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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 09.04.2008
Aktenzeichen: 9 A 111/05
Rechtsgebiete: GebG NRW, AGT zur AVerwGebO


Vorschriften:

GebG NRW § 2 Abs. 1
GebG NRW § 11 Abs. 1
AGT zur AVerwGebO Tarifstelle 30.5
1. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von landesrechtlichen Gebührenfestsetzungen richtet sich in Nordrhein-Westfalen nach § 11 Abs. 1 GebG NRW.

2. Es bleibt offen, ob die Auffangtarifstelle 30.5 AGT zur AVerwGebO NRW in jeder Hinsicht unwirksam ist, weil sie gegen die Ermächtigungsgrundlage in § 2 Abs. 1 GebG NRW und das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot verstößt.

3. Zumindest bedarf die Tarifstelle einer einschränkenden Auslegung dahingehend, dass sie nur solche Amtshandlungen erfasst, die nicht konkret vorhersehbar waren und nur deshalb nicht rechtzeitig genauer geregelt werden konnten.


Tatbestand:

Der Kläger wandte sich gegen die Festsetzung von Gebühren für Verhaltensprüfungen, die der Amtstierarzt des Beklagten als Voraussetzung für eine Befreiung vom Anlein- und Maulkorbzwang an zwei Hunden des Klägers durchgeführt hatte. Das VG wies die Klage ab. In der Berufungsinstanz hatte sie Erfolg.

Gründe:

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gebührenfestsetzungen richtet sich wegen des Fehlens einer prozessrechtlichen Bestimmung hierzu nach dem insoweit einschlägigen materiellen Recht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 2004 - 8 C 5.03 -, BVerwGE 120, 246, Beschluss vom 17. Juli 1995 - 1 B 23.95 -, NVwZ-RR 1996, 20.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 GebG NRW entsteht die Gebührenpflicht für Amtshandlungen, für die ein Antrag notwendig ist, dem Grunde nach mit dessen Eingang bei der zuständigen Behörde, der Höhe nach mit Beendigung der gebührenpflichtigen Amtshandlung. Hieraus ergibt sich die Antwort auf die Frage, inwieweit sich die Gebühr in Übergangsfällen nach bisherigem oder nach neuem Recht richtet.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 28.11.2007 - 9 A 4024/05 -, juris, vom 24.6.1998 - 9 A 2976/97 -, OVGE 47, 50, und vom 30.11.1983 - 3 A 2247/82 -; siehe auch Nr. 3.5.2 der inzwischen aufgehobenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Gebüh-rengesetzes NRW vom 28.4.1975, MBl. 914, zur ursprünglichen Fassung von § 11 Abs. 1 GebG.

Ausgehend davon ist hier auf die Rechtslage abzustellen, die bei Beantragung bzw. Beendigung der durchgeführten Verhaltensprüfungen am 11.3.2003 maßgeblich war.

Die zu diesem Zeitpunkt noch geltende Tarifstelle 18a.1.7 des AGT zur AVerwGebO NRW in der Fassung der Verordnung vom 11.6.2002 (GV. NRW. S. 223) i.V.m. § 2 Abs. 1 GebG NRW und § 1 Abs. 1 AVerwGebO NRW kommt als Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Sie betraf nur die Durchführung einer Verhaltensprüfung für Hunde "zur Ermöglichung einer Entscheidung nach § 6 Abs. 4 Satz 1 LHV NRW", obwohl die Landeshundeverordnung - LHV NRW - nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Landeshundegesetz vom 18.12.2002 (GV. NRW. S. 656) - LHG NRW - bereits zum 1.1.2003 außer Kraft getreten war. Die Tarifstelle wurde erst durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung vom 13.5.2003 an die durch das Landeshundegesetz NRW geänderte Rechtslage angepasst.

Die Gebührenerhebung konnte auch nicht auf die Tarifstelle 30.5 AGT gestützt werden. Diese regelt die Gebührenpflicht für "Amtshandlungen, für die keine andere Tarifstelle vorgesehen ist und die nicht einem von der handelnden Behörde wahrzunehmenden besonderen öffentlichen Interesse dienen."

