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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 19.08.2008
Aktenzeichen: VerfGH 7/07
Rechtsgebiete: LV NRW, GG


Vorschriften:

LV NRW Art. 30 Abs. 2
LV NRW Art. 4 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
1. Ein privates Unternehmen kann Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage sein, wenn der Staat mit diesem Unternehmen im eigenen Interesse funktional verzahnt ist und einen dementsprechenden Einfluss ausübt.

2. Begehrt ein Abgeordneter im Wege der Kleinen Anfrage Auskunft über einen geheimhaltungsbedürftigen Gegenstand, hat die Landesregierung im Rahmen der Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse die Möglichkeit einer Unterrichtung in nichtöffentlicher, vertraulicher oder geheimer Form in Betracht zu ziehen.


Tatbestand:

Das Organstreitverfahren betraf die Reichweite des verfassungsrechtlichen Informationsanspruchs eines Landtagsabgeordneten (Antragstellers) gegen die Landesregierung (Antragsgegnerin). Der Antragsteller hatte von der Antragsgegnerin im Wege mehrerer Kleiner Anfragen um Auskunft zu steinkohlepolitischen Themen gebeten. Die Fragen betrafen unter anderem konzerninterne Erträge der Ruhrkohle Aktiengesellschaft (RAG AG), den Finanzbedarf für Altlasten und sog. Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus, die diesbezügliche Haftung der RAG-Gesellschafter sowie die Förderkosten und Investitionsplanungen der noch aktiven Bergwerke. Die Antragsgegnerin hatte einzelne Fragen nicht oder nur eingeschränkt beantwortet und dies damit begründet, die betreffenden Informationen seien ihr nicht verfügbar bzw. sie beinhalteten geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der RAG AG.

Gründe:

Der Antrag (...) ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die dort bezeichneten Antworten der Antragsgegnerin verletzen den verfassungsrechtlichen Informationsanspruch des Antragstellers.

I.

Der in Art. 30 Abs. 2 LV NRW gewährleistete Status des Abgeordneten schließt einen grundsätzlichen Anspruch auf vollständige und zutreffende Beantwortung seiner an die Landesregierung gerichteten parlamentarischen Anfragen ein (vgl. VerfGH NRW, OVGE 43, 274 <279>; ebenso BVerfGE 70, 324 <355> für Art. 38 Abs. 1 GG sowie SaarlVerfGH, NVwZ-RR 2003, 81 <82>, VerfG Hamburg, HmbJVBl. 2003, 49 und BayVerfGH, NVwZ 2007, 204 <205> für das jeweilige Landesverfassungsrecht). Grenzen dieses Informationsanspruchs ergeben sich aus dem Verfassungsrecht. Sie betreffen sowohl die Frage, ob überhaupt eine Antwort gegeben werden muss (1.), als auch die Anforderungen an ihre inhaltliche Ausgestaltung (2.).

1. Antwortpflicht und Antwortverweigerung stehen in einem verfassungsrechtlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander. Eine Ausnahme kann im Einzelfall gerechtfertigt sein in Hinblick auf die Funktion des Fragerechts (a), das Rücksichtnahmegebot (b) sowie die Grundrechte privater Dritter (c). Ob die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls gegeben sind, unterliegt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Grundlage hierfür sind die von der Landesregierung zur Rechtfertigung der Antwortverweigerung angeführten Gründe (vgl. VerfGH NRW, OVGE 43, 274 <284>).

