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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 21.10.2004
Aktenzeichen: 12 A 11206/04.OVG
Rechtsgebiete: BSHG, SGB X


Vorschriften:

BSHG § 92 a
BSHG § 92 a Abs. 1
BSHG § 92 a Abs. 1 S. 1
BSHG § 92 a Abs. 3
BSHG § 92 a Abs. 3 S. 1
BSHG § 92 a Abs. 4
BSHG § 92 a Abs. 4 S. 1
SGB X § 45
SGB X § 45 Abs. 1
SGB X § 45 Abs. 4
SGB X § 45 Abs. 4 S. 1
SGB X § 45 Abs. 4 S. 2
SGB X § 50
SGB X § 50 Abs. 1
SGB X § 50 Abs. 1 S. 1
Ein Kostenersatzanspruch nach § 92 a Abs. 4 BSHG wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe erlischt in entsprechender Anwendung von Absatz 3 Satz 1 dieser Vorschrift in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Hilfe gewährt worden ist. Ergeht vor Ablauf dieser Frist kein Rücknahmebescheid gegenüber dem Leistungsempfänger, so entsteht kein Kostenersatzanspruch nach § 92 a Abs.4 BSHG.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 A 11206/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Sozialhilfe (Kostenersatz)

hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 21. Oktober 2004, an der teilgenommen haben

Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff Richter am Verwaltungsgericht Porz ehrenamtlicher Richter Kaufmann Hoffmann ehrenamtlicher Richter Geschäftsführer Jakobs

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 25. März 2004 - 1 K 278/03.MZ - geändert und der Bescheid der Beklagten vom 20. September 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 22. November 2002 - StRA 038/2002 - aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zum Ersatz der Kosten der für seinen am 24. Juni 1980 geborenen Sohn im Zeitraum 1. Oktober 1990 bis 30. Juni 1998 geleisteten Sozialhilfe.

Der Kläger, seine Ehefrau und sein Sohn erhielten von der Beklagten seit dem 7. November 1985 Sozialhilfeleistungen und von Oktober 1992 bis März 1997 auch Wohngeld. Dabei ging die Beklagte aufgrund der Angaben des insoweit stets auch für seinen Sohn und seine Ehefrau tätig werdenden Klägers davon aus, dass letztere ohne Einkommen sei. Nachdem der Sohn des Klägers zum 1. Juni 1999 eine eigene Wohnung bezogen hatte, wurden die ihn betreffenden Sozialhilfeleistungen eingestellt. Aufgrund einer wegen eines anonymen Hinweises geäußerte Bitte der Beklagten übersandte ihr die Staatstheater M. GmbH mit Schreiben vom 25. September 2000 Aufstellungen über den an die Ehefrau des Klägers seit dem 15. Oktober 1990 gezahlten laufenden Arbeitsverdienst. Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 18. September 2001 gegenüber dem Sohn des Klägers nahm die Beklagte die Bewilligungsbescheide für den Zeitraum 1. Oktober 1990 bis 31. Mai 1999 zurück, soweit für ihn 28.941,67 DM zu viel Sozialhilfe und Wohngeld gewährt worden sei. Sie verlangte von ihm jedoch lediglich die Rückzahlung der für ihn im Zeitraum 1. August 1997 bis 31. Mai 1999 zu viel geleisteten Sozialhilfe in Höhe von 7.528,41 DM, weil nicht ersichtlich sei, dass er schon vorher Kenntnis von der für ihn geleisteten Sozialhilfe gehabt habe. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch des Sohnes des Klägers half die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ihres Stadtrechtsausschusses am 22. November 2002 insoweit ab, als die Rücknahme und die Rückforderung bezüglich der im Zeitraum 1. Juli 1998 bis 31. Mai 1999 gezahlten Sozialhilfe erklärt worden sei, weil er in diesem Zeitraum bereits volljährig gewesen sei und deshalb keine Bedarfsgemeinschaft mehr zusammen mit seinen Eltern gebildet habe. Soweit hingegen die Bewilligungsbescheide für den Zeitraum 1. Oktober 1990 bis 30. Juni 1998 zurückgenommen und von ihm die Erstattung der für ihn im Zeitraum 1. August 1997 bis 30. Juni 1998 gewährten Sozialhilfe in Höhe von 3.810,33 DM verlangt worden waren, blieben sein Widerspruch und seine hernach erhobene Anfechtungsklage erfolglos.

