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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.02.2009
Aktenzeichen: 9 A 3953/06
Rechtsgebiete: LWG NRW, KAG NRW


Vorschriften:

LWG NRW § 92 Abs. 1 Satz 6
KAG NRW § 6 Abs. 3 Satz 2
Die Maßstabsbildung für Gebühren betreffend den Unterhaltungsaufwand der Gewässer zweiter Ordnung darf auch unter Anlegung eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nicht an die Frage anknüpfen, ob das Grundstück in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil liegt.
Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer eines im Verbandsgebiet des Wasser- und Bodenverbandes P. gelegenen Grundstücks. Für das Kalenderjahr 2002 wurde die Stadt E. zu einem Unterhaltungsaufwand für dieses Verbandsgebiet in Höhe von 52.663,06 € herangezogen, den der Beklagte im Jahr 2003 auf die Eigentümer der betroffenen Grundstücke umlegte. Mit Abgabenbescheid vom 14.4.2003 setzte der Beklagte die vom Kläger zu zahlende Gewässergebühr auf 19,92 € fest. Das VG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Gründe:

Es mangelt an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers zu Gebühren für den Unterhaltungsaufwand der Gewässer zweiter Ordnung für das hier maßgebliche Jahr 2002. Die einschlägige Satzung der Stadt E. über die Erhebung von Gebühren für den Unterhaltungsaufwand für Gewässer zweiter Ordnung vom 2.12.1980 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 19.12.1997 (Gewässergebührensatzung; im Folgenden: GGS) i.V.m. der Satzung über die Festsetzung der Höhe der für das Haushaltsjahr 2002 zu erhebenden Gebühren für den Unterhaltungsaufwand der Gewässer zweiter Ordnung vom 20.12.2002 ist insoweit nichtig. Denn sie enthält für die Gebührenerhebung keine den Anforderungen des § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW gerecht werdende Maßstabsregelung.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 GGS ist Gebührenmaßstab die Größe der Grundstücksfläche. Nach § 4 Abs. 2 GGS werden Grundstücke, die innerhalb der im Zusammenhang bebauten Orteile liegen, mit ihrer um 100% erhöhten Fläche und Waldflächen mit einer Größe von mehr als 0,3 ha mit 50% ihrer Fläche in Ansatz gebracht. Dieser Maßstab wird den Anforderungen des § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW nicht gerecht. Hiernach sollen versiegelte Flächen höher bewertet werden als die übrigen Flächen; bei der Veranlagung der übrigen Flächen insbesondere bei Waldgrundstücken, sollen maßgebliche Unterschiede des Wasserabflusses berücksichtigt werden.

Während § 4 Abs. 2 GGS hiernach bei der Höherbewertung entsprechend der alten Fassung des § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW an den Umstand anknüpft, ob ein Grundstück in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil liegt, fordert § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW in der hier maßgeblichen Fassung für den Regelfall die Anknüpfung an die Eigenschaft einer Fläche als versiegelt. Da es keinen allgemein gültigen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, dass die im Zusammenhang bebauter Ortsteile liegenden Grundstücke vollständig versiegelt oder dass außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile liegende Grundstücke gänzlich unversiegelt sind, noch der Beklagte für die Stadt E. ein solches vorgetragen hat, verfehlt die satzungsmäßige Maßstabsregelung die gesetzliche Vorgabe von vornherein.

Auch mit der im Gesetzgebungsverfahren zu Tage getretenen Intention des Gesetzgebers ist die streitige Maßstabsregelung nicht vereinbar. Die Vorläuferregelung des § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW hatte folgenden Wortlaut:

"Im Zusammenhang bebaute Ortsteile sollen höher bewertet werden als die übrige Fläche; das nähere regelt das Ortsrecht."

Der Entstehung der im Jahr 2002 maßgeblichen Fassung des § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW liegt ein Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung und Ergänzung wasser- und wasserverbandsrechtlicher Vorschriften vom 7.9.1994 (LT-Drs. 11/7653) zugrunde. Zu dessen Zielsetzung wurde u. a. ausgeführt (S. 182):

"Der natürliche Weg des Regenwassers in das Grundwasser und die Oberflächengewässer ist durch die zunehmende Flächenversiegelung und die Ableitung in Abwasseranlagen vielfach gestört. Die ortsnahe Versickerungs- und Einleitungsmöglichkeit von unbelastetem Niederschlagswasser soll wasserwirtschaftlich stärker berücksichtigt werden."

