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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.08.2002
Aktenzeichen: 8 B 1444/02
Rechtsgebiete: ParteiG, GG


Vorschriften:

ParteiG § 5 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 21 Abs. 1
1. Redaktionell gestaltete Sendungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zur Bundestagswahl (wie z.B. Diskussionen, sog. Wahlhearings oder Interviews) stellen keine öffentlichen Leistungen im Sinne des § 5 Abs. 1 ParteiG dar.

2. Je enger - in zeitlicher und/oder inhaltlicher Hinsicht - die Beziehung einer derartigen Sendung zu der bevorstehenden Wahl und je größer ihr publizistisches Gewicht ist, um so mehr gebietet der Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit eine Einschränkung des Ermessens bei der Gestaltung der Sendung und der Auswahl des Teilnehmerkreises.

3. Zur Bestimmung des Teilnehmerkreises ist insoweit grundsätzlich das Konzept einer redaktionellen Sendung als tragfähiges Differenzierungskriterium geeignet, sofern das Konzept selbst nicht unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit zu beanstanden ist; eine bei einer konkreten Sendung nicht zu berücksichtigende politische Partei muss im Gesamtprogramm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten insgesamt entsprechend ihrer Bedeutung angemessen berücksichtigt werden.

4. Die Chancengleichheit der an dem "TV-Duell" zwischen Bundeskanzler Schröder und Ministerpräsident Dr. Stoiber nicht teilnehmenden F.D.P. ist gewahrt, weil ihr in dem verbleibenden Zeitraum bis zur Wahl hinreichend Gelegenheit zur Selbstdarstellung und Auseinandersetzung mit den Äußerungen in dieser Sendung verbleibt.


Tatbestand:

Die ARD (redaktionell federführend der Antragsgegner zu 1. - WDR -) und der Antragsgegner zu 2. (ZDF) veranstalten im Vorfeld der am 22.9.2002 statt findenden Bundestagswahl am 8.9.2002 eine Fernsehsendung unter dem Titel "Das TV-Duell". Zu der Sendung sind die Kanzlerkandidaten der SPD und der CDU/CSU, Bundeskanzler Schröder und Ministerpräsident Dr. Stoiber, eingeladen. Der Antrag der Antragstellerin (F.D.P) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel einer Teilnahme ihres Kanzlerkandidaten Dr. Westerwelle an dem "TV-Duell" blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Das VG hat die beantragte einstweilige Anordnung zu Recht abgelehnt.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch auf Teilnahme ihres Vorsitzenden an der streitigen Fernsehsendung nicht glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 294 ZPO.

Der Senat beschränkt sich insoweit nicht auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Gemäß Art. 19 Abs. 4 GG ist er gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenn diese Versagung zu schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen führt, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14.5.1985 - 1 BvR 33, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 363 f., und vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, 74 f.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, weil einer möglichen Verletzung der Chancengleichheit der Antragstellerin mit einer Hauptsacheentscheidung nach Ausstrahlung der Sendung bzw. nach dem Wahltag nicht mehr wirksam begegnet werden könnte.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich ein Anordnungsanspruch weder aus § 5 ParteiG (unter 1.) noch aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG (unter 2.).

1. Die Antragstellerin kann nicht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG beanspruchen, dass ihr Vorsitzender an der geplanten Sendung "TV-Duell" teilnimmt. Nach dieser Vorschrift sollen alle Parteien gleich behandelt werden, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG konkretisiert den Gleichheitssatz für das Verhältnis von Trägern öffentlicher Gewalt zu den Parteien und soll eine gerechte und sachangemessene Verteilung von Leistungen an die Parteien gewährleisten. Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für eine weite Auslegung ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.1974 - VII C 42.72 -, BVerwGE 47, 280 (287 f.).

Eine öffentliche Leistung - nur diese Tatbestandsalternative kommt in Betracht - setzt eine bewusste und zweckgerichtete Vorteilsgewährung an die beteiligten Parteien voraus. Daran fehlt es, wenn die Parteien lediglich von einer Handlung profitieren, die in anderer Absicht als der einer Begünstigung vorgenommen wird.