a) Eine Beschränkung der Antwortpflicht als solcher ergibt sich zunächst aus der Funktion des Fragerechts. Es dient dem Zweck, die Arbeit des Abgeordneten zu erleichtern. Die gegenständliche Reichweite des Informationsanspruchs korreliert daher mit dem Inhalt der wahrgenommenen Parlamentsaufgabe. Für den Aufgabenbereich der Regierungskontrolle bedeutet dies, dass sich die Antwortpflicht nur auf solche Bereiche erstreckt, für welche die Landesregierung verantwortlich ist (vgl. BayVerfGH, NVwZ 2007, 204 <205>; LVerfG S-A, NVwZ 2000, 671 <672>). Dieser Verantwortungsbereich beschränkt sich nicht auf das Regierungshandeln im engeren Sinne, sondern umfasst darüber hinaus alle Gegenstände, für welche die Regierung unmittelbar oder mittelbar zuständig ist (vgl. BayVerfGH, NVwZ 2002, 715 <716>; SaarlVerfGH, NVwZ-RR 2003, 81 <82>). Kontrollobjekt sind somit sowohl die von der Regierung selbst wahrgenommenen Aufgaben als auch der von ihr verantwortete Aufgabenbereich. Das parlamentarische Fragerecht bezieht sich folglich auf jede politische Angelegenheit, in der die Regierung oder eines ihrer Mitglieder tätig geworden ist oder kraft rechtlicher Vorschriften tätig werden kann. Unerheblich ist insoweit, ob die Regierung sich der Handlungsformen des öffentlichen oder des privaten Rechts bedient. Auch privatwirtschaftlich organisierte öffentliche Unternehmen können daher Gegenstand parlamentarischer Anfragen sein (vgl. BayVerfGH, NVwZ 2007, 204 <206>). Anders verhält es sich in Bezug auf die Verhältnisse rein privat getragener Unternehmen, da insoweit der öffentliche Bezug und damit das öffentliche Interesse an einer Klärung fehlen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn diese Unternehmen in erheblichem Umfang öffentliche Mittel erhalten. Eine parlamentarische Verantwortung der Regierung und eine dementsprechende Informationspflicht bestehen insoweit regelmäßig nur in Hinblick auf die Bereitstellung der Subventionen sowie auf die Überwachung ihrer Zweckbindung (vgl. BayVerfGH, NVwZ 2007, 204 (206); Masing, Parlamentarische Untersuchungen privater Sachverhalte, 1998, S. 328 f.; Teuber, Parlamentarische Informationsrechte, 2007, S. 214 f.). Eine weitergehende Verantwortlichkeit kann im Einzelfall in Betracht kommen, wenn der Staat nicht lediglich privates Engagement nutzt und fördert, sondern mit einem privaten Unternehmen im eigenen Interesse funktional verzahnt ist und einen dementsprechenden Einfluss ausübt.

b) Eine weitere Grenze des parlamentarischen Informationsanspruchs ergibt sich aus der allen Verfassungsorganen und ihren Gliederungen obliegenden Verpflichtung zu gegenseitiger Rücksichtnahme. Sie gebietet unter anderem die Respektierung eines Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich umfasst (vgl. VerfGH NRW, OVGE 43, 274 <280>; BVerfGE 67, 100 <139>; 110, 199 <214 f.>). Darüber hinaus begrenzt das Rücksichtnahmegebot die Antwortpflicht der Landesregierung auf solche Informationen, die ihr vorliegen oder von ihr mit zumutbarem Aufwand beschafft werden können (zur Begrenzung der exekutiven Informationsbeschaffungspflicht durch das Kriterium der Zumutbarkeit vgl. SächsVerfGH, LKV 1998, 315 <315>; BbgVerfG, LKV 2001, 167 <167>; MVVerfG, NJW 2003, 815 <816>). Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist unter anderem zu berücksichtigen, dass für die Beantwortung Kleiner Anfragen lediglich ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung steht (vgl. § 88 Abs. 3 Satz 2 GO LT NRW).