Bereits mit Bescheid vom 20. September 2001 hatte die Beklagte vom Kläger gemäß § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG die Erstattung der im Zeitraum 1. Oktober 1990 bis 31. Juli 1997 für seinen Sohn erbrachten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 16.499,62 DM und Wohngeldleistungen in Höhe von 4.913,64 DM, zusammen also von 21.413,26 DM gefordert. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers hob der Stadtrechtsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2002 den Bescheid vom 20. September 2001 insoweit auf, als mehr als 20.309,95 DM Kostenersatz verlangt worden war, und wies im Übrigen den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: § 92 a Abs. 4 BSHG gelte nur für Sozialhilfeleistungen, so dass danach kein Ersatz der für den Sohn des Klägers geleisteten 4.913,64 DM Wohngeld verlangt werden könne. Indessen könne der Bescheid vom 20. September 2001 durch den Widerspruchsbescheid bezüglich des vom Kläger verlangten Ersatzes der Kosten der zu Unrecht für dessen Sohn geleisteten Sozialhilfe um den Zeitraum 1. August 1997 bis 30. Juni 1998 und damit um 3.810,33 DM erweitert werden, so dass der Kläger Kostenersatz in Höhe von 20.309,95 DM zu leisten habe.

Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht: Das Kostenersatzverlangen der Beklagten bedeute eine Härte i.S.v. § 92 a Abs. 1 Satz 2 BSHG. Ferner erlösche gemäß § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG ein Kostenersatzanspruch drei Jahre vom Ablauf des Jahres an, in dem die Hilfe gewährt worden sei. Zumindest stelle die Erweiterung des Kostenersatzverlangens der Beklagten um den Zeitraum 1. August 1997 bis 30. Juni 1998 durch den Widerspruchsbescheid eine unzulässige reformatio in peius dar.

Mit Urteil vom 25. März 2004 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger sei gemäß § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG zum Ersatz der für seinen Sohn im Zeitraum 1. Oktober 1990 bis 30. Juni 1998 geleisteten Sozialhilfe verpflichtet, da er durch vorsätzliches Verschweigen der Arbeitseinkünfte seiner Ehefrau die Hilfegewährung herbeigeführt habe. Soweit der Zeitraum 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 erst durch den Widerspruchsbescheid in das Kostenersatzbegehren der Beklagten einbezogen worden sei, stelle dies keine unzulässige reformatio in peius dar. Es sei schon fraglich, ob angesichts der gleichzeitigen Reduzierung des Erstattungsverlangens um die Wohngeldleistungen überhaupt eine Verböserung stattgefunden habe. Insoweit könne nämlich angenommen werden, dass zulässigerweise lediglich die Begründung der Forderung ausgetauscht worden sei. Jedenfalls aber sei eine reformatio in peius zulässig, wenn - wie im vorliegenden Fall - Widerspruchs- und Erstbehörde identisch seien. Dem geltend gemachten Kostenersatzanspruch stehe auch nicht die Vorschrift des § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG entgegen, die gemäß § 92 a Abs. 4 BSHG entsprechend anzuwenden sei. Anders als ein Kostenerstattungsbegehren nach § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG setze eines nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG die Aufhebung der Leistungsbewilligung gegenüber dem Leistungsempfänger und den Erlass eines Rückforderungsbescheides nach § 50 SGB X voraus. Deshalb sei bei lediglich entsprechender Anwendung des § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG für den Beginn der Erlöschensfrist nicht auf die Leistungsgewährung, sondern auf den Erlass des Rückforderungsbescheides nach § 50 SGB X abzustellen. Andernfalls würde auch der mit § 92 a Abs. 4 BSHG verfolgte gesetzgeberische Zweck nur unvollständig erfüllt.