Vgl. zum Begriff der öffentlichen Leistung: Volkmann, Politische Parteien und öffentliche Leistungen, S. 22 ff.

Die Teilnahme von Parteivertretern an redaktionell gestalteten Sendungen stellt in aller Regel keine Begünstigung in diesem Sinne dar, mag auch mit ihr eine faktisch begünstigende (Neben-)Wirkung in Form eines Werbeeffekts verbunden sein. Anders als z.B. bei der Überlassung von Sendezeiten durch eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt zur eigenverantwortlichen Wahlwerbung der Parteien - vgl. § 8 Abs. 2 des WDR-Gesetzes und § 11 Abs. 1 des ZDF-Staatsvertrages - werden bei redaktionellen Sendungen ( wie z.B. Diskussionen, sog. Wahlhearings, Interviews, Fernsehreportagen usw.) Thema, Form, Ablauf und Zeitpunkt der Sendung von den Rundfunkanstalten selbst im Rahmen ihres Programmauftrags bestimmt. Mit solchen Sendungen, die den Schutz der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genießen, gewähren die Rundfunkanstalten keine Leistungen an Parteien, sondern verfolgen ein journalistisches Konzept zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgabe, die Öffentlichkeit über die von einzelnen Parteien bzw. Kandidaten verfolgten Ziele und Programme oder auch über das persönliche Profil einzelner Kandidaten zu unterrichten.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.11.1972 - VII B 28.72 -, Buchholz 150 § 5 ParteiG Nr. 4; OVG NRW, Beschluss vom 8.5.1990 - 5 B 1397/90 -, n.v.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.10.1996 - 10 S 2866/96 -, NVwZ-RR 1997, 629; Bay. VGH, Beschluss vom 8.10.1990 - 25 CE 90.2929 -, NVwZ 1991, 581 und vom 24.10.1974 - 308 VIII 74 -, VGHE 27, 104; Hamb. OVG, Beschluss vom 20.3.1996 - Bs III 63/96 -; OVG Bremen, Beschluss vom 18.9.1991 - 1 B 53/91 -, DVBl. 1991, 1269; Grupp, Redaktionell gestaltete Rundfunksendungen vor Wahlen, ZRP 1983, 28; Hoefer, Recht der anderen Parteien auf Teilnahme am TV-Duell Schröder/Stoiber?, in: NVwZ 2002, 695; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 21 Rdnr. 95, Fn. 331; Volkmann, a.a.O., S. 63 f.; a.A.: Nds. OVG, Beschluss vom 8.3.1994 - 10 M 1470/94 -, NVwZ 1994, 586.

Das geplante "TV-Duell" ist eine redaktionell gestaltete Sendung im vorstehenden Sinne. Es ist nicht - wie die Antragstellerin meint - deshalb als "öffentliche Leistung" zu qualifizieren, weil die Sendung einen engen inhaltlichen Bezug zur Wahl habe und objektiv geeignet sei, auf das Wettbewerbsverhältnis der Parteien einzuwirken. Zwar können durch die Sendung die Wahlchancen der Parteien beeinflusst werden, und zwar sowohl im Verhältnis der SPD zur CDU/CSU als auch im Verhältnis dieser beiden Parteien/Parteiverbindungen zur Antragstellerin und den übrigen "kleineren" Parteien. Darin ist jedoch keine Leistung der Antragsgegner an die am "TV-Duell" durch ihre Spitzenkandidaten vertretenen Parteien zu sehen, weil nicht diese, sondern die Antragsgegner Konzeption, Gestaltung und Ablauf der Sendung in der Hand behalten. Eine Stärkung der Chancen der teilnehmenden Parteien ist insoweit nur eine mittelbare Folge.

Vgl. Hamb. OVG, a.a.O. (Duell der Spitzenkandidaten von SPD und CDU 4 Tage vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein).