c) Die Pflicht zur Beantwortung parlamentarischer Anfragen wird schließlich dadurch begrenzt, dass sie als Ausübung öffentlicher Gewalt die grundrechtlich geschützten Positionen privater Dritter zu beachten hat, Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 113 zu Art. 43 <Stand: Februar 2007>; Glauben/Edinger, Parlamentarisches Fragerecht in den Landesparlamenten, DÖV 1995, 941 <945>; Lennartz/Kiefer, Parlamentarische Anfragen im Spannungsfeld von Regierungskontrolle und Geheimhaltungsinteressen, DÖV 2006, 185 <188 ff.>). Von Bedeutung ist insoweit namentlich der durch Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Er verbietet die unbefugte Weitergabe von Unternehmensdaten, die nicht offenkundig sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat (vgl. BVerfGE 115, 205 <230 f.>). Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist (vgl. BVerfGE 67, 100 <143>). Da grundrechtlicher Datenschutz und parlamentarischer Informationsanspruch gleichermaßen auf der Ebene des Verfassungsrechts angesiedelt sind, müssen sie im konkreten Fall einander so zugeordnet werden, dass beide so weit wie möglich ihre Wirkungen entfalten (vgl. BVerfGE 67, 100 <143 f.>; BayVerfGH, NVwZ 2007, 204 <207>; MVVerfG, NJW 2003, 815 <818>). Bei der hiernach gebotenen Abwägung sind Art und Bedeutung des mit der Anfrage verfolgten Ziels und die Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Daten angemessen zu berücksichtigen.

2. Grenzen des Informationsanspruchs bestehen auch in Bezug auf die Art und Weise der Antwort. Sie ergeben sich aus der bereits erwähnten Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die auch die Respektierung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Landesregierung gebietet. Zu deren Wahrung darf diese innerhalb einer verfassungsrechtlich umgrenzten Einschätzungsprärogative über Art und Weise der Antwort befinden. Dabei muss sie sich an der Pflicht zu vollständiger und zutreffender Antwort orientieren (vgl. VerfGH NRW, OVGE 43, 274 <281>; BayVerfGH, NVwZ 2007, 204 <207>).

II.

Nach diesen Grundsätzen sind die Antworten der Antragsgegnerin, die den Gegenstand des Organstreitverfahrens bilden, wie folgt zu beurteilen:

1. Soweit die Antragsgegnerin einzelne Fragen des Antragstellers mit der Begründung unbeantwortet gelassen hat, dass ihr die betreffenden Informationen nicht verfügbar seien, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es handelt sich hierbei um die Fragen nach den konzerninternen Erträgen der RAG Bildung (Kleine Anfrage 943, Unterfrage 2) sowie nach den getätigten und geplanten Bergwerksinvestitionen zur Erschließung neuer Abbaubereiche (Kleine Anfrage 952, Unterfragen 3 und 4).

Der Antragsgegnerin liegen diesbezügliche Erkenntnisse nicht vor. Sie hat dargelegt, dass sie auf schriftlichem und mündlichem Wege versucht hat, von der RAG AG die betreffenden Informationen zu erlangen. Diese Bemühungen sind erfolglos geblieben, weil sich das Unternehmen auf den Schutz interner Daten berufen hat. Bei dieser Sachlage kommt eine Verletzung des Informationsanspruchs des Antragstellers nur in Betracht, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass die Antragsgegnerin nicht alle ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung ausgeschöpft hat. Das ist nicht der Fall.

Es kann schon nicht zugrunde gelegt werden, dass die Antragsgegnerin von der RAG AG überhaupt entsprechende Angaben verlangen konnte. Ein im Subventionsrecht begründeter Auskunftsanspruch ist insoweit weder dargetan noch ersichtlich. Dem entspricht es, dass die betreffenden Daten im Bewilligungsverfahren offenbar nicht erhoben worden sind, ansonsten sie der Antragsgegnerin vorlägen. Auch lässt sich nicht feststellen, dass ein von dem konkreten Subventionsrechtsverhältnis unabhängiger, genereller Informationsanspruch der Antragsgegnerin gegen die RAG AG besteht. Im Übrigen kann nicht zugrunde gelegt werden, dass die Antragsgegnerin in der Lage gewesen wäre, einen ihr etwa zustehenden Auskunftsanspruch innerhalb des ihr für die Beantwortung der Kleinen Anfragen des Antragstellers zur Verfügung stehenden Zeitraums von vier Wochen (§ 88 Abs. 3 Satz 2 GO LT NRW) zu realisieren; dies gilt auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Fristverlängerung, deren Dauer üblicherweise drei bis vier weitere Wochen nicht übersteigt. Anhaltspunkte dafür, dass die RAG AG durch argumentatives Einwirken zu einer Änderung ihres Rechtsstandpunkts zu bewegen gewesen wäre, sind nicht ersichtlich.

