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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 04.04.2006
Aktenzeichen: 9 A 3590/05.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG
Vorschriften:
AsylVfG § 73 Abs. 1 | |
AsylVfG § 73 Abs. 2a | |
AufenthG § 60 |
2. § 73 Abs. 2a AsylVfG greift in derartigen Widerrufsfällen tatbestandlich derzeit nicht - auch nicht analog - ein.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 ff. AufenthG liegen für irakische Staats- angehörige in der Regel nicht vor.
Tatbestand:
Die Beklagte widerrief durch Bescheid vom 14.7.2004 ihre unter dem 5.3.2001 zu Gunsten des Klägers erfolgte Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iraks vorlägen. Das VG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das OVG die Klage ab.
Gründe:
I. Die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes ist rechtmäßig.
Die Beurteilung erfolgt nach der Rechtslage seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes (1.). Unerheblich ist, ob die seinerzeitige Anerkennungsentscheidung rechtmäßig war (2.). Die Widerrufsentscheidung ist sowohl formell (3.) als auch materiell (4.) rechtmäßig.
1. Das Aufhebungsbegehren des Klägers ist mangels einschlägiger Übergangsregelung nach der neuen, durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1.1.2005 geänderten Rechtslage zu beurteilen. Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung des Bundesamtes ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ist - vorbehaltlich des Satzes 3 - u.a. die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Diese Bestimmung ist verfassungsgemäß.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 - mit Hinweis auf Urteil vom 24.11.1992 - 9 C 3.92 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 1.
2. ...
3. ...
4. Die Widerrufsentscheidung erweist sich auch in der Sache als rechtmäßig.
Die Verhältnisse im Irak haben sich im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nach der seinerzeitigen Anerkennungsentscheidung erheblich verändert (a) und dem Kläger droht auch nicht aus sonstigen Gründen erneut Verfolgung (b). Aus dem Erfordernis der Unverzüglichkeit des Widerrufs ergibt sich kein für den Kläger günstigeres Ergebnis (c). § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG steht der Widerrufsentscheidung des Bundesamtes nicht entgegen (d). § 73 Abs. 2 a AsylVfG begründet keine Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Widerrufsentscheidung (e). Die Frage nach der Einhaltung der Jahresfrist i.S.v. §§ 49 Abs. 2 Satz 2, 48 Abs. 4 VwVfG bedarf hier schließlich keiner Entscheidung (f).
a) Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Das setzt voraus, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgung auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Ändert sich demgegenüber nachträglich lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage, ist ein Widerruf nicht gerechtfertigt. Das gilt selbst dann, wenn die andere Beurteilung auf erst im Nachhinein bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnissen beruht.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, und vom 19.9.2000 - 9 C 12.00 -, BVerwGE 112, 80.
§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entspricht inhaltlich der sog. "Beendigungs-" bzw. "Wegfall-der-Umstände-Klausel" in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, die sich ebenfalls ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung bezieht. Hiernach fällt eine Person nicht mehr unter die Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. "Wegfall-der-Umstände" im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK meint demgemäß, ebenso wie im Rahmen von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse. Unter "Schutz" ist nach Wortlaut und Zusammenhang der "Beendigungsklausel" ausschließlich der Schutz vor erneuter Verfolgung zu verstehen. Der Begriff "Schutz des Landes" in dieser Bestimmung hat keine andere Bedeutung als "Schutz dieses Landes" in Art. 1 A Nr. 2 GFK, der die Flüchtlingseigenschaft bestimmt. Schutz ist dabei bezogen auf die Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung. Die "Beendigungsklausel" beruht auf der Überlegung, dass mit Blick auf Veränderungen im Verfolgerland ein internationaler Flüchtlingsschutz nicht mehr gerechtfertigt ist, weil die Gründe nicht mehr bestehen, die dazu führten, dass jemand zum Flüchtling wurde, und damit die Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nachträglich weggefallen sind. Vor diesem Hintergrund kann ein Ausländer nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK nicht mehr ablehnen, den Schutz des Staates seiner Staatsangehörigkeit (wieder) in Anspruch zu nehmen. Demgegenüber werden allgemeine Gefahren (z.B. auf Grund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) von dem Schutz des Art. 1 A Nr. 2 GFK nach Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung ebenso wenig umfasst wie von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Anerkennungsentscheidung nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den allgemeinen Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts gewährt werden (vgl. namentlich § 60 Abs. 7 Satz 2 und § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG).
