Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 27.10.2009
Aktenzeichen: 9 A 2190/07
Rechtsgebiete: ABMG, StVZO


Vorschriften:

ABMG § 1
StVZO § 34 Abs. 7
Das nach § 1 ABMG für die Mautpflicht maßgebliche zulässige Gesamtgewicht eines Kraftfahrzeugs bzw. einer Fahrzeugkombination richtet sich nach der Eintragung in der Zulassungsbescheinigung. Ist im Fahrzeugschein bzw. in der Zulassungsbescheinigung Teil I einer Zugmaschine unter Nr. 33 (Bemerkungen) zu Nr. 15 (zulässiges Gesamtgewicht) eine Ablastung des zulässigen Zuggesamtgewichts des Sattelkraftfahrzeugs auf einen bestimmten Wert vermerkt, ist dieser Wert maßgeblich, nicht der sich nach § 34 Abs. 7 StVZO ergebende Wert für die Kombination aus Zugmaschine und Sattelauflieger.
Tatbestand:

Die Klägerin stellt Sattelauflieger her und liefert diese leeren Spezialanfertigungen mit eigenen Zugmaschinen an ihre Kunden aus. Mit ihrer Klage wehrte sie sich gegen einen Mautnacherhebungsbescheid des Bundesamtes für Güterverkehr (Bundesamt) und machte geltend, die Autobahnbenutzung sei nicht mautpflichtig gewesen, weil das zulässige Gesamtgewicht ihrer Fahrzeugkombination weniger als 12 t betragen habe. Aufgrund der Eintragung einer sog. Ablastung in dem Fahrzeugschein der Sattelzugmaschine sei das zulässige Gesamtgewicht der Fahrzeugkombination auf 11.990 kg beschränkt gewesen. Das Bundesamt vertrat hingegen die Auffassung, das zulässige Gesamtgewicht bei Sattelkraftfahrzeugen berechne sich ausschließlich nach § 34 Abs. 7 Nr. 3 StVZO. Danach habe sich für die Fahrzeugkombination der Klägerin ein höheres zulässiges Gesamtgewicht als 12 t ergeben. Das VG wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

Gründe:

Die Klägerin ist nicht gemäß §§ 8 Abs. 1, 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen (Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge) - ABMG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.12.2004 (BGBl. I, S. 3122) zur nachträglichen Entrichtung der Maut für die Autobahnbenutzung am 12.4.2005 verpflichtet. Ihre Fahrzeugkombination war nicht mautpflichtig, weil es sich nicht, wie von § 1 Abs. 1 ABMG vorausgesetzt, um ein Fahrzeug im Sinne des Art. 2 Buchstabe d) der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (RL 1999/62/EG) handelt. Danach ist "Fahrzeug" im Sinne der Richtlinie ein Kraftfahrzeug oder eine Fahrzeugkombination, die ausschließlich für den Güterkraftverkehr bestimmt ist und deren zulässiges Gesamtgewicht mindestens 12 t beträgt. An der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es hier.

Die Fahrzeugkombination der Klägerin hatte kein zulässiges Gesamtgewicht von mindestens 12 t, weil dieses aufgrund der Eintragung im Fahrzeugschein unter Nr. 33 zu Ziffer 15 der Sattelzugmaschine auf 11.990 kg begrenzt war. Dort heißt es: "Ziff. 15: Ablastung ohne technische Änderungen, zulässiges Zuggesamtgewicht Sattelkraftfahrzeug 11.990 kg". Diese Eintragung und nicht das Ergebnis der in § 34 Abs. 7 StVZO vorgegebenen Berechnung ist für die Bestimmung des für die Mautpflicht maßgeblichen zulässigen Gesamtgewichts der Fahrzeugkombination der Klägerin ausschlaggebend.

1. Ob ein Fahrzeug ein zulässiges Gesamtgewicht von mindestens 12 t hat, ergibt sich aus seiner Zulassungsbescheinigung (Zulassungsbescheinigung Teil I gemäß § 11 Fahrzeug-Zulassungsverordnung - FZV - bzw. Fahrzeugschein).

