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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.07.2005
Aktenzeichen: VerfGH 8/05
Rechtsgebiete: GG, LV NRW, VerfGHG NRW


Vorschriften:

GG Art. 38 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 46 Abs. 2
LV NRW Art. 30 Abs. 2
LV NRW Art. 48
VerfGHG NRW § 44 Abs. 1
Zur Aufhebung der Immunität eines Landtagsabgeordneten.
Tatbestand:

Der Organstreit betrifft die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten. Der Antragsteller war Mitglied des 13. Landtags des Landes Nordrhein-Westfalen. Bei der Wahl zum 14. Landtag am 22.5.2005 hat er sich erneut um ein Mandat beworben. Er ist allerdings weder im Wahlkreis direkt noch über die Landesliste seiner Partei gewählt worden.

Die zuständige Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Antragsteller seit mehr als drei Jahren im Zusammenhang mit seiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer zweier Firmen. Der anfänglich zuständige, zwischenzeitlich abgelöste Staatsanwalt habe - so der Antragsteller - die Absicht zu erkennen gegeben, ihm die Ausübung eines politischen Amtes unmöglich zu machen. Ende Januar 2004 legte die Polizei ihren Abschlussbericht vor. Ende März 2005 beantragte der Leitende Oberstaatsanwalt beim Antragsgegner die Aufhebung der Immunität des Antragstellers. Der Rechtsausschuss des Landtages befasste sich in seiner Sitzung vom 13.4.2005 mit der Sache. Der Justizminister erklärte gegenüber dem Ausschuss, dass nach Auskunft des Generalstaatsanwaltes ein Anklageentwurf vorliege und beabsichtigt sei, auf der Grundlage dieses Entwurfs eine Anklage zu erheben. Daraufhin empfahl der Rechtsausschuss nach eingehender Diskussion einstimmig die Aufhebung der Immunität des Antragstellers. In seiner Sitzung vom 21.4.2005 folgte der Antragsgegner der Empfehlung und hob die Immunität des Antragstellers auf.

Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit seiner Organklage. Nach seiner Auffassung hätte der Antragsgegner den Antrag der Staatsanwaltschaft ablehnen oder zumindest mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl seine Entscheidung verschieben müssen. Die Aufhebung seiner Immunität sei willkürlich, weil vernünftigerweise kein Zweifel an der sachfremden, politisch motivierten Zielrichtung des staatsanwaltlichen Vorgehens bestehen könne. Die Willkür dieses durch "Jagdeifer" gekennzeichneten Vorgehens ergebe sich aus der Länge des Ermittlungsverfahrens sowie insbesondere dessen Abschluss gerade zum Ende des Wahlkampfes. Die Äußerung des anfänglich zuständigen Staatsanwaltes habe die politische Stoßrichtung deutlich gemacht.

Gründe:

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Bereits gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen mit Blick auf die notwendige Antragsbefugnis und das fortbestehende Rechtsschutzinteresse des Antragstellers Bedenken. Nach § 44 Abs. 1 VerfGHG NRW muss der Antragsteller geltend machen können, dass er durch die Aufhebung der Immunität in seinen ihm durch die Verfassung übertragenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Ob die in Art. 48 LV NRW garantierte Immunität ein solches Recht des Abgeordneten umfasst, ist streitig. Unzweifelhaft dient der Genehmigungsvorbehalt für die strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten vorrangig dem Parlament. Teilweise wird hieraus gefolgert, dem einzelnen Abgeordneten komme nur ein Rechtsreflex zugute, dem keine im Organstreit geltend zu machende Rechtsposition entspreche (vgl. Löwer, in: Löwer/Tettinger, LV NRW, Art. 48 Rdnr. 14). Demgegenüber leitet das BVerfG aus den vergleichbaren Regelungen des Art. 46 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ab, der einzelne Abgeordnete habe einen Anspruch darauf, dass sich das Parlament bei der Entscheidung über die Aufhebung der Immunität nicht - den repräsentativen Status des Abgeordneten grob verkennend - von sachfremden, willkürlichen Motiven leiten lasse (vgl. BVerfGE 104, 310, 325 ff.). Jedoch kann diese Frage ebenso offen bleiben wie die nach dem Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses, nachdem der Antragsteller nicht mehr dem 14. Landtag als Abgeordneter angehört und auf Grund seiner Listenplatzierung nicht mit einem späteren Nachfolgen während der jetzigen Wahlperiode zu rechnen ist. Denn ungeachtet dieser Bedenken gegen die Zulässigkeit ist der Antrag jedenfalls offensichtlich unbegründet.