Zur Begründung seiner vom Senat gegen dieses Urteil zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen und beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses bei der Beklagten vom 22. November 2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist zur Begründung auf das angefochtene Urteil sowie auf ihre bisherigen Ausführungen, die sie weiter ergänzt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf 11 Hefte Verwaltungs- und Widerspruchsakten der Beklagten Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der auf § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG gestützte Kostenersatzbescheid der Beklagten vom 20. September 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 22. November 2002 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Gemäß § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG ist zum Ersatz der Kosten zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 3 dieser Vorschrift verpflichtet, wer die Leistung durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat.

Zwar hat der Kläger durch das Verschweigen von Arbeitseinkünften seiner Ehefrau die von der Beklagten erbrachten Sozialhilfeleistungen für seinen Sohn im Zeitraum 1. Oktober 1990 bis 30. Juni 1998 vorsätzlich herbeigeführt. Insoweit kann auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts vollinhaltlich verwiesen werden.

Auch hat die Beklagte die den Sozialhilfeleistungen für den Sohn des Klägers zugrunde liegenden Bewilligungsbescheide für den vorgenannten Zeitraum gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit Rücknahmebescheid vom 18. September 2001 (rechtzeitig) zurückgenommen, wie § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG durch den Verweis auf den Rechtsgrund des § 50 SGB X voraussetzt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. November 1997 - 7 C 16.97 -, BVerwGE 105, 374 [376]); der Erlass auch eines - hier nur (noch) für den Zeitraum 1. August 1997 bis 30. Juni 1998 vorliegenden - Rückforderungsbescheides i.S.v. § 50 SGB X gegenüber dem Leistungsempfänger ist indessen entgegen der nicht näher begründeten Annahme des Verwaltungsgerichts nicht vorgeschrieben.

Jedoch steht dem Verlangen der Beklagten gemäß § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG die entsprechend anzuwendende Bestimmung des § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG entgegen. Danach erlischt der Anspruch auf Kostenersatz in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Hilfe gewährt worden ist. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts und der Beklagten kann § 92 a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BSHG nämlich nicht dahin ausgelegt werden, dass die in Absatz 3 Satz 1 dieser Bestimmung genannte Frist erst mit Erlass des Rücknahme- oder gar Rückforderungsbescheides gegen den Leistungsempfänger zu laufen beginnt.

Richtig ist zwar, dass das Entstehen eines Kostenersatzanspruchs nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 SGB den Erlass eines Rücknahmebescheides gemäß § 45 SGB X gegenüber dem Leistungsempfänger voraussetzt (s.o.). Richtig ist ferner, dass die Unrechtmäßigkeit der Sozialhilfeleistung i.S.v. § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG dem Sozialhilfeträger bei deren Erbringung noch nicht bekannt ist, sondern stets erst später bekannt wird. Richtig ist schließlich, dass deshalb die in § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG genannte Frist von drei Jahren von dem Ende des Jahres an, in dem die Hilfe gewährt worden ist, bereits abgelaufen sein kann, bevor der Sozialhilfeträger von den für die Unrechtmäßigkeit der Leistungserbringung maßgeblichen Tatsachen erfährt. Dies zwingt indessen nicht zu der Annahme, dass deshalb ein Kostenersatzanspruch nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG bei entsprechender Anwendung von § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG erst drei Jahre nach Ablauf des Jahres zu laufen beginnt, in dem Sozialhilfeträger Kenntnis von den die Rücknahme des Leistungsbescheides rechtfertigenden Tatsachen erhält oder in dem er gar erst durch Erlass eines Rücknahmebescheides i.S.v. § 45 Abs. 4 SGB X hierauf reagiert. Vielmehr ist in den Fällen, in denen der Sozialhilfeträger erst so spät von der Unrechtmäßigkeit erbrachter Sozialhilfeleistungen erfährt, dass innerhalb von drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Hilfe gewährt worden ist, kein Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X mehr gegenüber dem Leistungsempfänger ergeht, die Annahme geboten, dass dann ein Kostenersatzanspruch nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG gar nicht erst entsteht.