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -; OVG NRW, Beschlüsse vom 20.3.2006 - 9 A 772/06.A - und vom 22.3.2006 - 9 A 3757/05.A -; vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 30.5.2005 - 9 A 1825/05.A - und vom 4.12.2003 - 8 A 3766/03.A -, NVwZ 2004, 757.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht mehr vor. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die Voraussetzungen dieser Norm sind grundsätzlich - abgesehen von noch darzustellenden Besonderheiten, die sich aus § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ergeben - deckungsgleich mit denjenigen des Asylanspruchs aus Art. 16 a Abs. 1 GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft,
vgl. BVerwG, Urteil vom 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, DVBl. 1992, 843; OVG NRW, Beschluss vom 27.7.2004 - 9 A 3288/02.A -,
so dass insoweit auf die zum Asylgrundrecht ergangene Rechtsprechung des BVerfG zurückgegriffen werden kann.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BVR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315.
Die für eine Widerrufsentscheidung zu fordernde nachträgliche entscheidungserhebliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse im Vergleich zu denjenigen zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung liegt vor. Auf sich beruhen kann insoweit, ob der Kläger den Irak unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung durch das Baath-Regime Saddam Husseins verlassen hat. Er ist vor einem Wiederaufleben der Verfolgung durch dieses frühere Regime im Irak, mithin einer gleichartigen Verfolgung im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG,
vgl. Urteil vom 18.2.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97,
hinreichend sicher. Das bisherige Regime Saddam Husseins hat seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die am 20.3.2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren.
Vgl. Auswärtiges Amt (AA), ad-hoc-Information zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak vom 30.4.2003, sowie ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 7.5.2004 (Stand: April 2004).
Eine Rückkehr des alten Regimes ist nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Bildung einer Struktur, die eine vom früheren Regime gesehene Gegnerschaft als solche übernimmt und erneut (wiederholend) verfolgt. Das gilt auch nach Wiederherstellung der Souveränität des Iraks am 28.6.2004. Sieger der Parlamentswahlen vom 30.1.2005 war die Schiitenallianz. Diese ging mit der Kurdenallianz (zweitstärkste Kraft) eine Koalition ein. Im Anschluss an das Kabinett der Interimsregierung (bis 28.4.2005) bildete sich eine Übergangsregierung unter Ministerpräsident Al-Dschaafari. Im Dezember 2005 ist ein neues Parlament gewählt worden. Die Regierungsbildung steht noch aus. Die im Referendum am 15.10.2005 angenommene neue irakische Verfassung bestimmt, dass Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat ist. Der Islam ist Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung. Art. 2 Abs. 2 der Verfassung enthält den Grundsatz, dass auch Christen, Yesiden, Sabäer und Mandäer ihre Religionen frei ausüben dürfen. Art. 3 legt in Satz 1 ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Iraks fest. Die Verfassung enthält einen umfassenden Menschenrechtskatalog. Die konkrete Ausgestaltung des Föderalismus bleibt dem neu gewählten Parlament vorbehalten. Die Ausübung der inneren Sicherheit obliegt den Provinzen (Polizei, Sicherheitskräfte und Garden). Soweit das irakische Verteidigungsministerium im November 2005 Offiziere der einstigen Streitkräfte Saddam Husseins zum Dienst in der neuen Armee aufgerufen hat (ausgenommen sind Mitglieder der Sonder-Sicherheitskräfte und der Fedayin) ist nichts dafür erkennbar, dass derartige Vorgänge den zuvor beschriebenen Umstrukturierungsprozess im Irak nennenswert nachteilig beeinflussen könnten.
Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 24.11.2005 (Stand: November 2005; im folgenden: Lagebericht); Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Irak: Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath- Partei, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 27.1.2006 (im Folgenden: Länderanalyse); SFH, Irak, Update (Stand: 15.6.2005); "Bush drängt Iraker zur Regierungsbildung", http://de.news.yahoo. com/19032006/286/bush-draengt-iraker-regierungs-bildung.html; vgl. zur am 1.6.2004 eingesetzten irakischen Übergangsregierung OVG NRW; Beschluss vom 27.7.2004 - 9 A 3288/02.A -.
b) Dem Kläger droht auch nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung.
Vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -.
