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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 30.07.2003
Aktenzeichen: 8 A 4676/00
Rechtsgebiete: LG NRW, BNatSchG


Vorschriften:

LG NRW § 1 Abs. 2
LG NRW § 4 Abs. 4 Satz 1
LG NRW § 4 Abs. 5
LG NRW § 4 Abs. 4 Satz 1, letzter Halbsatz
LG NRW § 5 Abs. 1 Satz 1
LG NRW § 5 Abs. 3 Satz 1
BNatSchG § 8 a.F.
BNatSchG § 8 Abs. 3 a.F.
Die Beurteilung, ob der Ausgleich eines Eingriffs nach § 4 Abs. 4 Satz 1 LG NRW zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist, setzt keine Abwägung i.S.v. § 4 Abs. 5 oder § 1 Abs. 2 LG NRW voraus. Ein Ausgleich ist daher auch dann erforderlich, wenn der Eingriff aufgrund vorrangiger Interessen geboten erscheint.
Tatbestand:

Dem Kläger ist durch eine - einer nachträglichen Genehmigung des Eingriffs beigefügten - Auflage aufgegeben worden, für zwei von ihm gefällte Pappelreihen auf dem Damm eines Flusses Ausgleichspflanzungen an dem Land zugewandten Fuß des Dammes vorzunehmen. Das VG gab der dagegen gerichteten Anfechtungsklage mit der Begründung statt, der Kläger als Verursacher eines unvermeidbaren Eingriffs sei nicht ausgleichspflichtig, weil Ausgleichsmaßnahmen im Rechtssinne zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht erforderlich seien. Das dem Begriff der Erforderlichkeit immanente Übermaßverbot verbiete es, dem Verursacher Lasten aufzuerlegen, die nicht in einem angemessenen Verhältnis zu Grund und Umfang des Eingriffs stünden. Die Anforderungen zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege seien untereinander und gegen die sonstigen Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft abzuwägen. Ergebe sich hierbei ein eindeutiger Vorrang anderweitiger Ansprüche an die Natur, die den Eingriff unausweichlich geboten erscheinen ließen, wie hier der Schutz und die Erhaltung des Hochwasserdeiches zum Schutze bedeutender Güter sowie von Leib und Leben, sei ein Ausgleich nicht erforderlich. Das OVG folgte dieser Argumentation nicht und wies die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils ab.

Gründe:

... Ohne Bedeutung für die Erforderlichkeit i.S.v. § 4 Abs. 4 Satz 1, letzter Halbsatz LG NRW ist nach der Systematik des Gesetzes hingegen, inwieweit nach Maßgabe einer Abwägung gemäß § 1 Abs. 2 LG NRW "sonstige Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft" den Eingriff rechtfertigen. Die Frage nach der Rangfolge der Belange stellt sich vielmehr erst auf der Ebene des § 4 Abs. 5 LG NRW, der § 8 Abs. 3 BNatSchG a.F. nachgebildet ist. Die Abwägungsentscheidung nach § 4 Abs. 5 LG NRW bildet den Schlusspunkt der bundesrechtlichen vorgeformten Eingriffsregelung, die auf einer Stufenfolge aufbaut, bei der die Tatbestandsmerkmale für jede Phase abschließend umschrieben sind. Für sie ist nach der gesetzlichen Systematik von zentraler Bedeutung, mit welchem Ergebnis die Kompensationsproblematik auf der ihr vorgelagerten Stufe abgearbeitet worden ist. Denn für eine Abwägung auf der Grundlage des § 4 Abs. 5 LG NRW ist kein Raum, wenn i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 1 LG NRW ein Ausgleich gewährleistet ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.2000 - 4 A 18.99 -, DVBl. 2001, 386, 392 (zum inhaltsgleichen BayNatSchG).

Dass auch die durch einen vorrangigen Eingriff verursachten Beeinträchtigungen generell - soweit möglich - auszugleichen sind, ergibt sich ferner aus § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 5 Abs. 3 Satz 1 LG NRW, die Ersatzmaßnahmen und Ersatzgelder für den Fall vorsehen, dass ein ausgleichspflichtiger vorrangiger Eingriff aus tatsächlichen Gründen nicht ausgeglichen werden kann.

Entgegen der Auffassung des VG setzt die Erforderlichkeit i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 1, letzter Halbsatz LG NRW auch nicht eine Abwägung nach § 1 Abs. 2 LG NRW zwischen der Bedeutung der mit dem Eingriff verfolgten Ziele und dem Gewicht der beeinträchtigten Schutzgüter voraus. Zwar verweist § 4 Abs. 4 Satz 1, letzter Halbsatz LG NRW auf die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege, nimmt aber nicht § 1 Abs. 2 LG NRW in Bezug. Es kommt daher nicht darauf an, ob, wie das VG meint, im Rahmen der Abwägung vorrangige anderweitige Ansprüche an die Natur den Eingriff unausweichlich geboten erscheinen lassen. Dementsprechend ist es systemfremd, wenn das VG die Erforderlichkeit eines Ausgleichs zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorliegend damit verneint, dass die Natur und Landschaft von vornherein mit vorrangigen Interessen - nämlich denen des Hochwasserschutzes - belastet gewesen sei und der Eingriff der Verwirklichung eben dieser gewichtigen Belange gedient habe, so dass der Natur hier kein Sonderopfer auferlegt worden sei. Eine Ausgleichsverpflichtung trifft gerade auch die Träger von Anlagen, deren Errichtung im öffentlichen Interesse liegt, vgl. zu § 8 BNatSchG a.F. etwa: BVerwG, Beschluss vom 5.4.2002 - 4 B 15/02 -, BauR 2002, 1835, die also andere Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft stellen als die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Auf die von den Beteiligten aufgeworfene Frage, inwieweit das Fällen der Pappelreihen aus der subjektiven Sicht des Klägers oder jedenfalls rein objektiv der Standfestigkeit des Dammes und damit dem Hochwasserschutz gedient hat, kommt es demnach auch im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit nicht an.

Ob die Erforderlichkeit eines Ausgleichs anders zu beurteilen ist, wenn die Gefahren, denen durch die Beseitigung von Bäumen Rechnung getragen wird, von ihrem Erhaltungszustand ausgehen, - zum Baumschutz insoweit: OVG NRW, Urteil vom 15.6.1998 - 7 A 756/96 - kann vorliegend dahinstehen. Die von den Pappelreihen nach Ansicht des Klägers und des Beigeladenen ausgehenden Gefahren für die Sicherheit des Isselsdammes und damit für den Hochwasserschutz gründeten nicht im biologischen Verfall der Bäume.

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