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin die Beantwortung der Fragen des Antragstellers nicht vollständig verweigert, sondern seinem Informationsinteresse im Rahmen ihrer Möglichkeiten anderweitig Rechnung getragen hat. So hat sie auf die Unterfrage 2 der Kleinen Anfrage 943 zwar nicht die von der RAG AG Bildung konkret erwirtschafteten Erträge angeben können, wohl aber den prozentualen Anteil ihres Umsatzes am Gesamtumsatz des Unternehmens. Auf die Unterfragen 3 und 4 der Kleinen Anfrage 952 hat die Antragsgegnerin die in dem angefragten Zeitraum durchgeführten sowie die geplanten Investitionsprojekte bezeichnet, ihr Volumen umschrieben und damit einen Anhalt für ihre ungefähre finanzielle Größenordnung gegeben.

2. Soweit die Antragsgegnerin die Beantwortung einzelner Fragen mit der Begründung verweigert hat, die - ihr verfügbaren - Informationen beträfen geschützte Unternehmensdaten und unterlägen als solche der Geheimhaltung, hat sie den verfassungsrechtlichen Informationsanspruch des Antragstellers verletzt. Es handelt sich insoweit um die Fragen nach den zu erwartenden Altlasten (Kleine Anfrage 944, Unterfrage 2) und den spezifischen Förderkosten (Kleine Anfrage 952, Unterfrage 1) der noch aktiven Bergwerke sowie um die Frage nach der dem Umstrukturierungsplan für den deutschen Steinkohlebergbau zugrunde liegenden Unternehmensplanung der RAG AG (Kleine Anfrage 952, Unterfrage 5).

a) Die erbetenen Angaben werden von dem Informationsanspruch des Antragstellers erfasst. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Daten die RAG AG betreffen und das Land mit diesem Unternehmen im eigenen Interesse intensiv zusammenarbeitet und einen dementsprechenden Einfluss ausübt. Zwar ist das Unternehmen rein privatrechtlich organisiert und der Staat an ihm kapitalmäßig nicht beteiligt. Seine Geschäftstätigkeit weist jedoch einen intensiven öffentlichen Bezug auf. Die RAG AG hat auf dem Gebiet des nationalen Steinkohlebergbaus eine monopolartige Stellung inne. Ihren diesbezüglichen Aktivitäten kam daher über Jahrzehnte hinweg eine herausragende Bedeutung für die Erfüllung der (gesamt-)staatlichen Aufgabe der Energiesicherung zu. Dem entspricht die Höhe der ihr gewährten Subventionen, die wiederum von elementarer Bedeutung für ihre finanzielle Lebensfähigkeit waren und sind. Die enge funktionale Verzahnung zwischen den Geschäftsinteressen der RAG AG und den energiepolitischen Belangen des Staates drückt sich zudem in der Einbettung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in einen speziell auf sie zugeschnittenen normativen Rahmen aus. Abgesehen davon sind die Daten in einem Subventionsverfahren erhoben worden, dessen nähere Umstände parlamentarischer Kontrolle unterliegen.

b) Die Bezugnahme der Antragsgegnerin auf Gründe des Geheimnisschutzes vermag die Verweigerung der Antworten nicht zu rechtfertigen.

Es ist bereits fraglich, ob die betreffenden Informationen dem durch Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen unterfallen. Dies setzt neben ihrer - hier gegebenen - mangelnden Offenkundigkeit ein berechtigtes Interesse des Rechtsträgers an ihrer Nichtverbreitung voraus. Ein solches Interesse besteht, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Rechtsträgers nachteilig zu beeinflussen (vgl. BVerfGE 115, 205 <230 f.>). Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen sind die betreffenden Informationen auch dann schutzbedürftig, wenn sie im Rahmen eines Subventionsvergabeverfahrens entscheidungserhebliche Berücksichtigung gefunden haben.

