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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 19.07.2002
Aktenzeichen: 9 A 4596/01.A
Rechtsgebiete: GG, AuslG


Vorschriften:

GG Art. 16 a Abs. 1
AuslG § 51
AuslG § 53
1. Ein unverfolgt aus dem (Zentral-)Irak ausgereister Asylsuchender hat bei einer Rückkehr in den Machtbereich des zentralirakischen Regimes im Regelfall nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung allein wegen illegaler Ausreise und/oder Asylantragstellung im Ausland verbunden mit einem längeren Aufenthalt dort zu befürchten.

2. In dem kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak verfügen auch Zentraliraker - gleich welcher Volkszugehörigkeit oder Religion - über eine inländische Fluchtalternative. Sofern dort eine Sicherstellung des notwendigen menschenwürdigen wirtschaftlichen Existenzminimums aus eigenen Kräften oder mit Hilfe von Beziehungen nicht möglich ist, erfolgt sie durch die UN-Unterorganisationen oder andere Hilfsorganisationen.


Tatbestand:

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit aus Bagdad, suchte in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nach. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen; ferner forderte es den Kläger zur Ausreise auf. Die hiergegen gerichtete Klage wies das VG ab. Die zugelassene Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hat im Falle seiner Rückkehr in den Zentralirak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit abschiebungsschutzrelevante Maßnahmen zu befürchten.

Davon kann hinsichtlich der vorliegend allein in Betracht zu ziehenden Möglichkeit zentralirakischer Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem Kläger wegen illegaler Ausreise, der Asylantragstellung im westlichen Ausland und einem längeren Aufenthalt dort - jeweils für sich allein oder in Verbindung miteinander - nicht ausgegangen werden.

Referenzfälle für hieran anknüpfende politische Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern in den Zentralirak liegen nicht vor. Soweit von einzelnen auskunftgebenden Stellen und Gerichten angenommen worden ist, der irakische Staat sehe ein solches Verhalten generell als Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und als loyalitätsverletzende, verräterische Kritik am herrschenden System an, dementsprechend sei davon auszugehen, dass die Asylantragstellung unter die Straftatbestände "Verbreiten von Falschnachrichten über den Irak im Ausland" und "Kritik und Beleidigung von irakischen Staatsorganen" subsumiert werde mit der Folge, dass deswegen sowie aufgrund des Straftatbestandes der illegalen Ausreise eine schwere Bestrafung sowie gegebenenfalls sonstige menschenrechtswidrige Übergriffe zu erwarten seien, ist diese Einschätzung zur Überzeugung des Senats jedenfalls heute nicht mehr gerechtfertigt. Objektive Anhaltspunkte, die für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit asyl- bzw. abschiebungsschutzerheblicher Verfolgungsmaßnahmen wegen unerlaubter Ausreise und/oder Asylantragstellung verbunden mit einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland sprechen könnten, sind nicht feststellbar.

Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Asylantragstellung für sich genommen im Irak nicht strafbewehrt ist. Auch die illegale Ausreise mitsamt einem anschließenden unerlaubten Auslandsaufenthalt unterliegt derzeit zumindest formalrechtlich nicht zwingend einer Strafverfolgung, da für ein solches Verhalten mit dem Dekret Nr. 110 des Revolutionären Kommandorates vom 28.6.1999 grundsätzlich eine mittlerweile für unbefristet erklärte Amnestie für alle Iraker verkündet worden ist, die das Land illegal verlassen und sich nicht anderweitig strafbar gemacht haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass das irakische Regime nach den vorliegenden Erkenntnissen durch Willkür und Unberechenbarkeit gekennzeichnet und deshalb Zurückhaltung gegenüber seinen angeblichen Zusagen geboten ist, weshalb insbesondere die praktische Handhabung der Strafgesetze bzw. der Amnestieregelung in den Blick zu nehmen ist. Gleichwohl ist nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass das zentralirakische Regime einen aus dem westlichen Ausland zurückkehrenden Asylbewerber, der den Irak unerlaubt verlassen und im Ausland um Asyl nachgesucht hat, allein deshalb mit asyl- bzw. abschiebungsschutzrelevanten Maßnahmen überziehen wird. Verifizierbare Anhaltspunkte für eine derartige Annahme bestehen nicht.

