Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 17.06.2004
Aktenzeichen: 12 A 10506/04.OVG
Rechtsgebiete: AbwG, AbwV, WHG


Vorschriften:

AbwG § 9
AbwG § 9 Abs. 5
AbwG § 9 Abs. 5 Satz 1
AbwG § 9 Abs. 5 Satz 2
AbwV § 6
AbwV § 6 Abs. 1
AbwV § 6 Abs. 2 Satz 1 F: 1999
AbwV § 6 Abs. 2 Satz 2 F: 2002
WHG § 7 a
Auch bei der Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG ist die dem für die Bestimmung des Schadstoffs CSB angewendeten Analysenverfahren gemäß DIN 38409-H 41-1 immanente mögliche Messungenauigkeit von +/- 4 v.H. zugunsten des Abwasserabgabenschuldners zu berücksichtigen (Fortführung des Urteils des Senats vom 13. April 2000 - 12 A 12160/99.OVG -, in ESOVGRP veröffentlicht).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

12 A 10506/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Abwasserabgabe

hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2004, an der teilgenommen haben

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 28. Oktober 2003 - 3 K 572/03.MZ - wird der Abwasserabgabenbescheid des Beklagten vom 18. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 16. April 2003 insoweit aufgehoben, als die festgesetzte Schmutzwasserabgabe für die Schmutzwassereinleitung aus der Kläranlage U. den Betrag von 20.020,00 DM übersteigt.

Die Klägerin hat 1/6 der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und der Beklagte hat 5/6 der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Abwasserabgabenbescheid betreffend Schmutzwasser für das Jahr 1999.

Die Klägerin leitet Schmutzwasser aus der Kläranlage U. in einen Vorfluter. Nach dem hierfür maßgeblichen Erlaubnisbescheid vom 18. März 1992 beträgt der Überwachungswert für den Parameter Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB) 50 mg/l. Die Überwachungswerte sind für Pges auf 4,0 mg/l und für Nges auf 30,0 mg/l festgesetzt. Die Abwasserverordnung vom 21. März 1997 sieht für den Parameter CSB als Mindestanforderung einen Wert von 110,0 mg/l vor. Für die Parameter Pges und Nges sind in der Abwasserverordnung keine Mindestanforderungen festgelegt. Bei amtlichen Überwachungen des Schmutzwassers aus der Kläranlage U. wurden für den Parameter CSB am 18. November 1999 123 mg/l, am 1. Juli 1999 67 mg/l, am 10. April 1999 78 mg/l, am 19. November 1998 53 mg/l und am 6. Oktober 1998 111 mg/l ermittelt.

Mit Bescheid vom 18. Februar 2002 setzte der Beklagte für das Jahr 1999 für das Schmutzwasser aus der Kläranlage U. eine Abwasserabgabe in Höhe von 40.040,00 DM fest. Da die Mindestanforderung für CSB von 110 mg/l bei 2 von 5 Messungen überschritten worden war, wurde der Klägerin keine Abgabenermäßigung für die Parameter CSB, Pges und Nges nach § 9 Abs. 5 Abwasserabgabengesetz gewährt. Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Überwachungswert vom 6. Oktober 1998 mit 111 mg/l sei ausreichend, um die Mindestanforderung für CSB nach der Abwasserverordnung einzuhalten. Dies folge aus einer dem angewandten Bestimmungsverfahren immanenten Messungenauigkeit von +/- 4 v.H.

Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht - soweit sie die Klägerin nicht zurückgenommen hat - durch Urteil vom 28. Oktober 2003 abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die angesprochenen Mess- und Analyseungenauigkeiten gingen zu Lasten des Abgabenschuldners, wenn es wie hier um die Ermäßigung des Abgabesatzes gehe. Es sei kein vernünftiger Grund erkennbar, eine Fehlertoleranz zugunsten des Abgabenpflichtigen zu berücksichtigen.

Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassen Berufung macht die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrages erster Instanz geltend, dass die Grundsätze über die Beweislastverteilung in der vorliegenden Fallkonstellation keine Anwendung finden könnten. Die Ungenauigkeiten des Analysenverfahrens zur Bestimmung des Parameters CSB seien naturwissenschaftlich bedingt. Der ermittelte Wert von 111 mg/l sei deshalb ebenso wahrscheinlich wie ein Wert zwischen 106,56 mg/l und 115,44 mg/l und damit ausreichend.

Die Klägerin beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 28. Oktober 2003 - 3 K 572/03.MZ - den Abwasserabgabenbescheid des Beklagten vom 18. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 16. April 2003 insoweit aufzuheben, als die festgesetzte Schmutzwasserabgabe für die Schmutzwassereinleitung aus der Kläranlage U. den Betrag von 20.020,-- DM übersteigt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft unter Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge verwiesen. Sie lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist antragsgemäß abzuändern. Der Abwasserabgabenbescheid des Beklagten vom 18. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 16. April 2003 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), als die festgesetzte Abgabe für die Schmutzwassereinleitung aus der Kläranlage U. den Betrag von 20.020,00 DM übersteigt. Der Beklagte hätte die Schmutzwasserabgabe auf der Grundlage des § 9 Abs. 5 Satz 1 des Abwasserabgabengesetzes vom 3. November 1994 (BGBl. I S. 3370) - AbwAG - festsetzen müssen, da die Anforderungen an den Überwachungswert für den Parameter Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB) von 110 mg/l und damit auch hinsichtlich der Parameter Nges und Pges eingehalten wurden.

Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG ermäßigt sich der Abgabesatz nach § 9 Abs. 4 AbwAG um die Hälfte für solche Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, aber gleichwohl (unter anderem) die Anforderungen des Anhangs der Abwasserverordnung - AbwV - vom 21. März 1997 (BGBl. I S. 566) zu § 7a Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz - WHG - einhalten. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 5 AbwAG liegen hier sämtlich vor, weshalb sich der Abgabesatz nach dieser Vorschrift bestimmt. Insofern ist zwischen den Beteiligten allein streitig, ob die sich aus § 7a Abs. 1 WHG i.V.m. Anhang 1 C Abs. 1 der Abwasserverordnung in der hier anzuwendenden Fassung vom 9. Februar 1999 (BGBl. I S. 86) ergebenden Anforderungen für CSB von 110 mg/l eingehalten wurden. Dies ist nach Maßgabe der so genannten Vier-aus-Fünf-Regelung des § 6 Abs. 1 AbwV, die auch im Rahmen des § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG Anwendung findet (vgl. Köhler, Abwasserabgabengesetz, § 9 Rn. 38), der Fall. Zwar ist nach den der Abwasserabgabenfestsetzung für das Schmutzwasser aus der Kläranlage U. zugrunde liegenden Ergebnissen der amtlichen Überwachung der maßgebliche Anforderungswert von 110 mg/l bei der am 18. November 1999 durchgeführten Untersuchung mit einem Messwert von 123 mg/l überschritten worden. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei einer weiteren der letzten fünf im Rahmen der staatlichen Gewässeraufsicht durchgeführten Überprüfungen eine Überschreitung des Überwachungswertes festgestellt worden ist. Insbesondere gilt dies für das Ergebnis der am 6. Oktober 1998 durchgeführten Überprüfung, auch wenn die labortechnische Untersuchung eine Belastung mit dem Schadstoff CSB von 111 mg/l ergeben hat. Das bei dieser Untersuchung angewandte Analysen- und Messverfahren nach DIN 38409-H 41 lässt keinen gesicherten Schluss auf die tatsächliche Schadstoffkonzentration der Abwasserprobe zu. Dem genannten Analysen- und Messverfahren ist nämlich eine Fehlertoleranz von +/- 4 v.H. immanent. Dies führt hinsichtlich der konkret durchgeführten Überwachung dazu, dass die tatsächliche Konzentration des Schadstoffs CSB 110 mg/l oder auch weniger betragen haben kann (vgl. im Einzelnen hierzu das Urteil des Senats vom 13. April 2000 - 12 A 12160/99.OVG -, ZfW 2002, 107 sowie in ESOVGRP veröffentlicht) und das bei der Überwachung am 6. Oktober 1998 mit 111 mg/l festgestellte Ergebnis im Sinne der Anforderungen des § 7a Abs. 1 WHG "ausreichend ist" (vgl. hierzu Unterpunkt 5.7 "Kontrollbestimmung" zu DIN 38409-H 41).

