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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 24.06.2008
Aktenzeichen: 9 A 2792/06
Rechtsgebiete: GebG NRW, AVerwGebO, AGT


Vorschriften:

GebG NRW § 1 Abs. 1 Nr. 1
GebG NRW § 1 Abs. 1 Nr. 2
AVerwGebO § 1 Abs. 1
AGT Tarifstelle 2.5.3.2
Angrenzer im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW und damit im Sinne der Tarifstelle 2.5.3.2 AGT zur Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung NRW sind in Fällen von Grundstücken, hinsichtlich derer Wohnungseigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz gebildet worden ist, sämtliche Sondereigentümer. Das gilt jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze vom 26.3.2007 (BGBl. I S. 370).
Tatbestand:

Der Kläger wandte sich gegen die Gebührenerhebung für die Beteiligung von Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens. Zur Begründung führte er aus, die Gebühr dürfe lediglich für die Beteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaft als solcher festgesetzt werden. Auf die Berufung des Beklagten wies das OVG die Klage ab.

Gründe:

Rechtsgrundlage für die allein umstrittene Gebührenfestsetzung hinsichtlich der Beteiligung der Angrenzer sind die §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 GebG NRW i. V. m. § 1 Abs. 1 AVerwGebO in der - für die Gebührenhöhe gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 GebG NRW maßgeblichen - bei Erteilung der Baugenehmigung geltenden Fassung der 4. ÄnderungsVO vom 22.7.2003 (GV. NRW. S. 428) sowie Tarifstelle 2.5.3.2 AGT.

Gemäß Tarifstelle 2.5.3.2 AGT beträgt die Gebühr für die bei Abweichungen durchgeführte Beteiligung von Angrenzern nach § 74 BauO NRW für jeden Angrenzer 150,00 € zusätzlich zu der Gebühr nach Tarifstelle 2.5.3.1 AGT.

Der Beklagte hat hinsichtlich der im Berufungsverfahren ausschließlich umstrittenen Gebührenerhebung für die Beteiligung der Eigentümer des Grundstücks S.-straße 38 zu Recht sechzehn Mal den Betrag von 150,00 € festgesetzt. Dabei ist er mit Blick auf das insoweit bestehende Wohnungseigentum von insgesamt sechzehn Wohnungseigentümern als Angrenzer ausgegangen. Es ist nicht zu beanstanden, dass er nicht die nach außen als teilrechtsfähig auftretende Wohnungseigentümergemeinschaft als solche als Angrenzer behandelt hat. Angrenzer im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW und damit im Sinne des Gebührentatbestands sind in Fällen von Grundstücken, hinsichtlich derer Wohnungseigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz gebildet worden ist, sämtliche Sondereigentümer. Das gilt jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze vom 26.3.2007 (BGBl. I S. 370).

Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind Eigentümer sowie Erbbauberechtigte angrenzender Grundstücke (Angrenzer) nach den Abs. 2 bis 4 der Vorschrift im Baugenehmigungsverfahren zu beteiligen. Die Benachrichtigung der Angrenzer soll vor Zulassung von Abweichungen erfolgen, wenn zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden (vgl. § 74 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW). Nach § 73 Abs. 3 BauO NRW entfällt die Benachrichtigung, wenn die zu benachrichtigenden Angrenzer die Lagepläne und Bauzeichnungen - wie hier die Wohnungseigentümer betreffend das Grundstück S.-straße 38 - unterschrieben oder der Zulassung von Abweichungen zugestimmt haben. In Fällen des § 74 Abs. 3 BauO NRW besteht die Beteiligung darin, dass der betreffende Angrenzer sein Einverständnis mit dem Vorhaben bzw. den hierauf bezogenen Abweichungen geäußert hat. Hinzu tritt - wie das VG zutreffend angenommen hat - die verfahrensrechtlich interne Beteiligung im Sinne einer Ermittlung und Berücksichtigung der Belange der Eigentümer sowie der Erbbauberechtigten angrenzender Grundstücke bei der Bearbeitung des Bauantrags.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.7.2003 - 9 A 4911/00 -.

Entgegen der Auffassung des Klägers und des VG sind Angrenzer im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW in Fällen, in denen hinsichtlich des angrenzenden Grundstücks Wohnungseigentum gegründet worden ist, jedenfalls bis zum 1.7.2007 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderungen des Wohnungseigentumsgesetzes) sämtliche Sondereigentümer, nicht aber die nach außen als teilrechtsfähig auftretende Wohnungseigentümergemeinschaft selbst. Bereits der Wortlaut des § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW spricht von "Eigentümerinnen und Eigentümern ... angrenzender Grundstücke". Bei der Wortlautauslegung ist insofern zu berücksichtigen, dass § 74 BauO NRW als verfahrensrechtliche Bestimmung materiell-rechtliche Rechtspositionen weder einschränkt noch erweitert.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Ordner II, Stand: 1.2.2008, § 74 Rdnr. 1; Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, Kommentar zur BauO NRW, 11. Aufl. 2008, § 74 Rdnr. 5.