In der jüngeren Vergangenheit - von Juli 1999 bis März 2000 - sind rund 6.600 Flüchtlinge aus dem Iran in den Machtbereich Bagdads zurückgekehrt. Zudem finden täglich Abschiebungen irakischer Staatsbürger aus Jordanien (auch solcher, die einen Asylantrag gestellt haben) in den Irak statt. Weder dem Auswärtigen Amt (AA) selbst noch - wie es versichert hat - dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) oder dem Internationalen Roten Kreuz (IKRK) sind indes Fälle bekannt geworden, in denen es dabei über kurze Befragungen bzw. Verhöre hinausgehend zu asyl- bzw. abschiebungsschutzerheblichen Übergriffen wegen illegaler Ausreise und/oder Asylantragstellung gekommen wäre. Aus diesem Verhalten der irakischen Behörden gegenüber Rückkehrern aus den arabischen Nachbarländern wird deutlich, dass der irakische Staat das unerlaubte Verlassen des Landes wie auch die Asylantragstellung im Ausland verbunden mit einem längeren Aufenthalt dort nicht (mehr) schlechthin als feindlichen und illoyalen Akt des Verrats wertet und die Einschätzung, zurückkehrende Asylbewerber müssten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Repressalien rechnen, nicht (mehr) gerechtfertigt.

Etwas Anderes ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass es sich bei der Mehrzahl der westeuropäischen Staaten um solche handelt, die vom Zentralirak als "Feindstaaten" eingestuft werden. Auch dem irakischen Regime ist es nicht verborgen geblieben, dass die vornehmlich als Folge der beiden Golfkriege und des Internationalen Embargos stark verschlechterte wirtschaftliche Lage viele Iraker veranlasst hat, bessere Lebensbedingungen im Ausland zu suchen, weshalb das illegale Verlassen des Heimatlandes als solches nicht mehr zwangsläufig als "Verrat" angesehen wird. Das gilt zumal vor dem Hintergrund, dass die Flucht irakischer Staatsangehöriger in das westliche Ausland angesichts der Anzahl entsprechender Asylerstanträge mittlerweile ein Massenphänomen darstellt. Im Übrigen sind in jüngerer Zeit keine Belegfälle über die Anwendung des Straftatbestandes "illegale Ausreise" bekannt geworden. Hinzu kommt, dass für die Fälle der freiwilligen Rückkehr von Asylbewerbern aus dem westlichen Ausland in den Zentralirak, z.T. nach erfolgter Anerkennung als Flüchtling, keine Übergriffe berichtet werden, sondern vielmehr von einer insgesamt eher unproblematischen Wiedereinreise die Rede ist.

Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Bedeutung der Asylantragstellung im westlichen Ausland. Auch insoweit wird das irakische Regime wegen der überwiegenden Ausreisemotivation im Regelfall davon ausgehen, dass ein Asylantrag nicht immer (schon gar nicht zwangsläufig) Ausdruck einer oppositionellen Haltung ist, sondern vielmehr regelmäßig allein oder absolut vorrangig der Erlangung eines Aufenthaltsrechts im Ausland mit dem Ziel der Verbesserung des Lebensstandards dient. Zugleich wird staatlichen irakischen Stellen bekannt sein, dass der längere Aufenthalt im wirtschaftlich attraktiven westlichen Ausland im Regelfall die Durchführung eines Asylverfahrens mit entsprechender, eine politische Verfolgung im Irak behauptender Begründung erfordert. Dem AA liegen keine Hinweise oder Beispielsfälle dafür vor, dass das alleinige Stellen eines Asylantrags im Ausland von irakischen Behörden in die Nähe der oben genannten Straftatbestände gerückt worden wäre. Solche werden im Übrigen auch von anderen auskunftgebenden Stellen nicht benannt.

Hiervon ausgehend ist der Senat der Überzeugung, dass der irakische Staat die Ausreise ins "feindliche" westliche Ausland sowie die vermutete regimekritische Begründung des Asylantrages nicht (mehr) generell als illoyalen, bei Rückkehr grundsätzlich durch strafrechtliche oder sonstige Ahndung zu verfolgenden Akt des Verrats wertet und eine andere Beurteilung allenfalls für solche Personen in Betracht kommt, die entweder aufgrund ihrer gesellschaftlichen und/oder beruflichen Stellung - etwa als ehemalige hochrangige Militärs bzw. Beamte, Beschäftigte im militärisch-industriellen Bereich oder wirtschaftliche Leistungsträger - gesteiger-ten Loyalitätspflichten unterliegen oder die bereits in ihrer Heimat in erheblicher Weise unter dem Verdacht der Regimegegnerschaft in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sind.