Auch das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Annahme, die Antragsgegner hätten sich ihrer redaktionellen Verfügungs- und Gestaltungsmacht über die Sendung begeben. Die Antragstellerin hat ihren Vortrag, SPD und/oder CDU/CSU hätten in einer Weise das "TV-Duell" selbst initiiert und zu großen Teilen mitkonzipiert, dass nicht mehr von einer redaktionellen Sendung ausgegangen werden könne, nicht glaubhaft gemacht. Eine Fernsehsendung hat grundsätzlich auch dann noch redaktionellen Charakter, wenn die Teilnehmer in einem bestimmten Umfang vorab über den Ablauf der Sendung unterrichtet werden oder an der Entscheidung über die Gestaltung der Sendung mitwirken können. Es liegt nahe, dass die beteiligten Parteien bzw. ihre Spitzenkandidaten nur nach einer gewissen vorherigen Abstimmung bereit sind, an einer Sendung der in Rede stehenden Art teilzunehmen. Dass nach den Angaben der Antragsgegner und den vorliegenden Presseberichten die Parteien insbesondere den Zeitpunkt der geplanten Sendung mitbestimmt haben, rechtfertigt nicht die Annahme, es handele sich um eine "Sendung auf Bestellung".

Der Vortrag der Antragstellerin, die Initiative zur Sendung sei nicht von den Antragsgegnern, sondern von den politischen Kontrahenten ausgegangen, führt zu keiner anderen Bewertung. Dabei kann dahinstehen, ob bzw. inwieweit der redaktionelle Charakter einer Sendung überhaupt in Frage steht, wenn die Idee oder der Anstoß zur Sendung von außerhalb des Rundfunks stehenden Kreisen kommt. Die Antragsgegner haben im Einzelnen die Vorgeschichte der Sendung dargelegt und durch eidesstattliche Versicherungen des Chefredakteurs und stellvertretenden Programmdirektors des Ersten Deutschen Fernsehens vom 12.7.2002 sowie des Chefredakteurs des Antragsgegners zu 2. vom 15.7.2002 glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegner bereits Anfang 2001 Überlegungen hinsichtlich eines Fernsehduells angestellt und seitdem mehrfach den Bundeskanzler eingeladen hätten. Auch der Umstand, dass die Antragsgegner - wie vorgetragen - sich bereits vor der letzten Bundestagswahl um die Ausstrahlung einer vergleichbaren Sendung vergeblich bemüht hatten, macht deutlich, dass an dem seit langem bestehenden Interesse der Antragsgegner, ein "TV-Duell" zu veranstalten, nicht gezweifelt werden kann und die Durchführung der Sendung ersichtlich (nur) von der Bereitschaft der beiden Spitzenkandidaten abhing.

Die geplante Sendung unterfällt auch nicht deshalb dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG, weil sie - wie die Antragstellerin meint - wegen ihrer inhaltlichen Gestaltung eine "besonders wertvolle staatliche Begünstigung" sei. Anhaltspunkte für eine sog. "Hofberichterstattung" oder dafür, dass die Moderatorinnen lediglich als "Stichwortgeberinnen mit gebundener Marschroute" auftreten werden, sind nicht ersichtlich. Von einer Hofberichterstattung kann schon wegen der die Sendung kennzeichnenden Konfrontation der Teilnehmer mit dem politischen Gegner keine Rede sein. Auch sonst lässt sich nicht feststellen, dass die Antragsgegner - wie die Antragstellerin vermutet - den teilnehmenden Gästen in ganz erheblichem Maß Zugeständnisse gemacht hätten. Die Antragsgegner haben vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, dass den Teilnehmern nur die groben Themenblöcke, die von den Moderatorinnen angesprochen würden, mitgeteilt werden. Eine entsprechende Verfahrensweise ist bei vergleichbaren Sendungen nach den Angaben der Antragsgegner üblich, damit sich die Teilnehmer auf die Sendung einstellen können. Die eidesstattlichen Versicherungen sind auch zur Glaubhaftmachung des Vortrags der Antragsgegner geeignet. Der Einwand der Antragstellerin, sie bezögen sich nicht auf unmittelbar eigene Wahrnehmungen, geht - wie die Antragsgegner zutreffend ausführen - fehl, soweit sie sich auf die eigenen Wahrnehmungen zur Planung und Konzeptionierung der Sendung beziehen.