Dies ergibt zunächst ein Vergleich mit der den Absätzen 1 bis 3 des § 92 a BSHG zugrunde liegenden Situation und deren Regelung durch den Gesetzgeber. Zwar ist in den von § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG erfassten Fällen, in denen ein Volljähriger die Gewährung rechtmäßiger Sozialhilfeleistungen an sich oder unterhaltsberechtigte Angehörige durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges so genanntes sozialwidriges Verhalten herbeigeführt hat (vgl. hierzu insbes. die Beispielsfälle bei D. Schoch, ZfS 1989, 33 [40 bis 42] m.w.N.), dem Sozialhilfeträger das sozialwidrige Verhalten meist schon bei der Erbringung der Leistung bekannt. Letzteres trifft jedoch dann nicht zu, wenn das sozialwidrige Verhalten zunächst verschwiegen oder sogar verschleiert wird. Hierher gehören vor allem die Fälle, in denen die Gewährung von Sozialhilfe infolge von Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit erforderlich wird, die durch ein zunächst verheimlichtes vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten verursacht wurde. Gleichwohl hat der Gesetzgeber für alle Fälle des § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG, ohne also nach der Erkennbarkeit des sozialwidrigen vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhaltens zu differenzieren, für die Frist bis zum Erlöschen des Kostenersatzanspruchs in § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG einheitlich an den Zeitpunkt der Leistungserbringung angeknüpft. Damit hat er in Kauf genommen, dass der Sozialhilfeträger, wird ihm nur lange genug das die Sozialhilfegewährung herbeiführende sozialwidrige Verhalten verheimlicht, nach Ablauf der in Absatz 3 Satz 1 des § 92 a BSHG genannten Frist nicht mehr mit Erfolg von demjenigen Kostenersatz verlangen kann, der die Leistungserbringung vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat.