Aber auch ein mehrjähriger Aufenthalt im westlichen Ausland bietet dem irakischen Regime nicht beachtlich wahrscheinlich einen Anlass für asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevante Maßnahmen. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der irakische Staat, der keine Auswanderungstradition hat, einen langjährigen Auslandsaufenthalt argwöhnisch betrachtet und deshalb die Behörden einen gewissen "Erläuterungsbedarf" sehen. Aus einem etwaigen Erläuterungsbedarf folgt jedoch noch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit damit in Zusammenhang stehender asyl- bzw. abschiebungsschutzrelevanter Übergriffe. Eine derartige Gefahr lässt sich auch nicht aus der Einschätzung des DOI herleiten, wonach es im Falle einer von staatlichen Stellen geforderten "Erläuterung" eines mehrjährigen Auslandsaufenthaltes "möglich" sein könne, dass hierbei "Druck" ausgeübt werde und in diesem Zusammenhang Übergriffe stattfänden - vgl. DOI, Auskunft vom 24. Juli 2000 an das VG Arnsberg - bzw. die Gefahr politischer Verfolgung "nicht auszuschließen" sei.

Stellungnahme des Herrn Brocks (DOI), wie sie aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des OVG Sachsen-Anhalt am 6. Dezember 2001 in den Verfahren A 1 S 29/99 und 1 L 2/01 hervorgeht.

Abgesehen davon, dass das DOI in seinen neueren Auskünften (etwa an das VG Regensburg vom 23. Januar 2002) eine solche Feststellung nicht mehr getroffen hat, rechtfertigt auch die angesprochene frühere Prognose jedenfalls nicht die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit asyl- bzw. abschiebungsschutzerheblicher Übergriffe im Falle der Rückkehr nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt. Eine bloß nicht auszuschließende Möglichkeit, während eines - ohnehin nicht in jedem Fall zu erwartenden - Verhörs relevanten Übergriffen ausgesetzt zu werden, reicht für die Annahme einer mit beachtlicher, d.h. überwiegender, Wahrscheinlichkeit drohenden politischen Verfolgung nicht aus.

Unabhängig davon hat der Kläger auch deshalb keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, weil er jedenfalls auf die autonomen Kurdengebiete in den Provinzen Dohuk, Arbil und Sulaymaniya als inländische Fluchtalternative verwiesen werden kann. Diese genügen den Anforderungen, die an eine die Asylanerkennung bzw. den Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG ausschließende inländische Fluchtalternative zu stellen sind, und zwar auch hinsichtlich aus dem Zentralirak stammender Personen gleich welcher Ethnie oder Religionszugehörigkeit, die - wie der Kläger - nicht über Beziehungen im Autonomiegebiet verfügen.

Eine inländische Fluchtalternative ist gegeben, wenn der Asylsuchende auf Gebiete seines Heimatstaates verwiesen werden kann, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und wo ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde.

Nach der Überzeugung des Senats ist der Kläger im autonomen Kurdengebiet im Norden des Iraks vor staatlicher Verfolgung hinreichend sicher. Soweit eine politische Verfolgung durch zentralirakische Behörden in Frage steht, fehlt es diesen an der hierfür erforderlichen Gebietsgewalt; objektive Anhaltspunkte, die eine Änderung dieser Situation in absehbarer Zeit als reale Möglichkeit erscheinen lassen, sind nicht gegeben. Es bestehen auch keine Zweifel, dass der Kläger vor einem Anschlag irakischer Geheimdienstagenten hinreichend sicher ist. Eine politische Verfolgung des Klägers durch die KDP oder die PUK ist ebenfalls nicht zu befürchten. (Wird jeweils ausgeführt)

Dem Kläger drohen im nordirakischen Autonomiegebiet auch keine sonstigen Nachteile oder Gefahren, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkämen und die am Herkunftsort in den von der irakischen Zentralmacht beherrschten Gebieten so nicht bestünden.

