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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 01.02.2008
Aktenzeichen: 9 A 4158/04
Rechtsgebiete: KAG NRW, AO


Vorschriften:

KAG NRW § 12 Abs 1 Nr 4 Buchst b
AO § 171 Abs 3a
1. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG NRW in der bis zum Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. April 2005, GV NRW S. 488, gültigen Fassung verweist auf die Sachregelung der Abgabenordnung über die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist.

2. § 171 Abs. 3a AO in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999, BGBl. I S. 2601, ist demgemäß auch auf Benutzungsgebühren entsprechend anwendbar, hinsichtlich derer bei Inkrafttreten dieser Vorschrift die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war.


Tatbestand:

Die Kläger wandten sich gegen die Heranziehung zu Abwassergebühren für das Jahr 1997. Die Bescheidung ihres Widerspruchs stellte die Beklagte bis zur rechtskräftigen Entscheidung ihrer Klage gegen den Gebührenbescheid 1996 zurück. Nachdem die Beklagte vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Senatsentscheidung ihre Satzung rückwirkend geändert hatte, erhöhte sie durch Widerspruchsbescheid aus dem Jahr 2002 die Niederschlagsentwässerungsgebühren für 1997. Die hiergegen gerichtete Klage blieb im Berufungsverfahren erfolglos.

Gründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist auch insoweit unbegründet, als die Schmutzwassergebühr für das klägerische Grundstück für das Jahr 1997 durch den Widerspruchsbescheid vom 23.7.2002 auf 268,80 € erhöht worden ist. Der diesbezügliche Gebührenbescheid der Beklagten ist rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Beklagte durfte die streitgegenständliche Erhöhung der Schmutzwassergebühr auch zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 23.7.2002 noch vornehmen. Die zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren allein umstrittene Frage, ob der in Rede stehenden Gebührenerhebung der Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist entgegengestanden hat, ist im verneinenden Sinne zu beantworten. Die nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG i.V.m. §§ 169, 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1997 begonnene Festsetzungsfrist war zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides am 23.7.2002 noch nicht verstrichen. Der Fristablauf ist durch den Widerspruch der Kläger gegen den Bescheid vom 21.1.1997 nach § 171 Abs. 3a AO (i.d.F. des Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften vom 22.12.1999, BGBl. I S. 2601) gehemmt worden. Nach dieser Vorschrift läuft die Festsetzungsfrist, wenn ein Steuerbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten wird, nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich des gesamten Steueranspruchs gehemmt; dies gilt nicht, soweit der Rechtsbehelf unzulässig ist. Da die Kläger den Gebührenbescheid der Beklagten vom 21.1.1997 im Wege des Widerspruchs angefochten hatten und der Rechtsbehelf nicht unzulässig war, lief die Festsetzungsfrist - ausgehend von § 171 Abs. 3a AO - nicht ab, bevor über den Widerspruch unanfechtbar entschieden war. Letzteres war zum Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides am 23.7.2002 nicht der Fall.

§ 171 Abs. 3a AO ist bei Benutzungsgebühren der in Rede stehenden Art entsprechend anwendbar. Dass § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG NRW in der bis zum Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung des KAG NRW vom 28.4.2005, GV NRW S. 488, geltenden Fassung lediglich auf Abs. 3 des § 171 AO verwies, steht dem nicht entgegen.

Schon nach seinem Wortlaut enthält § 12 Abs. 1 KAG NRW eine dynamische Verweisung. Nach dieser Vorschrift sind auf Kommunalabgaben die nachfolgend aufgeführten Bestimmungen der Abgabenordnung "in der jeweiligen Fassung" entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Kommunalabgabengesetz NRW oder andere Bundes- oder Landesgesetze besondere Vorschriften enthalten. Der Landesgesetzgeber verweist in § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG NRW u.a. auf die Sachregelung der Abgabenordnung über die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist. Dieses Verständnis entspricht dem Zweck der dynamischen Verweisung. Hiermit wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Bestimmungen in der Abgabenordnung über die Hemmung der Festsetzungsfrist auch auf kommunalabgabenrechtliche Verfahren angewendet werden. Mögliche Änderungen der sachlichen Regelungen im Bundesgesetz sollten ohne besonderen, weiteren Gesetzesbefehl des Landesgesetzgebers auch für die landesrechtlich geregelten kommunalabgabenrechtlichen Verfahren gelten. Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, ob die vom Landesgesetzgeber in Bezug genommene Regelung durch den Bundesgesetzgeber in einen anderen Absatz derselben Rechtsvorschrift übernommen worden ist.

