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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.12.2003
Aktenzeichen: 8 A 3852/03.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, AuslG, EMRK


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AuslG § 53 Abs. 4
EMRK Art. 6
Es ist von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) im Zielstaat der Abschiebung ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG begründen kann, insbesondere wenn der Zielstaat ein Vertragsstaat der EMRK ist, gegen dessen Entscheidung nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges Klage beim EGMR erhoben werden kann.
Tatbestand:

Das VG verpflichtete die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil verpflichtet festzustellen, dass für den als "Kalifen von Köln" bekannten Kläger Muhammed Metin Kaplan ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG bestehe. Nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EMRK stehe einer Abschiebung des Klägers in die Türkei entgegen, dass ihm dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Strafverfahren drohe, das mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar sei. Die Beklagte begehrte mit Erfolg die Zulassung der Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung.

Gründe:

Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Das Berufungsverfahren kann dem Senat Gelegenheit zur Beantwortung der Frage geben, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 6 EMRK im Zielstaat der Abschiebung ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG begründen kann, insbesondere wenn der Zielstaat ein Vertragsstaat der EMRK ist, gegen dessen Entscheidung nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs Klage beim EGMR erhoben werden kann. Diese Frage ist weder unmittelbar aus dem Gesetz selbst zu beantworten noch bislang in Rechtsprechung und Literatur hinreichend geklärt.

§ 53 Abs. 4 AuslG enthält keine eigenständige Regelung von Abschiebungshindernissen, sondern nimmt lediglich deklaratorisch auf die sich aus der EMRK ergebenden Abschiebungsverbote Bezug. Allgemein anerkannt ist, dass die Abschiebung eines Ausländers jedenfalls unzulässig ist, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Geklärt ist in der Rechtsprechung des BVerwG darüber hinaus, dass ein Abschiebungsverbot auch dann in Betracht kommt, wenn im Einzelfall andere in der EMRK verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind. Bei Eingriffen in den Kernbereich solcher anderen, speziellen Konventionsgarantien ist eine Abschiebung allerdings nur in krassen Fällen unzulässig, wenn nämlich die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sind, was nach der bisherigen Rechtsprechung wegen menschenunwürdiger Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK geführt hat. Welche Gewährleistungen der EMRK in diesem Sinne zum gemeinsamen menschenrechtlichen ordre public aller Unterzeichnerstaaten zu zählen sind, hat das BVerwG nur für den unveräußerlichen Kern der Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK) im bejahenden Sinne beantwortet.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.5.2000 - 9 C 34.99 -, DVBl. 2000, 1539 = InfAuslR 2000, 461 = NVwZ 2000, 1302 = BVerwGE 111, 223, auch zu Vorstehendem.

Der EGMR hat ein Auslieferungsverbot bei offenkundiger Verweigerung eines fairen Strafverfahrens nach Art. 6 EMRK lediglich erwogen.

Vgl. EGMR, Urteil vom 7.7.1989 - Nr. 1/1989/161/217 (Fall Soering) -, NJW 1990, 2183 (2188) = EuGRZ 1989, 314.

Für die hier in Rede stehende Abschiebung in einen Vertragsstaat der EMRK ist insbesondere auch klärungsbedürftig, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass der Ausländer nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs im Heimatstaat Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter Berufung auf Art. 6 EMRK erheben kann. Die bisherige Rechtsprechung zu drohenden Verletzungen anderer als in Art. 3 EMRK verbürgter Menschenrechtsgarantien im Zielstaat der Abschiebung betraf lediglich die Verhältnisse in Nicht-Vertragsstaaten.

Vgl. EGMR, Urteil vom 7.7.1989 - Nr. 1/1989/161/217 (Fall Soering) -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 24.5.2000 - 9 C 34.99 -, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 9.9.1994 - A 16 S 486/94 -, ESVGH 45, 155; vom 19.5.1999 - A 6 S 1589/98 -, VGH BW-LS 1999, Beilage 9, B 2; und vom 22.5.2003 - A 2 S 711/01 -; OVG Rh.-P., Beschluss vom 23.5.1997 - 6 A 282/97 -, NVwZ 1997, Beilage Nr. 10, 79 und Urteil vom 20.1.2000 - 12 A 11883/96 -, NVwZ 2000, Beilage Nr. 8, 90; Nds. OVG, Urteil vom 6.4.1998 - 12 L 1076/98 -, NVwZ 1998, Beilage Nr. 7, 65; Hess. VGH Kassel, Beschluss vom 19.5.1998 - 10 UE 1974/97.A -, NVwZ-RR 1999, 340; Thür. OVG, Urteil vom 30.9.1998 - 3 KO 864/98 -, NVwZ 1999, Beilage Nr. 3, 19; OVG NRW, Beschluss vom 2.12.1997 - 19 A 5121/97.A -

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