Die grundsätzliche Nichtanwendbarkeit des § 5 ParteiG auf redaktionelle Sendungen führt auch nicht etwa zu einer Regelungslücke, weil der Antragstellerin aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit politischer Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 GG jedenfalls ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gegenüber den Antragsgegnern zusteht, wie sich aus den Ausführungen zu 2. ergibt.

Im Übrigen hätte die Antragstellerin - wie ebenfalls aus den nachfolgenden Erwägungen zur Beachtung der sog. abgestuften Chancengleichheit bei redaktionellen Sendungen folgt - auch dann keinen Anspruch auf Teilnahme an der Fernsehsendung, wenn § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG unmittelbar oder seinem Rechtsgedanken nach auf redaktionelle Sendungen Anwendung finden würde.

2. Ein Teilnahmerecht steht der Antragstellerin nicht aus ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Chancengleichheit ( Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) zu. Zwar folgt aus dem Gebot der Chancengleichheit der Parteien ein Anspruch der Antragstellerin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihr Teilnahmebegehren. Die Antragsgegner, die sich ihrerseits auf die Rundfunkfreiheit berufen können, haben den Antrag der Antragstellerin aber ermessensfehlerfrei abgelehnt.

a) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei redaktionell gestalteten Sendungen vor Wahlen das Recht der Bewerber auf gleiche Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen zu beachten. Sie sind verpflichtet, jeder Partei grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfahren offen zu halten. Aus der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Parteien, die sie von anderen Institutionen wesentlich unterscheidet, folgt der Anspruch auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit ohne Weiteres als ein Bestandteil der demokratischen Grundordnung mit Verfassungsrang. Die politischen Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes in einer herausgehobenen und von der Verfassung anerkannten Funktion mit. "Kernstück" dieser Mitwirkung ist die Teilnahme an Parlamentswahlen mit dem Ziel, durch die Entsendung von Abgeordneten an der Bildung funktionsfähiger Verfassungsorgane mitzuwirken.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125 (145); OVG NRW, a.a.O.

Wird die unverzichtbare Funktion der Parteien dadurch berührt, dass die Chancengleichheit auf Grund von redaktionellen Maßnahmen des Rundfunks verletzt wird, haben die Parteien eine durchsetzbare Rechtsposition zur Wahrung ihrer zentralen Aufgaben jedenfalls im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Wahl.

Vgl. OVG NRW, a.a.O.; Bay. VGH, Beschluss vom 8.10.1990, a.a.O.; Klenke, Medienfreiheit und Chancengleichheit der Parteien, NWVBl. 1990, 334 (336); Hoefer, a.a.O.; vgl. auch BremStGH, Entscheidung vom 16.11.1996 - St 5/96 -, NVwZ-RR 1997, 329.

Der Ausschluss von einer besonders publikumswirksamen Sendung kann die Chancengleichheit der nicht berücksichtigten Parteien nachhaltig verschlechtern.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.5.1990 - 1 BvR 559/90 -, BVerfGE 82, 54; BVerwG, Beschluss vom 8.11.1972, a.a.O.; OVG Bremen, a.a.O.; Bay. VGH, Beschluss vom 8.10.1990, a.a.O.

b) Das Recht auf Chancengleichheit der Antragstellerin steht allerdings im Widerstreit mit dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit der Antragsgegner. Der Schutz der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist für das gesamte öffentliche, politische und verfassungsrechtliche Leben von fundamentaler Bedeutung. Die Rundfunkanstalten stehen in öffentlicher Verantwortung und erfüllen eine integrierende Funktion für das Staatsganze.

