Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.03.2009
Aktenzeichen: 8 D 58/08.AK
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, RL 85/337/EWG, UmwRG
Vorschriften:
EG-Vertrag Art. 234 | |
RL 85/337/EWG Art. 10 a | |
UmwRG § 2 Abs. 1 Nr. 1 | |
UmwRG § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 |
Tatbestand:
Die Beigeladene beabsichtigt die Errichtung und den Betrieb eines Steinkohlekraftwerks. Das Investitionsvolumen für das Vorhaben beträgt etwa 1,4 Milliarden Euro. Das Kraftwerk soll mit einer Feuerungswärmeleistung von bis zu 1.705 MW und einer elektrischen Nettoleistung von 750 MW betrieben werden. Der Kläger, eine anerkannte Umweltorganisation, hat gegen den Vorbescheid und die erste Teilgenehmigung vom 6.5.2008 Klage erhoben. Der Senat hat dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 des EG-Vertrages zur Klärung der Reichweite des Verbandsklagerechts im Umweltrecht folgende Fragen vorgelegt:
1. Verlangt Art. 10 a der Richtlinie 85/337/EWG in der Fassung der Richtlinie 2003/35/EG, dass Nichtregierungsorganisationen, die Zugang zu den Gerichten eines Mitgliedstaats begehren, dessen Verwaltungsprozessrecht die Geltendmachung einer Rechtsverletzung erfordert, die Verletzung aller für die Zulassung des Vorhabens maßgeblichen Umweltvorschriften geltend machen können, also auch solcher Vorschriften, die allein den Interessen der Allgemeinheit und nicht zumindest auch dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner zu dienen bestimmt sind?
2. Für den Fall, dass Frage 1 nicht uneingeschränkt zu bejahen ist:
Verlangt Art. 10 a der Richtlinie 85/337/EWG in der Fassung der Richtlinie 2003/35/EG, dass Nichtregierungsorganisationen, die Zugang zu den Gerichten eines Mitgliedstaats begehren, dessen Verwaltungsprozessrecht die Geltendmachung einer Rechtsverletzung erfordert, die Verletzung solcher für die Zulassung des Vorhabens maßgeblicher Umweltvorschriften geltend machen können, die unmittelbar im Gemeinschaftsrecht gründen oder die gemeinschaftliche Umweltvorschriften in das innerstaatliche Recht umsetzen, also auch solcher Vorschriften, die allein den Interessen der Allgemeinheit und nicht zumindest auch dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner zu dienen bestimmt sind?
a) Für den Fall, dass Frage 2 grundsätzlich zu bejahen ist: Müssen die gemeinschaftlichen Umweltvorschriften bestimmte inhaltliche Anforderungen erfüllen, um gerügt werden zu können? b) Für den Fall, dass Frage 2 a zu bejahen ist: Um welche inhaltlichen Anforderungen (z.B. unmittelbare Wirkung, Schutzzweck, Zielsetzung) handelt es sich? 3. Für den Fall, dass Frage 1. oder Frage 2. zu bejahen ist:
Steht der Nichtregierungsorganisation ein solcher, über die Vorgaben des innerstaatlichen Rechts hinaus gehender Anspruch auf Zugang zu Gerichten unmittelbar aus der Richtlinie zu?
Gründe:
II. Begründung und Erläuterung der Vorlagefragen
1. Relevante Rechtsvorschriften
a) Gemeinschaftsrecht
Art. 10 a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (Abl. L 175 vom 5.7.1985, S. 40) in der Fassung des Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rats in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (Abl. L 156 vom 25.6.2003, S. 17) - im Folgenden: UVP-Richtlinie - lautet:
"Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die
a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ
b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaates dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten.
.....
Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Art. 1 Abs. 2 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a) dieses Artikels. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b) verletzt werden können.
..."