Dem kann der Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Klägerin treffe die Beweislast für das Einhalten des Grenzwertes von 110 mg/l; einen entsprechenden Nachweis habe sie aber nicht geführt. Diese Sichtweise lässt zum Ersten unbeachtet, dass es um einen Sachverhalt geht, der aufgrund naturwissenschaftlicher Bedingungen keines weiteren Beweises zugänglich ist. Es hängt (innerhalb des Toleranzbereichs) gleichsam vom Zufall ab, welches Messergebnis bei Anwendung des Analysenverfahrens nach DIN 38409-H 41 ermittelt wird. Zum Zweiten ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei § 9 Abs. 5 AbwAG schon seiner systematischen Stellung nach um einen Abgabentatbestand handelt. Rechtlich gesehen steht damit keine Abgaben mindernde Norm in Rede. Vielmehr geht es um die Berechnungsgrundlagen für den kraft Gesetzes vorgegebenen und von der Verwaltung anzuwendenden Abgabesatz. Die Feststellung der Abgaben begründenden Tatsachen obliegt aber grundsätzlich dem Abgabengläubiger, es sei denn, der Normgeber hat ausdrücklich eine andere Regelung getroffen. Eine solche ist aber hier nicht ersichtlich. Insbesondere enthielt § 6 Abs. 2 AbwV, auf den § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG über § 7a Abs. 1 WHG Bezug nimmt, in der für das Veranlagungsjahr 1999 maßgeblichen Fassung vom 18. Februar 1999 keine § 6 Abs. 2 Satz 2 AbwV in seiner aktuellen Fassung entsprechende Formulierung, nach der die in den Anhängen zur Abwasserverordnung festgelegten Werte die Messunsicherheiten der Analysen- und Probenahmeverfahren berücksichtigen. Eine Auslegung dahingehend, dass die Werte der Abwasserverordnung bereits im Veranlagungszeitraum des Jahres 1999 die genannten Toleranzen berücksichtigt hätten, verbietet sich vor dem Hintergrund des auf dem Rechtsstaatsprinzip beruhenden und gerade im Abgabenrecht besonders bedeutsamen verfassungsrechtlichen Gebots der Normenklarheit. Danach muss die Festlegung eines Abgabentatbestandes mit einem Mindestmaß an Bestimmtheit und Klarheit geschehen, und zwar in der Weise, dass die Norm von den Normunterworfenen ohne weiteres verstanden und von den Verwaltungsbehörden und Gerichten ohne Willkür gehandhabt werden kann (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 20. November 2003 - 12 A 10961/03.OVG -, in ESOVGRP veröffentlicht). Eine solche Regelung hat der Verordnungsgeber aber erst mit § 6 Abs. 2 Satz 2 AbwV durch die 5. Verordnung zur Änderung der Abwasserverordnung vom 2. Juli 2002 (BGBl. I S. 2497 und 4550) getroffen und damit bestimmt, wer das Risiko von Messungenauigkeiten zu tragen hat.

Ist danach für den Schadstoffparameter CSB der ermäßigte Abgabesatz des § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG anzuwenden, gilt dies gemäß § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG gleichermaßen für die Überwachungswerte für Pges und Nges.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO und berücksichtigt die teilweise Klagerücknahme im Verfahren erster Instanz und die insoweit rechtskräftige Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen. Insbesondere betrifft die Rechtssache mit Blick auf die Neufassung des § 6 Abs. 2 der AbwV auslaufendes Recht.

Beschluss

1. Der Streitwert wird für das Verfahren erster Instanz bis zur teilweisen Klagerücknahme auf 12.443,62 € (24.337,60 DM) und für die Zeit danach sowie für das Berufungsverfahren auf 10.236,05 € (20.020,00 DM) festgesetzt (§§ 13, 14, 25 Abs. 2 GKG).

2. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Klägerin wird gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt.



Ende der Entscheidung

Zurück