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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.11.2008
Aktenzeichen: 8 B 1631/08
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146
1. Eine Zwischenentscheidung, mit der eine Regelung für den Zeitraum zwischen dem Eingang des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht und der gerichtlichen Entscheidung über diesen Eilantrag getroffen wird, ist mit einer Beschwerde anfechtbar. Sie stellt keine prozessleitende Verfügung im Sinne von § 146 Abs. 2 VwGO dar.

2. Ob eine Zwischenentscheidung erforderlich ist, ist im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. Dabei sind die Folgen, die einträten, wenn der Verwaltungsakt vollzogen würde und der Eilantrag später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die Vollziehung ausgesetzt und der Eilantrag später abgelehnt würde.


Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist gegen den Beschluss des VG die Beschwerdemöglichkeit eröffnet.

Bei dem Beschluss des VG handelt es sich um eine sogenannte Zwischenentscheidung (auch als Hänge- oder Schiebebeschluss bezeichnet). Zwischenentscheidungen ergehen während der Anhängigkeit eines Eilverfahrens und dienen dazu, eine möglicherweise erforderliche Regelung für den Zeitraum zwischen dem Eingang des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht und der gerichtlichen Entscheidung über diesen Eilantrag zu treffen. In Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kann - wie hier - mit einer Zwischenentscheidung die Vollziehung eines Verwaltungsakts vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung über den Eilantrag ausgesetzt werden.

Derartige Zwischenentscheidungen sind anfechtbar. Nach § 146 Abs. 1 VwGO steht den Beteiligten gegen alle Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in der Verwaltungsgerichtsordnung etwas anderes bestimmt ist. Für Zwischenentscheidungen fehlt es an einer solchen abweichenden Regelung.

Insbesondere greift § 146 Abs. 2 VwGO nicht ein. Danach können unter anderem prozessleitende Verfügungen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Eine Zwischenentscheidung stellt aber keine prozessleitende Verfügung im Sinne von § 146 Abs. 2 VwGO dar. Solche beziehen sich allein auf den äußeren, förmlichen Fortgang des Verfahrens. Davon kann aber bei einer Zwischenentscheidung keine Rede sein. Mit dieser sind Auswirkungen auf den Inhalt des Verfahrens verbunden. Sie trifft der Sache nach für einen befristeten Zeitraum eine Entscheidung über das einstweilige Rechtsschutzbegehren des jeweiligen Antragstellers.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17.4.2008 - 1 B 568/08 - und vom 10.10.1996 - 10 B 2434/96 -, juris, offen gelassen im Beschluss vom 7.2.2008 - 6 B 73/08 -; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 24.4.2007 - 3 S 33.07 -, InfAuslR 2007, 284 = NVwZ-RR 2007, 719; Hamb. OVG, Beschlüsse vom 19.5.2004 - 2 Bs 240/04 -, NVwZ 2004, 1135, und vom 10.3.1988 - Bs V 10/88 -, DÖV 1988, 887 = NVwZ 1989, 479; Sächs. OVG, Beschluss vom 17.12.2003 - 3 BS 399/03 -, NVwZ 2004, 1134; OVG S.-H., Beschluss vom 31.5.2001 - 4 M 38/01 -, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 30.9.1999 - 1 ZE 99.2849 -, juris; Guckelberger, NVwZ 2001, 275, und in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 146 Rn. 25; a.A. OVG S.-A., Beschluss vom 19.9.2003 - 2 M 417/03 -, juris; OVG Berlin, Beschluss vom 3.2.1998 - 8 S 184.97 -, NVwZ-RR 1999, 212; Hess. VGH, Beschluss vom 23.8.1994 - 1 TG 2086/94 -, NVwZ-RR 1995, 302; MacLean, LKV 2001, 107.

Die Beschwerde ist auch begründet. Die ergangene Zwischenentscheidung ist nicht (mehr) gerechtfertigt.

Eine Zwischenentscheidung in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO dient dazu, den nach Art. 19 Abs. 4 GG von den Gerichten zu sichernden effektiven Rechtsschutz des von einem belastenden Verwaltungsakt Betroffenen für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens durchzusetzen. Ob sie erforderlich ist, ist im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. Dabei sind die Folgen, die einträten, wenn der Verwaltungsakt vollzogen würde und der Eilantrag später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die Vollziehung ausgesetzt und der Eilantrag später abgelehnt würde. Auf die Folgen der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts kommt es dagegen nicht an, wenn das Eilverfahren voraussichtlich deshalb erfolglos sein wird, weil der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist.

Vgl. Hamb. OVG, Beschlüsse vom 19.5.2004 - 2 Bs 240/04 -, a. a. O.; VG Aachen, Beschluss vom 2.11.2005 - 6 L 658/05 -, juris.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Zwischenentscheidung (jedenfalls nunmehr) nicht erforderlich.

Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für das Ergehen einer Zwischenentscheidung im Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses, zu dem dem VG weder eine Stellungnahme der Antragsgegnerin noch deren Verwaltungsvorgänge vorlagen, erfüllt waren. Jedenfalls nachdem im Beschwerdeverfahren sowohl eine Stellungnahme der Antragsgegnerin als auch deren Verwaltungsvorgänge vorgelegt worden sind, bedarf es auf der Grundlage der vorzunehmenden Interessenabwägung keiner Zwischenentscheidung (mehr).