Der Antragsgegner hat durch die Aufhebung der Immunität des Antragstellers mit Beschluss vom 21.4.2005 nicht dessen Rechte aus Art. 48 Abs. 1 i.V.m. Art. 30 Abs. 2 LV NRW verletzt.

Die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten ist eine Maßnahme im Rahmen der Parlamentsautonomie, die der Landtag grundsätzlich in eigener Verantwortung trifft (vgl. BVerfGE 102, 224, 235 f.). Der Genehmigungsvorbehalt bei Durchführung von Strafverfahren gegen ein Mitglied des Landtages dient vornehmlich dazu, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu erhalten. Der Kern seiner Entscheidung beruht auf einer Interessenabwägung zwischen den Belangen des Parlaments und den Belangen der anderen hoheitlichen Gewalten. Bei dieser Abwägung kommt dem Landtag ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 104, 310, 332). Der Abgeordnete hat keinen Anspruch darauf, dass im Rahmen der Abwägung eine Überprüfung stattfindet, die seine Interessen in den Vordergrund rückt. Selbst wenn ihm mit der Rechtsprechung des BVerfG ein Anspruch auf willkürfreie Entscheidung über die Genehmigung der gegen ihn gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen zusteht, ist dieser erst dann verletzt, wenn das Parlament bei der erforderlichen Interessenabwägung den verfassungsrechtlichen Status des betroffenen Abgeordneten in grundlegender Weise verkannt hat. Danach ist der Landtag insbesondere nicht verpflichtet, die nachteiligen Folgen zu überdenken, die sich aus der Genehmigung der Anklageerhebung für einen Landtagswahlkampf des Abgeordneten ergeben können. Der Landtag ist auch nicht verpflichtet, im Rahmen der Abwägung die Schlüssigkeit des gegen den Abgeordneten erhobenen Tatvorwurfs und die Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme zu prüfen. Er darf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahmen den hierfür zuständigen Gerichten überlassen. Etwas anderes gilt erst dann, wenn vernünftiger Weise keine Zweifel bestehen können, dass das Strafverfahren gegen den Abgeordneten aus sachfremden Motiven durchgeführt wird. Nur in einem solchen Fall würde der Landtag durch Aufhebung der Immunität sich die sachfremden Erwägungen der Strafverfolgungsorgane zu eigen machen und dadurch selbst willkürlich handeln (vgl. BVerfGE 104, 310, 332 ff.).

Nach diesem Maßstab scheidet eine Verletzung der vom Antragsteller geltend gemachten Rechte durch Aufhebung seiner Immunität offensichtlich aus. Für den Verdacht, die bevorstehende Anklageerhebung könnte politisch motiviert sein, gab es weder im Zeitpunkt der Entscheidung des Antragsgegners noch jetzt irgendeinen Anhaltspunkt. Der vom Antragsteller erhobene Vorwurf gegen einen früher zuständigen Staatsanwalt ist nach dessen Ablösung weit vor Anklageerhebung vom Ansatz her nicht geeignet, die Sachgemäßheit der Anklage in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen obliegt es den hierfür zuständigen Gerichten, im weiteren Strafverfahren die vom Antragsteller gerügten Gesetzwidrigkeiten im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren zu beurteilen. Eine sachfremde politische Motivation der Staatsanwaltschaft, die den Landtag zu einer Ablehnung des Aufhebungsgesuchs verpflichtet hätte, ergibt sich hieraus jedenfalls nicht. Der Zeitpunkt des Antrags auf Aufhebung der Immunität kurz vor der Landtagswahl im Mai 2005 mag für den Antragsteller misslich gewesen sein, indes genügt auch dies nicht für den Verdacht einer sachfremden Zielrichtung des staatsanwaltlichen Vorgehens. Es besteht keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Staatsanwaltschaft trotz Anklagereife das Aufhebungsgesuch mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl hinausgezögert hätte oder dass es der Staatsanwaltschaft um die Erwirkung eines sog. Vorratsbeschlusses für eine spätere Anklage gegangen wäre.

Ende der Entscheidung

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