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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 07.09.2005
Aktenzeichen: 2 B 11269/05.OVG
Rechtsgebiete: GG, ZDF-StV, JMStV


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 3
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 3
GG Art 21
ZDF-StV § 11 Abs. 1 Satz 1
ZDF-StV § 11 Abs. 2
JMStV § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts sind befugt, die Ausstrahlung eines Wahlwerbespots einer politischen Partei abzulehnen, wenn dessen Inhalt in krassem Widerspruch zum Menschenbild des Grundgesetzes steht (hier: keine Verpflichtung des ZDF, Wahlwerbespot der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschland auszustrahlen).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

2 B 11269/05.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Fernsehrechts

hier: einstweilige Anordnung

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 7. September 2005, an der teilgenommen haben

Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Held Richterin am Oberverwaltungsgericht Stengelhofen

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom 1. September 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Antragstellerin verfolgt bei zweckgerichtetem Verständnis der Beschwerde ihr erstinstanzlich durch den Hilfsantrag unterbreitetes Begehren weiter, nachdem sich das mit dem erstinstanzlichen Hauptantrag verfolgte, auf Donnerstag, den 1. September 2005 gerichtete Begehren durch Verstreichen des Sendetermins erledigt hat. Der Hilfsantrag ist bei verständiger Würdigung darauf gerichtet, dem Antragsgegner aufzugeben, den von der Antragstellerin am 29. August 2005 eingereichten ("unzensierten") Wahlwerbespot am Montag, den 12. September 2005, um ca. 21.40 Uhr auszustrahlen. Die so verstandene Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat den (Hilfs-)Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zu Recht abgelehnt. Die Antragstellerin hat den Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung). Nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zeichnet sich nicht mit der - für die hier begehrte Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung - notwendigen Deutlichkeit ab, dass das Begehren der Antragstellerin derzeit sachlich gerechtfertigt ist. Vielmehr spricht nach einhelliger Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht alles dafür, dass der Antragsgegner die Ausstrahlung des streitigen Spots zu Recht zurückgewiesen hat.

Zwar ist der Antragsgegner nach § 11 Abs. 1 Satz 1 ZDF-Staatsvertrag - ZDF-StV - vom 31. August 1991 (GVBl. S. 369) in der Fassung vom 1. April 2005 verpflichtet, Parteien während ihrer Beteiligung an den Wahlen zum Deutschen Bundestag angemessene Sendezeit einzuräumen, wenn mindestens eine Landesliste für sie zugelassen wurde. Die eingeräumte Sendezeit soll es politischen Parteien ermöglichen, im Wahlkampf ihre Ziele und Programme den Bürgern darzustellen und sie als Wähler zu werben. Hiervon ausgehend hat der Antragsgegner der Antragstellerin als einer Partei, die zum Deutschen Bundestag kandiert und durch den Bundeswahlausschuss am 12. August 2005 zur vorgezogenen Bundestagswahl 2005 zugelassen wurde, zwei Sendetermine für die Ausstrahlung eines Wahlwerbespots zur Verfügung gestellt. Allerdings ist der Anspruch politischer Parteien auf Benutzung der Rundfunkeinrichtungen im Rahmen der ihnen eingeräumten Sendezeit nicht schrankenlos.