Eigentümer oder Erbbauberechtigter des Grundstücks ist derjenige, der als solcher im Grundbuch eingetragen ist. Der Grund für die Beteiligung lediglich dieses Personenkreises liegt in der Grundstücksbezogenheit des öffentlichen Baurechts, der "dinglichen Wirkung". Die in diesem Sinne erforderliche Eigentümerposition ergibt sich insbesondere aus dem Eigentum als Alleineigentum oder als Miteigentum einschließlich des Wohnungseigentums.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 9.91 -, DVBl. 1993, 338; Boeddinghaus/ Hahn/Schulte, a. a. O., § 74 Rdnr. 58 f.

Gemäß § 1 Abs. 2 WEG ist Wohnungseigentum das Sondereigentum an einer Wohnung in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört. Gemeinschaftliches Eigentum im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes sind das Grundstück sowie die Teile, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes, die nicht im Sondereigentum oder im Eigentum eines Dritten stehen (§ 1 Abs. 5 WEG). Vor diesem Hintergrund ist der Sondereigentümer anerkanntermaßen berechtigt, mittels öffentlich-rechtlicher Nachbarklage solche Beeinträchtigungen abzuwehren, die ihre Rechtsgrundlage in der einem außerhalb der Eigentümergemeinschaft stehenden Dritten erteilten behördlichen Genehmigung haben, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen für das Sondereigentum aufgetragen ist. Dementsprechend kommt auch ein Anspruch des Sondereigentümers auf behördliches Einschreiten gegen solches Handeln eines außerhalb der Eigentümergesellschaft stehenden Dritten in Betracht, das den durch das Wohnungseigentumsgesetz geschützten Rechtskreis des Sondereigentümers beeinträchtigt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.10.1988 - 4 C 1.86 -, BRS 48 Nr. 155; OVG NRW, Urteil vom 17.10.1985 - 7 A 704/84 -, BRS 44 Nr. 173, sowie Urteil vom 12.12.1991 - 7 A 172/89 -, BRS 54 Nr. 180; OVG Berlin, Urteil vom 3.10.1975 - II B 38.74 -, BRS 29 Nr. 143; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 74 Rdnr. 59 f.

Ausgehend hiervon sind die natürlichen bzw. juristischen Personen, die aus dem Grundbuch ersichtliche Wohnungseigentümer und demgemäß Miteigentümer des Grundstücks sind, als Eigentümer i.S.d. § 74 BauO NRW anzusehen. Demgegenüber ergibt sich die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht als Eigentümerin aus dem Grundbuch.

Dem vorstehenden Befund, wonach jedenfalls bis zum 30.6.2007 die einzelnen Sondereigentümer als Angrenzer i.S.v. § 74 Abs. 1 BauO NRW anzusehen sind, stehen Sinn und Zweck des § 74 BauO NRW nicht entgegen. Die Benachrichtigung der Angrenzer soll (auch) der Ermittlung geschützter Rechtspositionen dienen, die in ihren Interessen berührte Angrenzer aufzeigen könnten.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a. a. O., § 74 Rdnr. 17.

Die Ermittlung derartiger Rechtspositionen wird in Fällen der vorliegenden Art, in denen es um Abstandflächen geht, wirksamer gestaltet, wenn und soweit man Sondereigentümer nach dem Wohnungseigentumsgesetz unabhängig von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im bauordnungsrechtlichen Verfahren im Zusammenhang mit der Zulassung von Abweichungen beteiligt. Diese Bewertung trägt insbesondere dem bereits erwähnten Gesichtspunkt Rechnung, dass die Vorschrift lediglich die verfahrensmäßigen Rechte der Angrenzer regelt.