Die vom Antragsteller erfragten Daten betreffen Teilaspekte der bergbaubezogenen Kostenkalkulation der RAG AG und ihre Planungen im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des deutschen Steinkohlebergbaus. Die Kalkulationsgrundlagen und Planungsstrategien eines Unternehmens sind grundsätzlich geheimhaltungsbedürftig, da ihr Bekanntwerden sich regelmäßig ungünstig auf seine Stellung im Wettbewerb auswirkt. Vorliegend besteht allerdings die Besonderheit, dass die RAG AG auf dem Gebiet der Steinkohleförderung keiner inländischen Konkurrenz ausgesetzt ist und ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischer Importkohle durch das System staatlicher Absatzbeihilfen gesichert wird. Angesichts dieser Rahmenbedingungen ist zweifelhaft, ob die RAG AG durch Offenlegung der in Rede stehenden Informationen einen Wettbewerbsnachteil auf dem Gebiet des Steinkohlebergbaus erleiden würde. Da die Informationen thematisch auf diesen Bereich beschränkt sind, erschließt sich auch nicht ohne weiteres, dass - wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht - ihr Bekanntwerden negative Auswirkungen auf andere Tätigkeitsfelder der RAG AG oder auf den geplanten Börsengang haben könnte.

Gleichwohl gehen neben der Antragsgegnerin offenbar auch die Bundesregierung und die Europäische Kommission von einer Vertraulichkeit der in Rede stehenden Angaben aus. Einer entsprechenden Einstufung durch die Bundesregierung hat die Europäische Kommission Rechnung getragen, indem sie von einer Veröffentlichung der Angaben im Rahmen der Genehmigung des Umstrukturierungsplans für den deutschen Steinkohlebergbau (Entscheidung vom 22.06.2005 - N 320/2004 - http://ec.europa.eu/community_law/state_aids/transports-2004/n320-04.pdf) abgesehen hat.

c) Einer abschließenden Klärung der Fragen, ob die betreffenden Informationen als grundrechtlich geschützte Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnisse zu qualifizieren sind oder ob eine Bindung der Antragsgegnerin an die dahingehende Einschätzung der Bundesregierung in Betracht kommt, bedarf es nicht. Sollte dies der Fall sein, fehlt es jedenfalls an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Abwägung zwischen grundrechtlichem Datenschutz und parlamentarischem Informationsanspruch. Diese setzt eine fallbezogen-konkrete Gewichtung der widerstreitenden Rechtspositionen voraus. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die - unterstellten - Geheimhaltungsinteressen der RAG AG durch den dargelegten Einfluss des Landes sowie die aufgezeigten Besonderheiten ihrer Wettbewerbsposition wenn schon nicht ausgeschlossen, so doch zumindest relativiert werden. Zum anderen ist zu beachten, dass die nachgefragten Daten in einem Subventionsverfahren erhoben worden sind und dass an der parlamentarischen Kontrolle der Subventionsvergabe - zumal auf dem für das Land besonders kostenintensiven Gebiet der Steinkohleförderung - ein erhebliches öffentliches Interesse besteht. Ziel der Abwägung muss es sein, die konfligierenden Rechtspositionen einander so zuzuordnen, dass sie ihre jeweiligen Wirkungen so weit wie möglich entfalten.

aa) Es ist schon nicht hinreichend deutlich, ob überhaupt eine Abwägung stattgefunden hat. Die Begründung der Antwortverweigerung erschöpft sich in der Feststellung, dass es sich bei den erbetenen Angaben um geschützte Unternehmensdaten handele. Auch das prozessuale Vorbringen der Antragsgegnerin gibt insoweit keinen Aufschluss. Ausweislich ihres Schriftsatzes vom 15.04.2008 soll eine "etwaige" (Hervorhebung nur hier) Abwägung "implizit und nicht explizit" erfolgt sein.