Der Intendant des Antragsgegners ist gemäß § 11 Abs. 2 ZDF-StV befugt, die Ausstrahlung des von politischen Parteien eingereichten Sendematerials abzulehnen, wenn es sich inhaltlich nicht um Wahlwerbung handelt oder der Inhalt offenkundig und schwerwiegend gegen die allgemeinen Gesetze verstößt. Diese Befugnis schließt das Recht mit ein, das von den Parteien eingereichte Sendematerial unter dem genannten Blickwinkel zu überprüfen. Das Prüfungs- und Zurückweisungsrecht des Intendanten ist allein darauf gerichtet, sicherzustellen, dass die gemeinnützige Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZDF-StV) nur zu dem Zweck, zu dem sie Dritten zur Verfügung gestellt, und nur im Rahmen der für jedermann geltenden allgemeinen Gesetze genutzt wird. Dem Intendanten ist es mit Blick auf seine Gesamtverantwortung für die Programmgestaltung (§ 12 ZDF-StV) nicht zuzumuten, sich an offensichtlich rechtswidrigen Tätigkeiten Dritter zu beteiligen. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über den Wert des Programms einer politischen Partei und ihrer Mitwirkung am staatlichen Willensbildungsprozess den Bürgern im Rahmen der Wahlen vorbehalten. Die Kontrolle, ob das eingereichte Sendematerial die Voraussetzungen für eine Ausstrahlung als Wahlwerbung erfüllt, dient nicht dazu, im Wege einer nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 Grundgesetz - GG - unzulässigen (Vor)Zensur die öffentliche Äußerung einer bestimmten Meinung zu verhindern. In diesem Sinne steht die Regelung des § 11 Abs. 2 ZDF-StV im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Stellung sowie der Funktion der Parteien, durch die Entsendung von Abgeordneten an der Bildung funktionsfähiger Parlamente mitzuwirken. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 47, 198 [224 ff.]; 67, 149 [152]; 69, 257 [268 f.]) ist ein unbegrenzter Zugang der politischen Parteien zum Hörfunk und Fernsehen als Werbeträger von Verfassungs wegen nicht geboten. Insbesondere das Recht der Parteien auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 und 3 i.V.m. Art. 21 GG) gebietet nur, jeder Partei möglichst gleiche Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen durch grundsätzlich gleiche Werbemöglichkeiten im Wahlkampf zu gewährleisten. Gemessen hieran ist die Zurückweisung des von der Antragstellerin eingereichten ("unzensierten") Sendebeitrages nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht zu beanstanden.

Auch der Senat hat nach der Inaugenscheinnahme des streitigen Spots bereits größte Bedenken, ob es sich dabei um Wahlwerbung handelt.

Darunter sind alle Maßnahmen zu verstehen, die darauf abzielen, den Bürger zur Stimmabgabe für eine bestimmte Partei oder für bestimmte Wahlbewerber zu bewegen. Der zur Ausstrahlung eingereichte Beitrag muss einen inhaltlichen Bezug zur bevorstehenden Wahl aufweisen und auf die Erzielung eines Wahlerfolges gerichtet sein. Die Absicht, für eine bestimmte Person oder Partei zu werben und an der politischen Willensbildung durch Entsendung von Abgeordneten ins Parlament mitwirken zu wollen, muss sich aus der Sendung selbst, ohne Rückgriff auf außerhalb von ihr gelegene Umstände und Erläuterungen ergeben (vgl. BVerfGE 47, 198 [226 f.]). Das erscheint in Bezug auf den von der Antragstellerin eingereichten Beitrag sehr fraglich:

Der Wortinhalt des Spots ist begrenzt. Er erschöpft sich in der zu Anfang vom Kanzlerkandidaten der Antragstellerin herausgebrüllten Anrede "Maden der Welt" und die anschließende Aufforderung "Schaut auf dieses Land" sowie die von ihm gegen Ende geschrienen Worte "Balkanisierung - Rückverdummung - Nie wieder Arbeit - APPD wählen". Sodann folgt in runenartiger Schrift die sich über den gesamten Bildschirm erstreckende Schlusseinblendung: "Ihre Stimme für den Müll". Dazwischen beschränkt sich der Spot auf eine unkommentierte filmische Darstellung. Gezeigt wird eine Ansammlung völlig enthemmter, berauschter und von Zerstörungswut getriebener Menschen, die jenseits jeder sozialen gesellschaftlichen Norm und sittlichen Wertvorstellung eine exzessive Orgie durchführen. An der orgienartigen Szenerie nehmen auch Jugendliche und Kinder, sogar kleine Kinder teil. Diese irren zum Teil vollständig orientierungslos und verstört durch die zügellose Menge. Sie lutschen an einem Mercedes-Stern oder schlagen mit einer Axt auf Gegenstände ein. Neben dem übermäßigen Konsum von Alkohol wird eine Spritze im Arm eines der Akteure gezeigt, was auf den unbefangenen Betrachter wie der Konsum von Drogen wirkt. Darüber hinaus werden von jeglicher Individualität beraubte Menschen, insbesondere ein Paar mit nackten Oberkörpern, dessen Köpfe mit Plastiktüten überzogen sind, bei der Vornahme sexueller Handlungen gezeigt. Ferner wird ein Fressgelage dargestellt, an dem außer Menschen, auch eine Ratte und ein Hund teilnehmen. Die Akteure essen in Ekel erregender Weise Hundefutter und beschmieren sich gegenseitig damit. Zwei Jugendliche streiten sich wie Tiere mit bloßen Zähnen um ein rohes Stück Fleisch, das sie zwischen sich hin und her zerren. Der Spot enthält des Weiteren Szenen verrohend wirkender Gewaltanwendungen. Ein Akteur sticht mit einem Messer auf eine verschlossene, prall gefüllte Plastiktüte ein. Ein Computer wird mit einer Axt zerkleinert. Die Akteure schlagen sich gegenseitig mit Bierdosen auf die Köpfe. Gegen Ende des Spots wird eine Dose mit der runenartigen Aufschrift "Bundestagswahl 2005" zerdrückt und zerknittert. Außerdem werden verschmutzte Wahlzettel gezeigt, über die eine Spinne läuft und die anschließend verbrannt werden.