Die neuere Rechtsprechung des BGH zur Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft, vgl. Beschluss vom 2.6.2005 - V ZB 37/05 -, NJW 2005, 2061, steht der vorgenommenen Bewertung ebenfalls nicht entgegen. Danach ist die Wohnungseigentümergemeinschaft rechtsfähig, soweit die Wohnungseigentümer im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums als Gemeinschaft am Rechtsverkehr teilnehmen. Diese Stärkung der Position der Eigentümergemeinschaft entwertet nach den eigenen Ausführungen des BGH die Eigentümerstellung des einzelnen Miteigentümers nicht. Denn die Wohnungseigentümergemeinschaft wird nicht insgesamt zu einer Gesellschaft, an der die einzelnen Wohnungseigentümer lediglich noch in Form verdinglichter Miteigentumsanteile teilnehmen. Vielmehr bleiben das Sonder- und das Gemeinschaftseigentum als echtes Eigentum ausschließlich in den Händen der Miteigentümer. Sie sind nicht Teil des Vermögens des rechtsfähigen Verbands. Soweit der Bay.VGH die Auffassung vertritt, ein einzelner Wohnungseigentümer sei für das Geltendmachen von Rechten aus seinem ideellen Anteil am gemeinschaftlichen Eigentum nicht klagebefugt, insbesondere sei er insoweit kein Nachbar i. S. d. Art. 71 Abs. 1 Satz 1 der Bay.BauO, Vgl. BayVGH, Beschluss vom 12.9.2005 - 1 ZB 05.42 -, BauR 2006, 501, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Unabhängig davon, ob die Entscheidung auf das nordrhein-westfälische Landesrecht übertragbar ist, vermag das Gericht ihrer Begründung nicht zu folgen. Der Bay.VGH betrachtet in seiner Entscheidung die Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte gegen ein Bauvorhaben auf einem Nachbargrundstück wegen einer Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die dem Schutz des gemeinschaftlichen Eigentums dienen, als eine Maßnahme der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums und mithin als ausschließliche Aufgabe der Wohnungseigentümergemeinschaft. In diesem Zusammenhang beruft er sich auf eine frühere Entscheidung des BGH.

Vgl. BGH, Urteil vom 11.12.1992 - V ZR 118/91 -, NJW 1993, 727.

In dieser Entscheidung sieht der BGH indes einen Wohnungseigentümer als nicht klagebefugt an, der entgegen dem ausdrücklichen Willen der Wohnungseigentümergemeinschaft einen Schadensersatzanspruch gegen den Mieter eines anderen Sondereigentümers einklagen möchte. Dieser Entscheidung lässt sich keine allgemeine Aussage dergestalt entnehmen, dass Sondereigentümer nicht berechtigt sein sollen, öffentlich-rechtlich geschützte nachbarrechtliche Abwehrrechte geltend zu machen. Soweit der Bay.VGH in der vorerwähnten Entscheidung den dortigen Kläger auch nicht im Hinblick auf sein Sondereigentum als klagebefugt angesehen hat, führt dies im Streitfall ebenfalls nicht weiter. Denn das Gericht hat eine rechtserhebliche Beeinträchtigung des klägerischen Sondereigentums im dortigen Fall als nicht in Betracht kommend angesehen. Demgegenüber hat es ausdrücklich offen gelassen, ob Wohnungseigentümer baurechtliche Nachbarrechte wegen Beeinträchtigung ihres Sondereigentums in vollem Umfang und aus eigenem Recht geltend machen können.

So BayVGH, Beschluss vom 2.10.2003 - 1 CS 03.1785 -, NVwZ-RR 2004, 248.

Vielmehr ist entsprechend der Spruchpraxis des BVerwG, vgl. Beschluss vom 11.11.2005 - 10 B 65.05 -, NJW 2006, 791, davon auszugehen, dass die Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft jedenfalls bis zum 30.6.2007 nicht der Angrenzerbeteiligung von Sondereigentümern nach dem Wohnungseigentumsgesetz entgegenstand. Das BVerwG hat angenommen, die Teilrechtssubjektivität der Wohnungseigentümergemeinschaft hindere nicht die Geltung einer im kommunalen Abgabenrecht statuierten gesamtschuldnerischen Haftung der Wohnungseigentümer für Grundbesitzabgaben. Diese Überlegung lässt sich ohne Weiteres mit dem Gedanken auf die Angrenzerbeteiligung nach § 74 BauO NRW übertragen, dass die Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergesellschaft die Geltung einer in der Landesbauordnung angelegten Beteiligung der (einzelnen) Wohnungseigentümer nicht hindert.

Da bei mehreren Eigentümern alle nach Maßgabe des § 74 BauO NRW zu beteiligen sind - unabhängig davon, ob sie Rechtsbehelfe gegen die Baugenehmigung nur zusammen oder auch einzeln erheben können -, vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a. a. O., § 74 Rdnr. 5 m.w.N., und weil Eigentümer i. S. v. § 74 BauO NRW jedenfalls bis zum 30.6.2007 auch Sondereigentümer nach dem Wohnungseigentumsgesetz sind, hat der Beklagte hinsichtlich der S.-straße 38 die Gebühren für die Angrenzerbeteiligung zutreffend festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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