Vgl. hierzu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage, § 34 Rdnr. 5; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.10.1991 - 5 Ss (OWi) 431/91 u.a. -, VRS 82, 233; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.4.1987 - 3 Ss 190/86 -, VRS 73, 213; OLG Koblenz, Beschluss vom 28.11.1979 - 1 Ss 628/79 -, VRS 59, 63; OLG Hamm, Beschluss vom 3.10.1975 - 4 Ss OWi 847/75 -, VRS 51, 75; AG Freiburg, Urteil vom 7.4.1992 - 31 OWi 1107/91a -, juris.

Zwar wird diese Eintragung im Regelfall den in § 34 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 und Abs. 5 und 6 StVZO normierten Werten entsprechen. Abweichungen hiervon sind jedoch möglich, weil § 34 StVZO - unbeschadet der Regelung des § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO - lediglich die Höchstgrenzen vorgibt, die das zulässige Gesamtgewicht eines Fahrzeugs nicht überschreiten darf. Dort ist allgemein das amtlich zulässige (Höchst-)Gesamtgewicht für Fahrzeuge der jeweiligen Art geregelt, aber nicht abschließend das individuell zulässige Gesamtgewicht eines Fahrzeugs festgelegt. Das ergibt sich schon aus der Konzeption der Absätze 5 und 6 der Norm. Diese bestimmen, dass das zulässige Gesamtgewicht von Kraftfahrzeugen und Anhängern bzw. von Fahrzeugkombinationen die jeweils genannten Werte "nicht übersteigen" darf. Damit wird vorausgesetzt, dass es neben dem in § 34 Abs. 3 Satz 2 StVZO unter Bezugnahme u.a. auf die Absätze 5 und 6 definierten amtlichen zulässigen Gesamtgewicht ein fahrzeugbezogenes individuelles zulässiges Gesamtgewicht gibt.

Auch § 34 Abs. 7 StVZO trifft entgegen der Auffassung der Beklagten keine abschließende Regelung über das individuell zulässige Gesamtgewicht einer Fahrzeugkombination. Zwar finden sich dort Vorgaben für die Berechnung des zulässigen Gesamtgewichts einer jeden Fahrzeugkombination. Aus der Berechnung ergibt sich jedoch lediglich eine Größe, die - bis zu der durch § 34 Abs. 6 und 7 Satz 2 StVZO gezogenen Grenze - dem höchstmöglichen zulässigen Gesamtgewicht einer Fahrzeugkombination dieser Art entspricht. Weder ist § 34 Abs. 7 StVZO ein Rechtssatz zu entnehmen, dass allein dieses Gewicht als zulässiges Gesamtgewicht der jeweiligen Fahrzeugkombination festgesetzt werden darf, noch wird dies, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, in der Praxis so gehandhabt.

Die Zulassungsbehörde hat unter Beachtung der verordnungsrechtlichen Vorgaben für die Ermittlung des (höchst-)zulässigen Gesamtgewichts das zulässige Gesamtgewicht des einzelnen Fahrzeuges zu ermitteln und in die Zulassungsbescheinigung einzutragen. Dabei ist sie, wenn insoweit Einvernehmen mit dem betroffenen Halter besteht, nicht verpflichtet, die Höchstgrenzen auszuschöpfen, sondern kann auch ein niedrigeres zulässiges Gesamtgewicht eintragen. Es entspricht allgemeiner Verwaltungspraxis, Fahrzeuge unter bestimmten Voraussetzungen "abzulasten", d.h., ein niedrigeres als nach § 34 StVZO mögliches zulässiges Gesamtgewicht in die Zulassungsbescheinigung einzutragen. (Auch) eine solche Eintragung legt verbindlich das zulässige Gesamtgewicht des jeweiligen Fahrzeugs fest.

Vgl. Hentschel, a.a.O., § 34 Rdnr. 5; für die Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit: OLG Koblenz, Beschluss vom 28.11.1979 - 1 Ss 628/79 -, a.a.O. und AG Freiburg, Urteil vom 7.4.1992 - 31 OWi 1107/91a -, a.a.O.; für die steuerrechtliche Einstufung: FG München, Urteil vom 6.1.1996 - 4 K 2056/96 -, juris, sowie ferner (zur Ablastung von Lastkraftwagen, die für Fahrschulbereiche verwendet werden) Erlass des Finanzministeriums NRW vom 22.3.1988 - S 6120-6-V A 1 -, juris.