BVerfG, Beschluss vom 27.7.1971 - 2 BvF 1/68 - und - 2 BvR 702/68 -, BVerfGE 31, 314; Bay. VGH, Beschluss vom 8.10.1990, a.a.O.

Die Rundfunkfreiheit dient der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung. Der Rundfunk hat in bestmöglicher Breite und Vollständigkeit zu informieren; er gibt dem Einzelnen und den gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit zu meinungsbildendem Wirken und ist selbst an dem Prozess der Meinungsbildung in einem umfassenden Sinne, d.h. nicht auf bloße Berichterstattung oder die Vermittlung politischer Meinungen beschränkt, beteiligt. Rundfunkfreiheit bedeutet in ihrem Kern Programmfreiheit im Sinne eines Verbots nicht nur staatlicher, sondern jeder fremden Einflussnahme auf Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung der Programme.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13.1.1982 - 1 BvR 848/77 u.a. -, BVerfGE 59, 231, und vom 20.2.1998 - 1 BvR 661/94 -, BVerfGE 97, 298.

Die Rundfunkfreiheit schützt danach auch das Recht der Rundfunkanstalt, die Teilnehmer an einer wahlbezogenen Diskussion nach Ermessen selbst zu bestimmen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.5.1990, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 8.11.1972, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., a.a.O.

c) Zwischen den sich gegenüberstehenden Rechten ist ein Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz herbeizuführen. Sowohl der Rundfunkfreiheit als auch der Chancengleichheit der Parteien muss ein möglichst großer Wirkungsbereich verbleiben. Grundsätzlich darf nicht eine der beiden Rechtspositionen vollständig zurückgedrängt werden. Sie sind in der Weise einander zuzuordnen, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei der Auswahl des Teilnehmerkreises auch bei redaktionellen Sendungen über das Willkürverbot hinaus, so noch BVerwG, Beschluss vom 8.11.1972, a.a.O., zusätzlich Beschränkungen durch das sog. Prinzip der abgestuften Chancengleichheit unterliegen.

Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 30.5.1962 - 2 BvR 158/62 -, BVerfGE 14, 121.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben danach die Parteien auch in redaktionellen Sendungen vor Wahlen entsprechend ihrer Bedeutung zu berücksichtigen. Eine Pflicht, den Gleichheitssatz strikt oder formal zu beachten, besteht insoweit nicht.

Vgl. VGH Bad.-Württ., a.a.O.; OVG Bremen, a.a.O.; Hamb. OVG a.a.O.; Bay. VGH, Beschluss vom 8.10.1990, a.a.O.; ebenso zur Vergabe von Sendezeiten zum Zwecke der Wahlwerbung: BVerfG, Beschlüsse vom 30.5.1962, a.a.O., und vom 9.5.1978 - 2 BvC 2/77 -, BVerfGE 48, 271.

Das Recht auf Chancengleichheit kann auf zwei Ebenen wirksam werden, zum einen bei der Teilnahme an einer konkreten Sendung und zum anderen bei der Berücksichtigung im Rahmen der wahlbezogenen Sendungen insgesamt. Grundsätzlich wird dem Gebot auf Chancengleichheit schon dann Rechnung getragen, wenn das Programm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten insgesamt ausgewogen ist. Das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit muss den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen hinreichenden redaktionellen Gestaltungsspielraum offen lassen. Diesen steht die Freiheit der Programmgestaltung zu. Grundsätzlich ist die Entscheidung des Senders zu Themenstellung und Gestaltung einer Sendung zu respektieren, weil sie zum Kern dessen gehört, was durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet wird.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.5.1990, a.a.O.; Bay. VGH, Beschluss vom 8.10.1990, a.a.O.; Klenke, a.a.O., S. 337; Grupp, a.a.O., S. 29; Benda, Rechtliche Perspektiven der Wahlwerbung im Rundfunk, NVwZ 1994, 521 (526).

