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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 08.06.2004
Aktenzeichen: 2 A 11972/03.OVG
Rechtsgebiete: LBG


Vorschriften:

LBG § 86 Abs. 1 Satz 1
Überprüft ein Beamter den Ladezustand seiner Dienstwaffe im geschlossenen Raum außerhalb der Ladeecke, so handelt er in der Regel zumindest dann grob fahrlässig, wenn begründete Zweifel (hier: Auswurf einer Patrone) an dem ungeladenen Zustand der Waffe bestehen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

2 A 11972/03.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Regressforderung

hier: Zulassung der Berufung

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 8. Juni 2004, an der teilgenommen haben

Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer Richter am Oberverwaltungsgericht Bonikowski Richterin am Oberverwaltungsgericht Stengelhofen

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 1.750,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, dem Dienstherrn die von ihm erbrachten Leistungen an einen Dritten, der durch einen Schuss aus der Dienstwaffe des Klägers verletzt wurde, zu erstatten. Der Kläger steht als Polizeikommissar im Dienste des beklagten Landes. Am 15. November 2001 suchte er aus Anlass einer routinemäßigen Waffenrevision während seines Urlaubs die Dienststelle auf und begab sich in eines der Vernehmungszimmer, um seine Dienstwaffe zur Vorbereitung der Überprüfung zu reinigen. In der Absicht die Waffe zu zerlegen, richtete er diese schräg nach unten. Er zog den Schlitten zurück, wobei eine Patrone ausgeworfen wurde. Beim anschließenden Versuch, das Magazin aus der Waffe zu entnehmen, löste sich ein Schuss und schlug in den Fußboden ein. Dadurch erlitt ein im selben Raum anwesender Kollege, der sich etwa 2,5 m vom Kläger entfernt befand, ein Knalltrauma und einen beidseitigen Tinnitus. Die vom Beklagten während der Dienstunfähigkeit an diesen Beamten fortgezahlten Dienstbezüge und die von ihm übernommenen Kosten für die ärztliche Behandlung belaufen sich auf insgesamt 2.063,91 €. Nachdem die zuständige Personalvertretung lediglich einem Rückgriff in Höhe von 1.750,00 € zugestimmt hatte, forderte der Beklagte den Kläger durch Leistungsbescheid vom 20. März 2003 zur Erstattung des letztgenannten Betrages auf. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, der Kläger habe die ihm obliegenden Amtspflichten beim Umgang mit Dienstwaffen grob fahrlässig verletzt. Vor allem sei ihm vorzuwerfen, dass er an der Waffe außerhalb der dafür vorgesehenen Ladeecke hantiert habe, zumal ihm spätestens mit dem Auswerfen der Patrone der geladene Zustand der Waffe bekannt gewesen sei. Dem trat der Kläger entgegen. Er wandte im Wesentlichen ein, eine grobe Fahrlässigkeit könne ihm nicht angelastet werden. Vorkommnisse der vorliegenden Art passierten nun einmal. Insbesondere fehle es auch an der Kausalität. Die Verletzung seines Kollegen wäre nämlich auch bei einer Entladung der Waffe in der Ladeecke nicht zu verhindern gewesen. Im Übrigen gehöre die Belastung mit Knallgeräuschen aus Schusswaffen zum allgemeinen Berufsrisiko der Polizeibeamten.

Widerspruch und Anfechtungsklage des Klägers blieben erfolglos. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen der damit geltenden gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) nicht vorliegen.

1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), da sich aufgrund des Zulassungsvorbringens keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür abzeichnet, dass der Kläger in einem Berufungsverfahren mit seinem Begehren durchdringen könnte. Das angefochtene Urteil erweist sich vielmehr als richtig. Das vorinstanzliche Entscheidungsergebnis wird insbesondere nicht durch die vom Kläger erhobenen Bedenken in Frage gestellt.

