Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 8 B 1695/06
Rechtsgebiete: StVZO, StVO


Vorschriften:

StVZO § 19
StVZO § 35 i
StVZO § 70
StVO § 21 a
Die seit dem 1.4.2006 geltende Regelung des § 35i Abs. 2 StVZO, wonach Fahrgäste (mit Ausnahme von Kindern in Kinderwagen) in Kraftomnibussen nicht liegend befördert werden dürfen, stellt inhaltlich lediglich eine Klarstellung der seit 1.10.1999 geltenden Rechtslage dar. Es ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Verordnungsgeber nur eine sehr kurze (Übergangs-)Frist zwischen Erlass und Wirksamwerden des § 35i Abs. 2 StVZO vorgesehen hat.
Tatbestand:

Die Antragsteller sind Busunternehmer. Im Hinblick auf die seit dem 1.4.2006 geltende Regelung des § 35i StVZO begehrten sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung, bis zur Entscheidung in der Hauptsache berechtigt zu sein, mit ihren nach dem 1.10.1999 erstmalig in den Verkehr gekommenen Omnibussen ohne eine Ausnahmegenehmigung sog. Liegendbeförderungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Der Antrag hatte in zwei Instanzen keinen Erfolg.

Gründe:

1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig.

Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO können grundsätzlich auch vorläufige Feststellungen dahingehend getroffen werden, ob ein bestimmtes Verhalten vorläufig zulässig ist oder der jeweilige Antragsteller eine bestimmte Regelung vorläufig nicht beachten muss.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.5.1987 - 2 BvR 104/87 -, NJW 1988, 249; Hamb. OVG, Beschluss vom 11.4.1997 - Bs IV 389/96 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 7.12.1993 - 3 TG 2347/93 -, NJW 1994, 1750; OVG NRW, Beschluss vom 26.8.1988 - 18 B 1063/88 -, NVwZ-RR 1989, 104; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., 2005, § 123 Rdnr. 9.

Hiervon ausgehend kann im vorliegenden Fall die von den Antragstellern begehrte einstweilige Anordnung nur auf einen rechtlichen Erfolg gerichtet sein, der auch im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO erreicht werden könnte. Mit der Feststellungsklage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden (a.), wenn ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung besteht (b.) und das Begehren nicht durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgt werden kann oder hätte verfolgt werden können (c.).

Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Die Antragsteller begehren mit dem vorliegenden Verfahren die Feststellung, dass sie auch nach Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO,

i.d.F. des Art. 1 Nr. 5 und 9 d) der 41. Verordnung zur Änderung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften vom 3.3.2006 (BGBl. I S. 470),

wonach Fahrgäste (mit Ausnahme von Kindern in Kinderwagen) in Kraftomnibussen nicht liegend befördert werden dürfen, bis zur Entscheidung in der Hauptsache berechtigt sind, mit ihren nach dem 1.10.1999 erstmalig in den Verkehr gekommenen Kraftomnibussen ohne eine Ausnahmegenehmigung sog. Liegendbeförderungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen.

Da die Genehmigungspflichtigkeit eines Vorgangs ein Rechtsverhältnis zwischen demjenigen, der der Genehmigung bedarf, und der für die Erteilung zuständigen Behörde begründet,

vgl. BVerwG, Urteil vom 14.4.2005 - 3 C 3.04 -, DAR 2005, 582,

ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses zwischen den Antragstellern und der Antragsgegnerin.

Entgegen der Auffassung des VG begehren die Antragsteller nicht die abstrakte Feststellung der Nichtigkeit des § 35i Abs. 2 StVZO. Vielmehr handelt es sich hier um einen Fall, in dem die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten, in der Wirklichkeit gegebenen Sachverhalt streitig ist. Ein solches feststellungsfähiges Rechtsverhältnis verliert diese Eigenschaft nicht dadurch, dass die Antragsteller das Nichtbestehen dieses Rechtsverhältnisses auf die Nichtigkeit der zugrundeliegenden Norm stützen, sondern gibt insoweit nur Anlass zu einer Inzidentprüfung der Norm im Rahmen der Begründetheit.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 9.12.1982 - 5 C 103.81 -, NJW 1983, 2208, und vom 28.6.2000 - 11 C 13.99 -, BVerwGE 111, 276; Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rdnr. 25; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., 2005, § 47 Rdnr. 92; Happ, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., 2006, § 43 Rdnr. 9.