Insoweit ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen (aa). Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak auf absehbare Zeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG (bb). Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich insbesondere aus der so genannten Qualifikationsrichtlinie nichts zu seinen Gunsten (cc).
aa) Vor dem Hintergrund des zuvor beschriebenen Regimewegfalls sowie mit Blick auf das zwischenzeitliche Inkrafttreten von § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, wonach eine Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unter bestimmten Voraussetzungen auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 18.2.1997 - 9 C 9.96 -, a.a.O., vom 24.11.1992 - 9 C 3.92 -, a.a.O., vom 24.7.1990 - 9 C 78.89 -, BVerwGE 85, 266, und vom 27.4.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250; offen gelassen im Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -.
Bei der Frage, ob eine Verfolgungsgefahr vorliegt, weil dem Ausländer bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falls politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren, ist eine so genannte qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob angesichts dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des betreffenden Ausländers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände größeres Gewicht besitzen und daher gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgeblich ist dabei letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162.
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen droht dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak derzeit und auf absehbare Zeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine - wie auch immer geartete - Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG. Das gilt sowohl für Satz 1 der Vorschrift (1) als auch hinsichtlich einer quasi-staatlichen Verfolgung (2). Eine nichtstaatliche Verfolgung des Klägers ist ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich (3).
(1) § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfasst, wie angesprochen, zunächst die mit den Voraussetzungen des Art. 16a Abs. 1 GG hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts und des politischen Charakters der Verfolgung deckungsgleiche politische Verfolgung im Sinne der Maßstäbe des BVerfG, mithin die Sachverhalte, die nach bisherigem Recht ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG begründet haben.
Vgl. in diesem Zusammenhang etwa BVerwG, Urteil vom 18.1.1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497.
Eine Verfolgung durch den irakischen Staat droht dem Kläger weder im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch in der für die anzustellende Gefährdungsprognose in den Blick zu nehmenden absehbaren Zukunft. Hierbei kann auf sich beruhen, ob im Hinblick auf die fehlende inhaltliche Beschränkung der Entscheidungsbefugnisse mit der auf Grund der Parlamentswahl vom Januar 2005 gebildeten Übergangsregierung unter Ministerpräsident Al-Dschaafari sowie der Wahl Dschalal Talabanis zum Staatspräsidenten im April 2005 ein zu politischer Verfolgung fähiges Machtgebilde in dem Sinne entstanden ist, dass es eine gewisse Stabilität aufweist und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitzt.
Vgl. zu Letzterem: OVG NRW, Beschluss vom 27.7.2004 - 9 A 3288/02.A - bezüglich der am 1.6.2004 gebildeten irakischen Übergangsregierung.
Zweifel könnten sich - ungeachtet etwaiger Besonderheiten wegen der noch ausstehenden Regierungsbildung nach der Wahl im Dezember 2005 - namentlich daraus ergeben, dass nach aktueller Erkenntnislage,
Vgl. AA, Lagebericht; SFH, Länderanalyse vom 27.1.2006,
u.a. die Einsetzbarkeit der irakischen Streit- und Polizeikräfte äußerst begrenzt ist. Selbst wenn man indes die im April 2005 gebildete Übergangsregierung oder ihre zukünftige Nachfolgerin - und sei es unter Zuhilfenahme der multinationalen Streitkräfte - als eine irakische Herrschaftsmacht im zuvor beschriebenen Sinne ansehen wollte, ist ein asylrechtserheblicher Übergriff staatlicher oder dem irakischen Staat zurechenbarer Kräfte nicht beachtlich wahrscheinlich. Hierfür lässt sich den aktuellen Erkenntnissen kein greifbarer Anhaltspunkt entnehmen.
Vgl. AA, Lagebericht; Deutsches Orientinstitut (DOI), Auskunft vom 6.9.2005 an das VG Magdeburg; amnesty international (ai), Auskunft vom 16.8.2005 an das VG Köln; UNHCR, Auskunft vom 6.9.2005 an das VG Stuttgart; SFH, Länderanalyse vom 27.1.2006.