Einen Änderungsvorschlag zu § 92 LWG NRW enthielt dieser Entwurf noch nicht. Die endgültige gesetzgeberische Fassung des § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW geht vielmehr auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz vom 10.2.1995 (LT-Drs. 11/8440, S. 232 f.) zurück. Zur Begründung wird dort ausgeführt:

"Für unbebaute bzw. nicht versiegelte Flächen werden Differenzierungen häufig nicht vorgenommen, da die Vorschrift des § 92 LWG dazu nicht verpflichtet. Sie lässt diese Möglichkeit allerdings zu. Das führt bisher häufig zu Beiträgen, die als ungerecht empfunden werden. Dies trifft beispielsweise auf wasserwirtschaftlich bedeutsame Waldgrundstücke zu, die in der gleichen Größenordnung veranlagt werden wie die übrigen Flächen, obwohl Wälder vor allem durch Versickerung und Verdunstung einen dämpfenden Einfluss auf den Wasserabfluss haben und deshalb auch geringere Kosten bei der Gewässerunterhaltung verursachen."

Dem Ausschussprotokoll vom 19.1.1995 (11/1476, S. 21) lässt sich entnehmen:

"Bisher habe ein Unterschied zwischen im Zusammenhang bebauten Ortsteilen und dem Rest bestanden, wobei es bei im Zusammenhang bebauten Ortsteilen versiegelte und unversiegelte Flächen gebe. Die SPD-Fraktion wolle deutlich machen, dass man genauer differenzieren sollte. Versiegelte Flächen sollten stärker belastet werden als unversiegelte."

Dies macht deutlich, dass der Gesetzgeber mit seiner Anknüpfung an die versiegelten Flächen gerade eine Abkehr von der bis dahin anzuwendenden Maßstabsbildung beabsichtigt und es sich nicht, wie der Beklagte meint, um eine bloße redaktionelle Änderung gehandelt hat.

Soweit der Beklagte meint, die Ermittlung der versiegelten Flächen sei zu verwaltungsaufwändig, eröffnet dieses finanzielle Argument allein - andere ortsbezogene Besonderheiten sind weder ersichtlich noch vorgetragen (vgl. Beschlussvorlage des Stadtdirektors E. vom 17.11.1997) - nicht das über die Soll-Vorschrift des § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW ausnahmsweise mögliche Ermessen. Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Denn es steht dem Beklagten frei, z. B. ohne großen finanziellen Aufwand im Rahmen einer Selbstveranlagung der Grundstückseigentümer im seitlichen Einzugsgebiet die versiegelten Flächen zu ermitteln und sich auf eine stichprobenweise Überprüfung zu beschränken. Wenn der Beklagte dabei feststellen sollte, dass Gebührenschuldner pflichtwidrig nicht der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht haben, kann er auch später noch weitere Kontrollen vornehmen und entsprechende Nachveranlagungen, soweit erforderlich, veranlassen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.12.2007 - 9 A 3648/04 -, DÖV 2008, 294.

Die Vorgehensweise der Stadt kann auch (von vornherein) nicht von § 92 Abs. 1 Satz 9 LWG NRW gedeckt sein. Zwar können nach dieser Vorschrift bebaute Grundstücke pauschal höher belastet werden als unbebaute Grundstücke, wenn nach den örtlichen Verhältnissen der Verwaltungsaufwand in einem Missverhältnis zum umlagefähigen Aufwand steht. Für das Umlagejahr 2002 kommt dieser erst ab dem 12.5.2005 gültigen Norm jedoch kein Aussagegehalt zu.

Die Maßstabsregelung rechtfertigt sich auch nicht über § 92 Abs. 1 Satz 1 LWG NRW i. V. m. § 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW. Hiernach kann, wenn die Bemessung der Gebühr nach der Inanspruchnahme der Einrichtung oder Anlage besonders schwierig oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist, ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab gewählt werden, der nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Inanspruchnahme stehen darf. Die Vorgaben des § 92 Abs. 1 Satz 6 LWG NRW sind jedoch auch unter Anlegung dieses Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu beachten. Der Beklagte wird über § 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW nicht davon entbunden, die Bewertung von der Ermittlung der versiegelten Flächen abhängig zu machen.

Ende der Entscheidung

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