Die rechtlichen Beziehungen, die durch eine etwaige Genehmigungspflicht der beabsichtigten Liegendbeförderung durch das Bundesgebiet begründet werden, würden auch zwischen den Antragstellern und der Antragsgegnerin bestehen, denn für die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung wäre nach § 70 Abs. 1 Nr. 3 StVZO das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zuständig. § 70 Abs. 1 StVZO enthält eine spezielle Zuständigkeitsregelung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.4.2005 - 3 C 3.04 -, a.a.O.

Die Vorschrift des § 35i StVZO ist in § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO nicht aufgeführt. Die danach in Betracht zu ziehende Regelung in Nr. 2 ermächtigt die zuständigen obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten oder nach Landesrecht zuständigen Stellen - in Nordrhein-Westfalen die Bezirksregierungen nach § 3 Abs. 2 ZuStVO StVZO - zur Genehmigung von Ausnahmen von allen Vorschriften der Verordnung in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte einzelne Antragsteller, es sei denn, dass die Auswirkungen sich nicht auf das Gebiet des Landes beschränken und eine einheitliche Entscheidung erforderlich ist. Grundsätzlich käme insoweit auch diese Bestimmung für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung in Betracht. Die Antragsteller beabsichtigen die Durchführung der Liegendbeförderung jedoch bundesweit, was eine länderübergreifende einheitliche Regelung verlangt, so dass für die Erteilung einer etwaig erforderlichen Ausnahmegenehmigung nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung des BVerwG das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nach § 70 Abs. 1 Nr. 3 zuständig ist.

b) Die Antragsteller haben gegenüber der Antragsgegnerin auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, weil zwischen den Beteiligten Streit darüber besteht, ob die Antragsteller nach der Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO berechtigt sind, auch ohne die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung mit ihren Kraftomnibussen, die nach dem 1.10.1999 zugelassen worden sind, Liegendbeförderungen im Bundesgebiet durchzuführen. Das vorliegende Verfahren führt insoweit zu einer (zumindest bis zum Abschluss des Hauptsacherfahrens vorläufigen) Klärung der Rechtslage. Dem steht nicht entgegen, dass der Vollzug der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nach Art. 83, 84 GG und § 68 Abs. 1 StVZO den Ländern und den insoweit nach Landesrecht bestimmten Verwaltungsbehörden obliegt. Das der Antragsgegnerin unterstellte Bundesamt für Güterverkehr ist nach den §§ 1, 11 Abs. 1 und 2 sowie 12 Abs. 1 GüKG ausschließlich für die Überwachung des Güterkraftverkehrs und nicht für die Einhaltung der personenbeförderungsrechtlichen Vorschriften zuständig. Jedoch wäre die begehrte Feststellung, dass für die Durchführung der Liegendbeförderung keine Ausnahmegenehmigung erforderlich ist, ebenso wie die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung sowohl im Rahmen des ordnungsbehördlichen Einschreitens von den für den Vollzug der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung zuständigen Landesbehörden als auch von den für die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten zuständigen Kreisordnungsbehörden (vgl. §§ 69 a Abs. 3 Nr. 7 d StVZO, 24 Abs. 1, 26 Abs. 1 Satz 1 StVG, 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. der Verordnung vom 25.9.1979, GV NRW S. 652, i.d.F. vom 28.3.1995, GV NRW S. 293) zu berücksichtigen.

c) Dem Begehren der Antragsteller steht auch nicht der Gesichtspunkt der Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) entgegen. Im Hauptsacheverfahren kommt eine Verpflichtungs- oder sonstige Leistungsklage von ihrem Rechtsstandpunkt aus nicht in Betracht, da sie die beabsichtigte Liegendbeförderung von Fahrgästen gerade als erlaubnisfrei ansehen und deshalb keine Erlaubnis, sondern die Feststellung der Genehmigungsfreiheit begehren.

Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 28.6.2000 - 11 C 13.99 -, a.a.O; Brüning, Die Konvergenz der Zulässigkeitsvoraussetzungen der verschiedenen verwaltungsgerichtlichen Klagearten, JuS 2004, 882.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat jedoch keinen Erfolg, weil die Antragsteller einen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO nicht glaubhaft gemacht haben.

Die Antragsteller sind nicht berechtigt, auch ohne eine entsprechende Ausnahmegenehmigung über den 1.4.2006 hinaus Liegendbeförderungen mit ihren Kraftomnibussen durchzuführen. Eine solche Ausnahmegenehmigung wäre nur dann nicht erforderlich, wenn die Antragsteller bereits auf der Grundlage der straßenverkehrsrechtlichen Zulassung des jeweiligen Busses solche Liegendbeförderungen durchführen dürfen (a) oder wenn die Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO in der Fassung vom 3.3.2006 ihnen gegenüber keine Wirksamkeit entfaltet (b).

