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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 20.09.2006
Aktenzeichen: 2 B 10951/06.OVG
Rechtsgebiete: LV, LBG, Richtlinie 2000/78/EG


Vorschriften:

LV Art. 50
LV Art. 50 Abs. 1
LV Art. 50 Abs. 1 Satz 1
LV Art. 50 Abs. 2
LV Art. 76
LV Art. 76 Abs. 2
LV Art. 76 Abs. 4
LBG § 183
LBG § 183 Abs. 2
LBG § 183 Abs. 2 Satz 2
Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000
Die vom Gesetzgeber auf die Vollendung des 68. Lebensjahres festgesetzte Altersgrenze für gewählte Kommunalbeamte auf Zeit (§ 183 Abs. 2 Satz 2 LBG) begegnet nach derzeitigem Erkenntnisstand keinen verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zugunsten eines aufgrund Erreichens der Altersgrenze vor Ablauf der Wahlperiode aus dem Amt scheidenden Amtsinhabers (hier: Oberbürgermeister) scheidet daher aus.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

2 B 10951/06.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Eintritts in den Ruhestand von gewählten Kommunalbeamten auf Zeit

hier: einstweilige Anordnung

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 20. September 2006, an der teilgenommen haben

Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer Richter am Oberverwaltungsgericht Bonikowski Richterin am Oberverwaltungsgericht Stengelhofen

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 2. August 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt, bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zu Recht mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung) abgelehnt. Die vom Antragsteller hiergegen erhobenen Rügen, auf die sich die Überprüfung im Rahmen der Beschwerde zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine andere Entscheidung. Nach der im Verfahren des Eilrechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung zeichnet sich nicht mit der - für die hier begehrte Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung - notwendigen Deutlichkeit ab, dass das Begehren des Antragstellers, der Antragsgegnerin die im Einzelnen bezeichneten Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der Neuwahl ihres Oberbürgermeisters zu untersagen, derzeit gerechtfertigt ist. Vielmehr spricht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht mehr dafür, dass der Antragsteller kein subjektives Recht auf Ausübung des Amtes des hauptamtlichen Oberbürgermeisters über die Vollendung des 68. Lebensjahres hinaus hat.

Nach Art. 50 Abs. 1 Satz 1 Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV - wählen die Bürger in den Gemeinden die Bürgermeister nach den Wahlrechtsgrundsätzen des Art. 76 LV. Die hier als verletzt allein in Betracht kommenden Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl sind Anwendungsfälle des allgemeinen, als Grundrecht des Einzelnen in Art. 17 Abs. 1 und 2 LV, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG - garantierten Gleichheitssatzes. Kennzeichnend für sie ist ihr formaler Charakter: Jeder soll sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl betrifft dabei in erster Linie den Zugang zur Wahl. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl bezieht sich demgegenüber auf den Wert der einzelnen Stimme, gilt darüber hinaus aber insbesondere auch für die Annahme und Ausübung des errungenen Mandats. In diese Rechte greift die einfachgesetzliche Regelung des § 183 Abs. 2 Satz 2 Landesbeamtengesetz - LBG - insoweit ein, als der Antragsteller aufgrund dieser Regelung von der Ausübung seines Amtes als Oberbürgermeister vor Ablauf der gesetzlichen Amtszeit von acht Jahren (§ 52 Abs. 1 Gemeindeordnung -GemO -), für die er gewählt worden ist, bereits zwei Jahre vorher mit Vollendung des 68. Lebensjahres ausgeschlossen wird. Die formale Wahlgleichheit gilt indessen nicht schrankenlos. Insbesondere gewährt sie dem Gewählten kein subjektives Recht auf Ausübung des Amtes für die gesetzliche Amtszeit in vollem Umfang. Vielmehr sind Einschränkungen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl - wie auch sonst bei Anwendung des Gleichheitssatzes - grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig (Art. 50 Abs. 2 und 76 Abs. 4 LV). Allerdings bleibt dem Gesetzgeber angesichts der Bedeutung des gleichen Wahlrechts für die freiheitlich demokratische Grundordnung hierfür nur ein eng bemessener Spielraum. Dementsprechend bedürfen Differenzierungen zu ihrer Rechtfertigung stets eines zwingenden sachlichen Grundes (stRspr., vgl. z.B.: BVerfGE 93, 373 [376 f.] m.w.N.).

Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben bestehen gegen die in § 183 Abs. 2 Satz 2 LBG für gewählte Kommunalbeamte auf Zeit geregelte gesetzliche Altersgrenze keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die von den Bürgern gewählten (Ober)Bürgermeister sind trotz ihrer Wahl Verwaltungsbeamte (vgl. §§ 28, 47 ff., 54 Abs. 1 Satz 1 GemO). Die gesetzliche Altersgrenze, bei deren Erreichen der Ruhestand unabhängig von der wirklichen Leistungskraft des einzelnen kommunalen Wahlbeamten beginnt, ist ihrem Wesen nach eine generalisierende Einschätzung des für die Amtsausübung erforderlichen Leistungsvermögens, die den Dienstherrn der Notwendigkeit eines unter Umständen aufwändigen individuellen Prüfungs- und (Zwangs)Pensionierungsverfahrens entheben soll. Sie trägt der Erfahrung Rechnung, dass bei Erreichen eines gewissen Alters Leistungskraft und -fähigkeit im Allgemeinen nachlassen und dem gesundheitlichen Anforderungsprofil des Amtes nicht mehr genügen. Dementsprechend dient die gesetzliche Altersgrenze der Gewährleistung einer effektiven Führung der Amtsgeschäfte und damit der ordnungsgemäßen Erfüllung der der Verwaltung im Interesse der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben.