Diese Tarifstelle stellt nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts trotz ihrer sehr weitgehenden Formulierung einen wirksamen Auffangtatbestand dar und widerspricht insbesondere nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen über die Bestimmtheit gesetzlicher Grundlagen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.10.1997 - 9 A 2976/97 -, und Urteil vom 30.11.1983 - 3 A 2247/82 -; ihre Zulässigkeit ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten, vgl. Susenberger/Weißauer, GebG NRW, Stand: 12/2006, § 1 GebG NRW Anm. 17; VG Minden, Urteil vom 15.7.1999 - 9 K 1895/98 -.

Unabhängig davon, ob weiterhin von der Wirksamkeit der Tarifstelle 30.5 AGT auszugehen ist, bedarf sie im Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlage in § 2 Abs. 1 GebG NRW und das darin zum Ausdruck kommende rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot zumindest einer einschränkenden Auslegung. Nach § 2 Abs. 1 GebG NRW sind die einzelnen Amtshandlungen, für die Gebühren erhoben werden, und die Gebührensätze unter Beachtung der §§ 3 bis 6 in Gebührenordnungen zu bestimmen. Damit verlangt das Gesetz dem Verordnungsgeber die Festlegung einzelner gebührenpflichtiger Amtshandlungen ab und gibt zumindest für den Regelfall ein gewisses Maß an inhaltlicher Bestimmtheit vor. Zwar gelingt es angesichts der Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit aller zu erfassender Vorgänge nicht immer, einen Abgabetatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Wo dies nicht möglich ist, mögen auch allgemeiner gefasste Gebührentatbestände noch den Anforderungen an die gebotene Bestimmtheit genügen können, wenn die verbleibenden Zweifelsfragen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln beantwortet werden können. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber vom Normgeber, die einzelnen Gebührentatbestände so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.7.2006 - 10 C 9.05 -, BVerwGE 126, 222, m.w.N. aus der Recht-sprechung des BVerfG.

Diesen Vorgaben entsprechend hat sich der Verordnungsgeber bemüht, den Katalog der gebührenpflichtigen Amtshandlungen so erschöpfend wie möglich zu fassen. Demgegenüber soll und darf die Tarifstelle 30.5 AGT allenfalls solche Fallgestaltungen erfassen, die nicht konkret vorhersehbar waren und nur deshalb nicht rechtzeitig genauer geregelt werden konnten.

Vgl. Susenberger/Weißauer, a.a.O., § 2 Anm. 6 f. sowie Erläuterungen zur AVwGebO NRW, Allgemeines, Anm. 4; OVG NRW, Urteil vom 30.11.1983 - 3 A 2247/82 -.

Sie bedarf deshalb zumindest einer entsprechenden einschränkenden Auslegung. Gemessen hieran kommt die Tarifstelle 30.5 AGT im hier maßgeblichen Zeitpunkt am 11.3.2003 für Verhaltensprüfungen im Vorfeld einer Entscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 LHG als Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Für den Normgeber war nämlich konkret voraussehbar, dass sich ab dem Inkrafttreten des Landeshundegesetzes NRW die Frage der Gebührenpflichtigkeit solcher ausdrücklich gesetzlich angeordneter Verhaltensprüfungen und weiterer Amtshandlungen im Bereich des Hunderechts stellen würde. Diese Amtshandlungen ließen sich auch erkennbar präzise regeln, so dass keine Notwendigkeit bestand, insoweit auf die Auffangtarifstelle 30.5 AGT zurückzugreifen. Vielmehr bedurfte es nur geringer Umformulierungen der zur Landeshundeverordnung NRW ergangenen Vorgängerbestimmungen. Demnach war es ohne Weiteres möglich, einschlägige konkrete Gebührentatbestände gleichzeitig mit dem Landeshundegesetz in Kraft treten zu lassen. Der Gesetzgeber hätte beispielsweise die Änderung des Allgemeinen Gebührentarifs bereits zum Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens machen können und sie auf diese Weise als Folgeänderung gleichzeitig mit dem Landeshundegesetz in Kraft treten zu lassen, wie dies auch sonst teilweise praktiziert wird.

Vgl. etwa Art. 2 des Gesetzes zur Regelung von Umweltinformationen im Lande Nordrhein-Westfalen vom 29.3.2007, GV. NRW. S. 142.

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