(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger drohenden quasi-staatlichen Verfolgung,
vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 - 2 BvR 260, 1353/98 -, NVwZ 2000, 1165,
ist für den Irak derzeit und in absehbarer Zukunft ebenfalls nicht feststellbar. Nähme man zu Gunsten des Klägers an, die multinationalen Streitkräfte im Irak seien zu einer quasi-staatlichen Verfolgung in der Lage, so fehlte es vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage an hinreichenden Anhaltspunkten für die Annahme, etwaige von Übergriffen gegen die irakische Zivilbevölkerung Betroffene oder Zivilisten, die bei wiederholten Operationen gegen Aufständische Opfer exzessiver Gewalt werden, würden wegen asylrechtserheblicher Merkmale von dem - zu unterstellenden - Schutz ausgenommen und durch gezielt zugefügte Rechtsverletzungen aus der staatlichen Friedensordnung ausgeschlossen.
Vgl. hierzu AA, Lagebericht; SFH, Länderanalyse vom 27.1.2006.
Im Fall des Klägers (arabischer Volkszugehöriger moslemischen Glaubens aus dem Zentralirak) ergibt sich keine abweichende Beurteilung mit Blick auf die Lage in den kurdisch kontrollierten Gebieten im Nordirak. Sähe man diese Region weiterhin als autonom an,
vgl. zur früheren Bewertung OVG NRW, Beschluss vom 23.9.2002 - 9 A 1260/02.A -,
ließe sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen, dass entweder von der Kurdisch-Demokratischen Partei oder der Patriotischen Union Kurdistans politische Verfolgung ausginge.
Vgl. AA, Lagebericht; SFH, Irak, Update (Stand: 15.6.2005).
(3) Dass dem Kläger nichtstaatliche Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstaben b) und c) AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG droht, ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich. Nach der genannten Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (Buchst. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren (Buchst. c) ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
Das Vorbringen des Klägers bei seiner Anhörung im Rahmen des Anerkennungsverfahrens gibt hierfür nichts Tragfähiges her. Auch im Übrigen bestehen nach der aktuellen Erkenntnislage keine greifbaren Anhaltspunkte für eine derartige Verfolgung des Klägers im Irak. Das gilt unabhängig davon, ob man als nichtstaatliche Akteure Aufständische, Terroristen, Angehörige ethnischer oder religiöser Gruppen oder aber kurdische Milizionäre im Nordirak in den Blick nehmen wollte. Soweit es nach wie vor insbesondere zu terroristischen Anschlägen und fortgesetzten offenen Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition im Irak sowie regulären Sicherheitskräften und Koalitionsstreitkräften kommt, ist nicht erkennbar, dass derartiges Geschehen - bezogen auf den Kläger - an asylrechtserhebliche Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anknüpfte.
Vgl. AA, Lagebericht; SFH, Länderanalyse vom 27.1.2006.
Auch mit Blick auf die von ihm angegebene Zugehörigkeit zu den arabischen Sunniten ist derzeit und auf absehbare Zukunft eine Verfolgung des Klägers im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG nicht anzunehmen. Nach wie vor ist ein Übergriffe auslösendes Konfliktpotential allein aus ethnischen Gründen nicht beachtlich wahrscheinlich. Wenngleich im Irak im Verfassungsprozess bisher das größte innenpolitische Ziel, die Einbindung der sunnitischen Gemeinschaft, nicht erreicht worden ist und sich die Aussichten für eine Eindämmung der Gewalt bislang nicht verbessert haben, haben irakische Politiker kurz vor dem Referendum über die neue irakische Verfassung (15.10.2005) beschlossen, eine Kommission mit der Überarbeitung des Verfassungstextes im Jahr 2006 zu beauftragen. Ziel ist es, sunnitischen Interessen mehr Geltung zu verschaffen. Dieses Ziel wurde bezüglich der Übergangsregierung im Anschluss an die Wahlen im Januar 2005 bereits verwirklicht. Die Sunniten wurden mit sechs Ministerposten an der Übergangsregierung beteiligt. Im Übrigen verhindern gemeinsame Aufrufe der schiitischen und sunnitischen religiösen Führer zur Mäßigung bislang, dass es zu größeren Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen kommt.
Vgl. AA, Lagebericht.
Ist ein Abschiebungsverbot i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG derzeit und auf absehbare Zeit (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) nicht mehr anzunehmen, so sind die Voraussetzungen für den Widerruf der Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG grundsätzlich erfüllt.
cc) Vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen ist insbesondere nicht der Auffassung des Klägers zu folgen, seine Schutzbedürftigkeit sei nicht erloschen, weil es an einer grundlegenden und dauerhaften Situationsänderung und der Herstellung von Strukturen fehle, die betroffenen Flüchtlingen wirksamen Schutz böten.
