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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.06.2005
Aktenzeichen: 9 A 3615/03
Rechtsgebiete: AbwAG 1994, LWG NRW


Vorschriften:

AbwAG 1994 § 10 Abs. 4
AbwAG 1994 § 10 Abs. 3
LWG NRW § 66 Abs. 6 Satz 3
Eine Abwasserbehandlungsanlage wird nicht bereits dann i.S.v. § 10 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 AbwAG 1994 angepasst, wenn vor dem maßgeblichen Anschlusszeitpunkt der Betreiber lediglich einen Beschluss über die Anpassungsmaßnahmen und deren Finanzierung gefasst hat.
Tatbestand:

Der Kläger, ein Wasserverband in der Rechtsform der Körperschaft des Öffentlichen Rechts, betrieb zur Beseitigung kommunaler Abwässer die Kläranlage A. bis zu ihrer Stilllegung im Jahre 1995. Ab dem 12.10.1995 wurden die bis dahin der Kläranlage A. zugeführten Abwässer über den neu errichteten Transportsammler R. dem Gemeinschaftsklärwerk (GKW) B. zugeleitet, wo sie gereinigt wurden. Für die Errichtung des Transportsammlers entstanden dem Kläger Aufwendungen in Höhe von ca. 2 Millionen DM. Zum Zeitpunkt des Anschlusses des Transportsammlers an das GKW B. genügte letzteres nicht den Anforderungen des § 18 b WHG.

Den Antrag des Klägers auf eine Verrechnung der Abwasserabgabe für das Einleiten von Schmutzwasser aus der Kläranlage A. im Veranlagungsjahr 1994 gemäß § 10 Abs. 4 AbwAG mit den für die Errichtung des Transportsammlers getätigten Aufwendungen lehnte der Beklagte ab. Das GKW B. sei zum Zeitpunkt des Anschlusses des Transportsammlers nicht an die gesetzlichen Anforderungen angepasst worden. Diese Voraussetzung sei nur erfüllt, wenn zu diesem Zeitpunkt Bautätigkeiten bereits begonnen hätten oder ein bestandskräftiger Sanierungsbescheid vorgelegen habe. Beides treffe im Fall des Klägers nicht zu.

Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos.

Das VG gab der dagegen erhobenen Klage statt. Zum Zeitpunkt des Anschlusses des Transportsammlers an das GKW B. sei letzteres bereits an die Anforderungen des § 18 b WHG angepasst worden. Die Formulierung "angepasst wird" in § 10 Abs. 4 AbwAG erfordere nicht das Vorliegen eines bestandskräftigen Sanierungsbescheides. Es reiche aus, wenn erkennbar sei, dass die Anlage angepasst werden solle. Die Sanierung müsse auf den Weg gebracht worden sein. Dies sei vorliegend durch den Zustimmungsbeschluss des Verbandsrates zu den Bau- und Maßnahmeplänen, die Genehmigungsplanung, den Genehmigungsantrag und die bereitgestellte Finanzierung gewährleistet gewesen.

Die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Verrechnung seiner für die Errichtung des Transportsammlers getätigten Aufwendungen mit der festgesetzten Abwasserabgabe für die Einleitung von Schmutzwasser aus der Kläranlage A. im Veranlagungsjahr 1994 gemäß § 10 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 des Abwasserabgabengesetzes vom 13.9.1976 (BGBl. I, S. 2721) in der hier anzuwendenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 5.7.1994 (BGBl. I, S. 1453) - AbwAG 1994 -.

Der Transportsammler, für dessen Errichtungskosten der Kläger die Verrechnung beantragt hat, ist zwar eine Anlage i.S.d. § 10 Abs. 4 AbwAG 1994, denn er führte und führt das Abwasser einer "vorhandenen Einleitung" einer Abwasserbehandlungsanlage - dem GKW B. - zu. Infolge dieser Zuführung war auch mit einer Minderung der Gesamtschadstofffracht zu rechnen. Indes handelte es sich bei dem GKW B. nicht - wie es nach § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 weiter Voraussetzung für einen Verrechnungsanspruch ist - um eine Abwasserbehandlungsanlage, "die den Anforderungen des § 18 b des Wasserhaushaltsgesetzes entspricht oder angepasst wird". Insoweit ist nach der gesetzlichen Regelung maßgeblicher Zeitpunkt derjenige des Anschlusses (im Sinne der erstmaligen Zuführung von Abwasser). Denn der "Inbetriebnahme" im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1994 entspricht im Falle der Verrechnung nach Abs. 4 der Norm die erstmalige Zuführung des Abwassers zur Abwasserbehandlungsanlage und der damit verbundene Beginn der (zu erwartenden) Minderung der Schadstofffracht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.12.2000 - 9 A 2055/99 -, NVwZ-RR 2001, 783.