bb) Sollte eine - "implizite" - Abwägung stattgefunden haben, verfehlt sie jedenfalls das ihr von Verfassungswegen vorgegebene Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen grundrechtlichem Datenschutz und parlamentarischem Informationsanspruch. Begehrt ein Abgeordneter im Wege der Kleinen Anfrage Auskunft über einen geheimhaltungsbedürftigen Gegenstand, hat die Landesregierung im Rahmen der Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse die Möglichkeit einer Unterrichtung in nichtöffentlicher, vertraulicher oder geheimer Form in Betracht zu ziehen. Einer solchen Verfahrensweise steht nicht entgegen, dass nach § 88 Abs. 4 Satz 1 GO LT NRW die Antworten auf Kleine Anfragen gedruckt und verteilt werden. Die Vorschrift regelt nicht den Fall, dass die Geheimhaltungsbedürftigkeit der erbetenen Information eine öffentliche Beantwortung der Frage nicht zulässt. Solange der Landtag in seiner Geschäftsordnung kein entsprechendes Verfahren geschaffen hat, ist das Spannungsverhältnis zwischen Geheimhaltungsbedürftigkeit und Informationsanspruch des Abgeordneten unter Rückgriff auf die Verfassung aufzulösen. Dabei kommt vorliegend dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Informationsanspruch des Abgeordneten höheres Gewicht zu. Die durch den Verzicht auf die im Regelfall vorgesehene Publizität bedingte Einschränkung des parlamentarischen Diskussionsprozesses beeinträchtigt die demokratische Kontrolle weniger stark als die gänzliche Vorenthaltung der erbetenen Information, zumal der Weg einer vertraulichen oder geheimen Unterrichtung allen interessierten Abgeordneten in gleicher Weise offen steht.

Hiervon ausgehend wäre etwa vorliegend eine Behandlung der Angelegenheit nach Maßgabe der Verschlusssachenordnung des Landtags NRW (Anlage 4 zur Geschäftsordnung des Landtags NRW) in Betracht gekommen. Diese sieht in § 4 die Möglichkeit vor, private Geheimnisse wie etwa Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse als geheim beziehungsweise vertraulich einzustufen. Ein derartiges Vorgehen hätte dem Informationsanspruch und dem - unterstellten - Geheimhaltungsinteresse gleichermaßen Rechnung getragen. In der Praxis ist dieser Weg in vergleichbaren Konfliktlagen wiederholt gewählt worden (vgl. Parlamentarischer Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags NRW: Parlamentarische Fragerechte und Antwortpflichten der Regierung, 2001, S. 9; ebenso auf Bundesebene: Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen in: BT-Drs. 15/2458, 16/724 und 16/5890).

Die Pflicht der Landesregierung, im Rahmen der Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse die Möglichkeit einer Unterrichtung in nichtöffentlicher, vertraulicher oder geheimer Form in Betracht zu ziehen, setzt keinen hierauf gerichteten besonderen Antrag voraus. Das in der Anbringung einer Kleinen Anfrage enthaltene Begehren nach schriftlicher Antwort schließt regelmäßig als Minus den Wunsch nach Unterrichtung in sonstiger Weise ein, wenn anders dem Informationsanliegen nicht entsprochen werden kann. Nur wenn ausnahmsweise Anlass zu der Annahme besteht, dass dem Fragesteller - aus welchem Grund auch immer - ausschließlich an einer öffentlichen Beantwortung seiner Frage gelegen ist, brauchen alternative Unterrichtungsmodalitäten nicht in Betracht gezogen zu werden. Hierfür bestand vorliegend indes kein Anhalt. Der Antragsteller hat sich vielmehr nach seinen Angaben im Schriftsatz vom 28.01.2008 ausdrücklich und erfolglos um eine Unterrichtung in sonstiger Weise bemüht.



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