Das gilt zunächst in Bezug auf das notwendige Existenzminimum. Hierzu gehört das zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendige wirtschaftliche Existenzminimum, das gewährleistet ist, wenn der Asylsuchende am Ort der Fluchtalternative bei generalisierender Betrachtungsweise (die eine Berücksichtigung von Einzelfallaspekten nicht ausschließt) nicht auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tod führt. Diese Voraussetzung ist sicher erfüllt, wenn er am Ort der Fluchtalternative das für das wirtschaftliche Existenzminimum Notwendige aus eigener Kraft - etwa aufgrund zumutbarer Beschäftigung - beschaffen kann. Ausreichend ist aber auch, wenn die wirtschaftliche Existenz auf sonstige Weise - etwa durch Hilfe Dritter - sichergestellt ist.

Soweit ein solcher Verweis auf Hilfe durch Dritte z.T. grundsätzlich abgelehnt wird, sofern sie nicht auf familiären, gesellschaftlichen oder politischen Beziehungen beruht, sondern durch außerhalb dieser Gruppen Stehende (wie internationale Hilfsorganisationen) erbracht wird, liegt dem offensichtlich ein Verständnis des Flüchtlingsbegriffs zugrunde, das nicht dem deutschen Asylrecht bzw. § 51 Abs. 1 AuslG und der obergerichtlichen Rechtsprechung zur "inländischen Fluchtalternative" entspricht. Den einschlägigen Normen lässt sich kein Grundsatz der Art entnehmen, Voraussetzung für die Annahme der Sicherstellung des Existenzminimums sei die Möglichkeit, dass sich der Flüchtling durch eigene Kontakte oder Aufnahme einer Beschäftigung "selbst" müsse helfen können.

Selbst wenn in Anwendung der oben dargestellten Grundsätze eine existentielle Notlage am Zufluchtsort möglich erscheinen würde, führte dies nicht zwangsläufig zum Ausschluss der Fluchtalternative. Wirtschaftliche Not an einem verfolgungssicheren Ort des Heimatstaats macht einen solchen nämlich nur dann als innerstaatliche Fluchtalternative ungeeignet, wenn die Not am Herkunftsort - ohne die dortige Verfolgung - so nicht bestünde, sie also ihre Ursache in der Verfolgung hat. Das Asyl- bzw. Flüchtlingsrecht will nicht allgemein Jedem, der in seiner Heimat materielle Not leiden muss, die Möglichkeit eröffnen, in der Bundesrepublik seine Lebenssituation zu verbessern, und vor der Rückführung in ein verfolgungsfreies Gebiet schützen, wenn die dort herrschende (verfolgungsunabhängige) Notlage keine gravierendere ist als die am Herkunftsort. Dabei hängt der Zeitpunkt für den Vergleich der einander gegenüber zu stellenden wirtschaftlichen Situationen davon ab, für welchen Zeitpunkt die Frage des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative zu klären ist. Geht es um einen unverfolgt Ausgereisten, muss die wirtschaftliche Lage im verfolgungsfreien Gebiet mit derjenigen verglichen werden, die im Zeitpunkt der Rückkehr in den Heimatstaat am Herkunftsort besteht.

Ein dem wirtschaftlichen Existenzminimum genügendes menschenwürdiges Leben ist für aus dem Zentralirak stammende Flüchtlinge - gleich welcher Volks- oder Religionszugehörigkeit - in den kurdischen Autonomiegebieten im Nordirak grundsätzlich gewährleistet, auch wenn sie dort über keine familiären, gesellschaftlichen oder politischen Verbindungen verfügen. Unabhängig davon ist bei generalisierender Betrachtungsweise davon auszugehen, dass dort etwa bestehende missliche Lebensumstände sich jedenfalls als nicht gravierender als im Herkunftsgebiet - dem Zentralirak - darstellen und auch allein deshalb der Annahme einer inländischen Fluchtalternative nicht entgegenstehen.

Im Rahmen der Beurteilung der existentiellen Lage von Flüchtlingen im Nordirak ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die generelle sozial-ökonomische Lage im Nordirak seit 1999 kontinuierlich "sehr deutlich" verbessert hat, die allgemeinen Lebensumstände dort inzwischen "weit besser" als im Zentralirak sind und von einem "beträchtlichen wirtschaftlichen Aufschwung" gesprochen werden kann. Das "Wohlstands"-Niveau im Nordirak ist sichtbar höher als im Zentralirak (wird ausgeführt).