2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen auf der Grundlage der deutschen Rechtslage
Die vorgelegten Fragen zur Reichweite und Auslegung des Zugangsrechts der Nichtregierungsorganisationen zu Gerichten nach Art. 10 a der UVP-Richtlinie sind im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblich.
a) Bei Zugrundelegung der innerstaatlichen Rechtslage könnte die klagende Umweltorganisation nicht die Verletzung wasserrechtlicher und naturschutzrechtlicher Vorgaben sowie des Vorsorgegrundsatzes nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG rügen; denn weder die Vorschriften des Wasser- und Naturschutzrechts noch der Vorsorgegrundsatz begründen Rechte Einzelner im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG.
aa) Nach den vorgenannten Vorschriften des Umweltrechtsbehelfsgesetzes können Nichtregierungsorganisationen nur die Verletzung solcher Rechtsvorschriften rügen, die Rechte Einzelner begründen. Sie müssen allerdings nicht selbst Träger dieser Rechte sein.
Das Kriterium "Rechte Einzelner begründen" in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG begrenzt nach dem ausdrücklichen Willen des deutschen Gesetzgebers die Rügebefugnis der Nichtregierungsorganisationen auf solche Rechtsvorschriften, die sogenannte subjektiv-öffentliche Rechte begründen.
Vgl. Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz), Bundesrat-Drucksache 552/06, S. 19, 20.
Das den Nichtregierungsorganisationen zuerkannte Klagerecht entspricht damit seinem Ansatz nach der allgemeinen verwaltungsprozessualen Regelung bei Anfechtungsklagen in § 42 Abs. 2 und § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach hat eine Klage gegen einen Verwaltungsakt nur insoweit Erfolg, als der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen - also subjektiv-öffentlichen - Rechten verletzt ist.
Subjektiv-öffentliche Rechte begründen nur solche Vorschriften, die ausschließlich oder doch jedenfalls neben dem mit ihnen verfolgten allgemeinen Interesse zumindest auch dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner zu dienen bestimmt sind.
Ob eine Vorschrift in diesem Sinne dem Schutz von Individualinteressen dient, ist durch Auslegung zu ermitteln. Entscheidendes Kriterium für den drittschützenden Charakter einer Vorschrift ist, inwieweit in der betreffenden Vorschrift das geschützte Interesse bzw. Rechtsgut, die Art der Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und abgegrenzt wird. Abzustellen ist insoweit vor allem auch auf den Zweck der in Frage stehenden Vorschriften.
Im Bereich des Immissionsschutzrechts kommt der der Gefahrenabwehr dienenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG individualschützende Wirkung zu. Hingegen ist der der Gefahrenvorsorge dienenden Norm des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG grundsätzlich nur objektiv-rechtliche Bedeutung zuzumessen. Dies folgt aus der Zielsetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG. Die Risikovorsorge geschieht im allgemeinen Interesse und nicht deshalb, um an sich zumutbare Lebensverhältnisse für die Nachbarn risikoloser oder angenehmer zu machen. Überdies lässt sich im Hinblick auf die von der Vorsorge erfassten Fernwirkungen der Kreis der potentiell Betroffenen nur schwerlich eingrenzen, was ebenfalls einen Drittschutz grundsätzlich ausschließt.
Auch die Vorschriften des Wasser- und Naturschutzrechts haben keine individualschützende Wirkung, da sie vorrangig dem Wohl der Allgemeinheit und nicht dem Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen dienen.
bb) Ein Rügerecht der klagenden Organisation folgt in dem hier vorliegenden immissionsschutzrechtlichen Verfahren nicht aus § 61 BNatSchG, der für bestimmte eng begrenzte Konstellationen im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege ein Verbandsklagerecht vorsieht. Die hier streitgegenständlichen Regelungen aus dem angefochtenen Bescheid fallen schon nicht in den Anwendungsbereich des § 61 BNatSchG. Dieser erfasst nur Rechtsbehelfe gegen Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Naturschutzgebieten, Nationalparken und sonstigen Schutzgebieten, vgl. § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG, sowie gegen naturschutz- und landschaftsschutzrelevante Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen, soweit eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist, vgl. § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG. Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die - wie hier - auf Grund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen, sind nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz zwar genehmigungsbedürftig, aber nicht planfeststellungsbedürftig.
b) Die Klage hätte voraussichtlich nur dann Erfolg, wenn Art. 10 a der UVP-Richtlinie Nichtregierungsorganisationen über die Gewährleistungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG hinaus das unmittelbare Recht vermittelt, vor Gericht auch die Verletzung solcher für die Zulassung des Vorhabens maßgeblicher Umweltvorschriften geltend zu machen, die nach den oben dargelegten Grundsätzen allein den Interessen der Allgemeinheit und nicht zumindest auch dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner zu dienen bestimmt sind.