Diese Regelung wollte nun der Gesetzgeber auf die von § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG erfassten Fälle zu Unrecht erbrachter Sozialhilfeleistungen entsprechend angewendet wissen. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber dabei einen Kostenersatzanspruch abweichend von § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG auch noch nach Ablauf der darin genannten Frist zulassen wollte. Die Regelung des § 92 a Abs. 4 BSHG wurde durch das 2. Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2374) in das Bundessozialhilfegesetz eingefügt. Dabei hatte erst der Haushaltsausschuss empfohlen, den Entwurf dieses Gesetzes um einen vom Ausschuss für Familie und Senioren vorgeschlagenen § 93 a Abs. 4 BSHG ergänzt anzunehmen, der dann auch wortgleich so Gesetz geworden ist. Ausweislich des Berichts des Haushaltsausschusses hatte der Ausschuss für Familie und Senioren diesbezüglich zur Begründung unter anderem ausgeführt: "(§ 92 a Abs. 4) Satz 1 (BSHG) erweiterte die Regelung der Absätze 1 bis 3, die auf rechtmäßige Leistungen abstellten, auf zu Unrecht erbrachte Leistungen an den Verpflichteten selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen. Soweit Satz 1 nichts Abweichendes regele, seien die Absätze 1 bis 3 auch in diesen Fällen anzuwenden" (vgl. BT-Drs. 12/5903 S. 1, 3 und 5 sowie 12/5930, S. 1 und 4). Da § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG keine von § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG abweichende Regelung des Zeitraumes enthält, innerhalb dessen der Kostenersatzanspruch geltend gemacht werden kann, verstand ersichtlich der Gesetzgeber unter "entsprechender Anwendung" des für Kostenersatzansprüche bei rechtmäßigen Sozialhilfeleistungen geltenden § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG lediglich dessen unveränderte Anwendung auch auf Kostenersatzansprüche bei zu Unrecht erbrachten Sozialhilfeleistungen, ohne dass also die darin genannte Frist an einen anderen Zeitpunkt anknüpfen sollte. Überdies stand dem Gesetzgeber, als er in § 92 Abs. 4 Satz 1 BSHG auf den Rechtsgrund des § 50 SGB X (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 1997, a.a.O. S. 376) und damit insbesondere auf § 45 SGB X verwies, mithin die in dessen Absatz 4 Satz 2 getroffene Regelung vor Augen, wonach Anknüpfungspunkt für die Frist zum Erlass eines Rücknahmebescheides die Kenntniserlangung von den diesbezüglich maßgeblichen Tatsachen ist. Unter diesen Umständen hätte es aber nahe gelegen, eine vergleichbare Regelung ausdrücklich in § 92 a Abs. 4 BSHG zu treffen, hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, dass der Anspruch auf Ersatz der Kosten zu Unrecht erbrachter Sozialhilfeleistungen erst drei Jahre vom Ablauf des Jahres an nicht mehr geltend gemacht werden kann, in dem der Sozialhilfeträger von den Tatsachen Kenntnis erlangt, aus denen sich die Unrechtmäßigkeit der Leistungen ergibt, oder gar erst durch Erlass eines Rücknahmebescheides hierauf reagiert. Sicherlich wollte der Gesetzgeber durch die Schaffung von § 92 a Abs. 4 BSHG die Position des Sozialhilfeträgers dadurch stärken, dass dieser nun neben dem gemäß § 50 SGB X zur Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen verpflichteten Leistungsempfänger nach näherer Maßgabe des Gesetzes auch den Leistungsverursacher zum Kostenersatz verpflichten kann (vgl. vor allem Linhart, NDV 1996, 354, [357 und 358]; vgl. auch BT-Drs. 12/5930 S. 4). Zu einer dahingehenden Besserstellung des Sozialhilfeträgers kommt es indessen in all denjenigen Fällen, in denen dieser so früh von den für die Unrechtmäßigkeit einer Sozialhilfeleistung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt, dass er noch innerhalb von drei Jahren vom Ende des Jahres an, in dem die Leistung erbracht worden ist, einen Rücknahmebescheid i.S.v. § 45 SGB X gegenüber dem Leistungsempfänger und einen Kostenersatzbescheid i.S.v. § 92 a Abs. 4 BSHG gegenüber demjenigen Volljährigen erlassen kann, der durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Leistung an unterhaltsberechtigte Angehörige herbeigeführt hat. Etwa weitergehende gesetzgeberische Absichten bei der Schaffung des § 92 a Abs. 4 BSHG sind nach alledem nicht erkennbar und könnten zudem, da § 92 a Abs. 4 BSHG eine Eingriffsermächtigung darstellt, im Rahmen der Gesetzesauslegung nur insoweit berücksichtigt werden, als sie in das Gesetz Eingang gefunden haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 1997, a.a.O. S. 377). Dies ist indessen nicht der Fall.

Kann nach alledem ein Kostenersatzanspruch nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG bei entsprechender Anwendung von Absatz 3 Satz 1 dieser Bestimmung nur innerhalb von drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Leistung erbracht worden ist, geltend gemacht werden, so hätte mit dem Bescheid der Beklagten vom 20. September 2001 mithin Kostenerstattung nur für ab dem 1. Januar 1998 gewährte Hilfe verlangt werden können, nicht mehr aber für die im Zeitraum 1. Oktober 1990 bis 31. Juli 1997 an den Sohn des Klägers erbrachten Sozialhilfeleistungen; ferner konnte mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2002 Kostenersatz nur für ab dem 1. Januar 1999 gewährte Hilfe geltend gemacht werden, nicht mehr aber für die im Zeitraum 1. August 1997 bis 30. Juni 1998 an den Sohn des Klägers erbrachten Sozialhilfeleistungen.