Vgl. in diesem Zusammenhang Nds. OVG, Beschluss vom 1.3.2005 - 9 LA 46/05 -, Nds.Rpfl. 2005, 257, zitiert nach juris.
Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes auch nicht mit Blick auf die Richtlinie 2004/83 EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) rechtlichen Bedenken. Diese Richtlinie ist erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist, das ist der 10.10.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie), anwendbar. Vor Ablauf der Umsetzungsfrist entfaltet sie keine unmittelbare Wirkung. Ein Einzelner kann sich vor den nationalen Gerichten auf eine Richtlinie im Übrigen erst nach Ablauf der für ihre Umsetzung in das nationale Recht vorgesehenen Frist berufen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.5.2005 - 11 A 533/05.A - m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -.
Etwas anderes ergibt sich nicht, wenn man annimmt, mitgliedstaatliche Gerichte seien schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist berechtigt, sich bei der Auslegung nationalen Rechts an den Bestimmungen einer Richtlinie zu orientieren. § 60 Abs. 1 AufenthG wäre unter Beachtung der Qualifikationsrichtlinie in seinem Kerngehalt nicht anders auszulegen als der bisherige § 51 Abs. 1 AuslG.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.5.2005, - 11 A 533/05.A -, mit näherer Begründung.
c) Ob das Bundesamt den Widerruf unverzüglich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ausgesprochen hat, ist nicht entscheidungserheblich. Die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf dient ausschließlich öffentlichen Interessen: Ein etwaiger Verstoß hiergegen verletzt keine Rechte des betroffenen Ausländers.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 - mit Hinweis auf die Beschlüsse vom 4.11.2005 - 1 B 58.05 - und vom 12.10.2005 - 1 B 71.05 -.
d) § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG steht der Widerrufsentscheidung des Bundesamtes nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte). Maßgeblich sind insoweit Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen. Der Rückkehr in den Heimatstaat müssen (gegenwärtige) zwingende Gründe entgegenstehen, d.h. eine Rückkehr muss unzumutbar sein. Die Gründe müssen zudem auf früherer Verfolgung beruhen. Bereits nach dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 3 Asyl-VfG muss zwischen der früheren Verfolgung und der Unzumutbarkeit der Rückkehr ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Demgegenüber schützt die Vorschrift nicht gegen allgemeine Gefahren. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG trägt der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst eine Zeit danach, auch ungeachtet veränderter Verhältnisse, nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -.
Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich. Der Kläger selbst hat sich schon nicht auf solche gegenwärtigen zwingenden Gründe berufen, die seiner Rückkehr in den Irak entgegenstehen. Die Gründe, die ursprünglich zur Flüchtlingsanerkennung geführt hatten, genügen für sich genommen nicht.
e) § 73 Abs. 2 a AsylVfG, der am 1.1.2005 in Kraft getreten ist, begründet keine Rechtswidrigkeit der aus dem Jahre 2004 stammenden Widerrufsentscheidung des Bundesamtes. Die Norm ist weder direkt (aa) noch analog (bb) auf die in Rede stehende Aufhebungsentscheidung anwendbar. Auch bei nach dem 1.1.2005 ergangenen Widerrufsentscheidungen führte § 73 Abs. 2 a AsylVfG zu keinem für die Betroffenen günstigeren Ergebnis (cc). Dahinstehen kann mithin, ob die Bestimmung lediglich auf Anerkennungsentscheidungen anzuwenden ist, die nach dem 1.1.2005 ergangen sind (dd).
aa) Die Vorschrift ist auf den streitgegenständlichen Widerrufsbescheid nicht anwendbar. Gemäß § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG hat die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Abs. 1 vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen. Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen (Satz 2). Ist nach der Prüfung ein Widerruf nicht erfolgt, so steht eine spätere Entscheidung nach Abs. 1 im Ermessen des Bundesamtes (Satz 3). Dieses neu eingeführte, mehrstufige Verfahren stellt eine zukunftsbezogene Regelung dar. § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG erteilt in den Fällen einen bindenden Auftrag an die Behörde, in denen - anders als hier - bei Inkrafttreten der Vorschrift noch keine Aufhebungsentscheidung ergangen war.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -; OVG NRW, Beschluss vom 14.4.2005 - 13 A 654/05.A -.