Es entspricht dem Sinn und Zweck der Richtlinie 1999/62/EG und des Autobahnmautgesetzes, dass die Eintragung einer rechtsverbindlichen Ablastung auch das für die Mautpflicht maßgebliche zulässige Gesamtgewicht eines Fahrzeugs bestimmt. Durch die Differenzierung nach dem "zulässigen Gesamtgewicht" haben Richtlinien- und Gesetzgeber ein normatives Abgrenzungskriterium gewählt. Danach sollen nur diejenigen LKW mautpflichtig sein, die (rechtlich) ein zulässiges Gesamtgewicht von mindestens 12 t erreichen dürfen. Diese rechtliche Möglichkeit ist bei Fahrzeugen, die auf ein zulässiges Gesamtgewicht unter 12 t abgelastet sind, gerade nicht gegeben. Ob sie aufgrund ihrer Konstruktion bei entsprechender Beladung ein solches Gewicht erreichen könnten, ist für das Bestehen der Mautpflicht irrelevant. So wie es nach der Konzeption der Richtlinie 1999/62/EG und des Autobahnmautgesetzes nicht darauf ankommt, ob der Autobahnbenutzer das zulässige Gesamtgewicht seines LKW von 12 t tatsächlich nicht ausschöpft (die Mautpflicht bleibt bestehen), beurteilt sich die Mautpflicht auch nicht danach, ob er tatsächlich mehr als das unter 12 t liegende zugelassene Gesamtgewicht erreichen könnte und ihm dies lediglich rechtlich verwehrt ist (keine Mautpflicht).

2. Die Fahrzeugkombination der Klägerin ist nach diesen Grundsätzen auf 11.990 kg abgelastet.

a) Dem steht zunächst nicht entgegen, dass an der Sattelzugmaschine der Klägerin keine technischen Änderungen vorgenommen worden sind. Aus § 34 StVZO lässt sich nicht herleiten, dass eine Ablastung nur bei technischen Änderungen zulässig ist; eine einheitliche gegenteilige Verwaltungspraxis ist nicht (mehr) ersichtlich.

Vgl. hierzu Braun/Konitzer, StVZO, Technischer Kommentar, Ordner 1, Stand: 1.5.2009, § 34 Rdnr. 13; a.A., unter Bezugnahme auf BMV VBl 56, 368, Hentschel, a.a.O., § 34 Rdnr. 5.

Eine Ablastung kann danach auch (nur) auf Wunsch des Halters eingetragen werden. Motiv für ein solches Begehren können etwa steuerliche oder fahrerlaubnisrechtliche Belange sein. Eine Ablastung scheidet in diesen oder vergleichbaren Fällen allerdings aus, wenn sich das Fahrzeug unter Zugrundelegung des abgelasteten zulässigen Gesamtgewichts nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr sinnvoll im Straßenverkehr einsetzen lässt. Letzteres ist hier angesichts der Tätigkeit der Klägerin, in deren Rahmen sie lediglich unbeladene Auflieger transportiert, nicht der Fall.

b) Die Eintragung "zulässiges Zuggesamtgewicht Sattelkraftfahrzeug 11.990 kg" zu Ziffer 15 in der Zulassungsbescheinigung der Sattelzugmaschine ist entgegen der Auffassung der Beklagten geeignet, die Fahrzeugkombination abzulasten.

Dem Fahrzeugschein ist zunächst mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, dass die Ablastung auf 11.990 kg die maßgebliche Gewichtsbegrenzung ist. Dass sich in dem Fahrzeugschein die weitere Eintragung "Zulässiges Zuggesamtgewicht Sattelkraftfahrzeug 28.000 kg" befindet, rechtfertigt keine andere Einschätzung. Insbesondere ist der Fahrzeugschein aufgrund dieser weiteren Eintragung nicht widersprüchlich. Während diese keiner Ziffer eindeutig zugeordnet ist, bezieht sich die Eintragung der Ablastung ausdrücklich auf Ziffer 15 und trifft damit (allein) eine Aussage über das zulässige Gesamtgewicht. Hielte man die Angaben in dem Fahrzeugschein dennoch für widersprüchlich, wäre zu seiner Auslegung der Fahrzeugbrief heranzuziehen. Jedenfalls aus diesem ergäbe sich, dass nur die Ablastung auf 11.990 kg verbindlich ist, weil im Fahrzeugbrief die andere Eintragung durchgestrichen ist.