Zu den Dienstpflichten eines Polizeibeamten gehört es, mit seiner Dienstwaffe so umzugehen, dass niemand unnötig gefährdet oder geschädigt wird. Die Pflicht zu sorgsamem und verantwortungsbewusstem Umgang mit der Dienstwaffe gilt in besonderem Maße beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen, zumal wenn sich Dritte in der Nähe befinden. Verletzt der Beamte diese Pflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig, ist er dem Dienstherrn zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Landesbeamtengesetz - LBG -). Das Verschulden ist allein auf die Dienstpflichtverletzung, nicht auch auf den eingetretenen Schaden zu beziehen. Der Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit ist gerechtfertigt, wenn der Beamte im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. Grabendorff/Arend, LBG Rheinland-Pfalz, Stand: August 2003, Teil B, § 86 Erl. 1. c) sowie Plog/Wiedow u.a., Kommentar zum BBG, Stand: Mai 2004, § 78 BBG Rdnr. 25 jeweils m.w.N.). Angesichts der mit Schusswaffen verbundenen erheblichen Gefährdung von Leib oder Leben des Waffenträgers und Dritter ist es eine zumutbare und ohne weiteres nachvollziehbare Vorsichtsmaßnahme, sich vor dem Zerlegen einer Waffe von ihrem ungeladenen Zustand zu überzeugen und zumindest beim Vorliegen begründeter Zweifel bereits für diese Überprüfung die Ladeecke aufzusuchen. Daher handelt ein Polizeibeamter in der Regel der ihm obliegenden Sorgfalt in besonders hohem und offenkundigem Maße zuwider, wenn er mit der Zerlegung der Waffe außerhalb der Ladeecke fortfährt, obwohl für ihn eindeutige und sichere Anhaltspunkte für ihren geladenen Zustand gegeben sind.

In Anwendung dieses rechtlichen Maßstabes ist das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig anzusehen, weil er, selbst nachdem beim Zurückziehen des Schlittens eine Patrone ausgeworfen wurde, und es sich ihm daher geradezu aufdrängen musste, dass die Waffe entgegen seiner ursprünglichen Annahme nicht ungeladen war, nicht die Ladeecke aufsuchte. Umstände, die ausnahmsweise einen minder schweren Schuldvorwurf rechtfertigen könnten, sind vorliegend nicht erkennbar.

Dem Beklagte ist ferner - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - ein (mittelbarer) Schaden durch die Fortzahlung der Dienstbezüge während der Dienstunfähigkeit und der Begleichung der ärztlichen Behandlungskosten entstanden. Der Schadensbegriff des § 86 Abs. 1 Satz 1 LBG schließt den sogenannten Regressschaden ein, der dadurch entsteht, dass durch die Dienstpflichtverletzung ein Dritter geschädigt wird und der Dienstherr für diesen Schaden einzutreten hat (vgl. Grabendorff/Arend, a.a.O., Erl. 1. d)). Soweit das Verwaltungsgericht im Übrigen einen Abzug von 313,91 € (= 15% der Schadenssumme) für die Vorschädigung des rechten Ohres des verletzten Beamten für ausreichend gehalten hat, ist dagegen mangels einer beachtlichen Verfahrensrüge des Klägers nichts zu erinnern.

Die Leistungen des Beklagten an den verletzten Dritten sind auch adäquat kausal bedingt durch die Dienstpflichtverletzung des Klägers. Ein adäquater Ursachenzusammenhang ist zu bejahen, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung die begangene Dienstpflichtverletzung für einen objektiven Betrachter geeignet war, einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. August 2001 - 10 A 10683/01.OVG - veröffentlicht in ESOVGRP). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ein sorgfaltsgemäßes Verhalten des Klägers den Schaden verhindert hätte. Es lag nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, dass sich beim Entladen der Dienstwaffe außerhalb der Ladeecke versehentlich ein Schuss löste und das in geschlossenen Räumen besonders intensive Knallgeräusch bei dem sich in unmittelbarer Nähe befindlichen, keinen Schallschutz tragenden Kollegen des Klägers eine Tinnituserkrankung hervorrief. Darüber hinaus stehen die besagten Aufwendungen des Beklagten - ohne damit die Frage nach dem Erfordernis eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen pflichtwidrigem Verhalten und Schaden generell und abschließend zu beantworten (vgl. auch offen gelassen durch BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1984 - BVerwG 6 C 199.81 - BVerwGE 70, 296 [300 f.]) - in einem inneren Zusammenhang mit der vom Kläger geschaffenen Gefahrenlage. Denn sowohl die Überprüfung des (aktuellen) Ladezustandes der Waffe in der Ladeecke als auch ihre dortige Entladung sollen gerade auch verhindern, dass Dritte durch den Umgang mit der Waffe verletzt werden.