bb) § 73 Abs. 2 a AsylVfG ist auch nicht analog anwendbar. In Fällen der vorliegenden Art, in denen die Anerkennungsentscheidung des Bundesamtes älter als drei Jahre ist und in denen mangels bisherigen Bestehens einer Prüfungs- und Mitteilungspflicht eine Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen durch das Bundesamt bisher unterblieben war, ist eine Aufhebungsentscheidung nicht allein als Ermessensentscheidung statthaft. Eine Analogie scheidet unabhängig davon aus, ob die Widerrufsentscheidung - wie hier - vor oder nach dem 1.1.2005 ergangen ist. Es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlage bezüglich der zur Beurteilung stehenden, im Kern wesentlich unschiedlichen Sachverhalte. Im einen Fall geht der Ermessensentscheidung eine Prüfungspflicht des Bundesamtes spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung sowie die Mitteilung des negativen Ergebnisses an die Ausländerbehörde voraus. Im anderen Fall soll der bloße Zeitablauf von drei Jahren, ohne dass sich Vertrauen des betreffenden Ausländers auf eine Negativprüfung des Bundesamtes stützen könnte, genügen, damit es (zudem im Sinne einer "späteren Entscheidung", vgl. § 73 Abs. 2 a Satz 3 AsylVfG) nur noch nach Ermessen eine Aufhebungsentscheidung treffen können soll. Nicht zuletzt mit Blick auf diese Unterschiede sind beide Fallgestaltungen nicht gleich zu behandeln.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.3.2006 - 9 A 854/06.A -.
cc) Im Hinblick auf eine Vielzahl anhängiger Asylrechtsstreitigkeiten, in denen nach dem 1.1.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen des Bundesamtes streitbefangen sind, merkt das Gericht ergänzend an, dass § 73 Abs. 2a AsylVfG in direkter Anwendung auch in derartigen Fallgestaltungen keine andere Beurteilung rechtfertigt. Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebungsentscheidung nach § 73 AsylVfG vorliegen, hat wegen der Zukunftsgerichtetheit des Prüfungsauftrags an das Bundesamt spätestens bis zum 1.1.2008 zu erfolgen. Im Übrigen kann sich der betroffene Ausländer nicht im Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf einen Verstoß gegen die in § 73 Abs. 2 a AsylVfG festgelegte Prüfungspflicht berufen.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12.12.2005 - 21 A 4681/05.A -, und vom 17.3.2006 - 9 A 854/06.A -; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 - (die Frage, ob die Dreijahresfrist ausschließlich öffentlichen Interessen dient, offen lassend).
dd) Im Hinblick auf vorstehende Darlegungen kann auf sich beruhen, ob § 73 Abs. 2 a AsylVfG im Übrigen lediglich für den Widerruf solcher Anerkennungsbescheide gilt, die nach dem 1.1.2005 ergangen sind.
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 - mit Hinweis auf VG Göttingen, Urteil vom 6.9.2005 - 2 A 91/05 -.
f) ...
II. Der Kläger besitzt darüber hinaus keinen - als hilfsweise geltend gemacht anzusehenden,
vgl. BVerwG, Urteil vom 26.6.2002 - 1 C 17.01 -, BVerwGE 116, 326, -
Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von sonstigen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG). Das Bundesamt war berechtigt, bei seiner Aufhebungsentscheidung (erstmals) eine Entscheidung zu sonstigen Abschiebungsverboten (früher: Abschiebungshindernissen) zu treffen. Das ergibt sich aus einer Rechtsanalogie zu den §§ 24 Abs. 2, 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 32, 39 Abs. 2 sowie 73 Abs. 1 bis 3 AsylVfG. Im Hinblick darauf, dass § 60 AufenthG die früheren §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG ersetzt, gilt nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nichts anderes.
Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 10.5.2005 - 23 B 05. 30190 -, juris, mit Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 20.4.1999 - 9 C 29.98 -, InfAuslR 1999, 373.
Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch weder auf § 60 Abs. 2, 3 oder 5 AufenthG - Abs. 4 der Vorschrift kommt ersichtlich nicht in Betracht - (1.) noch auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (2.) stützen. Das gilt auch, soweit eine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Raume steht (3.).