Vgl. OVG LSA, Beschluss vom 12.7.2002 - 1 M 273/01 -, NVwZ-RR 2003, 233 betreffend das KAG LSA.

Allein bei diesem Verständnis behält § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG NRW in der bis Mai 2005 geltenden Fassung Sinn, wonach Abs. 3 des § 171 AO mit der Maßgabe Anwendung findet, dass "§ 100 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, 101 der FGO" durch die Worte "§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 der VwGO" zu ersetzen sind. Diese Wendung hat nach Änderung der Abgabenordnung nur Bedeutung, wenn sie sich auf § 171 Abs. 3a AO bezieht.

Vgl. Kutsch/Meier, KStZ 2003, 83.

Sinn und Zweck der Verweisungsbestimmung bestätigen die vorstehende Bewertung. Durch die Regelung der Ablaufhemmung soll verhindert werden, dass der öffentlichen Hand aus der ggfs. langen Dauer der Veranlagungs- und Einspruchsverfahren Einbußen entstehen und der Abgabenpflichtige ungerechtfertigte Vorteile zieht.

Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999), BT-Drs. 14/1514, S. 46 f.

Dieser Zielsetzung wird die vorstehend erfolgte Auslegung nachhaltig gerecht. Dass der Landesgesetzgeber in § 12 Abs. 1 KAG NRW im Übrigen die jeweils entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Abgabenordnung konkret benannt und dabei auch nach Absätzen und Sätzen unterschieden hat, steht der vorstehenden Beurteilung nicht entgegen. Denn § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG NRW beinhaltet, wie dargelegt, im hier interessierenden Zusammenhang eine Verweisung auf die sachliche Regelung der Abgabenordnung über die Ablaufhemmung.

Weder verfassungsrechtliche Gesichtspunkte noch die spätere Gesetzgebungstätigkeit des nordrhein-westfälischen Landesgesetzgebers stehen der vorgenommenen Auslegung entgegen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Beschluss vom 25.2.1988 - 2 BvL 26/84 -, BVerfGE 78, 32 m.w.N., sind dynamische Verweisungen nur in dem Rahmen zulässig, den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit ziehen; grundrechtliche Gesetzesvorbehalte können diesen Rahmen zusätzlich einengen. Vor diesem Hintergrund müssen Verweisungen der in Rede stehenden Art klar genug erkennen lassen, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen. Indem § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG NRW, wie dargelegt, eine Verweisung auf die Sachregelung der Ablaufhemmung in der Abgabenordnung enthält, wird diesen Anforderungen indes hinreichend entsprochen. Dass der nordrhein-westfälische Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Änderung des KAG NRW vom 28.4.2005, GV NRW S. 488, die Verweisung auf § 171 Abs. 1 bis 3a AO ausdrücklich in § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG NRW aufgenommen hat, führt schließlich auch nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Darlegungen handelt es sich hierbei lediglich um einen klarstellenden Hinweis, und das vorherige Fehlen der ausdrücklichen Aufnahme des Abs. 3a des § 171 AO stellt sich wegen der Verweisung auf Sachregelungen in der Abgabenordnung als unschädlich dar.

Dass § 171 Abs. 3a AO erst im Laufe des Widerspruchsverfahrens in Kraft getreten ist, wirkt sich nicht aus. Die Vorschrift erfasst ohne Weiteres diejenigen Tatbestände, hinsichtlich derer bei ihrem Inkrafttreten die Festsetzungsfrist - wie hier - noch nicht abgelaufen war.

Ende der Entscheidung

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