Schließlich liegen keine besonderen Umstände vor, die es geboten erscheinen lassen, von einer Inanspruchnahme des Klägers ganz oder zum Teil abzusehen. Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches nach § 86 Abs. 1 Satz 1 LBG steht - anderes als der Kläger zu meinen scheint - weder dem Grunde noch der Höhe nach im Ermessen des Beklagten (vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 1 BBG: BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - BVerwG 2 C 42.00 - ZBR 2002, 315). Lediglich in engen Ausnahmefällen, etwa bei einer außergewöhnlichen Schadenshöhe, kann aufgrund des Fürsorgegrundsatzes ein vollständiger oder teilweiser Erlass angezeigt sein (vgl. Plog/Wiedow u.a., a.a.O., Rdnr. 50 m.w.N.). Die vorliegend geltend gemachte Schadensersatzforderung erfüllt diese Anforderung jedoch erkennbar nicht. Damit ist aber noch nichts über eine Haftungsbeschränkung bei einer etwaigen Inanspruchnahme des Klägers für spätere (Folge)Schäden gesagt; insoweit erscheint es dem Senat im Gegenteil durchaus erwägenswert und sachgerecht zu sein, unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht von einem Härtefall auszugehen. 2. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Es kann bereits - wie aufgezeigt - aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens hinreichend sicher beurteilt werden, dass der gegenüber dem Kläger nach § 86 Abs. 1 Satz 1 LBG im Wege des Rückgriffs geltend gemachte Erstattungsanspruch in Höhe von 1.750,00 € keiner Beanstandung unterliegt.

3. Ferner ist die Berufung nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Insoweit formuliert der Kläger entgegen der ihm nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO obliegenden Darlegungslast keine bestimmte, noch ungeklärte, fallübergreifende Rechtsfrage von entscheidungserheblicher Bedeutung. Soweit er die grundsätzliche Bedeutung damit begründet, dass das Aufsuchen der Ladeecke entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall gerade keine annähernde Gewähr dafür geboten hätte, eine Gefährdung Dritter auszuschließen, setzt er der tatrichterlichen Würdigung der Vorinstanz lediglich seine eigene abweichende Einschätzung entgegen. Dies vermittelt der Rechtssache aber noch keine grundsätzliche Bedeutung. Entsprechendes gilt für seine umfangreichen Ausführungen bezüglich der Abweichung des angefochtenen Urteils von den näher bezeichneten und skizzierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes. Denn allein mit Vorwurf einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen durch die Vorinstanz kann eine Grundsatzrüge nicht begründet werden.

4. Der Zulassungsantrag dringt auch nicht insoweit durch, als der Kläger gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO geltend macht, die angefochtene Entscheidung weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 1964 - BVerwG 2 C 147.61 - (BVerwGE 19, 243) ab, weil sich das Verwaltungsgericht mit der danach anerkannten Möglichkeit des vollständigen oder teilweisen Erlasses aus Gründen der Fürsorgepflicht nicht auseinandergesetzt habe. Die streitgegenständliche Forderung von 1.750,00 € weist nämlich - wie bereits erwähnt - (noch) keine existenzbedrohende Höhe auf, sodass für den Beklagte (bislang) auch keine Veranlassung bestand, über eine Haftungsbeschränkung aufgrund des Fürsorgegrundsatzes zu befinden.

5. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen. Ohne Erfolg bemängelt der Kläger, die angefochtene Entscheidung beruhe im Hinblick auf den Krankheitsbefund seines verletzten Kollegen sowie die Räumlichkeiten und die Gepflogenheiten in der Dienststelle in Bezug auf die Aufbewahrung der Dienstwaffen während der Urlaubszeit auf einer unzureichenden Ermittlung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO). Denn das Verwaltungsgericht hatte von seiner, für den Umfang der Aufklärungspflicht allein maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung her keine Veranlassung, weitere Ermittlungen in eine vom Kläger im Übrigen nicht näher bezeichnete Richtung anzustellen. Alle für die Entscheidung über den Regressanspruch nach § 86 Abs. 1 Satz 1 LBG erforderlichen Tatsachen sind ausweislich der vorstehenden Ausführungen vielmehr hinreichend geklärt. Soweit sich der Kläger auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) beruft, weil er erstmals in der mündlichen Verhandlung von dem Inhalt des Verwaltungsvorgangs Kenntnis erlangt habe, genügt sein Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn der Zulassungsantrag lässt jede Ausführung darüber vermissen, welchen Sachvortrag der Kläger bei hinreichender Gehörsgewährung noch unterbreitet hätte und inwiefern sein weiterer Vortrag zur Begründung seines Klagebegehrens geeignet gewesen wäre. Schließlich bleibt auch die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) erfolglos. Dass das Verwaltungsgericht Einzelheiten aus dem beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsvorgang zur Grundlage seiner Entscheidung machen kann, ist eine Selbstverständlichkeit, die in der Regel keines ausdrücklichen Hinweises bedarf. Soweit der Kläger sein Vorbringen als Verstoß gegen das Verbot von Überraschungsentscheidungen verstanden wissen will, benennt er keine konkrete, aus dem Verwaltungsvorgang entnommene Tatsache, mit deren Verwertung er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nach dem Verlauf des Rechtsstreits nicht zu rechnen brauchte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus §§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -.

Ende der Entscheidung

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