1. Die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 AufenthG erfordern jeweils eine konkret-individuell drohende Gefahr durch einen Staat oder eine staatsähnliche Organisation. Derartiges scheidet nach den vorstehender Darlegungen aus. Mit Blick auf die aktuelle Erkenntnislage ist nichts dafür ersichtlich, dass von etwaigen staatlichen oder staatsähnlichen Stellen im Irak mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit konkrete Gefahren für den Kläger ausgehen könnten. Das gilt sowohl für eine etwaige Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) als auch für eine mögliche Suche des Klägers wegen einer mit der Todesstrafe bedrohten Straftat (§ 60 Abs. 3 AufenthG) sowie mit Blick auf eine etwaige menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG.
2. Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in seine Heimat auch nicht landesweit Gefahren, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen könnten. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob eine derartige Gefahr vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist. Die nur theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden, genügt für die Annahme einer konkreten Gefahr nicht. Vielmehr ist erforderlich, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation besteht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.7.2004 - 9 A 3288/02.A - mit Hinweis auf Urteil vom 5.5.1999 - 9 A 4671/98.A -; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324.
Gemessen hieran scheidet die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers aus. Nach dem Ende des 3. Golfkrieges und der im Anschluss daran im Aufbau befindlichen politischen Neuordnung kann eine individuelle, konkret auf den Kläger zielende Bedrohung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Weder die weiterhin angespannte Sicherheitslage, die durch andauernde kriegerische Auseinandersetzungen und tägliche Terroranschläge gekennzeichnet ist, noch Versorgungsengpässe - sei es bei der noch immer durchgeführten Verteilung von Nahrungsmitteln durch das irakische Handelsministerium, sei es wegen schlechter Stromversorgung, kritischer Wasserversorgung oder mit Blick auf die angespannte medizinische Versorgungslage -, begründen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Vgl. hierzu AA, Lagebericht; UNHCR, Gutachten vom 28.1.2005 zur humanitären Lage und Gesundheitsversorgung; vgl. auch "Tote im Irak am Jahrestag der Invasion", http://de.news.yahoo.com/ 20032006/3/tote-irak-jahrestag-invasion.html; "Aufständische töten vier Wachmänner südlich von Bagdad",http://de.news.yahoo.com/20032006/3/auf-staendische-töten-wachmänner-suedlich-...; "Milizen und Armee schützen Hunderttausende Pilger im Irak", http://de.news.yahoo.com/19032006/3/milizen -armee-schuetzen-hunderttausende-pilger...; "Starke Explosion in Kerbela", http://de.news.yahoo.com/ 19032006/286/starke-explosion-kerbela.html.
Die damit im Zusammenhang stehenden Gefahren betreffen die Bevölkerung des Iraks in ihrer Gesamtheit. Sie können demgemäß grundsätzlich nur bei einer Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 60 a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt werden (vgl. die sog. Sperrklausel des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
3. Eine etwaige verfassungskonforme Auslegung (vgl. die Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG) des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. In Fällen der zu beurteilenden Art ist der Rückgriff auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann nicht gesperrt, wenn eine derart extreme Gefahrenlage bestünde, dass der Ausländer bei einer Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, a.a.O.
Im Hinblick darauf, dass die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur durchbrochen werden darf, um eine mit Verfassungsrecht unvereinbare Abschiebung zu verhindern, scheidet die Durchbrechung selbst bei Vorliegen einer extremen Gefahrenlage aus, wenn gleichwertiger Schutz vor Abschiebung anderweitig durch Einzelfallregelung oder Erlass vermittelt wird.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.2003 - 1 B 192.03 -, Buchholz 402.240, § 54 AuslG Nr. 7, sowie Urteil vom 12.7.2001 - 1 C 2.01 -, DVBl. 2001, 1531.
Ausgehend hiervon hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zum einen besteht im Irak nicht landesweit eine extreme Gefahrenlage (a). Zum anderen vermittelt die nach wie vor bestehende Erlasslage in Nordrhein-Westfalen hinreichenden Schutz vor Abschiebung (b). Mögliche Schwierigkeiten bei einer etwaigen Wiedereinreise in den Irak begründen kein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (c).
a) Obwohl nach der aktuellen Erkenntnislage in Teilen des Iraks die Sicherheitslage nach wie vor sehr instabil ist und auch die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Nahrung, Trinkwasser und Strom regional zeitweise unzureichend funktioniert,
vgl. AA Lagebericht; SFH, Länderanalyse vom 27.1.2006,
ist nicht davon auszugehen, dass Rückkehrer in den Irak gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würden.