Unabhängig davon liegt, soweit der auf § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG gestützte Kostenersatzanspruch gegen den Kläger erstmals durch den Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 22. November 2002 geltend gemacht wurde, eine unzulässige Abänderung des Ausgangsbescheides im Widerspruchsverfahren zum Nachteil des Widerspruchsführers (reformatio in peius) vor. Zwar kann eine derartige, in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht selbst geregelte Entscheidung der Widerspruchsbehörde nach Maßgabe des Landesorganisationsrechts zulässig sein (st. Rspr.; vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 1996 - 1 B 100.96 -, DVBl. 1996, 1318). Eine dahingehende Ermächtigung kann (auch) dem rheinland-pfälzischen Landesrecht grundsätzlich entnommen werden. Da das Widerspruchsverfahren neben der Entlastung der Gerichte auch der Selbstkontrolle der Verwaltung dient, entspricht es seinem Sinn und Zweck, auch solche Fehler zu beheben, die sich zugunsten des Widerspruchsführers auswirken. Zu einer solchen "Verböserung" ist die Widerspruchsbehörde jedoch nur dann berechtigt, wenn sie die volle Entscheidungskompetenz der Erstbehörde hat, etwa weil sie die Fachaufsicht über die Erstbehörde ausübt oder mit ihr identisch ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Oktober 1991 - 2 A 10038/91.OVG -, NVwZ 1992, 386 [387]). Etwas anderes gilt aber, wenn als Widerspruchsbehörde - wie hier - nicht die vorgesetzte Behörde der Erstbehörde oder diese selbst, sondern ein weisungsunabhängiger, nicht in die Behördenhierarchie eingegliederter Kreis- oder Stadtrechtsausschuss handelt (vgl. § 7 Abs. 1 VwGO-Ausführungsgesetz). Ein solcher Ausschuss ist eine reine Rechtsbehelfsbehörde, die nur befugt ist, der Verletzung des Widerspruchsführers in seinen Rechten abzuhelfen, nicht aber dazu, objektiv rechtmäßige Verhältnisse zu schaffen. Eine über die Rechtsschutzfunktion hinausgehende objektive Kontrollbefugnis hat ein Kreis- oder Stadtrechtsausschuss nicht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 8. Mai 1961 - 1 A 76/60 -, AS 8, 273 [279] und vom 28. April 2004 - 8 A 10366/04.OVG -, DÖV 2004, 889 f., Pietzner, Verwaltungsarchiv Band 80 [1989], 501 [505], Dolde in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 68 Rdnr. 51 Fußn. 125). Deshalb durfte der Stadtrechtsausschuss der Beklagten nicht den Regelungsumfang des Ausgangsbescheides vom 20. September 2001 dadurch zum Nachteil des Klägers erweitern, dass der von der Beklagten geltend gemachte Kostenersatzanspruch auf den Zeitraum 1. August 1997 bis 30. Juni 1998 ausgedehnt wurde. Dem steht nicht entgegen, dass zugleich der auf § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG gestützte Kostenersatzbescheid bezüglich der zu Unrecht darin einbezogenen Wohngeldleistungen aufgehoben wurde und sich deshalb trotz der Ausweitung des für den Kostenersatz maßgeblichen Zeitraumes die vom Kläger verlangte Summe insgesamt sogar reduzierte. Gleichwohl stellte die Geltendmachung eines Kostenersatzanspruchs für einen zusätzlichen Zeitraum nämlich eine Erweiterung des Regelungsgegenstandes des Ausgangsbescheides und nicht lediglich ein Auswechseln der Begründung dar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

Beschluss

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt.

Ende der Entscheidung

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