Nach der Einschätzung des Senats widersprechen die Regelungen in dem angefochtenen Bescheid derzeit solchen Rechtsvorschriften. Sie verstoßen gegen innerstaatliche Vorgaben des Naturschutzrechts, mit denen die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Abl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7) - FFH-Richtlinie - umgesetzt wird. Nach Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie erfordern Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen können, eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.
Nach dem derzeitigen Kenntnisstand ist der von der Beklagten als der zuständigen Behörde gezogene Schluss, von dem Vorhaben der Beigeladenen seien offensichtlich keine erheblichen Beeinträchtigungen der betroffenen FFH-Gebiete zu erwarten, nicht gerechtfertigt. Die Ergebnisse der vom beigeladenen Vorhabenträger durchgeführten Vorprüfung tragen diese Feststellung nicht. Es fehlt bislang an der erforderlichen schutzgebietsbezogenen Untersuchung der jeweiligen Grundbelastung und der zu erwartenden Gesamtbelastung der Stickstoffdepostionen in den im Untersuchungsraum vorkommenden Gebieten mit stickstoffempfindlichen Lebensraumtypen auch unter Berücksichtigung kumulativer Wirkungen durch andere Projekte und Pläne. Dies gilt vor allem für das Gebiet "Lippeaue", für das unter anderem der Lebensraumtyp 6510 "Glatthafer- und Wiesenknopf-Silgenwiese" ausschlaggebend war. Insoweit ist ausdrücklich die Vermeidung von Eutrophierung als Schutzziel festgelegt worden.
Darüber hinaus rügt der Kläger zahlreiche Verstöße gegen das Wasserrecht, den Artenschutz sowie gegen das Vorsorgeprinzip des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG (u.a. zum Stand der Technik). Diesen Rügen muss der Senat nur nachgehen, wenn Art. 10 a der UVP-Richtlinie im Sinne der Vorlagefragen auszulegen ist.
3. Die mit den Vorlagefragen aufgeworfenen rechtlichen Probleme
Nach alledem ist von streitentscheidender Bedeutung, ob der deutsche Gesetzgeber Art. 10 a der UVP-Richtlinie mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz hinlänglich in das innerstaatliche Recht umgesetzt hat, obwohl Nichtregierungsorganisationen vor den Gerichten nicht geltend machen können, dass ein umweltrelevantes Vorhaben Umweltvorschriften verletzt, die ausschließlich den Interessen der Allgemeinheit und nicht zumindest auch dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner dienen.
Der deutsche Gesetzgeber ist seiner Verpflichtung zur umfassenden Umsetzung dann nicht nachgekommen, wenn Art. 10 a der UVP-Richtlinie verlangt, dass Nichtregierungsorganisationen ein Rügerecht vor den Gerichten auch hinsichtlich der Verletzung solcher Umweltvorschriften zusteht, die keine subjektiv-öffentlichen Rechte vermitteln. Ob und in welchem Umfang dies der Fall ist, kann nur durch Auslegung des Art. 10 a der UVP-Richtlinie beantwortet werden.
a) 1. und 2.Vorlagefrage
Der Senat vermag auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs keine eindeutige Entscheidung zu treffen; er hält es allerdings im Ergebnis für möglich, dass Art. 10 a der UVP-Richtlinie bei einer nicht nur am Wortlaut, sondern auch an Sinn und Zweck der Richtlinienbestimmung sowie anhand der im Lichte des EG-Vertrages zu betrachtenden Ziele der UVP-Richtlinie orientierten Auslegung die Begründung eines weitergehenden Rügerechts der Nichtregierungsorganisationen verlangt, als es im deutschen Recht erfolgt ist. Welchen Umfang ein solches Rügerecht haben muss, kann ebenfalls nicht abschließend beantwortet werden.