Wenngleich nach wie vor von andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen und täglichen terroristischen Anschlägen berichtet wird, finden ausgedehnte Kampfhandlungen zwischen Besatzungskräften und irakischen Aufständischen nicht mehr in dem Umfang statt, wie es vor geraumer Zeit noch der Fall war. Anschläge der militanten Opposition bedrohen vor allem die Bevölkerung in der irakischen Zentralregion. Dabei sind vor allem Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Ärzte und Politiker gefährdet. Repräsentanten des früheren Regimes, die inzwischen mit der Regierung zusammen arbeiten, müssen ebenfalls mit Racheakten rechnen. Darüber hinaus stehen Mitglieder politischer Parteien im Visier der militanten Opposition. Als besonders gefährdet sind zudem Professoren anzusehen. Seit Anfang Mai 2005 lag die Anzahl sicherheitserheblicher Vorfälle nach zwischenzeitlichem Rückgang wieder bei ca. 70 pro Tag. Vor dem Referendum am 15.10.2005 wurden landesweit etwa 100 sicherheitserhebliche Zwischenfälle pro Tag registriert. Soweit die Koalitionsstreitkräfte zusammen mit irakischen Sicherheitskräften in regelmäßigen Abständen vor allem im Zentralirak und an der Grenze zu Syrien Operationen gegen den bewaffneten Widerstand durchführen, kommt es unbestätigten Berichten zufolge im Zusammenhang mit Bombenabwürfen immer wieder zu Opfern unter der Zivilbevölkerung. Mit Blick auf die Bevölkerungszahl im Irak (ca. 24 Millionen Menschen) und den ihr gegenüber stehenden Zahlen ziviler Kriminalitäts- und Terroropfer,
vgl. AA Lagebericht, sowie AA, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak vom 7.5.2004 (Stand: April 2004),
wird indes der erforderliche erhöhte Wahrscheinlichkeitsgrad,
vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - 1 C 5.01 -, DVBl. 2001, 1772,
der für die Annahme einer ein Abschiebungsverbot im zuvor beschriebenen Sinne stützenden Gefahrenlage notwendig ist, nicht erreicht.
Dass der Kläger auf Grund von Problemen im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Lage bei einer Rückkehr konkreten, hochgradigen Existenzgefährdungen ausgesetzt wäre, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Versorgungslage wird nach wie vor als angespannt bezeichnet. Wie dargestellt, führt das irakische Handelsministerium indes noch immer die Verteilung von Nahrungsmitteln durch.
Vgl. AA, Lagebericht.
b) Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen scheidet die Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch wegen eines bestehenden anderweitigen Schutzes vor Abschiebung aus. Der erkennende Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach irakischen Staatsangehörigen auch deswegen kein Schutz vor Abschiebung in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährt werden kann, weil dieser Personenkreis wegen der weiterhin bestehenden nordrhein-westfälischen Erlasslage in einer den Anforderungen des § 60 a Abs. 1 AufenthG entsprechenden Weise vor Abschiebung geschützt ist.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.7.2004 - 9 A 3288/02.A - m.w.N.; zur sächsischen Erlasslage Sächs. OVG, Beschluss vom 30.3.2005 - A 4 B 9/05 -, AuAS 2005, 149; vgl. zu etwaigen Rückführungen in den Irak auch Pressemitteilung Nr. 2/2006 des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 26.1.2006, http://www.stmi.bayern.de/ministe-rium/imk/presse/15745. c) Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Unmöglichkeit der Abschiebung oder der freiwilligen Ausreise in den Irak anzunehmen ist. Zum einen bestehen Flugmöglichkeiten nach Bagdad bzw. Erbil. Zum anderen ist eine Einreise in den Irak aus der Türkei (Grenze bei Habur), über Jordanien oder aber Syrien möglich.
Vgl. AA, Lagebericht.
Dessen ungeachtet führte eine etwaige Unmöglichkeit der Abschiebung bzw. der Einreise in den Heimatstaat lediglich auf eine Aussetzung der Abschiebung (vgl. § 60 a Abs. 2, Abs. 4 AufenthG), nicht aber auf ein sonstiges Abschiebungsverbot.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.7.2004 - 9 A 3288/02.A - m.w.N.
Ende der Entscheidung
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