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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.06.2004
Aktenzeichen: 9 A 1276/02
Rechtsgebiete: KAG NRW
Vorschriften:
KAG NRW § 6 Abs. 3 |
Tatbestand:
Der Kläger wandte sich vor dem VG erfolgreich gegen die Heranziehung zu Entwässerungsgebühren. Nach der vom Beklagten angewandten Gebührensatzung war die Gebühr für die Einleitung des Schmutz- und des Niederschlagswassers nach dem Frischwasserverbrauch zu bemessen. Das VG hielt diesen Maßstab hinsichtlich der Niederschlagswassereinleitung für unzulässig. Im Stadtgebiet des Beklagten bestehe keine homogene Bebauung und bei mehr als 10 % der Gebührenpflichtigen weiche die Relation zwischen Frischwasserverbrauch und Niederschlagswassereinleitung von dem vom Beklagten angenommenen Regelfall des Ein- bis Zweifamilienhausgrundstücks ab. Der hiergegen gerichtete Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos.
Gründe:
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist das vom VG seiner Prüfung zugrundegelegte Kartenmaterial hinreichend genau und aussagekräftig. Die vom Beklagten auf Anfrage des VG übersandten Abgrenzungskarten für das gesamte Stadtgebiet lassen die Parzellierungsstruktur und die Größe der auf den einzelnen Grundstücken befindlichen Baukörper ausreichend erkennen. Auch die vorgelegten farbigen Luftbilder über die einzelnen Ortsteile zeigen anschaulich die vorhandene Bebauungsstruktur. Mit Hilfe dieser Unterlagen lassen sich Kerngebiete, Gewerbe- bzw. Industriegebiete und Wohngebiete mit Einfamilienhausstruktur weitgehend erkennen. Die Fotos sind in Größe und Auflösung so beschaffen, dass auch mehrgeschossige Wohngebäude in ihrer Größe und Geschossigkeit zumeist gut ersichtlich sind. Damit sind auch die Fotos durchaus geeignet, zusammen mit den Abgrenzungskarten einen aussagekräftigen Eindruck über die Bebauung zu vermitteln.
Vor diesem Hintergrund kommt es deshalb nicht darauf an, ob die vom VG in den Urteilsgründen des Weiteren angeführten Kriterien der "Erhebung der Bodenflächen nach der im Flächennutzungsplan dargestellten Art der Nutzung - Flächenerhebung 2001 -", der Bevölkerungsdichte in einzelnen Ortslagen sowie des Verhältnisses der kanalwirksam befestigten Flächen je Einwohner (jeweils für sich gesehen) ausreichenden Aufschluss über die Homogenität der Bebauung vermitteln. Das VG hat diese Gesichtspunkte nur herangezogen, um den durch die Auswertung des Kartenmaterials selbständig tragenden Befund einer nicht homogenen Bebauung zu bekräftigen. Abgesehen davon können die genannten Gesichtspunkte durchaus Hinweise auf die Bebauungsstruktur einzelner Ortsteile geben, insbesondere auf die Verdichtung der Bebauung.
Soweit der Beklagte rügt, das vom VG für die Ermittlung der Bebauungsstruktur herangezogene Verhältnis zwischen kanalwirksamer Fläche und Wasserbezug je Grundstück sei nicht aussagekräftig, weil bei der dargestellten Berechnung die Wasserbezugsmengen durch Eigenförderung bzw. Fremdwasser unberücksichtigt geblieben seien, wird den Anforderungen an eine ausreichende Darlegung nicht genügt. Die Ausführungen des Beklagten zeigen nicht auf, dass bei Anwendung der geforderten Berechnung überwiegende Gründe für die Zulässigkeit des angewandten Frischwassermaßstabs sprechen.
Selbst nach der vom Beklagten reklamierten Berechnung des Frischwasserbezugs pro m² befestigter Grundstücksfläche ergibt sich bereits ein signifikanter Unterschied zwischen Grundstücken bis 500 m² kanalwirksamer Grundstücksfläche und solchen über 500 m² kanalwirksamer Grundstücksfläche. Nach den Berechnungen des Beklagten liegt der Frischwasserverbrauch pro m² kanalwirksamer Grundstücksfläche in der zuletzt genannten Gruppe bei nur gut 70 % desjenigen der zuerst genannten Gruppe.