Im Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung lässt sich das Vorliegen dieser Voraussetzungen jedoch nicht feststellen.

a) Soweit in den Fahrzeugscheinen der hier in Rede stehenden Fahrzeuge "Liegeplätze nach § 35i Abs. 2 StVZO" eingetragen sind, ergibt sich hieraus - unabhängig davon, ob diese Eintragungen zu Recht erfolgt sind - keine Berechtigung, auch Liegendbeförderungen durchzuführen. Die Zulassung nach § 18 StVZO bewirkt lediglich, dass das Fahrzeug in der im Zulassungsverfahren zu prüfenden und geprüften Beschaffenheit überhaupt am öffentlichen Verkehr teilnehmen darf.

Vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., 2005, § 18 StVZO Rdnr. 3.

Im Zulassungsverfahren wird jedoch keine Entscheidung darüber getroffen, in welcher Weise das Fahrzeug im Straßenverkehr genutzt bzw. wie und wann von dessen Ausrüstungsgegenständen im Einzelnen Gebrauch gemacht werden darf. Dies bestimmt sich allein nach den straßenverkehrsrechtlichen Ordnungsvorschriften.

b) Bei summarischer Prüfung lässt sich auch nicht feststellen, dass die Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO, die bereits weniger als einen Monat nach ihrer Bekanntmachung in Kraft getreten ist, verfassungswidrig und deshalb nichtig ist.

Die Rüge, dass durch die Änderung dieser Vorschrift in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Vermögenspositionen und den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragsteller eingegriffen wird, ist unbegründet. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die zum Straßenverkehr zugelassenen sog. Hotelbusse und die Tätigkeit der Antragsteller als Busunternehmer als auch hinsichtlich der zusätzlichen gewerblichen Tätigkeit des Antragstellers zu 2. als Ausrüster und Inhaber von Patenten für den Umbau von Bussen zur Liegendbeförderung.

Inhalt und Schranken dieser geschützten Rechtspositionen werden nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze bestimmt. Gesetze in diesem Sinne sind auch Rechtsverordnungen und deren Regelungen,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.7.1958 - 1 BvF 1/58 -, BVerfGE 8, 71,

die, wie § 35i Abs. 2 StVZO, auf einer gesetzlichen Grundlage (hier § 6 Abs. 1 Nr. 2 c StVG) beruhen. Im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG können auch bestehende individuelle Rechtspositionen eingeschränkt oder sogar umgestaltet werden, wenn dies durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit,

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 5.5.1987 - 1 BvR 724, 1000, 1015/81, 1 BvL 16/82 u. 5/84 -, BVerfGE 75, 246, vom 15.7.1987 - 1 BvR 488, 1220, 628, 1278/86 u. 1 BvL 11/86 -, BVerfGE 76, 220, vom 11.10.1988 - 1 BvR 743/86 u. 1 BvL 80/86 -, BVerfGE 79, 29, vom 26.4.1995 - 1 BvL 19/94 u. 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262; BVerwG, Urteil vom 16.5.1991 - 4 C 17.90 -, BVerwGE 88, 191,

und unter Wahrung des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes gerechtfertigt ist.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.7.1987 - 1 BvR 488, 1220, 628, 1278/86 u. 1 BvL 11/86 -, a.a.O., und vom 15.10.1996 - 1 BvL 44, 48/92 -, BVerfGE 95, 64.

Das öffentliche Interesse gebietet es insbesondere, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber jederzeit auf eine Gefahrenlage reagieren kann. Wenn hierbei in geschützte Vermögenspositionen eingegriffen wird, stehen dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes insoweit im Regelfall die Möglichkeit einer angemessenen und zumutbaren Überleitungsregelung oder die Anwendung einer Härteklausel als verfassungslegitime Mittel zur Verfügung.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 8.2.1997 - 1 BvR 79, 278, 282/70 -, BVerfGE 43, 242, Beschlüsse vom 19.6.1985 - 1 BvL 57/79 -, BVerfGE 70, 191, und vom 6.11.1985 - 1 BvL 22/83 -, BVerfGE 71, 137.

Bei summarischer Prüfung wird die hier im Streit stehende Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO diesen Anforderungen gerecht und ist wirksam.