Diese Einschätzung beruht auf folgenden Überlegungen:
aa) Die vom deutschen Gesetzgeber bei der Umsetzung des Art. 10 a der UVP-Richtlinie gewählte Interpretation widerspricht nach Ansicht des Senats nicht dem Wortlaut der Richtlinienbestimmung. Nichtregierungsorganisationen steht danach ein - hier allein zu betrachtendes - Klagerecht im Sinne des Art. 10 a Abs. 1 Satz 1 Buchstabe b der UVP-Richtlinie hinsichtlich solcher Rechte zu, von deren Verletzung das Verwaltungsprozessrecht innerstaatlich den Klagezugang abhängig macht. Dies sind im deutschen Recht nur subjektiv-öffentliche Rechte. Der Mitgliedstaat ist auch nicht aufgrund des Wortlauts gehindert, diese Klagezugangsvoraussetzung eigenständig zu regeln. Art. 10 a Abs. 3 Satz 1 der UVP-Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten festlegen, was als Rechtsverletzung gilt, eröffnet einen entsprechenden Gestaltungsfreiraum des Mitgliedstaates. Nichtregierungsorganisationen werden gegenüber den anderen Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit nach Abs. 3 Satz 3 insoweit privilegiert, als sie ungeachtet der Anforderungen, die der Mitgliedstaat sonst an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung stellt, als Träger genau dieser Rechte gelten. bb) Es ist jedoch zweifelhaft, ob die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Interpretation des Art. 10 a der UVP-Richtlinie auch einer funktionalen Betrachtung der Richtlinienbestimmung standhält. Insoweit sind die maßgeblichen Ziele der Gemeinschaft und der UVP-Richtlinie zu berücksichtigen (unter (1)). In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob diese Ziele mit dem innerstaatlich gewährten Klagezugang effektiv verwirklicht werden (unter (2)).
(1) Nach Art. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Abl. C 325 vom 24.12.2002, S. 39) - EG-Vertrag - ist es Aufgabe der Gemeinschaft, ein hohes Maß an Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität zu fördern. Die Umweltpolitik der Gemeinschaft zielt auf die Erhaltung und den Schutz der Umwelt sowie die Verbesserung ihrer Qualität, den Schutz der menschlichen Gesundheit, die umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen und die Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler und globaler Umweltprobleme sowie insgesamt auf ein hohes Schutzniveau, vgl. Art. 174 Abs. 1 und 2 des EG-Vertrages. Dem Ziel des Art. 174 Abs. 2 des EG-Vertrages kommt bei der Auslegung des Sekundärrechts eine große Bedeutung zu.
Vgl. etwa EuGH, Urteile vom 18.4.2002 - C-9/00 (Palin Granit Oy) -, Slg. 2002, I-3533, und vom 11.11.2004 - C-457/02 (Niselli) -, Slg. 2004, I-10853, jeweils zur Auslegung des Abfallbegriffs.
Die UVP-Richtlinie steht in diesem Kontext. Wesentliches Ziel der UVP-Richtlinie ist es nach deren Art. 2 Abs. 1, dass Projekte, bei denen insbesondere wegen ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden. Die Umweltauswirkungen müssen nach dem 11. Erwägungsgrund der UVP-Richtlinie mit Rücksicht auf die Bestrebungen beurteilt werden, die menschliche Gesundheit zu schützen, durch eine Verbesserung der Umweltbedingungen zur Lebensqualität beizutragen, für die Erhaltung der Artenvielfalt zu sorgen und die Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens zu erhalten.