Das GKW B. stellte zum Zeitpunkt des Anschlusses des Transportsammlers am 12.10.1995 keine Abwasserbehandlungsanlage im Sinne des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 dar. Es entsprach unstreitig seinerzeit nicht den Anforderungen des § 18 b WHG; auch kann es bezogen auf diesen Zeitpunkt nicht als Anlage angesehen werden, die den genannten Anforderungen im Sinne des Gesetzes angepasst wurde. Das Abwasserabgabengesetz hat das Merkmal der Anpassung und insbesondere die Frage, wann der Anpassungsprozess beginnt ("angepasst wird"), nicht näher bestimmt. Der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber, dem es offen steht, durch Rechtsvorschrift oder im Verwaltungswege konkrete Ausführungsregelungen zu den gemäß § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 eröffneten Verrechnungsmöglichkeiten zu erlassen, vgl. Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl. 1995, S. 166, hat mit der Einfügung des § 66 Abs. 6 Satz 3 LWG NRW zum 1.7.1995 durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung wasser- und verbandsrechtlicher Vorschriften vom 7.3.1995 (GV. NRW. S. 248) die Verrechnungsvoraussetzungen diesbezüglich konkretisiert. § 66 Abs. 6 Satz 3 LWG NRW sieht vor, dass der die Verrechnung beantragende Abgabepflichtige die (künftige) Anpassung einer Anlage, die noch nicht den Anforderungen des § 18 b WHG entspricht, durch eine bestandskräftige, die Anpassung anordnende Entscheidung der zuständigen Behörde nachzuweisen hat. Ausweislich der Begründung zur Einfügung der Vorschrift hielt es der Landesgesetzgeber für geboten, einen Nachweis für die Sicherung einer erst künftigen Anpassung zu verlangen.

Vgl. LT-Drs. 11/7653, Seite 193.

Mangels Vorliegens einer entsprechenden Sanierungsverfügung betreffend das GKW Hückeswagen scheidet vorliegend ein Verrechnungsanspruch gemäß § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 auf dieser Grundlage aus.

Der Senat kann offen lassen, ob die Regelung in § 66 Abs. 6 Satz 3 LWG NRW mit Bundesrecht im Einklang steht und (abschließend) für den nordrhein-westfälischen Verwaltungsvollzug konkretisiert, welcher Nachweis für eine künftige Anpassung einer Anlage an die Voraussetzungen des § 18 b WHG zu fordern ist. Selbst wenn im vorliegenden Fall für die Prüfung des geltend gemachten Verrechnungsanspruches allein auf § 10 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 AbwAG 1994 abgestellt wird, sind die Voraussetzungen für einen solchen nicht gegeben. Die vom Kläger angeführten Bau- bzw. Maßnahmenbeschlüsse nebst den begleitenden Umstände (Finanzierungsbereitstellung, Genehmigungsplanung etc.) reichen nicht aus, um davon ausgehen zu können, dass das GKW B. im maßgeblichen Zeitpunkt wie erforderlich im Sinne des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 angepasst wurde.

Die Formulierung "angepasst wird" verdeutlicht, dass der Anpassungsprozess im Verrechnungszeitraum noch nicht vollständig durchgeführt sein muss; darüber hinaus macht sie deutlich, dass jedenfalls eine tatsächlich oder rechtlich gesicherte und in absehbarer Zeit erfolgende Anpassung der Abwasserbehandlungsanlage, an die angeschlossen wird, Voraussetzung für die Verrechnung ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.12.2000 - 9 A 2055/99 -, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 6.5.2001 - 9 B 12.01 -; Köhler, Abwasserabgabengesetz, Kommentar 1999, § 10 Rdnr. 105 (öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit der Planung erforderlich); Berendes, a.a.O., S. 166, (verbindliche Planung erforderlich).

Dabei ist nach der Systematik des Abwasserabgabengesetzes eine enge Auslegung der Voraussetzung "angepasst wird" in § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 geboten. Die Vorschrift ergänzt § 10 Abs. 3 AbwAG 1994 um einen weiteren Privilegierungstatbestand, dessen Ausformung im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers steht. Soll er nicht ins Konturlose und Beliebige ausgeweitet werden, bedarf er einer einschränkenden Konkretisierung.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.5.2001 - 9 B 12.01 -; Berendes, a.a.O., S. 166.

In Literatur und Rechtsprechung ist unbestritten anerkannt, dass ein "angepasst wird" im Sinne des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 jedenfalls dann gegeben ist, wenn mit den für die Anpassung notwendigen Baumaßnahmen begonnen worden ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.12.2000 - 9 A 2055/99 -, a.a.O.; Dahme in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, § 10 AbwAG, Rdnr. 56a; Köhler, a.a.O., § 10 Rdnr. 105; Berendes, a.a.O., S. 166; Nisipeanu, Abwasserabgabenrecht, S. 187.