Allerdings könnte bei isolierter Betrachtung der Neuregelung des § 35i Abs. 2 StVZO der Eindruck entstehen, dass der Verordnungsgeber ohne nennenswerte Übergangsfrist den zuvor ausdrücklich erlaubten Transport von liegenden Fahrgästen durch Verordnung vom 3.3.2006 mit Wirkung zum 1.4.2006 verboten hätte. Nimmt man jedoch zusätzlich die weiteren für den Transport von Fahrgästen in Bussen geltenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften in den Blick, wird deutlich, dass die streitbefangene Regelung lediglich eine Klarstellung der seit dem 1.10.1999 geltenden - zwar durchaus kompliziert geregelten, aber bei verständiger Auslegung dennoch eindeutigen - Rechtslage beinhaltet. Das ergibt sich aus Folgendem: Die Vorschrift des § 35i Abs. 2 Satz 2 StVZO i.d.F. vom 23.7.1990 (BGBl. I S. 1489) bestimmte eine Ausnahme von dem Verbot, Fahrgäste in Kraftomnibussen liegend zu befördern, wenn diese durch geeignete Rückhalteeinrichtungen hinreichend geschützt sind. Ab dem 1.10.1999 hat sich diese Rechtslage geändert. In Umsetzung der Richtlinie 77/541/EWG des Rates vom 28.6.1977 (ABl. L 220 vom 29.8.1977, S. 95) i.d.F. der Richtlinie 96/36/EG der Kommission vom 17.6.1996 (ABl. L 178 vom 17.7.1996, S. 15) bestimmt § 35a Abs. 4 StVZO i.d.F. der Änderungsverordnung vom 26.5.1998 (BGBl. I S. 1159), dass alle ab dem 1.10.1999 in den Verkehr kommenden Kraftomnibusse mit mehr als 3,5 t - mit Ausnahme der Kraftomnibusse, die sowohl für den Einsatz im Nahverkehr als auch für stehende Fahrgäste gebaut sind (vgl. § 35a Abs. 6 StVZO) - mit Sicherheitsgurten oder Rückhaltesystemen auszurüsten sind. Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 StVO in der ab dem 1.7.1998 geltenden Fassung vom 25.6.1998 (BGBl. I S. 1654) müssen vorgeschriebene Sicherheitsgurte während der Fahrt angelegt sein. Ausgenommen sind hiervon nach § 21a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 6 StVO lediglich Fahrten in Kraftomnibussen, bei denen die Beförderung stehender Fahrgäste zugelassen ist, und in Kraftomnibussen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t, wenn die Fahrgäste ihren Sitzplatz nur kurzfristig verlassen.

Damit besteht ab dem 1.10.1999 für die vorbeschriebenen Kraftomnibusse - zu denen auch die der Antragsteller gehören - eine generelle Anschnallpflicht mit Sicherheitsgurten. Die Regelung des § 21a Abs. 1 Satz 1 StVO bezieht sich nicht nur auf die Beförderung sitzender Fahrgäste, sondern stellt darauf ab, dass die Sicherheitsgurte "während der Fahrt" angelegt sein müssen. Die Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO beinhaltet daher keine rückwirkende Änderung, sondern lediglich eine Klarstellung der Rechtslage. Dies entsprach auch der Absicht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bei der Änderung dieser Regelung.

Vgl. Begründung zur 41. Änderungsverordnung vom 3.3.2006, VkBl. 2006, S. 280.

Da mit der Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO nicht rückwirkend in Vermögenspositionen eingegriffen worden ist, war unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eine generelle Übergangsregelung nicht erforderlich. Vertrauensschutz können die Antragsteller auch vor dem Hintergrund nicht beanspruchen, dass Sicherheitsgurte und andere Rückhaltesysteme in Kraftfahrzeugen - unabhängig davon, ob sie von den Zulassungsstellen in den Fahrzeugpapieren eingetragen worden sind - nach § 22a Abs. 1 Nr. 25, Abs. 2 StVZO i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 der Fahrzeugteileverordnung - FzTV - im Straßenverkehr überhaupt nur verwendet werden dürfen, wenn hierfür vom Kraftfahrt-Bundesamt eine amtliche Bauartgenehmigung erteilt und ein Prüfzeichen zugeteilt worden ist. Ein Prüfbericht von DEKRA oder TÜV reicht insoweit nicht aus. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin - dem die Antragsteller nicht entgegengetreten sind - sind für Rückhalteeinrichtungen nach § 35i Abs. 2 StVZO i.d.F. vom 23.7.1990 vom zuständigen Kraftfahrt-Bundesamt keine entsprechenden Genehmigungen erteilt worden.

