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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.01.2008
Aktenzeichen: 9 A 209/05
Rechtsgebiete: LWG NRW, AO, AbwAG


Vorschriften:

LWG NRW § 80 Abs. 3
AO § 227
AbwAG § 6 Abs. 1 Satz 1
AbwAG § 9 Abs. 5
Die Wasserbehörde hat bei der Festsetzung eines abwasserabgaberelevanten Überwachungswertes zu erwägen, ob sie im Interesse des Abgabepflichtigen an der Erlangung der Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG einen Bescheidwert, der den Anforderungen des § 7a Abs. 1 WHG nicht entspricht, erst zum Beginn des Folgejahres wirksam werden lassen soll (wie BVerwG, Urteil vom 16.3.2005 - 9 C 7.04 -, NVwZ 2005, 1067).

Geschieht das nicht, hat die Abwasserabgabebehörde bei der Prüfung, ob die Abwasserabgabe nach § 80 Abs. 3 LWG in Höhe des nicht ermäßigten Teils (teilweise) erlassen werden soll, diesen Aspekt im Rahmen ihrer einheitlichen Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.


Tatbestand:

Der Kläger, der eine Kläranlage betreibt, verlangte einen teilweisen Erlass der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 1993. Da im Veranlagungszeitraum zunächst für den Parameter CSB kein Bescheidwert vorlag, hatte der Kläger rechtzeitig für das ganze Kalenderjahr einen Wert von 75 mg/l erklärt. Am 13. Dezember 1993 wurde ein Bescheidwert von 80 mg/l wirksam, so dass der Kläger nicht mehr in den Genuss einer Abgabesatzreduzierung nach § 9 Abs. 5 AbwAG gelangte. Die Klage des Klägers hatte Erfolg. Das OVG ließ die Berufung nicht zu.

Gründe:

Das VG hat zu Recht beanstandet, die Ermessensentscheidung des früheren Landesumweltamts in seinem Bescheid vom 4.6.2003 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 6.1.2004 sei fehlerhaft, weil nicht alle relevanten Gesichtspunkte in die Erwägung eingestellt worden seien. Jedenfalls hätte berücksichtigt werden müssen, ob ein Erlass wegen Unbilligkeit deshalb in Betracht kommt, weil der Umstellungsbescheid mit einem Überwachungswert für CSB, der - anders als der erklärte Wert nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG - eine Abgabesatzreduzierung nach § 9 Abs. 5 AbwAG ausschloss, noch kurz vor Ende des Veranlagungszeitraums wirksam geworden ist. Das ist nicht erfolgt.

Es trifft zwar zu, dass eine primäre Verpflichtung der Behörde besteht, Überwachungswerte nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG festzulegen und § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG nur einen Auffangtatbestand für ein behördliches Vollzugsdefizit bildet, der nur solange maßgeblich ist, bis Bescheidwerte festgelegt sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1998 - 8 C 7.97 -, NVwZ-RR 1999, 604.

Allerdings werden bei fehlenden Bescheidwerten durch eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG Überwachungswerte, die in gleicher Weise wie Bescheidwerte als Grundlage für eine Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG in Betracht kommen, für das ganze Kalenderjahr festgelegt. Auch bei Erlass bzw. Anpassung des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheids hat sich die Behörde prinzipiell vom Grundsatz der Jährlichkeit leiten zu lassen. Daraus folgt, dass sie entsprechende Bescheide u. a. mit Blick auf § 9 Abs. 5 AbwAG regelmäßig zum Beginn des folgenden oder - bei Zustimmung des Einleiters - rückwirkend zum Beginn des laufenden Jahres wirksam zu stellen hat, ohne dass damit im begründeten Einzelfall Änderungen ausgeschlossen sind, die zu einem anderen Zeitpunkt wirksam werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.3.2005 - 9 C 7.04 -, NVwZ 2005, 1067.