Darüber hinaus kann der Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit aber auch in Bezug auf eine einzelne Fernsehsendung Bedeutung gewinnen. Je enger - in zeitlicher und/oder inhaltlicher Hinsicht - die Beziehung der betreffenden Sendung zu der bevorstehenden Wahl und je größer ihr publizistisches Gewicht ist, umso mehr gebietet der Grundsatz der Chancengleichheit eine Einschränkung des Ermessens der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei der Gestaltung der konkreten Sendung und der Auswahl des Teilnehmerkreises.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9.10.1990 - 2 BvR 1316/90 -, NVwZ 1991, 560; BremStGH a.a.O.; OVG NRW, Beschlüsse vom 27.11.1990 - 5 B 3282/90 -, NVwZ 1992, 68, und vom 8.5.1990, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., a.a.O.; Bay. VGH, Beschluss vom 8.10.1990, a.a.O.

Zur Bestimmung des Teilnehmerkreises ist insoweit grundsätzlich das Konzept einer redaktionellen Sendung (oder einer Serie gleichartiger Sendungen) als tragfähiges Differenzierungskriterium geeignet, sofern das Konzept selbst nicht unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit zu beanstanden ist. Wenn eine Partei danach nicht als Teilnehmerin einer konkreten Sendung zu berücksichtigen ist, ist ihrem Anspruch auf Chancengleichheit nur dann Genüge getan, wenn sie im Gesamtprogramm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten - auch und gerade unter Einbeziehung der konkreten Sendung - insgesamt entsprechend ihrer Bedeutung angemessen berücksichtigt wird. Ist das nicht der Fall, kann - je nach den Gesamtumständen - auch ein Anspruch auf Teilnahme an einer konkreten Sendung bestehen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Ablehnung der Antragsgegner, den Spitzenkandidaten der Antragstellerin teilnehmen zu lassen, nicht zu beanstanden.

(aa) Das Konzept der hier streitigen Sendung rechtfertigt die Nichtberücksichtigung der Antragstellerin. Die Antragsgegner müssen sich nicht - wie die Antragstellerin meint - daran orientieren, dass nach dem deutschen Wahlrecht der Bundeskanzler nicht direkt gewählt wird. Zur Begründung des Sendeformats haben die Antragsgegner nachvollziehbar auf die besondere Bedeutung des Amtes des Bundeskanzlers hingewiesen, die sich nicht nur aus dessen verfassungsrechtlicher Stellung - Art. 65 Satz 1 GG - ergibt, sondern sich insbesondere in der politischen Praxis dokumentiert. Dieser hervorgehobenen Bedeutung entspricht ein verstärktes Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinsichtlich der in Betracht kommenden Kandidaten für das Amt des nächsten Regierungschefs. Dieses Interesse der Öffentlichkeit dürfen die Antragsgegner durch die Veranstaltung des Duells befriedigen. Gerade im Hinblick auf eine Wahl liegt es nahe, die Kandidaten unabhängig von einzelnen konkreten Anlässen umfassend zu ihren Vorstellungen für die künftige politische Gestaltung in der kommenden Wahlperiode zu befragen und zugleich mit dem politischen Gegner zu konfrontieren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.11.1990, a.a.O.; Bay. VGH, Beschluss vom 24.10.1974, a.a.O.

Auch ist es nicht zu bestanden, nur die beiden Spitzenkandidaten der CDU/CSU und der SPD aufeinander treffen zu lassen. Der Umstand, dass die Antragstellerin ihren Vorsitzenden zum Kanzlerkandidaten ernannt hat, ist insoweit unerheblich. Die Antragsgegner konnten sich bei der Konzeption der Sendung vielmehr daran orientieren, dass es bislang stets geübtem demokratischen Brauch entsprochen hat, zum Regierungschef einen Kandidaten der stärksten Regierungspartei zu wählen.

So bereits Bay. VGH, Beschluss vom 24.10.1974, a.a.O.