Nach dem 3. Erwägungsgrund der RL 2003/35/EG zielt die umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit bei umweltrelevanten Vorhaben im Sinne der UVP-Richtlinie darauf, den Entscheidungsprozess nach außen nachvollziehbarer und transparenter zu machen. Dadurch wachse in der Öffentlichkeit das Bewusstein für Umweltbelange sowie die Unterstützung für die getroffenen Entscheidungen.
Die UVP-Richtlinie in der Fassung, die sie durch die RL 2003/35/EG erhalten hat, zielt nach alledem auf die Verbesserung des Vollzugs, der Durchsetzung und - insbesondere mit Art. 10 a - der Kontrolle gemeinschaftlicher Umweltvorschriften durch die Einbindung einer für Umweltbelange sensibilisierten Öffentlichkeit in den Entscheidungsprozess. (2) Ob der von Art. 10 a der UVP-Richtlinie beabsichtigte Klagezugang der betroffenen Öffentlichkeit bezogen auf diese Ziele innerstaatlich effektiv verwirklicht wird, ist vorrangig daran zu messen, ob und in welchem Umfang das Verfahrensrecht des Mitgliedstaats diese Umweltvorschriften einer gerichtlichen Überprüfung zuführt.
Eine solche Vorgehensweise steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Verhältnis zwischen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und dem gemeinschaftlichen Effektivitätsgrundsatz. Nach dieser Rechtsprechung muss, wenn einschlägige Gemeinschaftsregelungen fehlen, bei Anwendung des mitgliedstaatlich geregelten Verfahrensrechts sichergestellt werden, dass die Verfahrensmodalitäten für Klagen mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht nicht ungünstiger gestaltet sind als für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und dass die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich oder wesentlich erschwert wird (Grundsatz der Effektivität). Vgl. hierzu z.B.: EuGH, Urteile vom 16.12.1976 - Rs. 33-76 (Rewe) -, Slg. 1976, S. 1989, vom 16.12.1976 - Rs. 45-76 (Comet) -, Slg. 1976, S. 2043, vom 14.12.1995 - C-312/93 (Peterbroeck) -, Slg. 1995, I-4599, vom 20.9.2001 - C-453/99 (Courage Ltd.) -, Slg. 2001, I-6297, vom 9.3.2004 - C-397/01 u.a. (Pfeiffer) -, Slg. 2004, I-8835, vom 13.3.2007 - C-432/05 (Unibet) -, Slg. 2007, I-2271, vom 7.6.2007 - C-222/05 u.a. (Van der Weerd) -, Slg. 2007, I-4233, und vom 15.4.2008 - C-268/06 (Impact) -.
Dies zugrunde gelegt hat der Senat Zweifel, ob § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG die Vorgaben des Art. 10 a der UVP-Richtlinie ausreichend in das deutsche Recht umsetzt. Die innerstaatliche Beschränkung des Klagerechts einer Nichtregierungsorganisation auf die Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Rechte ist nämlich im Lichte des Gebots der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts deshalb Bedenken ausgesetzt, weil die Kontrolle des Vollzugs der Umweltvorschriften durch eine unabhängige Stelle für einen weiten Teil des Umweltrechts praktisch unmöglich ist. Nichtregierungsorganisationen können insoweit nicht als "Anwälte der Umwelt" möglichen Vollzugsdefiziten entgegentreten.
cc) Für den Fall, dass diese Zweifel aus der Sicht des Gerichtshofs berechtigt sind, stellt sich jedoch die Frage, welche weiteren Umweltvorschriften unter Effektivitätsgesichtspunkten zusätzlich in das Klagerecht einbezogen werden müssen.
Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, in welchem Umfang die Gemeinschaftsordnung im Bereich des Umweltrechts klagefähige Rechte verleiht. Dies ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bislang nicht abschließend geklärt.
(1) Der Gerichtshof bejaht allerdings in ständiger Rechtsprechung das Recht des Einzelnen, sich vor den öffentlichen Stellen eines Mitgliedstaates und den nationalen Gerichten auf Richtlinienbestimmungen zu berufen, wenn diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind.
Dies gilt immer, wenn der Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat.