Die Bestimmung der gesetzlichen Altersgrenze ist nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte. Sie setzt vielmehr eine Wertung voraus, die in erster Linie dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Er muss die mit dem Amt als (Ober)Bürgermeister verbundenen Anforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit einschätzen. Bei der daran anknüpfenden Festsetzung der Altersgrenze muss er einen angemessenen Ausgleich zwischen der Bedeutung der Wahl als wesentlicher Grundlage der demokratischen Grundordnung und der von ihm auch kommunalen Wahlbeamten verfassungsrechtlich geschuldeten Fürsorge (Art. 126 LV, Art. 33 Abs. 5 GG) schaffen. Angesichts der ihm insoweit zukommenden Gestaltungsfreiheit und Einschätzungsprärogative ist seine Entscheidung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Jede gesetzliche Regelung der Altersgrenze muss zwangsläufig generalisieren und typisieren. Sie enthält von daher auch unvermeidbare Härten. Diese sind hinzunehmen, soweit die Regelung - insgesamt betrachtet - die angestrebte Gewährleistung einer effektiven Amtsführung und Aufgabenerfüllung ohne unvertretbare Einschränkung des Wahlrechts erwarten lässt. Es ist nicht erforderlich, dass der Gesetzgeber im Einzelfall die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung fehlen bislang hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, das Abstellen auf die Vollendung des 68. Lebensjahres wäre sachlich nicht (mehr) vertretbar oder nicht (mehr) verhältnismäßig. Insbesondere erweist sich die Möglichkeit der Abwahl der (Ober)Bürgermeister nach § 55 GemO angesichts ihrer strengen Voraussetzungen nicht als milderes Mittel. Entsprechendes gilt in Bezug auf eine mögliche Versetzung in den Ruhestand wegen im Einzelfall (festgestellter) Dienstunfähigkeit. Freilich ist der Gesetzgeber nicht gehindert, neuere Erkenntnisse der Medizin und Altersforschung zum Anlass eines Überdenkens der jetzigen Altersgrenze zu nehmen.

Aus denselben Gründen ist die Regelung des § 183 Abs. 2 Satz 2 LBG auch im Hinblick auf Art. 58 LV verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Darüber hinaus lässt sich die Verfassungswidrigkeit des § 183 Abs. 2 Satz 2 LBG auch nicht aus einer fehlenden gesetzlichen Altersgrenze für insbesondere Minister herleiten. Vielmehr gibt es für die unterschiedliche Behandlung von hauptamtlichen (Ober)Bürgermeistern und Ministern hinreichende sachliche Gründe (vgl. BVerfG, NVwZ 1997, 1207).

Schließlich steht der Anwendung des § 183 Abs. 2 Satz 2 LBG auch nicht die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf entgegen. Die Richtlinie 2000/78/EG gebietet nicht, kommunale Wahlbeamte über die Vollendung des 68. Lebensjahres hinaus ihr Amt bis zum Ablauf der Amtszeit, für die sie gewählt worden sind, ausüben zu lassen. Die Richtlinie 2000/78/EG berührt nach Nr. 14 der Begründungserwägungen nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand. Diese Begründungserwägung gibt gemäß Art. 253 EG-Vertrag einen der Gründe wieder, von dem der Rat als zuständiges Organ sich bei Erlass der Richtlinie hat leiten lassen, ist damit ein wesentlicher Bestandteil der Richtlinie und als solcher mitentscheidend für ihre Auslegung. Dies gilt auch dann, wenn die Begründungserwägung nicht in den Text der Richtlinie aufgenommen worden ist (vgl. BVerwG, DVBl. 2006, 847 [849]). Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller auch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2005 - C-144/04 - (NJW 2005, 3695), wonach sich das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters nicht erst aus der Richtlinie 2000/78/EG ergibt, sondern als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen ist. Auch die Anwendung dieses allgemeinen Grundsatzes setzt voraus, dass die in Rede stehende nationale Regelung in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, was hier nicht der Fall ist. Abgesehen davon betraf jenes Verfahren nicht die europarechtliche Zulässigkeit einer Altersgrenze für kommunale Wahlbeamte. Gegenstand der Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof war vielmehr die Frage, ob mit den europarechtlichen Vorgaben eine nationale Regelung vereinbar ist, die befristete Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern ab einem bestimmten Alter ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässt, wodurch diese während eines erheblichen Teils ihres Berufslebens Gefahr laufen, allein wegen ihres Alters von festen Beschäftigungsverhältnissen ausgeschlossen zu sein. Damit ist der hier in Rede stehende Sachverhalt indessen nicht vergleichbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 Gerichtskostengesetz i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525).

Ende der Entscheidung

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