Die Eintragung der Ablastung bezieht sich nicht lediglich auf das zulässige Leer- oder Eigengewicht der zu bildenden Fahrzeugkombination. Die Beklagte hat ihre gegenteilige Behauptung nicht näher erläutert und belegt. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die Formulierung "zulässiges (Zug)Gesamtgewicht" entgegen der sonst üblichen Verwendung nicht auf den beladenen Zustand bezieht. Das gilt umso mehr, als sich die Bemerkung zur Ablastung ausdrücklich auf Ziffer 15 und damit das dort festgelegte zulässige Gesamtgewicht bezieht, unter dem auch die Beklagte die Summe von Leergewicht und Ladung eines Kraftfahrzeugs versteht.

Obgleich die Eintragung nur in der Zulassungsbescheinigung der Sattelzugmaschine vermerkt ist, bewirkt sie eine Ablastung der gesamten Fahrzeugkombination. Denn die Eintragung besagt, dass jede mit der Sattelzugmaschine XX-XX 111 gebildete Fahrzeugkombination auf ein zulässiges Gesamtgewicht von 11.990 kg beschränkt ist.

Anhang 1 VI. (F.3) der Richtlinie 1999/37/EG des Rates vom 29.4.1999 über Zulassungsdokumente für Fahrzeuge zeigt, dass Zulassungsbescheinigungen nicht nur Angaben zu dem einzelnen Fahrzeug, sondern auch Angaben zum zulässigen Gesamtgewicht von Fahrzeugkombinationen enthalten können.

Es handelt sich dabei um eine abstrakte Beschränkung, die aber zugleich, weil sie sich auf jede Fahrzeugkombination erstreckt, den Bestimmtheitsanforderungen genügt. Zwar trifft es zu, dass sich die Eintragung in einer Zulassungsbescheinigung zunächst nur auf das Fahrzeug bezieht, für das die Bescheinigung erteilt ist. Durch die Kombination einer Sattelzugmaschine mit einem Sattelauflieger wird jedoch eine neue, als Einheit zu beurteilende Fahrzeugkombination (Sattelkraftfahrzeug) gebildet.

Vgl. BayObLG, Beschluss vom 26.2.1999 - 2 ObOWi 38/99 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 31.8.1984 - 3 Ss 449/84 -, VRS 67, 385.

Die zulässigen Gesamtgewichte ihrer Einzelfahrzeuge sind für sich genommen nicht mehr von Bedeutung, weil es auf das zulässige Gesamtgewicht des Sattelkraftfahrzeugs ankommt. Dieses verfügt nicht über eine Zulassungsbescheinigung, in die sein zulässiges Gesamtgewicht eingetragen werden könnte. Soll es abgelastet werden, ist dies nicht nur durch Ablastung von Auflieger und Zugmaschine möglich, sondern auch durch Eintragung einer sich auf den Betrieb als Sattelkraftfahrzeug beziehenden Ablastung in der Zulassungsbescheinigung der Zugmaschine. Eine andere Vorgehensweise wäre in Fällen wie dem Vorliegenden im Übrigen nicht praktikabel, da die Klägerin die Sattelauflieger lediglich an die Kunden ausliefert. Dass die Addition nach § 34 Abs. 7 StVZO mangels Ablastung des jeweiligen Sattelaufliegers ein höheres "zulässiges Gesamtgewicht" der Fahrzeugkombination ergibt, ist rechtlich nicht von Belang. Diese Vorschrift und die dort in Bezug genommenen Höchstwerte des § 34 Abs. 6 StVZO sind hinsichtlich des individuellen zulässigen Gesamtgewichts des Fahrzeugs, wie bereits dargelegt, nicht maßgeblich, wenn sich - wie hier - aus der Zulassungsbescheinigung etwas anderes ergibt.

Ende der Entscheidung

Zurück