Vgl. etwa EuGH, Urteile vom 9.3.2004 - C-397/01 u.a. (Pfeiffer) -, a.a.O., vom 17.7.2008 - C-226/07 (Flughafen Köln/Bonn) -, und vom 12.2.2009 - C-138/07 (Cobelfret NV) -.
Darüber hinaus, d.h. auch bei umfassender Umsetzung der Richtlinie in das innerstaatliche Recht, gilt dies nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs jedenfalls für Richtlinien, die den Schutz der Gesundheit von Menschen bezwecken. Die Betroffenen müssten - so der Gerichtshof - in allen Fällen, in denen die Nichtbeachtung der Maßnahmen, die in Richtlinien über die Qualität der Luft und des Trinkwassers zum Zweck des Schutzes der öffentlichen Gesundheit vorgegeben werden, die Gesundheit von Personen gefährden könnte, in der Lage sein, sich auf die in diesen Richtlinien enthaltenen zwingenden Vorschriften zu berufen.
Vgl. etwa EuGH, Urteile vom 25.7.2008 - C-237/07 (Janecek) -, vom 30.5.1991 - C-361/88 (Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland) -, Slg. 1991, I-2567, und vom 12.12.1996 - C-298/95 (Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland) -, Slg. 1996, I-6747.
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass es mit dem zwingenden Charakter, den Art. 249 des EG-Vertrages der Richtlinie verleiht, unvereinbar wäre, auszuschließen, dass eine mit ihr auferlegte Verpflichtung von den betroffenen Personen geltend gemacht werden kann.
Diese Entscheidungen des Gerichtshofs zugrunde gelegt, kann der Begriff der "Rechte Einzelner" in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG erweiternd und gemeinschaftskonform vgl. hierzu z.B.: EuGH, Urteile vom 14.12.1995 - C-312/93 (Peterbroeck), a.a.O, vom 9.3.2004 - C-397/01 u.a. (Pfeiffer) -, a.a.O., und vom 25.7.2008 - C-237/07 (Janecek) -, dahingehend ausgelegt werden, dass - neben den Fällen der unzureichenden Umsetzung einer Richtlinie - solche hinreichend genauen und inhaltlich unbedingten Richtlinienbestimmungen erfasst werden, die dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen und deren Nichtbeachtung die Gesundheit von Personen gefährden könnte.
Der Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob es sich insoweit um abschließende Vorgaben für die Entstehung gemeinschaftlicher Klagerechte handelt. Insbesondere kann ihr nicht entnommen werden, ob, unter welchen Voraussetzungen und zu wessen Gunsten umfassend umgesetzte Richtlinienbestimmungen, die nicht dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen, solche Rechte Einzelner begründen können. Gegen die Annahme, es handele sich um abschließende Vorgaben, spricht allerdings die vom Gerichtshof gewählte Formulierung, seine Erwägungen würden "besonders" für Richtlinien gelten, die dem Schutz der öffentlichen Gesundheit des Menschen dienen.
(2) Zum anderen lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht entscheiden, ob, unter welchen Voraussetzungen und zu wessen Gunsten das Gemeinschaftsrecht auch Klagerechte verlangt, die allein an die Verletzung einer umfassend umgesetzten Richtlinienbestimmung anknüpfen und nicht die Betroffenheit eines Einzelnen verlangen. Der Senat hält es für denkbar, dass die Gemeinschaftsordnung aus Gründen der praktischen Wirksamkeit jedenfalls Nichtregierungsorganisationen, die nach ihrem Selbstverständnis als Sachwalter umweltbezogener Allgemeininteressen und -güter auftreten, ein Klagerecht auch bezüglich solcher im Gemeinschaftsrecht gründender Umweltvorschriften verleiht, die - wie etwa die der Erhaltung der Natur und der biologischen Vielfalt dienenden Vorschriften - nach ihrem Schutzzweck einen Individualbezug nicht aufweisen. Ist dies der Fall, können Nichtregierungsorganisationen im Ergebnis die Verletzung aller gemeinschaftlichen Umweltvorschriften klageweise geltend machen. Für eine solche Annahme spricht, dass das Durchsetzungs- und Kontrolldefizit im Umweltrecht nicht von dem Schutzzweck der jeweiligen Umweltvorschrift abhängig ist.