Hinzu kommt, dass die vom Beklagten vorgenommene Zusammenfassung von Grundstücken bis zu 500 m² kanalwirksamer Fläche nicht ausreichend differenziert, um die erforderliche Untersuchung der Bebauungsstruktur im Stadtgebiet durchzuführen. Nach eigenen Angaben legt der Beklagte seiner Maßstabsbildung den Regelfall der Ein- bzw. Zweifamilienhausbebauung zugrunde. Grundstücke mit einer Ein- bzw. Zweifamilienhausbebauung verfügen typischerweise über eine kanalwirksame Grundstücksfläche von ca. 120 m² bis ca. 270 m². Bei dieser auf Erfahrungswerten gründenden Annahme mögen zwar atypische Größenverhältnisse außer Betracht bleiben. Aus ihr erschließt sich jedenfalls, dass die vom Beklagten angeführten Grundstücken mit einer kanalwirksamen Fläche von bis zu 500 m² bei Weitem nicht nur Ein- bzw. Zweifamilienhausgrundstücke sind. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere im Bereich der Grundstücke zwischen 270 m² bis 500 m² kanalwirksamer Fläche auch eine Vielzahl von Mehrfamilienhausgrundstücken, Kleingewerbegrundstücken und verdichtet bebauten Kerngebietsgrundstücken erfasst ist.
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Auf der Grundlage der vorangegangenen Ausführungen können die vom Beklagten angeführten Zahlen zu den kanalwirksamen Grundstücksflächen im Stadtgebiet auch nicht dazu herangezogen werden, den modifizierten Frischwassermaßstab nach dem Grundsatz der sogenannten Typengerechtigkeit zu rechtfertigen. Die Darlegungen des Beklagten zeigen nicht auf, dass nur in weniger als 10 % der Fälle eine vom Regelfall erheblich abweichende Relation zwischen Frischwasserverbrauch und der versiegelten Grundstücksfläche besteht. Aus dem Umstand, dass 93,14 % der in die Betrachtung einbezogenen 13.376 Grundstücke eine kanalwirksame Fläche von bis zu 500 m² haben, kann nicht gefolgert werden, dass im Stadtgebiet von A. in derselben prozentualen Höhe der vom Beklagten selbst unterstellte Regelfall, eine Bebauung mit Ein- bis Zweifamilienhäusern, gegeben ist. Gegen diese Schlussfolgerung spricht - wie bereits zuvor ausgeführt -, dass sich unter den Grundstücken mit einer kanalwirksamen Fläche von bis zu 500 m² auch eine Vielzahl anderer Bebauungsarten befindet und diese Grundstücke nur einen Anteil von etwa 73 % der Grundstücke bildet, für die am 31.12.1999 eine Kanalbenutzungsgebühr erhoben wurde.
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Die Annahme des VG, dass die vorauszusetzende Relation zwischen dem Frischwasserverbrauch und dem von dem Grundstück abgeleiteten Niederschlagswasser jedenfalls auf mehr als 10 % der Grundstücke gestört ist, wird auch durch die weiteren Darlegungen des Beklagten nicht durchgreifend erschüttert. Das VG legt zu Grunde, dass der vom Beklagten für den gewählten Maßstab angenommene Regelfall des Ein- und Zweifamilienhauses mit jeweils entsprechendem Schmutz- und Niederschlagswasseranfall, ganz offensichtlich bei einer die 10 %-Grenze deutlich übersteigenden Anzahl von Grundstücken nicht gegeben sei. Dementsprechend gehen die Ausführungen des Beklagten, wonach die Auswirkungen der mit dem Frischwassermaßstab zum Ausdruck kommenden typisierenden Regelungen nicht gravierend seien, ins Leere. Auf diesen Gesichtspunkt kommt es nicht an, wenn bereits feststeht, dass für mehr als 10 % der Gebührenpflichtigen eine erhebliche Abweichung von dem als typisch für den Wahrscheinlichkeitsmaßstab angesehenen Regelfall vorliegt. Im Übrigen ist den Ausführungen des Beklagten aber auch inhaltlich nicht zu folgen. Allein aus den Gesichtspunkten, dass nur 0,446 % der Gebührenpflichtigen sogenannte Großverbraucher mit einem Frischwasserverbrauch von mehr als 2.500 m³ sind, dass die Gebührensatzung für Verbrauchsmengen von über 20.000 m³ eine Gebührendegression enthält und dass im Stadtgebiet lediglich 17 Großbetriebe mit einer Grundstücksfläche von mehr als 2.500 m² existieren, lassen sich keine hinreichend aussagekräftigen Schlüsse herleiten. Die vom Beklagten gewählten Grenzwerte sind ungeeignet, um die Zahl der Gebührenpflichtigen, bei denen eine erhebliche Abweichung in der Relation zwischen Frischwasserverbrauch und befestigter Grundstücksfläche vorliegt, zu erfassen. Erhebliche Abweichungen in der genannten Relation können typischerweise auch schon bei Frischwasserverbrauchsmengen von 0 m³ bis 500 m³ bzw. über 500 m³ oder Grundstücksgrößen über 1000 m² auftreten. Sie ergeben sich zudem auch bei Grundstücken, auf denen ein nur geringer Frischwasserverbrauch bei relativ großer versiegelter Fläche stattfindet.