Ausgehend davon hatte die zuständige Wasserbehörde zumindest in dem hier gegebenen besonderen Einzelfall zu erwägen, ob sie im Interesse des Klägers an der Erlangung einer Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG einen Bescheidwert, der den Anforderungen des § 7 a Abs. 1 WHG nicht entsprach, nicht bereits kurz vor Ablauf des Veranlagungszeitraums, sondern erst mit Wirkung zum Beginn des Folgejahres wirksam werden lassen sollte. Da dies nicht geschehen ist, war im Zusammenhang mit dem begehrten Erlass des nicht ermäßigten Teils der Abwasserabgabe zu prüfen, ob es unbillig ist, den Kläger die Abwasserabgabe nur deshalb in nicht ermäßigter Höhe tragen zu lassen, weil der einer Ermäßigung entgegenstehende Bescheidwert für CSB von 80 mg/l noch kurz vor Ablauf des Veranlagungszeitraums wirksam geworden ist, obwohl aus Gründen des Gewässerschutzes keine Notwendigkeit dafür bestand. Denn bis zum bereits in Kürze bevorstehenden Jahresende lag noch eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vor, die eine hinreichende Grundlage für die wasserbehördliche Überwachung bot und darüber hinaus sogar den Anforderungen des § 7 a Abs. 1 WHG entsprach. Gerade der Umstand, dass in den Augen beider Beteiligten im konkreten Fall der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Bescheidwerts für CSB "zufällig" war, aber für die Abgabenhöhe entscheidende Bedeutung erlangte, lässt die Einbeziehung des Aspekts umso eher geboten erscheinen, je später im Veranlagungsjahr der Wert letztlich tatsächlich wirksam geworden ist.

Den Interessen des Klägers an der Erlangung einer Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG in zeitlicher Hinsicht Rechnung zu tragen, war auch nicht im Hinblick auf seine Stellungnahme im Anhörungsverfahren entbehrlich, er könne einer Herabsetzung der Überwachungswerte u.a. für CSB "ab sofort" nicht zustimmen, weil die Anlage ohne bauliche Veränderungen nicht in der Lage sei, die neuen Werte einzuhalten. Denn damit hat sich der Kläger nicht auch dafür ausgesprochen, einen im Vergleich zum aktuellen Erklärungswert höheren Bescheidwert für CSB noch im Jahr 1993 wirksam werden zu lassen.

Der Einwand der Beklagten, eine etwaige Dispositionsbefugnis im Rahmen einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG könne nicht weiter reichen als ein Überwachungswert nach § 4 Abs. 1 AbwAG, führt nicht weiter. Dieser Umstand schließt nicht aus, im Rahmen eines Erlassverfahrens Umstände zu berücksichtigen, die bei korrekter Sachbehandlung möglicherweise dazu geführt hätten, dass in dem maßgeblichen Jahr ein einer Ermäßigung entgegenstehender Bescheidwert gar nicht mehr wirksam geworden wäre. Eine Umgehung des Vorrangs der Bescheidwerte vor Erklärungswerten liegt darin nicht.

Auch der Einwand, die Interpretation des VG würde zu einer nicht zu rechtfertigenden Benachteiligung des Einleiters führen, der im Veranlagungsjahr zunächst über einen den Mindestanforderungen entsprechenden Überwachungswert verfüge, jedoch im laufenden Jahr einen über diesen Anforderungen liegenden Bescheidwert auferlegt bekomme, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Denn auch in einem derartigen Fall kommt in vergleichbarer Weise ein Erlass in Betracht, wenn bei der Anpassung des Bescheidwerts dem Interesse des Einleiters an der Erlangung einer Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG in zeitlicher Hinsicht nicht hinreichend Rechnung getragen worden sein sollte.

Schließlich steht auch der Regelungszweck des § 9 Abs. 5 AbwAG, (nur) dauerhaft regelrechte Reinigungsleistungen mit einer Minderung des Abgabesatzes zu honorieren, dem begehrten Erlass nicht entgegen. Die Ermäßigung wird zwar als Anreiz dafür gewährt, langfristig wirksame Gewässerschutzmaßnahmen zu ergreifen.

Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 11/4942, S. 6 f.

Sie setzt jedoch lediglich voraus, dass die maßgeblichen Überwachungswerte - sei es als Bescheidwerte oder als Erklärungswerte - im Veranlagungsjahr ganzjährig den Anforderungen nach § 7 a Abs. 1 WHG entsprechen und eingehalten werden.

Vgl. OVG, Beschluss vom 25.7.2005 - 9 A 712/03 -, NVwZ-RR 2006, 354.

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, obwohl die Anforderungen des § 7 a Abs. 1 WHG durchgehend eingehalten worden sind, nur weil zum Jahresende "zufällig" noch ein darüber liegender Bescheidwert wirksam geworden ist, ohne dass auch nur erwogen worden ist, diesen erst zu Beginn des Folgejahres in Kraft zu setzen, so steht eine fehlende Dauerhaftigkeit der Reinigungsleistung nach dem Normzweck einem Erlass jedenfalls nicht entgegen.

Ende der Entscheidung

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