Der zunehmende Wohlstand kommt zwar der Bevölkerung im Nordirak nicht in durchgängig gleichem Maß zugute. Personen, die im Nordirak nicht über Verbindungen - sei es in Form verwandtschaftlicher Beziehungen, sei es in Kontakten zu einer der Kurdenparteien - oder eine Arbeitsstelle verfügen, werden von den lokalen Machthabern keine Aufenthaltserlaubnis mit dem Recht zur freien Wohnsitznahme erhalten. Auch diese Personen haben indes einen Vorteil von den verbesserten sozialökonomischen Umständen im Nordirak, mag auch ihr Lebensstandard unter dem durchschnittlichen Lebensstandard im Nordirak liegen.

So UNHCR, Stellungnahme zur Relevanz der Anwesenheit von Binnenvertriebenen für die Frage des internen Relokationsprinzips vom März 2002.

Für diese Gruppe der - je nach Begriffsdefinition - auf eine Zahl von 250.000 bis ca. 800.000 geschätzten Binnenvertriebenen bzw. Flüchtlinge (im Folgenden einheitlich als Heimatlose bezeichnet) - vgl. AA, Lagebericht vom 20.3.2002, S. 18 ; Niederländisches Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, ambtsbericht noord-irak, 11. April 2001 - auszugsweise Übersetzung durch das Bundesamt - Nr. 4.3; UNHCR, Stellungnahme vom 23. November 2001 an das OVG Sachsen-Anhalt - ist im Nordirak eine Vielzahl von Hilfsorganisationen tätig. Insbesondere Unterorganisationen der Vereinten Nationen (UN) - etwa das World-Food-Program (WFP) und das IKRK -, aber auch lokale (Hilfs)-Organisationen unter kurdischer Verwaltung sowie ngo's betreuen die Heimatlosen, die ihr Existenzminimum nicht durch familiäre oder gesellschaftliche Kontakte sicherstellen können, in Form der Unterbringung in Lagern sowie der Bereitstellung von Lebensmittelpaketen, Decken, Heizkörpern u.ä. Im Übrigen gibt es noch eine Vielzahl karitativer Einrichtungen im Nordirak. Für nahezu jede Bedürfnislage existiert eine spezielle Institution.

Angesichts dessen trifft die früher z.T. vertretene Einschränkung, dass allein diejenigen eine wirtschaftliche Überlebensmöglichkeit hätten, die längere Zeit in den kurdischen Autonomiegebieten gelebt hätten oder aber dort über Verbindungen verfügten, zur Überzeugung des Senats jedenfalls für die aktuelle Lage nicht (mehr) zu.

Durch die geschilderte Betreuung ist im Nordirak zunächst eine ausreichende Unterbringung sichergestellt. Die Heimatlosen, die sich nicht aus eigener Kraft eine Unterkunft beschaffen können, sind in Lagern untergebracht, in denen sie Aufnahme finden ungeachtet dessen, ob sie aus dem Zentral- oder dem Nordirak stammen, welche Volks- oder Religionszugehörigkeit sie besitzen sowie ob sie aus dem arabischen Ausland oder aber aus Westeuropa zurückkehren. Auch nichtkurdische Personen werden jedenfalls in den Lagern der UN-Organisationen aufgenommen. So gibt es für Araber wie den Kläger Aufnahmemöglichkeiten etwa in Zawita oder Balqus.

Die Lagerunterbringung und die dort erfolgende Versorgung genügen den Anforderungen, die an ein menschenwürdiges wirtschaftliches Existenzminimum zu stellen sind.

Eine Unterbringung in Zelten erfolgt allenfalls noch in einem geringen Umfang. Die Heimatlosen sind überwiegend in festen "Lagern" (alten Schulen, Fabriken, Hotels, verlassenen Kasernen, Forts, Baracken oder Notwohnungen - z.T. aus Gips und Blech -) untergebracht und dort weitgehend vor den Einflüssen der Witterung geschützt. Zudem haben internationale Organisationen in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen im Nordirak neue Unterkünfte gebaut, um Heimatlosen ein besseres Obdach zu bieten. Für aus dem Zentralirak geflüchtete kurdische Familien, die sich dort nicht wieder ansiedeln können, werden sogar ständig neue Siedlungen mit massiven Häusern errichtet, was zugleich die Lagerbelegung entspannen dürfte.