(3) Vor diesem Hintergrund stellt sich die weitere Frage, ob ein solches mit Art. 10 a der UVP-Richtlinie gewährtes Klagerecht der Nichtregierungsorganisationen aus Gründen der praktischen Wirksamkeit auch die Geltendmachung der Verletzung rein innerstaatlicher Umweltvorschriften - und zwar unabhängig von ihrer Schutzrichtung - umfassen muss.
Diese Frage müsste verneint werden, wenn die Regelung der Kontrolle rein nationalen Umweltrechts nicht der Kompetenz der Gemeinschaft unterfiele. Beziehen sich Art. 174 und 175 des EG-Vertrages ausschließlich auf das gemeinschaftliche Umweltrecht und auf dessen Vollzug und Durchsetzung, obliegt die Entscheidung über die Art und Weise der Durchsetzung des nationalen Umweltrechts allein dem Mitgliedstaat.
Etwas anderes würde gelten, wenn sich dem Vertrag eine Generalkompetenz der Gemeinschaft jedenfalls für den Erlass von Vorschriften des Verwaltungsverfahrens- und des Verwaltungsprozessrechts auf dem Gebiet des Umweltrechts sowohl der Gemeinschaft als auch der Mitgliedstaaten entnehmen ließe, Art. 174 und 175 des EG-Vertrages sich also auf die gesamte Umwelt im Anwendungsbereich des Vertrages und nicht nur auf die gemeinschaftliche Sekundärrechtssetzung bezögen. Für eine solche Annahme könnte neben dem weit formulierten Ziel des Art. 174 Abs. 2 des EG-Vertrages zum einen sprechen, dass die Gemeinschaft nach Art. 174 und 175 des EG-Vertrages im Grundsatz die umfassende Zuständigkeit für den Erlass von Vorschriften im Umweltbereich hat. Zum anderen könnte dafür sprechen, dass die Differenzierung, ob ein bestimmter Aspekt national oder gemeinschaftsrechtlich geregelt ist, als willkürlich angesehen werden könnte und eine Unterscheidung danach, ob ein Aspekt gemeinschaftlich oder rein national geregelt ist, angesichts der Verzahnung von gemeinschaftlichem und nationalem Umweltrecht kaum noch möglich ist.
b) 3. Vorlagefrage
Für den Fall, dass die 1. und 2. Vorlagefrage zu bejahen ist, stellt sich die weitere Frage, ob den Nichtregierungsorganisationen ein über die Gewährleistungen des § 2 UmwRG hinausgehendes Klagerecht unmittelbar aus der Richtlinie zusteht, weil Art. 10 a der UVP-Richtlinie insoweit eine inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue Verpflichtung des Mitgliedstaates enthält.
Die unmittelbare Wirkung ist allerdings wohl nicht deshalb von vorneherein ausgeschlossen, weil Art. 10 a Abs. 1 der UVP-Richtlinie den Mitgliedstaaten die Wahl überlässt, ob der Klagezugang von einem ausreichenden Interesse oder der Geltendmachung einer Rechtsverletzung abhängig gemacht werden soll. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die den Mitgliedstaaten eingeräumte Befugnis, zwischen mehreren möglichen Mitteln zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Ziels zu wählen, es nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht ausschließt, dass der Einzelne vor den nationalen Gerichten die Rechte geltend machen kann, deren Inhalt sich bereits aufgrund der Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt.
Vgl. m.w.N.: EuGH, Urteil vom 12.2.2009 - C-138/07 (Cobelfret NV) -.
c) Entscheidungskompetenz des EuGH
Die Entscheidung darüber, wie Art. 10 a der UVP-Richtlinie ausgelegt werden muss, ist nach Art. 234 des EG-Vertrages dem Gerichtshof vorbehalten. Der Gerichtshof hat diese Fragestellung - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.