Nach Lage der Dinge kommen auch in der nächsten Legislaturperiode nur die Kandidaten der beiden großen politischen Kräfte - SPD und CDU/CSU - als Anwärter auf das Amt des Bundeskanzlers in Frage. Dies wird auch von der Antragstellerin letztlich nicht in Abrede gestellt. Ergeben sich im Hinblick auf Anspruch und Aussichten der Parteien, in der nächsten Wahlperiode den Regierungschef zu stellen, gravierende Unterschiede, so ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht gehindert, diesen bestehenden Unterschieden Rechnung zu tragen. Die Antragsgegner sind nicht verpflichtet, zugunsten von Parteien, die aller Voraussicht nach keine Chance haben, den Regierungschef zu stellen, den Versuch zu unternehmen, die Unterschiede in der politischen Ausgangslage einzuebnen.

Zu Sendungen, die sich ausschließlich mit den beiden allein aussichtsreichen Spitzenkandidaten vor Landtags- oder Bundestagswahlen befassen, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.11.1990, a.a.O.; Bay. VGH, Beschluss vom 24.10.1974, a.a.O.; OVG Hamburg, a.a.O., VG Weimar, Beschluss vom 8.9.1999 - 2 E 2860/99.We -, ThürVBl. 2000, 46; VG Köln, Beschluss vom 22.11.1990 - 6 L 1786/90 -; zur Direktwahl des Oberbürgermeisters in Frankfurt: VG Mainz, Beschluss vom 23.6.1995 - 1 L 1178/95.MZ -; siehe auch Benda, a.a.O., S. 526; ders., Vom rechten Umfang mit rechten Parteien, NJW 1994, 22 (23); Grupp, a.a.O., S. 30.

Die Nichtberücksichtigung der Antragstellerin und ihres Vorsitzenden entspricht auch dem Gebot der abgestuften Chancengleichheit. Die Antragstellerin wird deswegen nicht - wie sie meint - mit einem "Makel der politischen Leichtgewichtigkeit" versehen. Ihre Bedeutung ist gemessen an den vom BVerfG im Zusammenhang mit der Vergabe von Sendezeiten zum Zwecke Wahlwerbung entwickelten Differenzierungsmerkmalen, wie sie auch in § 5 Abs. 1 Satz 3 ParteiG ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden haben, wesentlich geringer als die der "großen" Parteien. Anhaltspunkte für die Bedeutung der Parteien ergeben sich danach insbesondere aus dem letzten Wahlergebnis. Auch die Erfolgsaussichten bei den bevorstehenden Wahlen sind neben weiteren Kriterien in den Blick zu nehmen.

Vgl. BVerfG; Beschluss vom 30.5.1962, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., a.a.O.; Bay. VGH, Beschluss vom 8.10.1990, a.a.O.; OVG Bremen, a.a.O.

Die Antragstellerin hat bei der letzten Bundestagswahl 6,2 % der Stimmen erhalten. Ihre Wahlchancen sieht sie nach Angaben ihres Vorsitzenden derzeit selbst in einem "Umfrage-Korridor" von 9 bis 13 %.

Vgl. den vorgelegten Abdruck des "Sommerinterviews" der ARD mit Dr. Westerwelle am 19.7.2002.

Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin einen deutlich größeren Stimmenanteil erlangen könnte, sind nicht ersichtlich. Selbst bei dem Erreichen des angestrebten Wahlergebnisses von 18 % hätte die Antragstellerin keine realistische Chance, dass ihr Vorsitzender zum nächsten Bundeskanzler gewählt wird.

(bb) Auch bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung ist im Hinblick auf eine wahlwerbende Wirkung des "TV-Duells" die Teilnahme der Antragstellerin an der Sendung zur Wahrung ihrer Chancengleichheit nicht geboten. Allerdings ist das streitige TV-Duell ohne Zweifel in besonderer Weise geeignet, das Interesse der Zuschauer und Wähler zu wecken. Dass es sich um einen Höhepunkt der auf die Wahl bezogenen Sendungen handelt, wird bereits deutlich durch die Erstmaligkeit dieser Diskussionsform auf Bundesebene, den Zeitpunkt der Sendung zwei Wochen vor der Wahl, die gleichzeitige Ausstrahlung in ARD und ZDF zur "besten" Sendezeit und die Leitung durch zwei bekannte Moderatorinnen. Auch den Teilnehmern dürfte bewusst sein, dass ihr Auftreten und ihre Äußerungen in besonderer Weise geeignet sind, auf das Wahlverhalten der Zuschauer einzuwirken. Bereits im Vorfeld ist über die beiden geplanten Duelle umfangreich berichtet worden.