Zudem hat die große Zunahme von verfügbaren Fonds aus dem Oil-for-Food-Programm für einen (weiteren) Aufschwung an neuen Bauprojekten gesorgt. Auf dem Gebiet der Unterkünfte konnte deshalb ein substantieller Fortschritt verbucht werden. Soweit noch Heimatlose in Zelten untergebracht werden, wird ein Schutz vor Kälte durch die Zurverfügungstellung von Heizkörpern und Brennstoff oder Decken gewährleistet.

Auch im Übrigen ist für den Senat bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung nicht ersichtlich, dass die Lagerunterbringung den Anforderungen an ein menschenwürdiges wirtschaftliches Existenzminimum nicht genügen könnte.

Die erforderliche Versorgung aller Heimatlosen, also auch etwa der Araber, mit Lebensmitteln erfolgt durch Mitarbeiter des WFP in Form von monatlichen Lebensmittelpaketen (sog. food baskets), die eine durchschnittliche tägliche Ration von 2.229 Kilokalorien (kcal) und 50,24 g Protein pro Person gewährleisten. Der den Paketen zugrunde liegende sog. Warenkorb enthält eine Grundversorgung mit Trocken-Nahrungsmitteln (Weizenmehl, Reis, Hülsenfrüchten, Speiseöl, Milchpulver, Tee, Zucker, Salz; für Kleinkinder bis zu einem Jahr auch Baby-Milchpulver), allerdings kein Fleisch, keine Eier, kein Obst, kein frisches Gemüse. Dies ist ausreichend, um die Betroffenen vor Hunger und einer Verelendung, die sicher zum Tode führen würde, zu schützen. Entsprechend hat es das DOI in seiner Auskunft vom 6.5.2002 an das VG Leipzig ausgedrückt: "Verhungern ... muss in den kurdischen Gebieten niemand ...". Davon gehen auch der KDP-Premierminister Barzani nach seiner im ambtsbericht noord-irak, Nr. 4.3 zitierten Aussage "... every single citizen in Kurdistan received his adequate share of food under the program ..." sowie das WFP nach seiner dort ebenfalls wiedergebenen Äußerung vom Februar 2001 "(The) food need (of the internally displaced persons) is fully met through the WFP safety food basket net." aus.

Soweit der UNHCR in seiner Auskunft vom 23.11.2001 an das OVG Sachsen-Anhalt ausführt, mit den Lebensmittelpaketen könnten nur 90 % bzw. 84 % des "normalen Bedarfs" an kcal bzw. Protein abgedeckt werden, bleibt er die Grundlage für diese Annahme schuldig. Nach dem Selbstverständnis des UNHCR und aufgrund seiner Aufgabenstellung kann zudem nicht davon ausgegangen werden, dass die von ihm bereitgestellten Lebensmittelrationen nicht ausreichen, um - was allein Voraussetzung für die Gewährung des wirtschaftlichen Existenzminimums ist - Hunger, Verelendung und den sicheren Tod zu verhindern.

Überdies spricht auch alles dafür, dass die oben wiedergegebene Angabe wiederum auf ein grundlegend anderes Verständnis des Flüchtlingsbegriffs zurückzuführen ist, wonach eine Gewährleistung des Existenzminimums durch Integration, insbesondere eigene Arbeitsmöglichkeiten mit entsprechend höherem Energiebedarf, als erforderlich angesehen wird. Hiervon ist aber, wie dargelegt, gerade nicht auszugehen.

Gegen ein Ausreichen der Lebensmittelversorgung durch die von dem WFP zur Verfügung gestellten Pakete sprechen auch nicht die Berichte, wonach die Lebensmittelrationen meist in weniger als einem Monat verbraucht sind. Denn dies kann unterschiedliche Gründe haben, etwa darauf zurückzuführen sein, dass die Heimatlosen Teile der Rationen gegen andere von ihnen als wichtig angesehene Bedarfsgegenstände tauschen, oder dass sie die Rationen nach Erhalt in einem das notwendige, aber auch ausreichende durchschnittliche tägliche Quantum überschreitenden Maß verzehren. Angesichts dessen ist die hieran anknüpfende Schlussfolgerung nicht gerechtfertigt, die Lebensmittelrationen seien unzureichend.

