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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.08.2008
Aktenzeichen: 8 B 959/08
Rechtsgebiete: DlStatG


Vorschriften:

DlStatG § 1 Abs. 1
DlStatG § 2 Abs. 1
DlStatG § 5 Abs. 1
Die wiederholte Inanspruchnahme eines Auskunftspflichtigen nach §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 und Abs. 2, 5 Abs. 1 DlStratG begegnet Bedenken, wenn die Auswahlkriterien für die Stichprobe eine systematische Rotation der Befragten zur effektiven Begrenzung der Belastung nicht vorsehen.
Tatbestand:

Der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, wandte sich gegen seine Heranziehung zur Auskunftserteilung im Rahmen der Erhebungen zur Dienstleistungsstatistik für das Berichtsjahr 2006. Er machte geltend, er sei seit dem Berichtsjahr 2003 ununterbrochen auskunftspflichtig gewesen. Das VG ordnete auf seinen Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Heranziehungsbescheid an. Die Beschwerde des Antragsgegners blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Der gemäß § 1 der Verordnung über die zuständige Behörde für Bundesstatistiken vom 11.2.1980 (GV.NRW. S. 99) für die Durchführung von Bundesstatistiken zuständige Antragsgegner hat die hier angefochtene Aufforderung zur Auskunftserteilung für das Berichtsjahr 2006 vom 28.3.2008 zutreffend auf die Vorschriften der §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 und Abs. 2 sowie 5 Abs. 1 des Gesetzes über Statistiken im Dienstleistungsbereich - Dienstleistungsstatistikgesetz (DlStatG) - vom 19.12.2000 (BGBl. I S. 1765) in der Fassung der Änderung durch Art. 5 des Gesetzes vom 17.3.2008 (BGBl. I S. 399) gestützt. Danach werden zur Darstellung der Entwicklung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Dienstleistungsbereich statistische Erhebungen als Bundesstatistik durchgeführt. Die Statistik umfasst jährliche Erhebungen, die als Stichprobe bei höchstens 15% aller Erhebungseinheiten durchgeführt werden. Erhebungseinheiten sind Unternehmen und Einrichtungen zur Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit, die in den in § 2 Abs. 1 DlStatG erfassten Dienstleistungsbereichen tätig sind. Auskunftspflichtig sind die Inhaber oder Leiter der Unternehmen oder Einrichtungen zur Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit.

Der Antragsteller betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei und unterfällt daher im Grundsatz sowohl dem persönlichen als auch dem sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abteilung 74 DIStatG: Erbringung von Dienstleistungen überwiegend für Unternehmen).

Die Entscheidung, den Antragsteller auch für das Berichtsjahr 2006 zur Auskunftserteilung aufzufordern, widerspricht indes nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage den methodischen und verfahrensrechtlichen Vorgaben des Dienstleistungsstatistikgesetzes.

Die Auswahl der einzelnen Erhebungseinheit steht - vorliegend bis zur Höchstgrenze von 15% - grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Diese ist befugt, zur Sicherung einer gleichförmigen Inanspruchnahme allgemeine Auswahlgrundsätze zu entwickeln.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.11.1989 - 1 B 136.89 -, NVwZ-RR 1990, 418; HambOVG, Beschluss vom 16.7.1996 - Bs III 85/96 -, juris.

§ 1 Abs. 2 Satz 2 DIStatG bestimmt, dass die Erhebungseinheiten nach mathematisch-statistischen Verfahren ausgewählt werden.

Die gerichtliche Prüfung der Auswahlentscheidung beschränkt sich nach § 114 VwGO darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Ein Ermessensfehler liegt vor, wenn das Ermessen überhaupt nicht ausgeübt wurde, wenn in die Entscheidung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den jeweiligen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht.

Hiervon ausgehend begegnet die erneute Heranziehung des Antragstellers für das Berichtsjahr 2006 erheblichen rechtlichen Bedenken. Die ihr zu Grunde liegenden Auswahlkriterien tragen dem gesetzlichen Gebot der Begrenzung der Belastung der Auskunftspflichtigen nicht angemessen Rechnung und widersprechen damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Defizite des federführend vom Statistischen Bundesamt erarbeiteten Auswahlverfahrens muss sich der Antragsgegner zurechnen lassen, auch wenn die Entscheidung ansonsten mit den entwickelten Vorgaben übereinstimmt. Die Rechtswidrigkeit der Auswahlkriterien bedingt auch die Rechtswidrigkeit der konkreten Auswahlentscheidung.

Ausweislich der Gesetzesbegründung - vgl. BT-Drucks. 14/4049 S. 14 - soll das Auswahlverfahren zur Dienstleistungsstatistik (auch) einen systematischen Austausch der jeweils Auskunftspflichtigen vorsehen. Die Rotation diene dazu, die Belastung der Befragten, die durch eine jährlich wiederholte Beteiligung an der Erhebung entstehe, abzubauen und somit eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Auskunftsverpflichtung zu erreichen. In Abhängigkeit vom Auswahlsatz in den einzelnen Stichprobenschichten komme dabei eine vollständige oder partielle Rotation der Sichtprobeneinheiten in Frage.

