechtsfolge des § 2 Abs. 3 StKFG an das Vorliegen weiterer Voraussetzungen (etwa die erfolgreiche Beendigung des neuen Studiengangs) oder das Ausbleiben bestimmter Umstände (etwa weitere Studiengangwechsel).

b) Hiervon ausgehend verfügt die Klägerin zum Sommersemester 2004 noch über ein Studienguthaben. Die Regelstudienzeit für den Studiengang Bibliothekswesen, in den die Klägerin eingeschrieben ist, beträgt 8 Semester. Demnach wird das Studienguthaben der Klägerin nach §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 1 und 2 StKFG durch 12 Regelabbuchungen verbraucht. Zwar war die Klägerin bis einschließlich Wintersemester 2003/2004 für zwölf Semester an einer deutschen Hochschule eingeschrieben. Jedoch führen die für die bereits vergangene Studienzeit nach § 6 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 StKFG vorzunehmenden Regelabbuchungen im Ergebnis nicht zu einem vollständigen Verbrauch des Studienguthabens der Klägerin. Vielmehr war der nach Maßgabe des 6 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 StKFG vorzunehmende Abbuchungsvorgang vom Studienkonto der Klägerin gemäß § 2 Abs. 3 StKFG sowohl nach dem ersten als auch nach dem zweiten Hochschulsemester zu unterbrechen und jeweils zu Lasten eines neuen Studienguthabens fortzusetzen. Dabei bleiben nach den obigen Ausführungen sowohl die vierjährige Studienunterbrechung nach dem zweiten Hochschulsemester als auch der weitere Studiengangwechsel nach dem sechsten Hochschulsemester ohne Bedeutung. Von dem zuletzt zu Beginn des dritten Hochschulsemesters gewährten vollständigen Studienguthaben waren nach § 6 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 StKFG zehn Regelabbuchungen für das dritte bis zwölfte Hochschulsemester der Klägerin vorzunehmen.

Darüber hinaus muss allerdings durch eine weitere Regelabbuchung berücksichtigt werde, dass der vorangegangene Studiengangwechsel zugleich die Fortsetzung des nach dem ersten Hochschulsemester zunächst aufgegebenen Geographiestudiums darstellt. Dies ergibt sich bei verständiger Auslegung des § 4 Abs. 1 RVO-StKFG NRW. Nach dieser Vorschrift führt ein Studiengangwechsel nicht zu einer Gewährung eines vollständigen neuen Studienguthabens, wenn Studien- und Prüfungsleistungen aus dem bisherigen Studiengang auf den neuen Studiengang angerechnet werden. Vielmehr sind für jedes Fachsemester Abbuchungen vorzunehmen, die der Studierende wegen der Anrechnungen im neuen Studiengang erspart. Dabei muss als "bisheriger Studiengang" die gesamte Studienzeit angesehen werden, die einem bis zum dritten Hochschulsemester vorgenommenen Studiengangwechsel vorausgeht. Allein diese Auslegung wird dem Ziel der Regelung gerecht, die maximal zweisemestrige Orientierungsphase gebührenrechtlich nur insoweit anrechnungsfrei zu lassen, als sie nicht zu einer Verkürzung der Studienzeit im schließlich ausgewählten Studiengang führt. Werden mithin bei einem Studiengangwechsel von dem neu gewährten Studienguthaben Regelabbuchungen für sämtliche vorgegangene Studienzeiten vorgenommen, die auf den neuen Studiengang angerechnet werden, muss dies erst Recht gelten, wenn sich der Studiengangwechsel als Fortsetzung eines vorübergehend aufgegebenen Studiums darstellt. Deshalb ist dem Umstand, dass die Klägerin ihr nach dem ersten Hochschulsemester zunächst zugunsten des Pädagogikstudiums aufgegebenes Geographiestudium im dritten Hochschulsemester (zweites Fachsemester) fortgesetzt hat, dadurch Rechnung zu tragen, dass von dem Studienguthaben, das der Klägerin im Hinblick auf den 'anrechnungsfreien' Wechsel vom Pädagogikstudium erneut zu gewähren ist, nach § 4 Abs. 1 Satz 2 RVO-StKFG NRW eine Regelabbuchung für das zunächst unberücksichtigt gebliebene erste Fachsemester Geographie vorgenommen wird. Danach verbleibt der Klägerin zum Sommersemester 2004 ein Studienguthaben im Umfang von einer Regelabbuchung.

Ende der Entscheidung

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