Dies beruht auf der Annahme, dass der Baubeginn den tatsächlichen Beginn des Anpassungsprozesses und damit auch eine hinreichende faktische Sicherheit für die Verwirklichung der Anpassung darstellt. Das vorbeschriebene Verständnis des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 legt auch der Beklagte - wie die Ausführungen im Widerspruchsbescheid belegen - seiner Verwaltungspraxis zu Grunde. Es entspricht zudem dem Zweck und der Systematik der Vorschrift. Denn § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 nimmt auf § 10 Abs. 3 AbwAG 1994 Bezug. Letztere Norm erklärt die Kosten für die Errichtung oder Erweiterung einer Anlage bereits bis zu drei Jahre vor deren Inbetriebnahme für verrechnungsfähig und enthält ein sogenanntes "Bauphasenprivileg". Die Regelung stützt die dem Abwasserabgabengesetz innewohnende Lenkungswirkung, indem sie Investitionsaufwendungen für Anlagenverbesserungen bereits in der Bauphase und damit schon vor deren Fertigstellung privilegiert, mithin Investitionsanreize bietet.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.2004 - 9 C 13.03 -, NVwZ 2004, 1132.

Entsprechende Investitionsanreize für Anlagenverbesserungen sollen - durch Verrechnungsmöglichkeiten ebenfalls schon in der Bauphase - auch von § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 ausgehen. Gemessen daran kann im vorliegenden Fall zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht von einer Anpassung des GKW B. im Sinne des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 ausgegangen werden. Die Bauarbeiten für die Anpassung des GKW B. begannen nach den Angaben des Klägers erst am 2.9.1996, also fast 11 Monate nach dem Anschluss des Transportsammlers an das GKW B. am 12.10.1995.

Vor dem Hintergrund des oben dargestellten Erfordernisses einer engen Auslegung des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 bzw. der Notwendigkeit einer tatsächlichen oder rechtlichen Sicherung der (künftigen) Anlagenanpassung, erfüllen die vom Kläger angeführten Beschlüsse des Verbandsrats aus dem Jahre 1994 einschließlich der Begleitumstände nicht die Voraussetzungen der privilegierten Verrechnungsmöglichkeit. Denn die genannten internen Beschlüsse waren jederzeit aufhebbar bzw. abänderbar, was vom Verbandsrat des Beklagten auch ausdrücklich in Betracht gezogen worden war. Die Beschlüsse waren damit keinesfalls einer gesicherten Durchsetzung von außen zugänglich. Mit der gebotenen engen Auslegung des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 wäre es nicht vereinbar, den Nachweis für die künftige Anpassung allein in das (Beschluss-)Verhalten des Betreibers zu stellen, ohne dass eine Durchsetzungsmöglichkeit von außen eröffnet ist. Anderenfalls entstünde die Gefahr, dass vorsorglich - zur Erreichung der Verrechnung - entsprechende Beschlüsse gefasst werden könnten. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 würden damit ins Konturlose und Beliebige ausgeweitet.

Die fehlende tatsächliche oder rechtliche Sicherung einer Anlagenanpassung durch derartige Beschlüsse wird zudem an den Umständen des vorliegenden Falles deutlich: Die Beschlüsse waren in ein Gesamtkonzept mit Maßnahmen betreffend andere Abwasserbehandlungsanlagen gestellt worden; sie standen damit in einer gewissen Abhängigkeit zu der Realisierung bzw. zeitlichen Streckung anderer Investitionsvorhaben des Klägers, was sich besonders an der gleichzeitig beschlossenen Verschiebung des Ausbaus des Klärwerkes T. zeigte. Hinzu kommt, dass die genannten Beschlüsse in Bezug auf technische Erfordernisse nicht ausreichten, um eine hinreichende Sicherheit für die Anpassung des GKW B. zu gewährleisten. Die dem Kläger Anfang Januar 1996 durch die Bezirksregierung D. erteilte "Genehmigung zum Bau und Betrieb der Erweiterung der Kläranlage B." enthielt zahlreiche Auflagen, insbesondere zur Notwendigkeit von Maßnahmen zur Geruchsminderung. Daran anknüpfend musste der Kläger in der Folgezeit einen weiteren Beschluss des Verbandsrates über die erforderlichen Maßnahmen mit einem zusätzlichen erheblichen Investitionsvolumen (laut Bau- und Maßnahmeplan in Höhe von 10 Millionen DM) herbeiführen. Dies zeigt, dass ein Beschluss, welcher die Absicht zur Anpassung einer Anlage bekundet, mit Blick auf seine Umsetzung noch erheblichen tatsächlichen Unwägbarkeiten ausgesetzt sein kann, mithin keine hinreichende Anpassungssicherheit im Sinne des § 10 Abs. 4 AbwAG 1994 gewährleistet.

Ende der Entscheidung

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