Dem vom Gesetzgeber danach als besonders schützenswert eingestuften privaten Interesse der wiederholt zu Erhebungszwecken herangezogenen Pflichtigen an einer Entlastung tragen die vom Antragsgegner in der Beschwerdebegründung zusammenfassend dargelegten Auswahlgrundsätze auch im Verhältnis zu dem - gewichtigen - öffentlichen Interesse an einem hohen Genauigkeitsgrad der Ergebnisse der statistischen Erhebung nicht angemessen Rechnung.

Der Antragsgegner führt aus, eine Stichprobe sei aus statistischen Gründen so lange beizubehalten, bis negative Auswirkungen von Strukturveränderungen auf die Qualität der Ergebnisse eine komplette Neuziehung erforderlich machten bzw. objektive Sachverhalte eine Beibehaltung der Stichprobe aus fachlicher Sicht nicht mehr zulassen würden. Darüber entschieden die Fachreferenten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder nach pflichtgemäßem Ermessen. Wann eine Stichprobe für statistische Zwecke verbraucht sei, hänge von unterschiedlichen Faktoren ab und lasse sich nur im Nachgang des Prozesses, nicht aber zu Beginn einer Erhebung voraussagen. Ein vollständige Neuwahl der auskunftspflichtigen Einheiten einer Stichprobenerhebung werde dann durchgeführt, wenn die Ergebnisse etwa bedingt durch die Alterung des Berichtskreises oder zahlreiche Landes-, Wirtschaftszweig- und Größenklassenwechsler stark abgesunken seien. Von Zeit zu Zeit erfolge eine Neuwahl auch, um die bisherigen Auskunftspflichtigen zu entlasten bzw. weil neue gesetzliche Vorgaben dies erforderlich machten.

Diese Vorgehensweise entspricht nicht dem Gesetzeszweck einer systematischen und damit effektiven Begrenzung der Belastung der einer Stichprobe angehörenden Erhebungseinheiten. Konkrete zeitliche Vorgaben, wann die wiederholte Inanspruchnahme unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten angesichts der Belastung der Auskunftspflichtigen ohne partielle oder vollständige Rotation für unzumutbar gehalten wird, fehlen. Rotationspläne sind nicht aufgestellt worden, obwohl § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BStatG gerade für Wirtschaftsstatistiken die Führung von Adressdateien u.a. zum Zwecke der Aufstellung von Rotationsplänen vorsieht. Diese sollen sicherstellen, dass zur möglichst schonenden Behandlung der Erhebungseinheiten und ihrer Gleichbehandlung grundsätzlich nach angemessener Zeit die bereits herangezogenen Erhebungseinheiten gegen andere ausgetauscht werden. Dies ist umso eher möglich, je größer die Zahl vergleichbarer Einheiten ist.

Vgl. BT-Drucks. 10/5345 S. 19 sowie BT-Drucks. 14/4049 S. 14 f.; HambOVG, Beschluss vom 16.7.1996 - Bs III 85/96 -, juris.

Anders als für den von tatsächlichen Entwicklungen abhängigen Verbrauch einer Stichprobe steht der Bestimmung einer zeitlichen Obergrenzung ihrer Inanspruchnahme schon zu Beginn einer Stichprobenziehung nichts entgegen. Diese Möglichkeit wird im Übrigen auch von der Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BStatG vorausgesetzt.

Anhaltspunkte für eine ungeachtet dessen geübte, systematische Rotationspraxis oder für andere Maßnahmen zur Begrenzung der Belastung der einer Stichprobe angehörenden Erhebungseinheiten bestehen nicht. Der vom Antragsgegner geschilderte Verlauf der Erhebung seit dem Berichtsjahr 2000 spricht im Gegenteil für die Annahme, dass das Interesse der Betroffenen an einer gleichmäßigen Verteilung der Belastung bislang nicht in den Blick genommen wurde. Weder die erste Stichprobenneuwahl für das Berichtsjahr 2003 noch die nunmehr für das Berichtsjahr 2008 angekündigte Neuwahl erfolgte bzw. erfolgt zur Entlastung der Auskunftspflichtigen. Beide Neuwahlen beruhen auf neuen Wirtschaftszweigklassifikationen. Der Antragsgegner hat auch nicht behauptet, dass jedenfalls anlässlich der vierten Inanspruchnahme der für das Berichtsjahr 2003 gezogenen Stichprobe Zumutbarkeitserwägungen angestellt worden wären.

Ein demgegenüber überragendes öffentliches Vollzugsinteresse ist nicht erkennbar. Ein solches ist auch nicht mit Blick auf die erhebliche Bedeutung der Wirtschaftsstatistiken für die staatlichen Organe anzunehmen. Diese bedürfen als Grundlage einer am Sozialstaatprinzip orientierten Politik einer umfassenden, kontinuierlichen und laufend aktualisierten Information über die wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 - 1 BvR 209 u.a./83 -, BVerfGE 65, 1.

Es drängt sich jedoch angesichts des hohen, eine leichte Austauschbarkeit der Einheiten bedingenden Differenzierungsgrades der insgesamt 840 Schichten sowie des konkreten Schichtumfangs von hier 2.818 Erhebungseinheiten mit einem Stichprobenumfang von nur 118 Erhebungseinheiten nicht auf, dass gerade der Ausfall des seit dem Berichtsjahr 2003 stets in Anspruch genommenen Antragstellers bei einem ohnehin festzustellenden "natürlichen" Verbrauch der Stichprobe die Genauigkeit der Ergebnisses und dessen Aussagekraft maßgeblich in Frage stellen würde.

Ende der Entscheidung

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