Bei Würdigung des Sendebeitrags in seiner Gesamtheit drängt sich dem Senat auf, dass die Antragstellerin den Spot nicht als ernsthaften Beitrag im politischen Meinungsbildungsprozess verstanden wissen will, sondern die Form der Wahlwerbung zur Verhöhnung der Wahlbürger missbraucht. Letztlich muss diese Frage hier aber nicht abschließend geklärt werden. Denn davon abgesehen, überschreitet der Spot nach der festen Überzeugung des Senats unzweifelhaft die Grenzen eines offenkundigen und schwerwiegenden Verstoßes gegen die Menschenwürde sowie gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag - JMStV - vom 6. März 2003 (GVBl. S. 24) in der Fassung vom 1. April 2005.

Art. 1 Abs. 1 GG schützt den personalen Eigenwert des Menschen. Die Menschenwürde ist verletzt, wenn der Mensch zum Objekt herabgesetzt oder einer Behandlung ausgesetzt wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen (BVerfGE 87, 209 [228]). § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 JMStV verbietet daneben Sendungen, die offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihrer Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit unter Berücksichtigung der besonderen Wirkungsform des Verbreitungsmediums schwer zu gefährden.

Der streitige Spot, dessen Inhalt vorstehend wiedergegeben wurde, vermittelt ein Menschenbild, das im krassen Widerspruch zum grundgesetzlich verbürgten Menschenbild steht. Er zeichnet das Bild einer nihilistischen, pervertierten und auf ein animalisch-triebhaftes Verhalten reduzierten Gesellschaft, in welcher der einzelne Mensch zu einer tierhaften, austauschbaren Größe herabgewürdigt wird. Die Darbietung beraubt den Menschen jeder Individualität. Er wird als ein asoziales, triebgesteuertes, gewalttätiges Wesen ohne ethisch-moralisches Bewusstsein und sittliche Werte gezeigt. Der Spot lässt in seiner Gesamtheit - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - auch nicht ansatzweise erkennen, dass hier mit dem künstlerischen Mittel der Übertreibung gearbeitet wurde, um auf diese Weise Kritik am politischen System zu üben und im Sinne der Menschenwürde und des Jugendschutzes auf eine Reihe von gesellschaftlichen und sozialen Missständen aufmerksam zu machen. Eine Distanzierung der Antragstellerin erfolgt nicht. Es drängt sich im Gegenteil der Eindruck auf, dass sie und der als Teil der Szenerie gezeigte halbnackte Kanzlerkandidat die Orgie in allen ihren Erscheinungsformen genießen und gutheißen und sich im Falle eines Wahlerfolges für die geschilderte Lebensform einsetzen werden. Der Spot leugnet damit offensichtlich und schwerwiegend den mit der Menschenwürde verbundenen sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Menschen. Zugleich ist er offenkundig in hohem Maße geeignet ist, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu verantwortungsbewussten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu gefährden.

Soweit die Antragstellerin den erstinstanzlichen Hilfsantrag dahingehend verstanden wissen will, ihr einen weiteren (dritten) Sendetermin zu Verfügung zu stellen, an dem die am 1. September 2005 unterbliebene Ausstrahlung des Spots in "unzensierter" Form nachgeholt werde, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg. Insoweit kann vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Darüber hinaus könnte ein weiterer Sendetermin nur zu Lasten anderer Parteien und damit unter Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit der übrigen Parteien eingeräumt werden. Einen dahingehenden Anspruch hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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