Der Einwand des Beklagten, auch verwaltungspraktische Erwägungen rechtfertigten entgegen der Annahme des VG die Beibehaltung des bisherigen Frischwassermaßstabs, geht ins Leere. Denn auch dieser Gesichtspunkt kommt im Rahmen der Prüfung, ob ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab nach dem Grundsatz der Typengerechtigkeit hinnehmbar ist, nur dann zum Tragen, wenn nicht bereits mehr als 10 % der Fälle von dem der Maßstabsbildung zugrundeliegenden Regelfall erheblich abweichen.
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Entgegen den Darlegungen des Beklagten weicht das angegriffene Urteil nicht von der Rechtsprechung des OVG NRW ab, insbesondere nicht von dem Urteil vom 5.8.1994 - 9 A 1248/92 - (NVwZ 1995, 1233-1238). Die Entscheidung enthält die Aussage, dass der Frischwassermaßstab ein tauglicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab sein kann, wenn in der Gemeinde eine verhältnismäßig homogene Bebauungsstruktur mit nur wenigen Hochhäusern, gewerblichen Betrieben und sonstigen Großwasserverbrauchern besteht. Diese nicht näher spezifizierte Aussage ist in der nachfolgenden Rechtsprechung des Senats weiterentwickelt worden. So hat der Senat zuletzt im Beschluss vom 5.2.2003 - 9 B 2482/02 - (unter Bezugnahme auf das Urteil vom 25.4.1997 - 9 A 4821/95 -) ausgeführt, dass der Frischwassermaßstab ein tauglicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab sein kann, wenn und soweit die jeweilige Kommune durch eine verhältnismäßig homogene und wenig verdichtete Wohnbebauung ohne eine nennenswerte Anzahl kleinflächiger Grundstücke mit hohem Wasserverbrauch bzw. großflächig befestigter Grundstücke mit kleinem Wasserverbrauch geprägt ist. Damit ist der Begriff der verhältnismäßig homogenen Bebauung dahin präzisiert, dass eine solche einen als Regelfall vorkommenden, nur vereinzelt durchbrochenen Bebauungstyp voraussetzt. An diesen Maßstäben hat sich das VG im angegriffenen Urteil ausgerichtet. Mit seiner Annahme, es müsse sich im Gemeindegebiet ein absolut vorherrschender Typ der Grundstücksnutzung feststellen lassen und dieser müsse in seiner durch Art und Weise der baulichen Nutzung bestimmten Einheitlichkeit einer für alle Ortsteile der Gemeinde etwa gleichen Bevölkerungsdichte entsprechen, hat es letztlich die in der erwähnten Rechtsprechung des Senats entwickelten Kriterien angewandt. Die vom Senat geforderte Prägung der Bebauungsstruktur durch (gleichartige) Wohnnutzung hat das VG in vertretbarer Weise mit der Umschreibung "absolut vorherrschender Typ der Grundstücksnutzung" wiedergegeben und sich damit nicht in Widerspruch zu der Aussage in der oben zitierten Entscheidung des Senats gesetzt.
Ende der Entscheidung
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