Soweit im Einzelfall eine besondere Härtesituation bestehen sollte, z.B. wenn nach § 1 Abs. 2 FzTV ein anderer Staat unter Beachtung der mit der Bundesrepublik Deutschland vereinbarten Bedingungen eine Bauartgenehmigung für ein entsprechendes Rückhaltesystem in einem Bus erteilt hat - im vorliegenden Fall ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Antragsteller im Besitz entsprechender Bauartgenehmigungen für die Rückhaltesysteme in ihren Fahrzeugen sind -, kann solchen Fallkonstellationen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen werden, dass zumindest zeitlich befristete Ausnahmegenehmigungen erteilt werden.

c) Im Rahmen der summarischen Prüfung lässt sich auch nicht feststellen, dass die Antragsteller durch die Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO rechtswidrig in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit verletzt sind. Es kann offen bleiben, ob der Bestimmung des § 35i Abs. 2 StVZO überhaupt eine berufsregelnden Tendenz zukommt,

vgl. hierzu: BVerfG, Beschlüsse vom 11.10.1977 - 1 BvR 343/73, 83/74, 183 und 428/75 -, BVerfGE 47, 1, vom 19.6.1985 - 1 BvL 57/79 -, BVerfGE 70, 191, und vom 12.6.1990 - 1 BvR 355/86 -, BVerfGE 82, 209,

weil es sich hierbei um eine verkehrsrechtliche Ordnungsvorschrift handelt, die nicht unmittelbar auf eine berufs- oder wirtschaftslenkende Regelung gerichtet ist. Jedenfalls kann in die hier allein in Betracht kommende Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes, auch durch Rechtsverordnung, eingegriffen werden.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.3.1989 - 1 BvR 1033/82 u. 174/84 -, BVerfGE 80, 1; Scholz, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Band II, Art. 12 Rdnr. 326; Gubbelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Band I, 4. Aufl., 1992, Art. 14 Rdnr. 74.

Da durch die Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO lediglich die ab dem 1.10.1999 geltende Rechtslage klargestellt wurde, ist weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller durch diese Regelung in ihrer Berufsausübung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden.

d) Im Hinblick auf die Neufassung des § 35i Abs. 2 StVZO ist auch eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art 3 Abs. 1 GG von im Wesentlichen gleichen Sachverhalten nicht ersichtlich. Zwar ist für Kraftomnibusse über 3,5 t, die nach dem 1.10.1999 erstmals in den Verkehr gekommen sind, die Regelung des § 35i Abs. 2 StVZO in der ab dem 1.4.2006 geltenden Fassung anwendbar, während nach den Übergangsbestimmungen zu § 72 Abs. 2 StVZO auf entsprechende Busse, die vor diesem Stichtag erstmals in den Verkehr gekommen sind, die Regelung des § 35i Abs. 2 StVZO in der vor dem 1.4.2006 geltenden Fassung anzuwenden ist. Es erscheint schon zweifelhaft, ob es überhaupt einen Anwendungsbereich für diese Übergangsvorschrift gibt. Denn nach den obigen Ausführungen müsste es sich um Busse älteren Baujahrs handeln, die über Rückhaltesysteme mit entsprechender Bauartzulassung verfügen, wovon nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragsgegnerin nicht auszugehen ist. Darauf kommt es hier jedoch nicht an. Die Ungleichbehandlung wäre jedenfalls gerechtfertigt. Der sachliche Grund für diese Differenzierung besteht darin, dass die Fahrzeuge, die vor dem 1.10.1999 in den Verkehr gekommen sind, bereits aufgrund ihres Alters und des insoweit zu berücksichtigenden Vertrauensschutzes der Eigentümer von vornherein nicht mit Sicherheitsgurten und Rückhaltesystemen auszustatten waren, so dass hinsichtlich dieser Fahrzeuge nach § 21a Abs. 1 Satz 1 StVO auch keine Anschnallpflicht bestand. Eine Nachrüstungspflicht dieser Fahrzeuge mit Sicherheitsgurten und Verankerungen hätte im Hinblick auf die dann notwendigen umfangreichen technischen Veränderungen wie z.B. die Verstärkung der Bodenstrukturen zur Aufnahme der Sitzverankerungen, die Erhöhung der Festigkeit an den Seitenwänden zur Aufnahme der Sicherheitsgurtverankerung und den Austausch aller Fahrer- und Fahrgastsitze eine erhebliche Belastung dargestellt.



Ende der Entscheidung

Zurück