Vgl. nur Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.8.2002: "Vier Frager für ein Halleluja".

Gleichwohl wird der Anspruch der Antragstellerin auf Chancengleichheit nicht verletzt. Zwar könnten Bedenken bestehen, wenn eine Sendung mit diesem Programmzuschnitt erst wenige Tage vor der Wahl ausgestrahlt würde, weil den übrigen Parteien dann wohl kaum ausreichend Gelegenheit gelassen würde, auf die Äußerungen der Kandidaten in angemessener Weise zu reagieren und mit eigenen Positionen noch Aufmerksamkeit zu finden. So liegt der Fall hier aber nicht. Die Sendung findet zwei Wochen vor der Bundestagswahl statt. Es besteht daher nicht - wie die Antragstellerin befürchtet - die Gefahr, dass sich das öffentliche Interesse bis zur Wahl in unzulässiger Weise auf die beiden großen politischen Kräfte konzentrieren könnte und die kleineren Parteien in der öffentlichen Darstellung "ausgeblendet" würden. Der verbleibende Zeitraum bietet hinreichend Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Auseinandersetzung mit den Erklärungen des Bundeskanzlers und des Spitzenkandidaten der CDU/CSU. Vor allem die Diskussionsrunde "Die Favoriten" mit den Parteivorsitzenden und/oder Spitzenkandidaten der Parteien in der ARD fünf Tage vor der Wahl am 17.9.2002 ist, worauf das VG bereits zutreffend hingewiesen hat, insoweit besonders hervorzuheben. Darüber hinaus ist die streitbefangene Sendung eingebettet in ein vielfältiges Programmangebot von ARD und ZDF mit zahlreichen Sendungen, die der Antragstellerin umfangreich Gelegenheit geben, ihre politischen Positionen darzustellen. In diesen Wahlsendungen vor und nach dem streitigen Fernsehduell wird die Antragstellerin ihrer Bedeutung entsprechend berücksichtigt. Neben der "Berliner Runde" des Antragsgegners zu 2. mit den Parteivorsitzenden bzw. Spitzenkandidaten, auch der Antragstellerin, am 28.8.2002 wurden bzw. werden in der Zeit vom 2.7.2002 bis zum 18.9.2002 mehrere "Wahlhearings" und Diskussionsrunden unter Beteiligung von Vertretern der Antragstellerin veranstaltet. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben auch ein sog. "Sommerinterview" mit dem Parteivorsitzenden der Antragstellerin durchgeführt, ein weiteres wird am 25.8.2002 ausgestrahlt. Zudem finden verschiedene regelmäßige Talk-Runden unter Beteiligung von führenden Politikern auch der Antragstellerin statt. Wegen der näheren Einzelheiten zu diesen und weiteren Sendungen nimmt der Senat auf die von den Antragsgegnern mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Übersichten Bezug. Der Einwand der Antragstellerin, "eine mediale Plattform von gleicher Tragkraft fehle", ist vor diesem Hintergrund nicht überzeugend. Sofern die angesprochenen Sendungen unter Beteiligung der Antragstellerin - wie in der Beschwerdebegründung vermutet - eine ungleich geringere "Reichweite" haben, wäre dies gerade auch auf die geringere Bedeutung und das damit korrespondierende schwächere Interesse der Öffentlichkeit an den Positionen der kleineren Parteien wie der Antragstellerin zurück zu führen. Dem haben die Antragsgegner nicht entgegen zu wirken.

Ende der Entscheidung

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