Dass bei der Ernährung mit Hilfe des Inhalts der Lebensmittelpakete in Folge des Fehlens frischer Nahrungsmittel zwangsläufig solche erheblichen Vitamin- oder Eiweißmangelerscheinungen eintreten müssten, die schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen nach sich zögen, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Im Übrigen kann davon ausgegangen werden, dass akute Mangelerscheinungen notfalls durch medikamentöse Maßnahmen beseitigt werden könnten.

Irrelevant ist, ob die Versorgung dem sozialen Mindeststandard in westeuropäischen Ländern genügen würde. Das Asyl- bzw. Flüchtlingsrecht dient nicht dazu, einen solchen Standard zu garantieren, sondern allein dem Schutz der politisch Verfolgten vor Hunger und Elend.

Aber selbst wenn man mit dem Kläger eine nicht in jeder Hinsicht ausreichende Lebensmittelversorgung im Nordirak annähme, wäre doch zu beachten, dass bei generalisierender Betrachtungsweise an seinem Herkunftsort nicht anders gälte. Auch die im Zentralirak von den Lebensmittelpaketen abhängigen Bevölkerungsteile - insgesamt soll etwa 2/3 der irakischen Bevölkerung ausschließlich von den Lebensmittelpaketen leben - leiden am Mangel. Auf Grund der insgesamt günstigeren Verhältnisse im Nordirak gestalten sich dort die allgemeinen Verhältnisse für die Teile der irakischen Bevölkerung, die auf den "Warenkorb" des Oil-for-Food-Programms zur Deckung ihres Nahrungs-Grundbedarfs angewiesen sind, eher besser als im Zentralirak. Denn die Verteilung der Rationen im Zentralirak erfolgt durch die irakische Regierung, die diese Möglichkeit auch zur Disziplinierung und Diskriminierung benutzt, etwa hierdurch gezielt vermeintliche Gegner zur Umsiedlung zwingt, während die Verteilung im Nordirak dem WFP obliegt.

Soweit der Kläger darauf verweist, dass in den Lagern verunreinigtes Wasser ein immer noch verbreitetes Problem darstelle, rechtfertigt dies nicht die Annahme einer gesundheitsbedrohenden Existenzgefährdung (wird ausgeführt). Unabhängig davon stellt sich jedenfalls die Wasserversorgungssituation im Zentralirak u.a. embargobedingt als keineswegs besser dar (wird ausgeführt).

Neben dem damit im Nordirak gesicherten wirtschaftlichen Existenzminimum drohen dem Kläger dort auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit andere, nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommende, d.h. existenzgefährdende, Nachteile oder Gefahren, die am Herkunftsort in den von der irakischen Zentralmacht beherrschten Gebieten so nicht bestünden.

Es spricht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass den Heimatlosen in den Lagern die für ein menschenwürdiges Dasein erforderliche Bewegungsfreiheit nicht gewährleistet wird (wird ausgeführt).

Auch die medizinische Grundversorgung in den Lagern ist gewährleistet. Heimatlose haben im Nordirak den gleichen Zugang zur Gesundheitspflege wie die dort ansässige Bevölkerung; die meisten Medikamente sind in den öffentlichen Krankenhäusern kostenlos erhältlich. Abgesehen davon ist medizinische Versorgung im Nordirak jedenfalls weitaus besser als im Einflussbereich des zentralirakischen Regimes, in dem sie nur als "äußerst schlecht" bezeichnet werden kann. Den staatlichen Krankenhäusern fehlt es - u.a. aufgrund des Verfalls der Infrastruktur - an der notwendigsten Grundausstattung. Dagegen ist im Nordirak die medizinische Versorgung jedenfalls in den Städten gewährleistet.

Darauf, dass Sanitäranlagen und Kanalisation in den Lagern - möglicherweise - in einem schlechteren Zustand sein mögen als sie "dem Durchschnitt der dort ansässigen Bevölkerung" zur Verfügung stehen, kommt es, wie dargelegt, nicht an.

Hinsichtlich der Elektrizitätsversorgung - ob sie für ein menschenwürdiges wirtschaftliches Existenzminimum unabdingbar erforderlich ist, mag schon bezweifelt werden - ist nicht ersichtlich, dass sich die Lage im Nordirak als schlechter darstellt als im Zentralirak, weshalb etwaige Probleme dieser Art jedenfalls mangels Verfolgungsbedingtheit - rechtlich - unmaßgeblich wären.

Ferner bestehen auch die hilfsweise geltend gemachten Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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