Eine Interessenabwägung ist hier erforderlich, da nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, dass der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Für die Feststellung der Erfolgsaussichten des Eilantrags wäre vielmehr insbesondere eine genauere Betrachtung der maßgeblichen tatsächlichen Umstände, namentlich der in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Stellungnahmen der Fachinstitute, erforderlich, was den Prüfungsrahmen des vorliegenden Zwischenverfahrens übersteigen würde.

Die Interessenabwägung geht auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes zu Lasten der Antragstellerin aus. Sie hat deshalb bis zum Abschluss des Eilverfahrens die von der Antragsgegnerin angeordnete sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung hinzunehmen.

In der Antragsschrift hat die Antragstellerin sich darauf berufen, ihr entstünde durch die Vollziehung der Ordnungsverfügung täglich ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Dies ist nachvollziehbar, da ihr mit der Ordnungsverfügung das Inverkehrbringen und damit insbesondere auch der Verkauf im Einzelnen bezeichneter Typen von Feuerwehrstiefeln untersagt worden ist.

Dieses wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin muss aber in Anbetracht eines von den Feuerwehrstiefeln möglicherweise ausgehenden Gefährdungspotentials zurückstehen.

Schon in der Ordnungsverfügung hat die Antragsgegnerin angeführt, sicherheitstechnische Überprüfungen hätten ergeben, dass die Feuerwehrstiefel erhebliche Mängel wie eine fehlende Rutschhemmung, eine zu geringe Trennkraft der Laufsohle zum Schaft, eine zu niedrige Zehenkappenbelastbarkeit, eine fehlende Durchtrittsicherheit und ein unzureichendes Brennverhalten (Schmelzen von Reißverschluss und Schnürsystem) aufwiesen. Diese sicherheitstechnischen Bedenken hat die Antragsgegnerin durch ihre Ausführungen in der Beschwerdebegründung, die durch die vorgelegten Verwaltungsvorgänge gestützt werden, noch weiter vertieft und insbesondere aufgezeigt, dass schon seit mehreren Jahre immer wieder Qualitätsmängel und Probleme im Zusammenhang mit den erforderlichen Zertifizierungen der in Rede stehenden Feuerwehrstiefel aufgetreten sind. Die Antragstellerin hat ihrerseits im Beschwerdeverfahren den technischen Prüfbericht eines englischen Instituts vorgelegt, der das Brennverhalten des Feuerwehrstiefels Q. als ausreichend, das des Feuerwehrstiefels G. als ungenügend bezeichnet.

Ob die von der Antragsgegnerin angeführten Bedenken tatsächlich zutreffen, ist im Rahmen der vorliegend zu treffenden Interessenabwägung nicht näher zu untersuchen. Schon allein der - wie hier - auf Untersuchungen von Fachinstituten gestützte begründete Verdacht, dass die Feuerwehrstiefel nicht den maßgeblichen Sicherheitsanforderungen genügen könnten, reicht aus, um das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin zurücktreten zu lassen. Feuerwehrleute, für die die Feuerwehrstiefel gerade bestimmt sind, müssen sich bei einem Notfalleinsatz darauf verlassen können, dass ihre Ausrüstung den erforderlichen Qualitätsstandards genügt. Sicherheitstechnische Mängel bei ihrer Ausrüstung wie insbesondere dem Schuhwerk haben unmittelbar die Gefahr von gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Folge. Gerade in Anbetracht ihrer in besonderem Maße gefahrgeneigten Tätigkeit gilt es zu verhindern, dass Feuerwehrleute durch eine unzureichende Ausrüstung ihr eigenes Leben und auch das Leben der von ihnen zu rettenden Personen gefährden. Angesichts dessen kann nicht hingenommen werden, dass möglicherweise den sicherheitstechnischen Anforderungen nicht genügende Feuerwehrstiefel in den Verkehr geraten. Jedenfalls bis der Verdacht eines vorhandenen Gefährdungspotentials durch eine abschließende Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausgeräumt ist, muss sichergestellt werden, dass die vorliegend in Rede stehenden Feuerwehrstiefel nicht weiter in den Verkehr gelangen. Damit für sie verbundene Nachteile hat die Antragstellerin angesichts einer möglichen Gefährdung von Leib und Leben der Feuerwehrleute und der von ihnen zu rettenden Personen hinzunehmen.

Angesichts dieser Umstände überwiegt das Interesse am Fortbestand der von der Antragsgegnerin ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung das Interesse der Antragstellerin, während des weiteren Laufs des Eilverfahrens von dem Vollzug der Ordnungsverfügung verschont zu bleiben. Allerdings wird das VG im Blick zu behalten haben, ob in der Folgezeit bis zur Entscheidung über den Eilantrag Veränderungen der tatsächlichen Umstände eintreten, die eine andere Interessenabwägung rechtfertigen. In einem solchen Fall wäre das VG befugt und ggf. verpflichtet, erneut eine Zwischenentscheidung zu treffen und die Anordnung der Vollziehung auszusetzen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich. Die durch das Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten gehören zu den Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO. Es liegt insofern kein gegenüber jenem Verfahren selbständiges Nebenverfahren vor.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.10.1996 - 10 B 2434/96 -, a. a. O.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 24.4.2007 - 3 S 33.07 -, a. a. O.; Hamb. OVG, Beschlüsse vom 19.5.2004 - 2 Bs 240/04 -, a. a. O., und vom 10.3.1988 - Bs V 10/88 -, a. a. O.; Sächs. OVG, Beschluss vom 17.12.2003 - 3 BS 399/03 -, a. a. O.

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